Tilgung, Annuität: Werden Schulden in Teilbeträgen, den sogenannten Raten zurückgezahlt, so spricht man von einer Tilgung, bei der die Schulden auf eine Restschuld vermindert werden. Die in einem Zeitabschnitt vom Schuldner aufzubringende Leistung wird als Annuität bezeichnet. Die Annuität A setzt sich aus der Tilgungsrate T und den Zinsen Z für den Zeitabschnitt zusammen: A = T +Z. Eine Zusammenstellung der in den einzelnen Zeitabschnitten zu erbringenden Annuitäten, Zinsen und Tilgungsraten heißt Tilgungsplan. Bei der Ratentilgung ist die Tilgungsrate während der gesamten Tilgungsdauer konstant. Bei der Annuitätentilgung erfolgt die Tilgung am Ende jeder Periode so, dass die Annuität über den gesamten Zeitraum konstant bleibt. Manchmal erlaubt man auch variierende Annuitäten, ein Fall, den wir hier aber nicht betrachten wollen. Im Rahmen eines Tilgungsplans kann man variierende Zahlungen (Sondertilgungen) problemlos berücksichtigen, die formelmäßige Behandlung wird dann aber schwieriger bis unmöglich. Da die Restschuld und damit die Zinsen im Laufe der Zeit sinken, wird bei der Annuitätentilgung von Jahr zu Jahr ein größerer Betrag getilgt. 234
Soll eine Schuld K 0 in n Jahren mit einer Ratentilgung getilgt werden, so beträgt die jährliche Tilgungsrate T = K 0 n. Da die zu verzinsende Restschuld von Jahr zu Jahr abnimmt, werden die Annuitäten mit der Zeit geringer. Beispiel 4.19 (Ratentilgung) DerTilgungsplanfüreineSchuldK 0 = 100.000 235
bei 8% Zinsen und einer Laufzeit von 10 Jahren hat folgende Form Jahr Tilgungsrate Zinsen Annuität Restschuld 1 10.000 8.000 18.000 90.000 2 10.000 7.200 17.200 80.000 3 10.000 6.400 16.400 70.000 4 10.000 5.600 15.600 60.000 5 10.000 4.800 14.800 50.000 6 10.000 4.000 14.000 40.000 7 10.000 3.200 13.200 30.000 8 10.000 2.400 12.400 20.000 9 10.000 1.600 11.600 10.000 10 10.000 800 10.800 0 100.000 44.000 144.000 Wie man an der Tabelle sieht, sind die Belastungen des Schuldners ungleichmäßig über die Tilgungsdauer verteilt. 236
Ratentilgung: Sei K 0 die Schuld und T die Tilgungsrate, um die Schuld in n Jahren zu tilgen, also T = K 0 n. Bei der Ratentilgung bilden Zinsen, Annuitäten und Restschuld jeweils arithmetische Folgen: SeidderZinssatz,K m dierestschuldamendederm-tenperiode,z m diezuzahlendenzinsenfürdie(m+1)-teperiodeunda m dieannuität,alsoa m = T+Z m. Dann ist K m = K m 1 T, m = 1,...,n Z 0 = K 0 d, Z m = Z m 1 T d, m = 1,...,n 1, A 0 = Z 0 +T, A m = A m 1 T d, m = 1,...,n 1, wobei d = q 1 (q Aufzinsungsfaktor). Beispiel 4.20 (Annuitätentilgung) Will man nun in der gleichen Situation wie in Beispiel 4.19 die Schuld mit der Annuitätentilgung ableisten, so benötigt 237
man diejenige konstante Annuität A, die nach 10 Jahren zur Gesamttilgung der Schuld mit den aufgelaufenen Zinsen führt. Dieser Wert A berechnet sich wie folgt: In 10 Jahren wird aus der Schuld K 0 = 100.000 bei nachschüssigem Zinseszins K n = K 0 1,08 10 = 215892,50. Die Tilgung dieser Gesamtschuld in 10 Jahren kann man sich nun als eine n-malige Rente vorstellen. Daher ist die gesuchte Annuität A gerade diejenige konstante Rentenzahlung, die zu einem Endwert von 215892, 50 führt. Bei nachschüssiger Zahlung muss also die erste Formel auf Seite 232 angewendet werden und liefert q 1 A = K n q n 1 = 215892,50 0,08 1,08 10 1 14902,95. (typischerweise begleicht man nicht gleich bei Aufnahme des Kredits eine Schuld, sondern beginnt nach dem ersten Zeitintervall, daher nachschüssige Zahlung). Damit hat der Tilgungsplan für eine Schuld von K 0 = 100.000 bei 8% Zinsen und einer Laufzeit von 10 Jahren die Form 238
