Care Migration: Pflege der Zukunft?
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- Adolph Beutel
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1 Care Migration: Pflege der Zukunft? Anke Lehmann Leiterin Fachbereich Pflege und Entwicklung St.Gallen,
2 Inhalt 1. Definition Care Migration 2. Ausgangslage 3. Charakteristiken 4. Befragung Spitex-Organisationen 5. Befragung Care- Migrantinnen 6. Empfehlungen und Handlungsoptionen Seite 2
3 Seite 3
4 Definition Care- Migration Der Begriff Care-Migration umschreibt ein Arrangement, bei dem Migrantinnen, vornehmlich aus Mittel- und Osteuropa, dauerhaft oder in der spezifischen Form der «Pendelmigration» in Privathaushalten von pflege- und hilfebedürftigen Personen arbeiten. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Live-in-Verhältnisse bei dem die ausländische Haushaltshilfe oder Betreuerin im selben Haushalt mit der pflegebedürftigen Person lebt. Die Zuständigkeit der ausländische Haushaltshilfe oder Betreuerin besteht während 24 Stunden am Tag. Pendelmigration bedeutet, dass die Migrantinnen nach einem bestimmten Zeitintervall (häufig über drei Monate) wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren, um nach einer Pause (unterschiedliche Zeitabschnitte) wieder an ihre Arbeitsstelle zurückkehren. Seite 4
5 Ausgangslage (1) Demographische Entwicklung Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und den existierenden Angeboten/Kosten für die Betreuung in bestehenden öffentlichen und privaten Strukturen. Seite 5
6 Ausgangslage (2) Erweiterung der vollständigen Personenfreizügigkeit auf die EU-8-Staaten per 1. Mai 2011 während bis zu 90 Arbeitstagen im Kalenderjahr als grenzüberschreitende Dienstleistungserbringer Einkommensunterschiede zwischen West-und Osteuropa ermöglichen die Beschäftigung einer ausländischen Haushaltshilfe oder Betreuerin zu finanziell realisierbaren Bedingungen Seite 6
7 Ausgangslage St.Gallen Unbefriedigende rechtliche Situation (Im wird für die Abklärung und Behandlung von Krankheiten, von Verletzungen und von anderen körperlichen oder seelischen Gesundheitsstörungen eine Bewilligung benötigt (vgl. Art. 43 des Gesundheitsgesetzes, sgs 311.1, abgekürzt GesG). Nach Art. 46 GesG wird die Bewilligung für die selbständige Ausübung eines Berufes der Gesundheitspflege erteilt, wenn die Gesuchstellerin bzw. der Gesuchsteller einerseits die fachlichen Voraussetzungen zur Ausübung ihres bzw. seines Berufs erfüllt und andererseits vertrauenswürdig ist sowie insbesondere physisch und psychisch Gewähr für eine einwandfreie Berufsausübung bietet.) Zuständigkeiten?!? Seite 7
8 Ausgangslage: Problematische Arbeitssituation der Care Migrantinnen Niedriger Lohn (CHF 1'500.- bis CHF 3'000 plus Logis und Essen, in Einzelfällen weniger als CHF1'000.- pro Monat) Fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten Geringe Arbeitsplatzsicherheit (temporärer Arbeitsplatz) Kündigungsfristen (i.d.r. zwei bis sieben Tage) Ungeregelte Arbeitszeiten mit 24h-Präsenzzeit Nachtarbeit mit Mangel an Erholungszeit Zerstückelte Arbeitszeiten (Arbeitsunterbrüche infolge der 24h-Präsenz) Wenig Privatsphäre Gefahr der sozialen Isolation (Beschränkung der sozialen Aktivitäten) Psychische Belastungen (fehlendes Fachwissen über Wissen über vorhandene Betreuungs- und Beratungsangebote, emotionale Situationen am Lebensende, etc.) Physische Belastungen (Belastende Haltung, grosser Krafteinsatz, repetitive Bewegungen über eine längere Zeitdauer, Fehlen von Ressourcen zur Unterstützung) Wer betreut in den Ländern die pflegebedürftige Bevölkerung? vgl. SECO, 2015 Seite 8
