Soziologische Analyse Unbehagen an der Religion? Beschreibung eines Phänomens
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- Jesko Günther
- vor 7 Jahren
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1 Soziologische Analyse Unbehagen an der Religion? Beschreibung eines Phänomens Vortrag im Rahmen der Tagung Machtfaktor Religion. Reformation und Politik heute am 5. Juli 2014 Protestantisches Bildungszentrum Butenschoen-Haus, Landau (Pfalz) Prof. Dr. Gert Pickel Professur für Religions- und Kirchensoziologie Universität Leipzig; Theologische Fakultät Martin-Luther-Ring 3, D Leipzig Tel.: / Fax: pickel@rz.uni-leipzig.de
2 Diskussionen über Politik und Religion als Gradmesser Steigerung öffentlicher Diskussionen über Politik und Religion (Beschneidung, Terror, Kopftuchstreit, Bioethik, Staatsfinanzierung ) Huntington: Bedeutungsgewinn als Konflikte auslösendes Element kultureller Identitätsbildung (Kampf der Kulturen) Habermas: Postsäkulare Gesellschaft mit Hinweis auf stärkere Berücksichtigung religiöser Themen im öffentlichen Diskurs! Knoblauch: Zunahme populärer und popularer Religiosität. Casanova: Public Religion mit Fehlannahme der Säkularisierung und (Re)Vitalisierung von Religion in Öffentlichkeit. aber für was?
3 Wiederkehr des Religiösen, der Religion, der Religionen, der Götter,
4 oder Säkularisierung, Entkirchlichung, Traditionsabbruch, Religionslosigkeit
5 Theoretische Überlegungen der Religionssoziologie Vertreter Grundannahme Bezugstheorie Haupthypothese (Erweiterte) Säkularisierungsthese Brian Wilson, Steve Bruce, Detlef Pollack Spannungsverhältnis zwischen Moderne und Religion klassische Modernisierungstheorie Genereller umfassender Bedeutungsverlust von Religion als sinnstiftender und sozialer Instanz Individualisierungsthese Thomas Luckmann, Grace Davie, Hubert Knoblauch Individuelle religiöse Grundorientierung als anthropologische Konstante Individualisierungstheorie Bedeutungsverlust von institutionalisierter Religion; Weiterbestehen privater Formen von Religion Religiöses Marktmodell Rodney Stark, Roger Finke Laurence Iannaccone Allgemeines, konstantes Bedürfnis nach Religion in Gesellschaft (Nachfrage) Angebotsorientierte (RC-)Markttheorie Vielfalt des Angebots auf religiösem Markt bestimmt Vitalität der Religiosität und Kirchlichkeit Zentrale Konsequenz Relig. Gleichgültigkeit, Atheismus öffentliche Irrelevanz Individualisierte Bastelreligiosität Religiöse Pluralisierung
6 Säkularisierung als Referenz doch was ist das? Unterscheidung: Säkularisierung ist nicht Säkularität (Zustand) Säkularisierung ist nicht Säkularismus (Ideologie) Prozess! Dimensionen: Gesellschaftlich = Bedeutungsverlust religiöser Normen Organisatorisch = Innere Säkularisierung der Organisation Individuell = Bindungsverlust der Menschen an Religion Abhängigkeit von gesellschaftlicher Entwicklung sowie Prozess innerhalb der Modernisierung Sammlung einer Vielzahl von Phänomenen mit potentieller Pfadabhängigkeit aber universeller Prozess
7 Ausgangslage: Deutschland Pluralisierung + Entkirchlichung katholisch protestantisch muslimisch keine Zugehörigkeit Quelle: Eigene Zusammenstellung nach fowid 2011; Angaben in Prozent
8 Konfessionslosigkeit im europäischen Vergleich Polen Irland Schweiz Westdeutschland Spanien Lettland Frankreich Belgien Großbritannien Niederlande Estland Tschechische Republik Ostdeutschland , Quelle: Eigene Berechnungen verschiedene Quellen kumuliert; Zeitraum
9 Verschiedene Formen der Kirchendistanz , Kirchgänger Randmitglieder Konfessionslose West 1992 West 2002 West 2012 Ost 1992 Ost 2002 Ost 2012 Quelle: Eigene Berechnungen; Allbus 1992, 2002, 2012
10 Religiöse Praktiken persönliches Gebet West Kerze nie Ost Kerze nie West Beten kaum Ost Beten kaum Durchschnitt Quelle: KMU V; Beten kaum = Bete seltener als einmal im Jahr und Nie ; Kerze anzünden Nie = Nie (Gegenpol: Häufig, gelegentlich, selten).
