Cassini-Kurven Lemniskate Text Nr. 510 Stand 1. April 016 FRIEDRICH W. BUCKEL INTERNETBIBLIOTHEK FÜR SCHULMATHEMATIK
510 Cassini-Kurven und Lemniskate Vorwort Der Namen Lemniskate ist sicher bekannter als Cassini-Kurven. Es sind hochinteressante Kurven mit verblüffenden Formen und Varianten. Wer die Abstandsdefinition für Ellipsen kennt (die Summe der Abstände von zwei Brennpunkten muss konstant (=a) sein), staunt nicht schlecht, dass man Analoges für das Produkt dieser Abstände machen kann. Und das ergibt dann die Lemniskate, also die Acht-Kurve. Der mathematische Aufwand ist nicht unerheblich, weil Wurzelrechnen mit trigonometrischen Funktionen zusammen ganz schön anspruchsvoll wird. Inhalt 1 Vorschau 3 Herleitung der Koordinatengleichung 3 Ersatzfunktionen Herleitung einer Gleichung mit Polarkoordinaten 5 5 Schnittpunkte mit der x-achse 5 6 Schnitt mit der -Achse 5 7 Berechnung der Extrempunkte der Lemniskate 6 Berechnung der Extrempunkte einer Cassini-Kurve 7 8 Es gibt 5 verschiedene Formen von Cassini-Kurven 8 9 Untersuchung einer Lemniskate mit dem CAS-Rechner TI Nspire 11 10 Berechnung der Fläche der Lemniskate 1 11 Bogenlänge der Lemniskate 1 1 Zum Schluss Unterhaltsames 13
510 Cassini-Kurven und Lemniskate 3 1 Vorschau Unter einer Cassini-Kurve versteht man die Menge der Punkte Px, für die das Produkt der Abstände r 1 und r von zwei (Brenn-)Punkten F e 0 und F e 0 konstant ist. Diesen Wert 1 bezeichnet man oft mit k>0, aber auch mit k, um klarzumachen, dass das Produkt nicht negativ ist. Je nach k-wert erhält man bis zu 5 verschiedene Formen für diese Cassini-Kurven, siehe Seite 7/8. Für e = k heißt diese Kurve dann Lemniskate (Abb. rechts). Koordinatengleichungen: bzw. Ersatzfunktionen: 1, bzw. x e x k e mit e > 0 und k > 0 x e x 0 für die Lemniskate. x e e x k x e e x e für die Lemniskate. In Polarkoordinaten: r e cos e cos k e bzw. r e cos für die Lemniskate. Hieraus folgt die Parameterdarstellung: x rcos x e cos cos rsin x e sin cos Man findet auch diese Formeln: e cos x( ) sin 1 und sin 1 e cos sin ( )
510 Cassini-Kurven und Lemniskate. Herleitung der Koordinatengleichung Unter einer Cassini-Kurve versteht man die Menge der Punkte Px, für die das Produkt der Abstände r 1 und r von zwei (Brenn-)Punkten F e 0 und F e 0 konstant ist.. 1 In dieser Abbildung ist e = 3 und PF1PF k 9 (k = 3). In diesem Spezialfall ist k = e. Diese Cassini-Kurve heißt daher Lemniskate: Herleitung der Koordinatengleichung Abstände: FP x x e und Bedingung: 1 FP x xe 1 k d. h. x e x e k PF PF xe xe k x e xe xe xe k x ex e x e x e x e x e x e x ex e x ex x x e x e k e x e k Ergebnis: Cassini-Kurve: x e x k e Im Falle einer Lemniskate ist k = e, also (1) (C1) 3. Ersatzfunktionen Dazu löst man die Gleichung (C1) nach auf: x e x k e x e x 0 (L1) x x e x e k e x e x e x k e 0 Dies ist eine biquadratische Gleichung, also eine quadratische Gleichung für : 1, x e x e x e x k e 1, x e x e x e x e x k e x e e x k 1, Das Minuszeichen vor der Wurzel ergibt nur negative Werte für, kann also wegfallen. x e e x k 1, Im Falle der Lemniskate (k = e) gilt dann x e e x e x e e x e 1,