Jahr Tilgung Zinsen Annuität Restschuld 1 6.902, 95 8.000, 00 14.902, 95 93.097, 05 2 7.455, 19 7.447, 76 14.902, 95 85.641, 86 3 8.051, 60 6.851, 35 14.902, 95 77.590, 26 4 8.695, 73 6.207, 22 14.902, 95 68.894, 53 5 9.391, 39 5.511, 56 14.902, 95 59.503, 19 6 10.142, 70 4.760, 25 14.902, 95 49.360, 45 7 10.954, 11 3.948, 84 14.902, 95 38.406, 33 8 11.830, 44 3.072, 51 14.902, 95 26.575, 89 9 12.776, 88 2.126, 07 14.902, 95 13.799, 02 10 13.799, 02 1.103, 93 14.902, 95 0, 00 100.000 49.029, 50 149.029, 50 Annuitätentilgung: Sei K 0 die Schuld, d der jährliche Zinssatz, q = 1+d der Aufzinsungsfaktor, und sei A die konstante Annuität, die erforderlich ist, um die Schuld nach n Jahren zu tilgen. Dann ist K 0 q n = A qn 1 q 1. 239
Bei der Annuitätentilgung bildet die Tilgung eine geometrische Folge. Sei K m die Restschuld am Ende der m-ten Periode, Z m die zu zahlenden Zinsen für die (m+1)-te Periode und T m die zu zahlende Tilgungsrate für die (m+1)-te Periode. Dann gilt K m = K 0 q m A qm 1 q 1, m = 1,...,n Z 0 = K 0 (q 1) Z m = Z m 1 q A (q 1), m = 1,...,n 1 T 0 = A K 0 (q 1) T m = T m 1 q, m = 1,...,n 1 Beispiel 4.21 Statt die Situation eines Schuldners und seiner Bank zu betrachten, können die Rollen auch vertauscht werden, d.h. wir behandeln nun folgende Situation: Sei K 0 ein Anfangskapital, das zu Beginn eines Jahres eingezahlt und mit dem jährlichen Zinssatz d verzinst wird. Innerhalb eines Jahres vermehrt sich das Kapital um den Aufzinsungsfaktor q = 1 + d. Am Ende jeden Jahres wird dem Kapital ein fester Betrag R entnommen (die Rente ). Dieser Betrag R entspricht der konstanten Annuität in der Situation der Annuitätentilgung. 240
Wie groß ist dann das Kapital nach n Jahren? Die Formel aus dem obigen Satz liefert unmittelbar die Antwort; dies ist die sogenannte Sparkassenformel für den Kapitalabbau durch Auszahlung einer festen Rente bei einem Zinssatz d: K n = K 0 q n R qn 1 q 1 = K 0 (1+d) n R (1+d)n 1 d 241
5 Differenzialrechnung für Funktionen einer Variablen Ist f eine ökonomische Funktion, so ist oft wichtig zu wissen, wie sich die Funktion bei kleinen Änderungen verhält. Beschreibt etwa f einen Wachstumsprozess, so ist die Wachstumsgeschwindigkeit von Interesse oder auch die relative Wachstumsrate. Ist f eine Steuerfunktion, so ist die Frage bedeutend, welcher Steuerprozentsatz auf einen kleinen Zuverdienst zu zahlen ist. Für ein Unternehmen ist interessant, wie sich die (relative) Nachfrage nach einem Produkt bei (relativ) kleinen Preisänderungen ändert. Wichtig ist auch die Bestimmung von Extremwerten ökonomischer Größen, etwa die Minimierung von Kosten oder die Maximierung von Gewinnen. Bei der Beantwortung dieser Fragen ist die Differenzialrechnung nützlich. Alle Funktionen in diesem Kapitel sind stets von der Form f : D R wobei D R der Definitionsbereich ist. Also gibt es für jedes x D einen Funktionswert f(x). Beispiel 5.1 Angenommen, die Kostenfunktion eines Unternehmens für die Pro- 242
duktion von x Stücken eines Gutes sei gegeben durch K(x) = 20 x+100. Nun ist das Unternehmen daran interessiert, wie sich die Kosten bei kleiner Änderung der Produktionsmenge verändern. Eine standardisierte Information ist hierbei zum Beispiel, wie sich K(x) ändert, wenn man x um eine Einheit erhöht. Die Änderung ist dann K(x + 1) K(x). Es sollte klar sein, dass eine solche Änderung von der Ausgangszahl x abhängt. Etwa ist K(101) K(100) = 20( 101 100) 0,998, K(1001) K(1000) = 20( 1001 1000) 0,361. Zieht man auch andere Änderungen von x in Betracht, so ist es sinnvoll, die relative Änderung der Kosten im Verhältnis zur Änderung von x zu berechnen. Das ist der Quotient K(x+h) K(x) (x+h) x = K(x+h) K(x) h (etwa für die Werte h = 1, 0.1, 0.01) und gibt die durchschnittliche Kostenänderung pro zusätzlicher Mengeneinheit an. In der folgenden Tabelle sind diese relativen Änderungen für einige Werte von x und h angegeben. 243
