Vorlesung Telekommunikationsrecht. Datenschutz und öffentliche Sicherheit I
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- Silvia Otto
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1 Vorlesung Telekommunikationsrecht Datenschutz und öffentliche Sicherheit I
2 Wiederholungsfall Die Bundesnetzagentur stellt fest, dass in bestimmten ländlichen Regionen ein funktionsfähiger Festnetzzugang zum Internet nicht mehr gewährleistet ist, da dort die meisten Festnetzanschlüsse nicht über die mittlerweile erforderliche Bandbreite verfügen. Eine Befragung der in diesen Regionen tätigen Netzbetreiber ergibt, dass mit einem Netzausbau dort nicht zu rechnen ist. Was wird die Bundesnetzagentur nun unternehmen?
3 Themen zu Datenschutz und öff. Sicherheit Grundrechtliche Grundlagen Regelungen im TKG Überwachungsermächtigungen der Sicherheitsbehörden
4 Thema heute Grundrechtliche Grundlagen Relevante Grundrechtsfunktionen Struktur der Grundrechtsprüfung Einschlägige Grundrechte im Überblick Fernmeldegeheimnis, Art. 10 GG Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 I i.v.m. Art. 1 I GG Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme ( IT-Grundrecht ) Recht auf informationelle Selbstbestimmung
5 Grundrechtsfunktionen Hergebrachte und primäre Funktion: Grundrechte als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe Erweiterungen: u.a. mittelbare Privatrechtswirkung von Grundrechten
6 Prüfung eines Abwehrrechts Schutzbereich Eingriff Verfassungsrechtliche Rechtfertigung, insbesondere Vorbehalt des Gesetzes Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Legitimes Ziel Eignung Erforderlichkeit Angemessenheit
7 Grundrechte in der Telekommunikation Grundgesetz Fernmeldegeheimnis, Art. 10 GG Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i.v.m. Art. 1 I GG (Ausprägungen u.a.: IT-Grundrecht, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Recht am gesprochenen Wort) EU-Grundrechtecharta Anwendbar gem. Art. 51 I 1 GRCh wegen Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation Achtung des Privat- und Familienlebens, Art. 7 GRCh Schutz personenbezogener Daten, Art. 8 GRCh Europäische Menschenrechtskonvention Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Art. 8 EMRK
8 Fernmeldegeheimnis, Art. 10 GG (1) Schutzbereich Schutzgegenstand: Fernkommunikation unabhängig von der konkreten Übertragungstechnik Schutz umfasst Inhalt und Umstände der Fernkommunikation Grenzen des Schutzbereichs Sachlich: Kein Schutz von telekommunikationsbezogenen Daten, die nicht Gegenstand der Telekommunikation sind Zeitlich: Schutz nur von laufender Fernkommunikation
9 Fernmeldegeheimnis, Art. 10 GG (2) Eingriff Hoheitliche Kenntnisnahme von Inhalten und Umständen der Fernkommunikation Schutz mediengebundenen, nicht personengebundenen Vertrauens Eingriff nur durch nicht-autorisierten Zugriff auf Fernkommunikation Weiterverarbeitung erlangter Daten greift wiederum in Art. 10 GG ein
10 Beispiele Liegt in den folgenden Fällen ein Eingriff in Art. 10 GG vor: 1. Die C GmbH, die einen Cloud-Speicherdienst betreibt, leitet die von Extremistin E gespeicherten Inhalte an das Bundesamt für Verfassungsschutz weiter. 2. Ein Unbekannter spielt der Staatsanwaltschaft eine Datei zu, welche die IP- Adressen enthält, unter denen zu bestimmten Zeiten innerhalb eines bestimmten Zeitraums auf eine Website mit kinderpornographischen Inhalten zugegriffen wurde. Auf Anforderung ordnet Telekommunikationsunternehmen T eine in der Datei enthaltene dynamische IP-Adresse anhand des Zugriffszeitpunktes dem Anschluss seines Kunden K zu und übermittelt der Staatsanwaltschaft Namen und Adresse des K. 3. Bei einer Wohnungsdurchsuchung findet die Polizei den angeschalteten PC des Verdächtigen V vor. Ein Polizeibeamter nutzt den PC, um die lokal gespeicherten s des V zu lesen und weitere s vom Provider abzurufen
11 Fernmeldegeheimnis, Art. 10 GG (3) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Nicht generell erforderlich: Richtervorbehalt Materielle Eingriffsschwelle abhängig von der Eingriffsintensität Geringere Intensität der bloßen Erhebung von Kommunikationsumständen? Drittwirkung des Fernmeldegeheimnisses Unproblematisch: staatliche Gewährleistungspflicht gegenüber reinen Kommunikationsmittlern (insb. Diensteanbietern) Problematisch: Schutz in mehrstufigen Nutzungsverhältnissen (z.b. Arbeitsverhältnis)
12 IT-Grundrecht (1) Schutzbereich Sachlicher Schutzbereich Hinreichend komplexes informationstechnisches System Eigenes System Schutzrichtungen Integrität Vertraulichkeit Negative Abgrenzung zu Art. 10 GG: Schutz der Vertraulichkeit laufender Kommunikation allein durch das Fernmeldegeheimnis Eingriff: nur Zugriff auf technisch nicht vorgesehenem Weg?
13 IT-Grundrecht (2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Kontrolle durch neutrale Stelle Hohe materielle Anforderungen insb. an Online-Durchsuchung (präventives Ziel: konkrete Gefahr für überragend wichtiges Rechtsgut)
14 Beispielsfall Die Strafprozessordnung enthält keine besondere Regelung über Datenerhebungen aus informationstechnischen Systemen, erlaubt aber generell die Überwachung der Telekommunikation, um dem Verdacht bestimmter Straftaten nachzugehen. V ist einer solchen Straftat verdächtig. Da V ausschließlich verschlüsselt kommuniziert, will die Staatsanwaltschaft ihren Laptop und ihr Smartphone mit einer Zugriffssoftware infiltrieren, die Sprachtelefonate sowie ein- und ausgehende s ausleitet. Ist dies zulässig?
15 Recht auf informationelle Selbstbestimmung Schutz vor Erhebung, Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten Wird durch spezielle Gewährleistungen verdrängt Verbleibende Relevanz in Sachverhalten mit Telekommunikationsbezug Schutz von Daten, die nicht (mehr) Gegenstand laufender Telekommunikation sind Schutz personengebundenen Vertrauens
16 Lehren des Tages Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses Schutzbereich des IT-Grundrechts Verbleibende Relevanz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
17 Nacharbeit BVerfGE 120, 274 ( Online-Durchsuchung ) BVerfGE 124, 43 ( -Beschlagnahme) BVerfGE 130, 151 (Bestandsdatenabruf) Vertiefung: Bäcker, in nhalt/privatsphaere_mit_system/privatsphaere_mit_system_- _Datenschutz_in_einer_vernetzten_Welt.pdf
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