510 Cassini-Kurven und Lemniskate 5. Herleitung einer Gleichung mit Polarkoordinaten Diese implizite Gleichung ist sehr unhandlich für die Anwendung. Daher wandle ich sie in x rcos Polarkoordinaten um. Ich setze ein und erhalte rsin r cos r sin e r cos r sin k e r cos sin e r cos sin k e 1 cos( Es folgt: r e r cos k e (*) Wenn es sich um eine Lemniskate handelt: r e r cos 0 : r 0 Ist aber k also: r e cos r e cos 0 (L) e, dann ist (*) eine biquadratische Gleichung, also eine quadratische Gleichung für r : r e r cos k e 0 e cos e cos k e r r e cos e cos k e (C) Bedingung: 0 5. Schnittpunkte mit der x-achse: x e xe k. Einsetzen in (1): Es folgt x e x e k x exe k Also: x e k bzw. x e k x e k N () Ergebnis: Es kann also bis zu Schnittpunkte geben. 6. Schnitt mit der -Achse: x e xe k Bedingung: x = 0: Einsetzen in (1): e e k e k Der Fall Es gibt keinen Schnittpunkt, wenn e k e k kann nicht eintreten, denn e k k e k e (3) k e k e ist. e 0. Für den Fall k e ist 0. Dann schneidet die Kurve die -Achse nur im Ursprung. Diese Kurvenart heißt Lemniskate
510 Cassini-Kurven und Lemniskate 6 Zuerst Hoch- und Tiefpunkte: 7 Berechnung der Extrempunkte der Lemniskate Ich gehe von der impliziten Gleichung aus: Die implizite Ableitung liefert uns: F x, x e x 0 Fx ' F Berechnung der partiellen Ableitungen: x Also folgt: Wie man sieht, ist in x 0 0 F x x e x x x e x F x e x e ' x x e x x e keine Berechnung der Ableitung möglich, da Fx F 0 sind. Notwendige Bedingung für Extremstellen: d. h. x x e 0 Da x = 0 ausscheidet, folgt: ' 0 x x e x 0 x e (1) Dies setzt man in F(x,) = 0 ein: Ergibt e e x 0 : e x 0 x e () 1 e 0 Elimination von durch (1) + (): x e x e x1, 3 3 3 e Einsetzen in (1): 1 e x e e e e. 3 1 Die möglichen Extrempunkte sind daher: E e 1 1,,3, 3 e Für unsere Kurve mit e = 3 ergibt das E 3 3 3,6 1,5 1,,3, 1, Dann die Links- und Rechts-Punkte: Die ganz einfache Berechnung geht über die Anschauung und die Definition der Lemniskate: Im jedem Kurvenpunkt, also auch im Rechtspunkt Rr 0 ist das Produkt der Abstände von den Brennpunkten F e 0 RF r e RF r e folgt mit dieser Bedingung: 1, r e r e e d. h. gleich e. Aus 1, r e e r e r e Also ist Re 0 und aus Smmetriegründen: L e 0. Für unsere gezeichnete Kurve ergibt dies: R, 0 und L, 0
510 Cassini-Kurven und Lemniskate 7 Es gibt nur ein kleines Problem dabei. Wir haben dabei nicht nachgewiesen, dass es in R und L senkrechte Tangenten gibt. Das kann man natürlich nachträglich noch beweisen: Dazu muss F Null werden: F x, x e F e,0 0 e 0 e 0 0 Für Re 0 gilt: Analoges gilt für L, 0. Es ist nicht schwer, die Berechnung der Extrempunkte auf Cassini-Kurven zu erweitern. Die Gleichung lautet Die Ableitungen sind gleich denen der Lemniskate. F x, x e x k e 0 Notwendige Bedingung für Extremstellen: d. h. x x e 0 Wenn x 0 0 ausscheidet, folgt: ' 0 x x e x 0 (0) x e (1) Eingesetzt in F(x,) = 0 folgt dann: d. h. e k e x e e x k e 0 also e k k x e () e e Elimination von durch (1) + (): k k e k x e x e e e e x 1, Elimination von x k durch (1) (): e e k e k k e e Ergebnis: e k k E e e Es gibt aber Cassini-Kurven die nicht durch x 0 0 gehen, dann hat die Gleichung (0) auch noch die Lösung x = 0, weil dann 0 ist. Dann ist auch F 0: 0 0 e 0 0 3 ' x 0, 0 0 0 e e Folgerung: Geht eine Cassini-Kurve nicht durch den Ursprung, hat sie auch noch bei x = 0 eine Extremstelle (H und T).