9 Charakteristiken der ausländischen Haushaltshilfen und Betreuerinnen Höheres Ausbildungsniveau, als für die ausgeführten Arbeiten erforderlich wäre Ausländische Haushaltshilfen und Betreuerinnen haben selten eine hauswirtschaftliche Ausbildung oder im Bereich der Pflege und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen Menschen absolviert. Arbeitsgrund: höheres Lohnniveaus oder weil sie in ihrem Herkunftsland keine passende Anstellung finden. Häufig sind sie über 45 Jahre alt und ihre Kinder sind nicht mehr betreuungspflichtige Kleinkinder. Das in der Schweiz erarbeitete Zusatzeinkommen dient oft der Verbesserung der finanziellen Verhältnisse der Familie im Herkunftsland oder zur Studienfinanzierung der Kinder. Ausländische Haushaltshilfen und Betreuerinnen verfügen in der Schweiz vielfach über ein Beziehungsnetz von Frauen, die aus demselben Ort oder derselben Familie stammen. Schilliger et al. (2013) Seite 9
10 Befragung Spitex-Organisationen Erhebungszeitraum: August bis Oktober 2015 Stichprobe: 19 Spitex-Organisationen (ca.30%) Grösse: zwischen 45 und 430 Klientinnen und Klienten 13 Organisationen (68 %) hatten Kontakt zu ausländischen Betreuerinnen Seite 10
11 Aufgaben und Arbeiten der ausländischen Betreuerinnen Seite 11
12 Zeitaufwand der Spitex für den Kontakt zu ausländischen Betreuerinnen kein zusätzlicher Zeitaufwand von Seiten der Spitex 26.3% 15.8% 21.1% 36.8% in unregelmässigen Abständen wenige Minuten (max. 15 Minuten pro Monat) in regelmässigen Abständen wenige Minuten (max. 1h pro Monat) in gehäuften Abständen intensiver Kontakt (max. 1h pro Woche) bei jedem Besuch zusätzlicher Zeitaufwand Seite 12
13 Kontakt mit ausländischen Betreuerinnen 5.3% 5.3% gut / angenehm, keine Schwierigkeiten 42.1% mehrheitlich gut, in wenigen Situationen problematisch mehrheitlich schwierig, in vielen Situationen problematisch 47.4% problematisch, nahezu in allen Fällen ist der Kontakt erschwert Seite 13
14 Einschätzung der (emotionalen) Belastung der ausländischen Haushaltshilfen und Betreuerinnen 15.8% 5.3% für die ausländischen Betreuerinnen ist / war die Situation nicht belastet in einigen Situationen ist / war die ausländische Betreuerin belastet 42.1% in den meisten erlebten Situationen ist / war die ausländische Betreuerin belastet 36.8% in allen erlebten Situationen ist / war die ausländische Betreuerin belastet Seite 14
15 Befragung Care- Migrantinnen Halbstrukturierte Leitfadeninterviews Inhaltsanalyse nach Mayring Vorgehensweisen und Methode von der Ethikkommission SG bewilligt Insgesamt wurden sechs Interviews durchgeführt. Dabei ergaben sich sechs Überkategorien Care Migration, Care Arbeit und Rahmenbedingungen, Care Arbeit und Tätigkeiten, Care Arbeit und Herausforderungen, Care Arbeit und Gesundheit und Care Arbeit und Kommunikation Seite 15
16 Stichprobe 6 Frauen (44 bis 65 Jahre) 5 x Slowakei; 1 x Polen Niveau der Deutschkenntnisse unterschiedlich. 50% sprach gebrochen Deutsch und benötigte Unterstützung bei den Interviews. Die andere Hälfte sprach fliessend Deutsch. 2 x Personen aus dem Gesundheitswesen (diplomierte Krankenpflegerin; Hilfskraft psychiatrische Klinik). Quereinsteigerinnen: Schneiderin, Grundschullehrerin, Köchin und Bankerin in einer Nationalbank. Die Frauen haben zwischen 12 und 22 Jahren in ihren Berufen gearbeitet, bis sie aus gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Gründen die Einrichtungen verlassen mussten. Seite 16
