3.5. DUALE VEKTORRÄUME UND ABBILDUNGEN 103 3.5 Duale Vektorräume und Abbildungen Wir wollen im Folgenden auch geometrische Zusammenhänge mathematisch beschreiben und beginnen deshalb jetzt mit der Einführung hierfür geeigneter Begriffe. Betrachten wir zunächst eine einzelne homogene lineare Gleichung a ik x k = 0 k unter geometrischen Aspekten. Wenn nicht sämtliche Koeffizienten verschwinden, dann hat die (einzeilige) Koeffizientenmatrix den Rang 1, der Lösungsraum des einzeiligen homogenen Systems also die Dimension n 1, solche Unterräume heißen Hyperebenen, in Verallgemeinerung der Definition von Ebene als Raum der Dimension 2 = 3 1, also als Hyperebene im Dreidimensionalen. Ein homogenes lineares Gleichungssystem hat also als Lösungsgesamtheit einen Schnitt von Hyperebenen. Wir werden bald zeigen können, daß auch umgekehrt zu vorgegebenen Hyperebenen leicht ein Gleichungssystem aufgestellt werden kann, das den Schnitt dieser Hyperebenen als Lösungsgesamtheit besitzt. Wir verweisen deshalb zunächst auf die abbildungstheoretische Interpretation einer einzelnen linearen Gleichung: Zu K V ergibt sich auf natürliche Weise der Vektorraum L(V ) := Hom K (V, K) der Linearformen λ auf V. Beispiele von Linearformen sind linke Seiten einzelner homogener linearer Gleichungen: λ: K n K, x k a ik x k. Eine Verallgemeinerung des Begriffs der Linearform ist der der Bilinearform, worunter man Abbildungen β: V V K versteht (für K-Vektorräume V, V ), die in beiden Komponenten linear sind, d.h. für alle v V bzw. v V ist β(v, ): v β(v, v) bzw. β(, v): v β(v, v) Linearform. Die Menge aller solchen Bilinearformen sei mit bezeichnet. BLF (V, V ) 3.5.1 Definition (Skalarprodukte) Sei β BLF (V, V ). i) Als Nullräume von β bezeichnet man den Unterraum N V (β) := {v v: β(v, v) = 0} von V und den analog definierten Unterraum N V (β) in V. ii) β heißt nicht ausgeartet, wenn die Nullräume trivial sind: N V (β) = {0 V } und N V (β) = {0 V }. Solche nicht ausgearteten Bilinearformen bezeichnen wir auch oft mit, schreiben also v v statt β(v, v).
104 iii) Ist BLF (V, V ) nicht ausgeartet, dann heißen V und V dual bzgl.. Die Bilinearform heißt dann Skalarprodukt und v v das skalare Produkt von v und v. 3.5.2 Beispiele i) : K n K n K, (v, v) n 1 i=0 v i v i heißt das Standardskalarprodukt auf K n. K n ist also diesbezüglich zu sich selbst dual. ii) : L(V ) V K, (λ, v) λ(v) wird ebenfalls häufig herangezogen. Es zeigt, daß L(V ) dual ist zu V. Der Raum der Linearformen ist geradezu der Prototyp der zu V dualen Vektorräume! iii) Sind B, B Basisfolgen von V, V, m = dim K (V ), n = dim K (V ), und A K m n, dann ist β: V V K, (v, v) (v0,..., vm 1) A. = t v A v v n 1 eine Bilinearform. Für A := E m, die Einheitsmatrix, ergibt sich so das Standardskalarprodukt. Umgekehrt gilt für β BLF (V, V ) mit B := (β(b i, b k)) : β(v, v) = (v0,..., vm 1) B. = t v Bv. v n 1 iv) β BLF (V, V ) ergibt, für U K V, U K V, die Einschränkung v 0 β U U BLF (U, U). Umgekehrt liefert β BLF (U, U), mit f 1 Hom K (V, U ) und f 2 Hom K (V, U) die Bilinearform β: V V K, (v, v) β (f 1 (v ), f 2 (v)). v) Ist β BLF (V, V ), dann ergibt sich durch Ausfaktorisieren der Nullräume wie folgt eine nicht ausgeartete Bilinearform: β: (V /N V (β)) (V/N V (β)) K, (v + N V (β), v + N V (β)) β(v, v). v 0 3.5.3 Definition (orthogonal) Sei : V V K ein Skalarprodukt, v V, v V.
