Deutscher Bundestag Drucksache 17/9026 17. Wahlperiode 19. 03. 2012 Kleine Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Dr. Konstantin von Notz, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Privatisierung der Gesetzgebung durch die Erstellung von Gesetzentwürfen durch Rechtsanwaltskanzleien DieGesetzgebungisteinehoheitlicheAufgabederstaatlichenInstitutionen. InsbesonderedemDeutschenBundestagkommtdabeieineüberragendeBedeutungzu,denneristdaseinzigedirektdemokratischlegitimierteOrgan.Erist dielegislative.rechtsstaatlichegrundsätzeverlangen,dassdasparlament selbstallewesentlichenentscheidungentrifft.esspieltmitseinenöffentlichen DebattenundAbstimmungeneinezentraleRolleinderöffentlichenMeinungsbildung.DurchdenBeschlusseinesGesetzesübernimmtderDeutscheBundestagdievollepolitischeVerantwortungfüreinGesetzundseineAuswirkungen. AlsVertreterdesganzenVolkessinddieAbgeordnetenbeiderAbwägungvon Vor- und Nachteilen eines Gesetzes dem Gemeinwohl verpflichtet. DasInitiativrechtfürGesetzestehtnachArtikel76Absatz1desGrundgesetzes (GG)demDeutschenBundestag,derBundesregierungunddemBundesratzu. ObwohlderDeutscheBundestagnachArtikel77Absatz1Satz1GGdaszentraleGesetzgebungsorganist,isteshäufigdieBundesregierung,dieeinenGesetzentwurfvorlegt.Ebenfallshäufigzubeobachtenist,diewortgleicheparalleleEinbringungeinesGesetzentwurfsderBundesregierungdurchdiesie tragendenfraktionenimdeutschenbundestag,umdasverfahrenzubeschleunigen.inderletztenlegislaturperiodegingenfast80prozentder616verabschiedetengesetzeaufregierungsvorlagenzurück (Parlamentsdokumentation 16.Wahlperiode).DasPrimatderBundesregierungbeiderErarbeitungeines Gesetzentwurfsberuhtvorallemdarauf,dassdieBundesregierungsichaufdie FachkompetenzderMinisterialverwaltungstützenkann,währenddemGesetzgeberselbst,dieRessourcenfehlen,umeigenständigGesetzesvorlagenzuerstellen.DabeikommtdemEntwurfeinesGesetzesimGesetzgebungsverfahren durchdensogenanntenankereffekt,alsodervorprägungeinerdebattedurch denbestehendentextvorschlag,eineüberragendebedeutungzu.faktischbestimmtdiefederführungüberdiegesetzesvorlagedenrahmenderdiskussion, daindenmeistenfällennuränderungenandemvorschlagvorgenommenwerden, ohne dass der Entwurf selbst völlig verändert wird. NichtimmerwirddieVorlagefüreinGesetzvomfederführendenBundesministeriumselbsterarbeitet.TeilweisewirddieAusarbeitungvonganzenGesetzentwürfenaufprivateDritte zumeistanwaltskanzleien übertragen:dassogenanntegesetzgebungsoutsourcing.voneinersonstigenbeteiligungprivateran Normsetzungsverfahren,wiez.B.durchAbgabeeinerStellungnahmevonHochschulprofessorenoderBerufsverbänden,unterscheidetdasGesetzgebungsoutsourcingsichdadurch,dassderGesetzentwurfselbstvonPrivatenerstelltwird