17 Ergebnisse: Umgang mit Demenz Interview 5: Er ist dement, depressiv und sehr aggressiv. Ich habe blaue Flecken. Ganz schwierig. ((Name der Tochter der zu betreuenden Person)) will nicht, dass er Medikamente nimmt. Das ist ganz schwer. Ich muss das tolerieren. Interview 1: Bei der Person mit schweren Demenz stand ich am Morgen auf und ging in diese Wohnung, öffnete die Türe und die ganze Wohnung stank sehr stark und der Stuhlgang war an den Wänden usw. oder am Boden oder im Bett. Die Leute wissen natürlich nicht was sie machen, ich verstehe das, aber ich habe Probleme damit. Ja das ist sehr schwierig wirklich. Seite 17
18 Ergebnisse: Schwierige Situationen Interview 5: Bei der dritten Familie habe ich ganz schlechte Erfahrungen gemacht. Ich habe für eine nette Frau gesorgt, aber der Mann will jeden Abend Sex von mir. Ich habe das aber nicht gemacht und die Tür geschlossen. Er war in psychiatrischer Behandlung und Alkoholiker. Er war ganz böse. Ich war da zwei Wochen und dann habe ich gesagt Schluss! Ich bin nach Hause gekommen und musste drei Tage lang nur Erbrechen von diesem psychischen Druck. ( ) Dieser Mann hat gesagt, du musst mit mir schlafen. ( ) Er sagte jede Pflegerin muss mit mir schlafen. Das macht mir Angst. Ich habe überlegt was passiert. Weil mein Deutsch nicht so gut ist, um die Polizei anzurufen. Ich hatte zu viel Angst. ( ) oder ich habe gekocht oder aufgeräumt. Er nimmt alle Wäsche weg und ist nackt. Vor mir. Er dreht sich um, um sich mir zu zeigen ((Care-Migrantin zeigte vor, wie der Mann vor ihr masturbierte)). Ich habe nicht geschaut, er zeigte mir immer weiter seinen nackten Körper. ( ) In einer anderen Familie ( ) habe ich mich um drei Patienten gekümmert. Ich musste immer in Ruhe arbeiten, immer leise, ganz leise. Das gab mir viel Stress und Druck. Und ich war hungrig. Es war eine Katastrophe. Ich habe geweint. ( ) Die Frau war ganz böse. Sie hat immer gebrüllt. Ich lief ganz leise und sie brüllt. ( ) immer Stress, immer Impulse ( ) Sie hat an meinen Haaren gezogen und gerissen. ( ) Ja viele Pflegerinnen haben Angst und Probleme. Ich weiss das. Eine Freundin ist hungrig, die zweite hat es schwierig. Seite 18
19 Ergebnisse: Vorlieben Interview 1: Ich habe am liebsten Männer zu betreuen. Auch diese Agentur hat mich gefragt was ich will, Frau oder Mann oder Ehepaar, und ich habe gesagt, falls es möglich ist, möchte ich einen Mann. Zum Beispiel ist die Hygiene anders, und Männer nicht wie Frauen. Wir sind ein bisschen anders wir Frauen in einem Haushalt. Frauen sagen mehr Nein, das machst du so, nein das musst du so machen. Und Männer, ihnen ist das egal. Koche ich, essen sie. Putze ich, sind sie zufrieden. Nicht putzen, ist auch okay ((lacht)). Männer sind da ein bisschen anders. Frauen können immer sehen und das habe ich nicht gerne. Seite 19
20 Empfehlungen und Handlungsoptionen Regelung der rechtlichen Rahmenbedingungen Informations- und Sensibilisierungsmassnahmen Aufklärungspflicht der Arbeitgeber Information der ausländischen Haushaltshilfen und Betreuerinnen Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Institutionen Sprachtraining Niederschwellige Supervisionsangebote oder Bewusstseinsarbeit zu bestimmten Krankheitsbildern (z.b. Demenz, Sterbebegleitung, Abgrenzung, Psychohygiene) Soziale Treffpunkte und soziale Angebote für Care-Migrantinnen Notfallhotline für Care-Migrantinnen Rechts- und Arbeitsberatung für Care-Migrantinnen Seite 20
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