510 Cassini-Kurven und Lemniskate 8 8. Es gibt 5 verschiedene Formen von Cassini-Kurven e k k Die Fallunterscheidung richtet sich nach Anzahl und Art der Extrempunkte E. e e 1. Fall: k e Dann ist e k 0, d. h. diese Extrempunkte existieren nicht. In der Berechnung der Extrempunkte tritt hier dagegen die Extremstelle 0 auf. Diese Cassini-Kurve hat eine ellipsenähnliche Form und 1 Hochpunkt und 1 Tiefpunkt. Mit e = 3 lautet diese Bedingung: k 3, z. B. k =,8. r 9 cos 81cos 9,816 Eingezeichnet sind zwei Kurvenpunkte P und P mit der Eigenschaft 1 r r,8 1 bzw. r r,8 3 Sie schneidet die x-achse in xn e k 93,0 5,66 Der Fall 9 3,0 wird nicht reell. Und die -Achse in k e 3,09 3,75. Fall k e Jetzt wird e k 0, d.h. die obigen Extrempunkte haben x = 0, aber nicht den Ursprung. Daher kommt diese Lösung x = 0 doppelt vor, was sich als Flachpunkt äußert. Mit e = 3 lautet diese Bedingung: k 3,, also k = 18 r 9 cos 81cos 3 Aus (C): Sie hat auch ellipsenähnliche Form, ist aber an den Extrempunkten deutlich flacher: Ihre Krümmung ist dort sogar 0. R hat von F 1 die Entfernung r 1 = 6 und von F die Entfernung r = 3: Da r r 18 k ist, liegt R auf der Kurve. 1 Schnittpunkte mit der x-achse: xn e e e 3 3 3 Schnittpunkte mit der -Achse nach: k e e e e e
510 Cassini-Kurven und Lemniskate 9 3. Fall: e k e Hier ist dann e k 0, d.h. man erhält zwei verschiedene Extremstellen und weil die Kurve nicht durch den Ursprung geht, zusätzlich noch die Extremstelle x = 0. Beispiel: e = 3, also 3 < k <,. Ich wähle k = 3,6. Aus (C) folgt: r 9 cos 81cos 88,9616 Die Kurve ist jetzt ein eingedrücktes Oval. Extrempunkte E13,08,16 sowie E 0 1,99 5,6 Info: Sie hat Wendepunkte: ab ab W 1, mit k e a und 3 k e b. 3e Zu diesem 3. Fall gehört auch diese Kurve r 9cos 81cos 1 Hier ist e = 3 und k e 1, also k e 1 8 k 8 3,009. Fall: Nun lassen wir den Summanden +1 weg, was für e k passiert: Beispiel: e = 3, also k = 3 Aus (C): r 9cos 81cos bzw. r 9cos9cos bzw. r 18cos also: r 3 cos Diese Kurve ist die Lemniskate: Oder so mit einem Polarkoordinatennetz: 5. Fall: k e: Beispiel: e = 3, k = 7 r 9 cos 81cos 3 (C): Die Kurve besteht jetzt nur aus zwei kleinen Ovalen. Die Schnittpunkte mit der x-achse sind N e k 0 und die Extrempunkte 7 sind im Beispiel E,76 6
510 Cassini-Kurven und Lemniskate 10 Hier eine ganze Schar von Cassini-Kurven mit allen Tpen: r 9cos 81cos z