Drucksache 17/9026 2 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode undnichtnureinflussaufeinenbereitsdurchdiebundesministerienformuliertengesetzentwurfgenommenwird.fürvielöffentlichesaufsehensorgteder LinklatersFall.DieAnwaltskanzleiLinklaterswurdevordemHintergrund derfinanzkriseimjahr2009vombundesministeriumfürwirtschaftundtechnologiemitdererstellungeinesgesetzentwurfszurrettungderalssystemrelevanteingestuftenhyporealestatebeauftragt,demspäterenrettungsübernahmegesetzalsteildesfinanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetzes (Gesetz vom7.april2009,bgbl.i,s.725).dergesetzentwurfwurdemitdemlogo deranwaltskanzleiverseheneingereicht.dadurchwurdedervorgangpublik, deranschließendfürheftigeöffentlichedebattensorgte.zuvorwarimherbst 2008bereitsdieRechtsanwaltskanzleiFreshfieldsBruckhausDeringermitder ErarbeitungeinerGesetzesvorlagebeauftragtworden,dieimFinanzmarktstabilisierungsgesetz (Gesetzvom17.Oktober2008,BGBl.I,S.1982)mündete. NachbisherigemErkenntnisstandwerdendieAufträgenichtausgeschrieben oderveröffentlicht.offiziellenangabenderbundesregierungzufolgeentstandenimjahr2007kosteninhöhevon40mio.eurofürdasgesetzgebungsoutsourcing.dahingegenschätzenanderequellenwiederbunddersteuerzahler Deutschlande.V.fürdasselbeJahr,dassdiehierfüraufgewandtenKostenbeibis zu 160 Mio. Euro lagen. DieseAusgabenwurdengetätigt,obwohldasBundesministeriumfürJustiz erklärte,ebenfallszurerstellungeinesderartigengesetzentwurfsinderlage gewesenundvomdamaligenbundeswirtschaftsministerkarl-theodorfreiherr zu Guttenberg aus Profilierungsgründen übergangen worden zu sein. DieBeteiligungprivaterDritteramGesetzgebungsverfahrenistgesetzlichnicht geregelt.zwarweistartikel76absatz1ggdasinitiativrechtfürgesetzenur derlegislativeundderexekutivezuundnichtprivaten,dasbedeutetjedoch nicht,dasseinesolchebeteiligunggrundsätzlichverbotenist.dennwerdie VorlagefüreinGesetzerarbeitet,unterfälltnichtdem äußerengesetzgebungsverfahren desartikels76absatz1gg,sonderndem innerengesetzgebungsverfahren,dasineinemgewissenrahmendurchdiegemeinsamegeschäftsordnungderbundesministerien (GGO)geregeltist,nichtaberdirektinderVerfassung.SolangedieBundesregierungdenGesetzentwurfnachdenRegelungen desartikels76ggeinbringt,sinddessenvoraussetzungenzumindestformal erfüllt.verfassungsrechtlichegrenzenkönnenaberindemfunktionsvorbehalt desartikels34absatz4ggsowiedemrechtsstaats-unddemokratieprinzip des Artikels 20 GG gefunden werden. DieGesetzgebungwirdwegenderGrundrechtswesentlichkeitdesGesetzesvollzugsteilweisedemFunktionsvorbehaltdesArtikels33Absatz4GGunterstellt,nachdemdieAusübunghoheitlicherBefugnissealsständigeAufgabein derregelanangehörigedesöffentlichendiensteszuübertragenist.alleindie öffentlicheverwaltunggarantiereeineumfassendeorientierungamgemeinwohl.füreineverfassungsrechtlichezulässigkeitderbeteiligungprivateran dererstellungeinesgesetzentwurfswirddahergefolgert,dasseineigenersachlicherverarbeitungsprozessderbundesregierungerforderlichsei,umdiegemeinwohlorientierung in der Gesetzgebung zu gewährleisten. AuchausdemRechtsstaats-undDemokratieprinzipdesArtikels20GGwird zumteileinaktderinhaltlichenaneignungdurchdaseinbringendebundesministeriumgefordert.begründetwirddiesmitderorganisations-undentscheidungshoheitimstaat,dienurdurchdemokratischlegitimiertestellenausgeübtwerdendürfe,umdieorientierungamwohlderallgemeinheitzu sichern. DieGemeinsameGeschäftsordnungderBundesministerien (GGO)enthältkaum RegelungenfürdieErstellungvonGesetzesvorlagendurchexterneDritte.Allenfallsin 45Absatz5Satz1GGOfindetsicheinAnhaltspunkt.Danachsollen