3.5. DUALE VEKTORRÄUME UND ABBILDUNGEN 105 i) v, v heißen zueinander orthogonal, kurz: v v, wenn gilt v v = 0. ii) Als orthogonales Komplement von U K V bezeichnet man den Unterraum U := {v V u U : u v = 0} von V. Analog ist das orthogonale Komplement U von U K V definiert. 3.5.4 Beispiele Sei BLF (V, V ) ein Skalarprodukt. Es gilt: i) V = {0 V }, V = {0 V }, da nicht ausgeartet ist. ii) Offenbar gilt, für U K V, U K U. iii) U i K V (U 1 + U 2 ) = U 1 U 2. 3.5.5 Definition (duale Abbildungen) Sind V, V und W, W Paare dualer K Vektorräume, dann heißen f Hom K (V, W ) und f Hom K (W, V ) zueinander dual, wenn gilt: 3.5.6 Beispiele f (w ) v = w f(v). i) V := L(V ) ist dual zu V. Ist außerdem W dual zu W bzgl. sowie f Hom K (V, W ), dann ist zu dieser Abbildung dual: f : W L(V ), w w f( ). ii) Sind V, V zueinander dual und ist U K V, dann sind V /U und U zueinander dual bzgl. (vgl. 3.5.2 v)) 3.5.7 Satz : (V /U ) U K, (v + U, u) v u. Dual zur Einbettung ι U : U V, u u ist die Abbildung ν U : V V /U, v v + U. i) Duale Abbildungen sind (gegebenenfalls) eindeutig bestimmt. ii) Sind f, g dual zu f, g Hom K (V, W ), dann gilt (f + g) = f + g, (κ f) = κ f.
106 iii) Sind f, g dual zu f Hom K (U, V ), g Hom K (V, W ), dann ist (g f) = f g. iv) Sind f, f zueinander dual, dann gilt Kern(f ) = Bild(f), Kern(f) = Bild(f ). Beweis: i) gilt, da Skalarprodukte nicht ausgeartet sind, ii) und iii) sind leicht nachzurechnen. Zum Beweis von iv) bemerken wir: w Kern(f ) v: 0 = f (w ) v = w f(v) w Bild(f). Die zweite Identität Kern(f) = Bild(f ) ergibt sich ganz analog. 3.5.8 Folgerungen V, V und W, W seien Paare zueinander dualer K Vektorräume, und zu f Hom K (V, W ) sei f Hom K (W, V ) dual. Dann gilt: i) W /Bild(f) = W /Kern(f ) und Bild(f) sind dual bzgl. w + Bild(f) f(v) := w f(v). ii) Bild(f ) und V/Bild(f ) = V/Kern(f) sind dual bzgl. f (w ) v + Kern(f) := f (w ) v. Beweis: 3.5.6 ii). Das Paradebeispiel für ein Paar dualer Vektorräume ist L(V ), V wir fassen zusammen, was wir darüber bereits wissen und zeigen noch einiges darüber hinaus: 3.5.9 Satz Zu V ist L(V ) dual bzgl. : L(V ) V K, (λ, v) λ(v). Zu einer linearen Abbildung f Hom K (V, W ) dual ist f : L(W ) L(V ), µ µ f. Für die Kerne und Bilder dieser Abbildungen gilt: und analog Kern(f) = Bild(f ), Kern(f ) = Bild(f), Bild(f ) = Kern(f), Bild(f) = Kern(f ). Schließlich ist noch für orthogonale Komplemente folgendes richtig: U = U.