11 Ost-West-Unterschiede? Westdeutschland: Säkularisierung, trotzdem noch immer eine Kultur der christlichen Konfessionszugehörigkeit, wenn auch geprägt durch Randmitgliedschaft, Pluralisierung und Traditionsabbruch. Ostdeutschland: Kultur der Konfessionslosigkeit, worin sich Gruppen von Gläubigen langfristig in einer Minderheitenrolle etablieren eher Desinteresse als aggressiver Atheismus und vorweggenommene (forcierte) Säkularisierung. Angleichungsprozesse in der Säkularisierung durch ein höheres Tempo Westdeutschlands
12 Außerchristliche Religiosität nach Alter
13 Glaubenskomponenten nach Konfessionszugehörigkeit Leben nach dem Tod Himmel Engel Teufel West Mitglied West Klos Ost Mitglied Ost Klos Quelle: Eigene Berechnungen Allbus 2012; zustimmende Werte
14 Formen des Glaubens Diffusion und Diffundierung West 1991 West 2008 Ost 1991 Ost 2008 Fester Gottesglaube Glaube manchmal Weiss nicht was ich glauben soll Glaube an höhere Macht Glaube trotz Zweifel Glaube nicht Quelle: Eigene Berechnungen Allbus 1991 und 2008; zustimmende Werte
15 Nicht religiös und nicht spirituell? nicht oder wenig religiös nicht oder wenig spirituell Quelle: Eigene Berechnungen Bertelsmann Religionsmonitor 2013; Selbsteinschätzung als religiös oder spirituell; Angaben sind Antworten nicht oder wenig. 15
16 Spiritualität und Synkretismus? Spirituelle Selbsteinschätzung Nutze Lehren verschiedener Religionen West ziemlich/sehr Ost ziemlich/sehr West moderat Ost moderat West wenig/gar nicht Ost wenig/gar nicht Quelle: Eigene Berechnungen; Bertelsmann Religionsmonitor 2013.
17 Wichtigkeit Lebensbereiche in Deutschland (sehr wichtig) Westdeutschland Ostdeutschland Familie Freunde Arbeit Freizeit Religion Politik Quelle: Eigene Berechnungen auf der Basis WVS
18 Religion spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben Westdeutschland Ostdeutschland Quelle: Eigene Berechnungen C&R 2006; zustimmende Werte
19 19
20 Evangelische Kirche Katholische Kirche
21 Innerweltliche Rationalisierung WD Gesetze der Natur OD Gesetze der Natur WD Sinn in sich selbst OD Sinn in sich Selbst WD Leben Bedeutung weil Gott OD Leben Bedeutung weil Gott Quelle: Allbus 1982, 1992, 2002, 2012: Leben folgt den Gesetzen der Natur; Leben kann man nur selbst Sinne geben; Leben Gott = Leben hat nur Bedeutung weil Gott ist.
22 Religiöse Sozialisation nach Altersgruppen (Generationen) Quelle: Bertelsmann Religionsmonitor 2013
23 Glaubensweitergabe (nach Alter 2006) West -Sozialisation Ost-Sozialisation West-Weitergabe wichtig Ost-Weitergabe wichtig Quelle: C&R 2006; zustimmende Werte; Sozialisation = Wurde im Glauben erzogen; Weitergabe wichtig = Eine religiöse Erziehung ist mir wichtig.
24 Weitergabe religiöser Sozialisation auch sinkend! West Weitergabe Kirchenmitglied West Weitergabe Konfessionsloser Ost Weitergabe Kirchenmitglied Durchschnitt Ost Weitergabe Konfessionsloser KMU V; Weiter = Ich denke das es wichtig ist, dass Kinder eine religiöse Erziehung bekommen ; Ausgewiesen = stark und eher zustimmend auf einer 4-Punkte Skala.