510 Cassini-Kurven und Lemniskate 11 9. Untersuchung einer Lemniskate mit dem CAS-Rechner TI Nspire Ich wähle e = 3, dann gilt für die Lemniskate auch k = 3 Dazu verwende ist diese Formeln: r(t) 3 cost mit t statt. xt r(t) cost t r t sin t Um alle drei Werte auf einmal zu bekommen definiere ich eine Funktion mit drei Werten: Mit ihr berechne ich diese Tripel: r(t) x(t) (t) Px t t trage ich dann mit MatheGrafix in die Lemniskate ein. Daraus kann man erkennen, zu welchen Winkeln (t bzw. ) dann die Punkte bzw. Kurvenbögen gehören. Die Schreibweise P(z) bedeutet Pz. 3 t 0 t t 5 7 t Man erkennt, dass es Winkel-Intervalle gibt, zu denen es keine Kurvenpunkte gibt, weil der Radikand von r(t) 1 3 negativ wird, z.b. ; und 5 7 ;. 1 Die rechte Schleife erhält man für 0 t (oben) und für 7 1 1 1 t bzw. t 0, also insgesamt für t.
510 Cassini-Kurven und Lemniskate 1 10. Berechnung der Fläche der Lemniskate Für die Polarkoordinatendarstellung gilt die Flächenformel F 1 r d 1 (Text 5011). Man sollte folgenden kleinen Trick anwenden: 1 1 Für erhält man die halbe Fläche, also den Inhalt der rechten Schleife. Also rechnet man: / / sin 1 1 e e sin sin / / F e cos d e 1 1 e FE Also ist F e FE 11. Bogenlänge der Lemniskate Die Bogenlänge einer Lemniskate ist nur näherungsweise berechenbar: U 7,16 e Die Bogenlänge führt zu einem unlösbaren elliptischen Integral. Wer die Berechnung ansehen will, kann dies in Matroids Matheplanet tun: http://matheplanet.com/default3.html?call=article.php?sid=1693&ref=https%3a%f%fwww.google.d e%f
510 Cassini-Kurven und Lemniskate 13 1 ZUM SCHLUSS UNTERHALTSAMES Hier zeige ich den Einfluss des Parameters a auf die Kurvenform. r e cos Er bewirkt eine zentrische Streckung der Kurve. Folgende Parameter wurden verwendet: e 0,5 bis 5 step 0,5 Veränderte Gleichungen führen zu abgewandelten Formen. r e cosb c Der Parameter b legt die Anzahl der Schleifen fest: Der Parameter c bewirkt eine Drehung der Kurve:
510 Cassini-Kurven und Lemniskate 1 Der Name Lemniskate ist abgeleitet aus dem lateinischen Wort lemniscus = Schleife. Lemniskate bedeutet also schleifenartige Kurve. Die zuvor hier behandelte Lemniskate mit der Bedingung PF PF e geht auf den Mathematiker 1 Jakob Bernoulli (165 1705) zurück und heißt Lemniskate von Bernoulli. Es ist nicht schwer vorstellbar, dass es ähnliche schleifenförmige Kurven gibt. Ein Beispiel dazu ist die Lemniskate von Gerono: Ihre Gleichungen sind: x t a sin t asin t cos t bzw. allgemeiner x a x oder (1) () x a x a (3) Zahlreiche Informationen und Ausblicke dazu findet man unter http://www.mathcurve.com/courbesd/gerono/gerono.shtml Den Zusammenhang zwischen (1) und () erkennt man durch Einsetzen von (1) in (): a sin t a a sin t a sin t cos t a sin t a sin t 1 cos t sin t Wahre Aussage. Noch ein Wort zu Giovanni Domenico Cassini (165 171): Er war Professor an der Universität Bologna für Mathematik und Astronomie. Viele Details dazu findet man in https://de.wikipedia.org/wiki/giovanni_domenico_cassini