3.5. DUALE VEKTORRÄUME UND ABBILDUNGEN 107 Beweis: Die Aussagen über die Dualität von V und L(V ) wie auch die Aussage über die Form der dualen Abbildung sind bereits bekannt. Wir wissen auch schon, daß Kern(f ) = Bild(f), Kern(f) = Bild(f ). Es bleibt also noch zu zeigen, daß Bild(f ) = Kern(f), Bild(f) = Kern(f ). Zum Beweis der ersten Gleichung bemerken wir, daß λ Kern(f) Kern(f) Kern(λ). Nach dem Abbildungssatz ist dies äquivalent zur Existenz einer kommutativen Ergänzung µ L(W ) des folgenden Diagramms: f V W λ µ K Hierfür gilt also λ = µ f und damit ist λ Kern(f) äquivalent zu λ Bild(f ), was zu zeigen war. Vor dem Beweis von Bild(f) = Kern(f ) beweisen wir U = U, für U K V. Dazu betrachten wir die kanonische Projektion π: V V/U, v v + U. Mit Hilfe des bereits Bewiesenen ergibt sich: U = Kern(π) = Bild(π ) = Kern(π) = U. Hiermit können wir jetzt den Beweis vervollständigen: Kern(f ) = Bild(f) = Bild(f). Wir fragen nun nach Dimension und Basen von zueinander dualen Vektorräumen. Sind B, B, endliche Basisfolgen für V und V, dann gilt offenbar 0... 0 0 0... 0..... 0... 0 0 0... 0 3.5.10Hom K (V, V ) K K m n = K 0... 0 1 0... 0, 0... 0 0 0... 0..... 0... 0 0 0... 0
108 denn K m n hat (als K-Vektorraum) diejenigen Matrizen als Basis, die neben Nullen nur eine Eins enthalten. Die von diesen Matrizen dargestellten Abbildungen bilden demnach eine Basis von Hom K (V, V ) : 3.5.11 Hom K (V, V ) = K f ik : b j δ jk b i i m, j n. Dabei bezeichnet δ jk das Kroneckersymbol Also folgt insbesondere δ jk := { 1 falls j = k 0 sonst. 3.5.12 dim K (Hom K (V, V )) = dim K (V ) dim K (V ). Für V := K 1 = K ergibt das die 3.5.13 Folgerung i) L(V ) = K λ i : b j δ ij 1 K i m, ii) dim K (L(V )) = dim K (V ). Das legt die Vermutung nahe, daß endlichdimensionale zueinander duale Vektorräume V, V dieselbe Dimension haben und damit V K L(V ) gilt. Das ist tatsächlich richtig, weshalb L(V ) auch als der zu V duale Vektorraum bezeichnet werden kann. Genauer gilt: 3.5.14 Satz Sind V, V dual bzgl. und ist dim K (V ) N, dann gilt: i) ϕ: V K L(V ), v v, ii) dim K (V ) = dim K (V ). Beweis: a) Offensichtlich ist ϕ(v ) L(V ), und da nicht ausgeartet ist, ist ϕ zudem injektiv. b) Die Injektivität von ϕ ergibt dim K (V ) dim K (L(V )) = 3.5.13 dim K (V ). c) Betrachten von ψ: V L(V ), v v ergibt ganz analog dim K (V ) dim K (L(V )) = 3.5.13 dim K (V ). Mit b) folgt also die Behauptung. 3.5.15 Definition (duale Basen) Sind V, V dual bzgl., ist dim K (V ) N und sind B, B Basisfolgen, dann heißen diese zueinander dual, wenn gilt { b 1K, i=k, i b k = δ ik 1 K = 0 K, sonst.