25 Haltung zum Kirchenaustritt nach Generationen West fester Austritt West nicht sicher Ost fester Austritt Ost nicht sicher Durchschnitt Quelle: KMU V; Kirchenaustritt. Fester Austritt = Ich werde ganz bestimmt so bald wie möglich austreten + Eigentlich bin ich fast schon entschlossen, es ist nur noch eine Frage der Zeit ; nicht sicher = Ich habe öfter daran gedacht aus der Kirche auszutreten ich bin mir aber noch nicht ganz sicher.
26 Reden und Gespräche über religiöse Themen doch eher ein Randthema des Alltags Ost West Ost West selten/nie gelegentlich sehr oft/oft Quelle: Eigene Berechnungen; Allbus 2012.
27 Säkulare Schweigespirale? Ich glaube schon, viele sagen es nicht, dass sie daran interessiert sind, weil sie sich vielleicht vor ihren coolen Freunden, die es absolut nicht interessiert, schämen. Sie haben vielleicht Angst, dass sie von ihnen nicht mehr so akzeptiert werden, wie sie sind, wenn sie zugeben, dass sie an Religion und Glaubensfragen interessiert sind. (Maithe, 16 Jahre) Viele Jugendliche, denke ich mal, glauben an Gott, wollen dies aber nicht in aller Öffentlichkeit zugeben, weil sie Angst haben, von den anderen ausgelacht zu werden. Deshalb trauen sie sich nicht, sich zu ihrer Religion zu bekennen. Die Angst, ausgelacht zu werden, liegt größtenteils daran, dass die Kirche ein schlechtes Image hat als Langweileranstalt (Sven, 16 Jahre). Quelle: Aussagen von Jugendlichen bis 28 Jahre; Shell-Jugendstudie 2000
28 28
29 Funktionale Differenzierung zwischen Politik und Religion Nur Politiker, die an Gott glauben, sind geeignet für ein öffentliches Amt. Führende Vertreter der Religionen sollten auf die Entscheidungen der Regierung Einfluss nehmen. Schweden Spanien Großbritannien Schweiz Frankreich Türkei Israel USA Ostdeutschland Westdeutschland Religiöse Vertreter Einfluss nur gottesgläubige Politiker geeignet Quelle: Bertelsmann Religionsmonitor 2013, eigene Berechnungen, n=1000 pro Land.
30 und nur begrenzte Institutionalisierung Die Europäische Verfassung sollte Referenz auf Gott beinhalten Quelle: C&R 2006, eigene Berechnungen, n=1000 pro Land.
31 aber keine pure Antireligiosität 1. Balken: Die Erziehung an den Schulen sollte frei von Religion sein 2. Balken: Religiöse Symbole, wie Kreuze, sollten an öffentlichen Schulen verboten sein Quelle: C&R 2006, eigene Berechnungen, n=1000 pro Land.
32 Aufgaben der Kirche und Haltung zur Politik 2012 EU-Verfassung braucht Hinweis auf Gott (Ablehnung) In Politik kein Platz für religiöse Werte Keine Religion an staatlichen Schulen Politische Stellung nehmen Auf andere religiöse Gemeinschaften zugehen Soziale Not lindern Glaube verkündigen Ost West Quelle: Eigene Berechnungen Allbus 2012; zustimmende Werte
33
34 Hohes Engagement in und außerhalb der Kirche Nichtstaatliche Organisation Verein (Feuerwehr, Sport, Kultur o.ä.) Hilfsorganisation (THK, DBK, ASB o.ä.) Partei, Interessenverband, Schülervertretung Kirchliche oder religiöse Organisation oder Gruppe Ost Konfessionslose West Konfessionslose Ost Kirchenmitglieder West Kirchenmitglieder Inwieweit beteiligen Sie sich an einer oder mehreren der folgenden Gruppen; Kategorien = aktive Beteiligung und (passive) Zugehörigkeit vs. Keine Beteiligung.
35 Vertrauen in verschiedene soziale Gruppen Man kann den meisten Menschen vertrauen Vertrauen in Menschen die man ein erstes Mal trifft Vertrauen in Menschen anderer Religon Vertrauen in Menschen der eigenen Religion Vertrauen in Menschen nichtchristlicher Religionen Vertrauen in Christen West Kirchenmitglieder West Konfessionslose Ost Kirchenmitglieder Ost Konfessionslose Einmal generell gesprochen, glauben Sie, dass man den meisten Menschen vertrauen kann? ; Inwieweit vertrauen Sie Mitgliedern der folgenden Gruppen, starkes und eher Vertrauen.