UmfangreicheoderkostspieligeVorarbeiten beimeinungsverschiedenhei-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 3 Drucksache 17/9026 tenzwischendenhauptsächlichbeteiligtenbundesministeriennichtbegonnen oderveranlasstwerden,bevordaskabinettentschiedenhat. DieErstellungvon Gesetzentwürfenlässtsichzwareventuellunter Vorarbeiten subsumieren, wennderbegriffweitausgelegtwird.allerdingsgreift 45Absatz5Satz1 GGOnur,wennMeinungsverschiedenheitenzwischenBundesministerienbestehen.ZudemlässtdieVorschriftoffen,wanndieErstellungeinesGesetzentwurfs infragekommt.auchandereregelungenderggogreifenfürdasgesetzgebungsoutsourcing nicht. BesondersbedenklichistdieErstellungvonGesetzentwürfendurchAnwaltskanzleien.StandesvertreterderAnwaltschaftbetonenzwarzuRecht,dassAnwältinnenundAnwälteklassischerweiseinderLagesind,dieRechtsprobleme anderer,auchvoninstitutionenzulösen.diejuristischequalitätderarbeit wirdauchnichtinabredegestellt.imgegenteil:ausdemrückgriffaufhochqualifizierteundinderregelauchhochspezialisierteanwaltskanzleienentstehterstdieproblematik.denndieseanwaltskanzleiensindinderregelnebenderbeauftragungdurcheinbundesministeriumauchvertreterderfirmen, InstitutionenundVerbände,derenGeschäftsverkehrgeradegeregeltwerden soll.bildlichgesprochenbeauftragtmansodieständigeninteressenvertreter der Frösche mit der Trockenlegung des Sumpfes. ObindenGesetzentwurfprivateEinzelinteressenoderalleinAllgemeininteresseneingeflossensind,kannimNachhineinnichteindeutigunterschieden werden.dasschadetderakzeptanzvonpolitischenentscheidungenbeider Bevölkerung und verringert dadurch die Legitimation staatlichen Handelns. Insgesamtmagdas Gesetzgebungsoutsourcing juristischnichtschlechterdings verbotenseinunddieformalenvoraussetzungendesgesetzgebungsverfahrens mögenaucheingehaltenwerden.dieerstellungvongesetzentwürfendurch Rechtsanwaltskanzleienistjedochalsbedenklichzubezeichnenundverfassungsrechtlicheinzuhegenundzubegrenzen,denn Esgehtalsonichtnur darum,dassdasparlamenteinennachformellemundmateriellemverfassungsrechtordnungsgemäßengesetzesbeschlussfasst.dembeschlussmusseinverfahrenvorausgehen,dasdielegitimationswirkungdesgesetzesbeschlusses inhaltlichuntermauert. (BundesministerinderJustizSabineLeutheusser- Schnarrenberger in einer Rede am 31. Mai 2011). Wir fragen die Bundesregierung: 1.HatdieBundesregierungseitdem Linklaters-Fall ausdemjahr2009 weiterekomplettegesetzentwürfedurchrechtsanwaltskanzleienerstellen lassen, und wenn ja, welche, und durch wen? 2.HatdieBundesregierungseitdem Linklaters-Fall RechtsanwälteanderErstellung von Gesetzentwürfen beteiligt, und wenn ja, an welchen, und wen? 3.WirddieBundesregierungkünftigweiterhingesamteGesetzentwürfevon Anwaltskanzleien erstellen lassen? 4.WirddieBundesregierungkünftigweiterhinRechtsanwaltskanzleienander Erstellung von Gesetzentwürfen beteiligen? 5.IstdieBundesregierungderAuffassung solltesieandererstellungvon GesetzentwürfendurchRechtsanwältefesthalten dasbestimmtefallkonstellationen,wiez.b.einebesonderegrundrechtsrelevanzodereinebesonderewirtschaftlichebedeutungdesvorhabens,vondermöglichkeitdes Gesetzgebungsoutsourcings auszunehmen sind?