3.5. DUALE VEKTORRÄUME UND ABBILDUNGEN 109 3.5.16 Beispiel Die zur Basisfolge B = (b 0,..., b m 1 ) von V oben bereits angegebene Basisfolge L := (λ 0,..., λ m 1 ) von L(V ) ist die zu B duale Basisfolge. 3.5.17 Satz Ist V endlichdimensional, B Basisfolge, dann gibt es in jedem zu V dualen Vektorraum V eine zu B duale Basisfolge B. Beweis: Ist L die zu B duale Basisfolge in L(V ), so ergibt die Abbildung ϕ: V K L(V ) vermöge b i ϕ 1 ({λ i }) eine zu B duale Basisfolge B = (b 0,..., b m 1) : b i b k = b i (b k ) = ϕ(b i )(b k ) = λ i (b k ) = δ ik. 3.5.18 Satz Zueinander duale lineare Abbildungen zwischen endlichdimensionalen K Vektorräumen werden bzgl. dualer Basisfolgen durch zueinander transponierte Matrizen dargestellt. Beweis: V, V und W, W seien Paare endlichdimensionaler dualer K Vektorräume mit zueinander dualen Basisfolgen B, B und C, C. Weiter sei f Hom K (V, W ) mit A = (a ik ) := M(C, f, B), und dazu dual f Hom K (W, V ) mit B = (b ik ) := M(B, f, C ). Dann gilt: f (c k) b j = i b ik b i b j = b jk. Wegen der Dualität ergibt sich andererseits: f (c k) b j = c k f(b j ) = i c k c k a ij = a kj, also folgt insgesamt: b jk = a kj, wie behauptet. 3.5.19 Satz Ist U V, dim K (V ) N, dann gilt dim K (V ) = dim K (U) + dim K (U ). Beweis: L(V ) und V sind zueinander dual, also auch L(V )/U, U, weshalb gilt dim K (U) = dim K (L(V )) dim K (U ) = dim K (V ) dim K (U ).
110 3.5.20 Satz Sind V, V dual bzgl., und ist β BLF (V, V ) sowie dim K (V ) N, dann gibt es genau ein f β End K (V ) mit Beweis: i) Die Existenz von f β : β(v, v) = v f β (v). Sei ψ: V L(V ), v v. Wegen β(, v) L(V ) gibt es genau ein v V mit ψ(v ) = β(, v), also ist wohldefiniert. ii) f β ist K Endomorphismus: letzteres wegen f β : V V, v v, mit ψ(v ) = β(, v), f β (κ 1 v 1 + κ 2 v 2 ) = (κ 1 v 1 + κ 2 v 2 ) = κ 1 v 1 + κ 2 v 2, (κ 1 v 1 + κ 2 v 2 ) = β(, κ 1 v 1 + κ 2 v 2 ) = κ 1 β(, v 1 ) + κ 2 β(, v 2 ) = κ 1 v 1 + κ 2 v 2 = κ 1 v 1 + κ 2 v 2, woraus sich (κ 1 v 1 +κ 2 v 2 ) = κ 1 v 1+κ 2 v 2 ergibt, da nicht ausgeartet ist. iii) Die Eindeutigkeit: v f β (v) = v f(v) v (f β f)(v) = 0 ergibt f β = f, da nicht ausgeartet ist. 3.5.21 Folgerung BLF (V, V ) End K (V ). 3.5.22 Anwendungen i) Ist f Hom K (V, V ), und sind V, V endlichdimensional, dann heißt der Spaltenrang Sr(A), für irgendeine Matrix A mit M(B, f, B), der Rang von f. Kurz: Rg(f) := Sr(A). Wir wollen (nochmals) zeigen, daß der Spaltenrang dem Zeilenrang gleicht: Rg(f) = dim K (Bild(f)) = dim K (V/Kern(f)) = dim K (V ) dim K (Kern(f)) = dim K (V ) dim K (Bild(f ) ) = dim K (V ) (dim K (V ) dim K (Bild(f )) = dim K (Bild(f )) = Rg(f ).
3.5. DUALE VEKTORRÄUME UND ABBILDUNGEN 111 Dies beweist, erneut, daß für Matrizen A gilt Sr(A) = Zr(A), denn wir wissen ja, daß die duale Abbildung bzgl. der dualen Basis durch die Transponierte von A dargestellt wird. ii) Ax = b ist genau dann lösbar, wenn jede Lösung des transponierten homogenen Systems t A y = 0 auf b senkrecht steht: y i b i = 0. Ax = b lösbar b Kern(f ). iii) Ein numerisches Beispiel zu ii): A := 1 1 1 1 1 1 R 3 3, b := 3 4 R 3, 1 3 3 1 also Dann ist Wegen R t A = 1 1 1 1 1 3. 1 1 3 2 1 1 2 1 3 4 1 1 ist das System also nicht lösbar. = L H ( t A). = 6 + 4 + 1 0