36
37 Religiöse Indifferenz statt aktiver Atheismus? Konfessionslos 17 68,5 Ich bin davon überzeugt, dass es keine höhere oder göttliche Macht gibt Ich würde mich selbst als einen Atheisten bezeichnen 5,5 23 Ich versuche möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, dass es keinen Gott gibt Ost West Quelle: Bertelsmann Religionsmonitor 2013.
38 Wahrnehmung religiöser Pluralisierung in Deutschland Quelle: Bertelsmann Religionsmonitor 2013
39 Wie ist Ihre persönliche Haltung zu den Mitgliedern folgender religiöser Gruppen? 11 Muslime Juden Hindus Buddhisten Atheisten Christen D- West D- Ost D- West D- Ost D- West D- Ost D- West D- Ost D- West D- Ost D- West D- Ost Sehr positiv Eher positiv Eher negativ Sehr negativ 5,8 2,7 8,2 6,1 5,4 4,1 13,4 8,0 11,0 27,7 35,1 23,1 28,4 23,2 50,4 47,7 45,0 33,4 51,8 41,6 43,2 46,2 54,9 55,8 40,7 40,2 23,1 19,8 19,5 21,5 14,2 18,9 22,5 10,1 6,1 10,6 17,1 22,0 5,1 9,7 4,6 9,5 3,8 7,9 8,4 3,7 0,9 3,7 weiß nicht 4,8 8,8 8,9 13,4 20,4 27,3 13,2 19,0 10,5 9,4 1,3 4,5 Keine Angabe 3,3 3,2 4,3 3,4 5,2 4,2 3,7 4,7 4,5 2,9 1,8 2,4 Gesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt in der europäischen Bevölkerung 2010
40 Zunehmende Anzahl der Muslime als Konfliktursache stimme überhaupt nicht zu stimme eher nicht zu stimme eher zu stimme stark zu D-Ost D-West Quelle: Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt in der europäischen Bevölkerung
41 Haltung zum Islam Prekär bis Ablehnend Islamausübung beschränken muslimischer Bürgermeister in Ordnung (Ablehnung) Staat sollte islamische Gruppen beobachten Anwesenheit von Muslimen bringt Konflikte Islam passt (nicht) in die Deutsche Gesellschaft Ost West Quelle: Allbus 2012.
42 Stereotypen: Christentum Islam in Westdeutschland Friedfertigkeit Achtung der Menschenrechte Solidarität Toleranz Engstirnigkeit Rückwärstgewandheit Christentum Islam Benachteiligung der Frau Fanatismus Gewaltbereitschaft Quelle: Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt in der europäischen Bevölkerung
43 Unbehagen als Folge von Pluralisierung + Säkularisierung 1) Traditionsabbruch christlicher Religiosität aufgrund Sozialisationserosion Säkularisierung! 2) Partielle und temporäre Individualisierung aber keine Wiederkehr des Religiösen! 3) Unterschiedliches Deutschland: West: Pluralisierung und Säkularisierung Ost: Normale Konfessionslosigkeit! 4) Wunsch nach Trennung von Religion und Politik! 5) Pluralisierung der Religionen und Weltanschauungen in Verbindung mit Bedrohungsgefühlen! 6) Offenheit und Polarisierung in säkularerer Gesellschaft? 7) Öffentliche Debatten als Folge von Bedeutungsverlust und religiöser Pluralisierung UNBEHAGEN
44 Diskussionen Politik/Religion = Gradmesser für Säkularisierung Steigerung öffentlicher Diskussionen des Verhältnisses von Politik und Religion als Konsequenz stärkerer Umstrittenheit und geringerer Selbstverständlichkeit Huntington: Bedeutungsgewinn als Konflikte auslösendes Element kultureller Identitätsbildung. aber: Polarisierung und Gleichzeitigkeit Habermas: Postsäkulare Gesellschaft mit Hinweis auf stärkere Berücksichtigung religiöser Themen im öffentlichen Diskurs! aber: säkular übersetzt und Zugehörigkeit überzeichnet Knoblauch: Zunahme populärer und popularer Religiosität aber: Temporalität und Unverbindlichkeit Casanova: Public Religion mit Fehlannahme der Säkularisierung! aber: empirische Säkularisierung und negative Diskurse
45 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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