Drucksache 17/9026 4 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 6.WiewilldieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten sicherstellen,dassderfunktionsvorbehaltdesartikels33absatz4ggsowiedasrechtsstaat-und Demokratiegebot aus Artikel 20 GG gewahrt werden? 7.IstdieBundesregierungderAuffassung solltesieandererstellungvon GesetzentwürfendurchRechtsanwältefesthalten,dassunterBerücksichtigungdessogenanntenAnkereffektesdieSachherrschaftdesbeauftragten Bundesministeriumshinreichendsichergestelltist,wennAnwaltskanzleien ganze Gesetzentwürfe erstellen? 8.WirddieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten festlegen,wanneineerstellung vongesetzentwürfenzumteiloderingänzegestattetseinsoll,undin welcher Weise wird dies geschehen? 9.WirddieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten diezulässigkeitdes Gesetzgebungsoutsourcings entsprechendderzulässigkeitdeseinsatzesvon externenpersonen (Punkt2.1,2.4,2.6derAllgemeinenVerwaltungsvorschriftzumEinsatzvonaußerhalbdesöffentlichenDienstesBeschäftigten externe Personen in der Bundesverwaltung) regeln? 10.WirddieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten Gegenstand,inhaltlicheVorgaben,GrenzenundpolitischeZielvorstellungendesVorhabensgenaufestlegen? 11.WiewirddieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten diegesamtverantwortungdes Kabinetts bereits im Vorfeld der Beauftragung sicherstellen? 12.WirddieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten künftigoffenlegen,wannund inwelchemumfanganwaltskanzleienmitdererstellungvongesetzentwürfen beauftragt waren? 13.WirddieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten dieverantwortungssphärender BundesregierungundderbeauftragtenRechtsanwaltskanzleienkünftig unterscheiden und dokumentieren? 14.WelcheMaßnahmenplantdieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten nebeneiner OffenlegungderBeteiligung,umTransparenzbeiderBeauftragungvon Rechtsanwälten bei der Erstellung von Gesetzentwürfen herzustellen? 15.WirddieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten demgesetzentwurfeine begründetedelegationsentscheidungbeifügen,indemdasbundesministeriumdarlegt,warumdiegesetzesvorlagenichtalleinmitdenmittelndes Bundesministeriums erstellt werden konnte? 16.WirddieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten demdeutschenbundestagden GesetzentwurfderAnwaltskanzleizusätzlichzudemRegierungsentwurf zur Verfügung stellen? 17.WiewirddieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten sicherstellen,dassbeider ErstellungeinesGesetzentwurfsGemeinwohlinteressenverwirklichtwerden und nicht Individualinteressen?
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 5 Drucksache 17/9026 18.Wiekann solltediebundesregierungandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten verhindertwerden,dassbeider BeauftragungvonRechtsanwaltskanzleienderEindruckentsteht,dass IndividualinteressengegenwärtigeroderkünftigerMandantendieVorlagen von Anwälten beeinflussen? 19.WirddieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten entsprechendderbekanntmachungdesbedarfsanexternemfachwissenimrahmendeseinsatzes externerpersonen (Punkt2.2derAllgemeinenVerwaltungsvorschriftzum EinsatzvonaußerhalbdesöffentlichenDienstesBeschäftigten externe Personen inderbundesverwaltung),dieaufträgegrundsätzlichundauch unterhalbderschwelledes 2derVerordnungüberdieVergabeöffentlicher Aufträge ausschreiben? 20.WirddieBundesregierung solltesieandererstellungvongesetzentwürfendurchrechtsanwältefesthalten dieanwaltlichenhonorare, zumindestdasgesamtvolumenohneangabevonabrechenbarenstunden oderstundenhonoraren,zurschaffungvonmehrtransparenzveröffentlichen? 21.WirddieBundesregierungdieVergabevonAufträgenzurErstellungvon GesetzentwürfendurchDrittevonderenEinverständniszurPublikationzumindest des Gesamthonorars abhängig machen? 22.WelcheKostensindderBundesregierungindenJahren2008,2009,2010 undbisherimjahre2011fürdieexterneerarbeitungvongesetzentwürfen entstanden? 23.WeshalbgreiftdieBundesregierungnichtaufdenSachverstanddesBundesministeriumsfürJustizzurückodervermutetsiedortkeinenSachverstand? Berlin, den 19. März 2012 Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion
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