K(x+1) K(x) 1 K(x+0,1) K(x) 0,1 K(x+0,01) K(x) 0,01 x 10 3,087 3,154 3,161 100 0,998 0,1 0,1 1000 0,316 0,316 0,316 Man sieht, dass sich für kleine Werte von x die Änderung von x stärker auf die relative Änderung der Kosten auswirkt als für große Werte. Das kann man auch am Graphen sehen, denn die Funktionswerte unterscheiden sich in der Nähe von x = 10 stärker voneinander als etwa bei x = 100 oder x = 1000. 800 700 600 500 400 300 200 100 0 200 400 600 800 1000 1200 x Man sieht, dass die obige Situation durch die Steigung des Graphen erklärt wird. 244
5.1 Differenziation Bevor wir eine formale Definition der Ableitung einer Funktion angeben, soll zunächst beschrieben werden, wie man die Steigung einer (krummlinigen) Funktion in einem Punkt festlegen und bestimmen kann. Steigung einer Funktion in einem Punkt 1. Ist f : R R eine Gerade, so ist die Steigung des zugehörigen Graphen an jeder Stelle gleich und lässt sich durch ein Steigungsdreieck ermitteln. 70 60 x0=2, h=2 x1=5,h =4 50 40 f(x1+h )-f(x1) 30 20 10 h h f(x0+h)-f(x0) 0 2 4 6 8 10 12 x 245
Die Steigung ist definiert als Höhe durch Breite eines Steigungsdreiecks, also f(x 0 +h) f(x 0 ) = f(x 0 +h) f(x 0 ). (x 0 +h) x 0 h Hierbei spielt es offensichtlich keine Rolle, wo das Dreieck eingezeichnet wird und wie weit die beiden Stellen x 0 und x 0 +h auseinanderliegen. Sie ist also unabhängig von x 0 und h. Ist f(x) = cx+d, so ist f(x 0+h) f(x 0 ) h = ch h = c. 2. Ist nun f : D R eine Funktion mit einem krummlinigen Graphen, so lassensichimmernochsteigungsdreieckezugegebenenstellenx 0 undx 0 +h zeichnen; die daraus resultierende Größe f(x 0 +h) f(x 0 ) h (5.1) hängt nun aber im allgemeinen sowohl von x 0 als auch von h ab (siehe Beispiel 5.1). Sie gibt die (relative) Veränderung der Funktionswerte im Verhältnis zu den x-werten an. Außerdem lässt sie sich als durchschnittliche Steigung von f auf dem Abschnitt [x 0,x 0 +h] auffassen. Das ist die Steigung der Geraden, die durch die Punkte (x 0,f(x 0 )) und (x 0 +h,f(x 0 +h)) geht. In diesem Zusammenhang heißen diese Geraden auch Sekanten. Man benutzt nun diese Steigungsdreiecke für einen Grenzprozess: wählt man h 246
immerkleiner,sorücktderpunktx 0 +himmernäheranx 0,dasSteigungsdreieck wird immer kleiner und die Größe(5.1) liefert die Steigung auf einem sehr kleinen Abschnitt in der Nähe von x 0. Falls dieser Grenzprozess einen Grenzwert hat, etwa f(x 0 +h) f(x 0 ) lim h 0 h = a, so nennt man a die Ableitung von f an der Stelle x 0. Als Grenzwert der Sekanten erhält man dann gerade die Tangente an den Graphen von f an der Stelle x 0. Deren Steigung ist a. 247
Differenzenquotient, Differenzialquotient, Ableitung Sei D ein offenes Intervall, f : D R eine Funktion und x 0 D. 1. Für h R\{0} heißt f(x 0+h) f(x 0 ) h ein Differenzenquotient von f. 2. DieFunktionf heißtanderstellex 0 differenzierbar,fallsdergrenzwert f(x 0 +h) f(x 0 ) lim h 0 h In diesem Fall wird die Notation f (x 0 ) := lim h 0 f(x 0 +h) f(x 0 ) h existiert. benutzt. Der Grenzwert f (x 0 ) heißt Ableitung von f an der Stelle x 0. Ist f an jeder Stelle x D differenzierbar, dann heißt f differenzierbar auf D, und die Funktion f : D R heißt Ableitung von f. Beachte,dassdasSymbollim h 0 fürdenbeidseitigengrenzwertsteht.manmuss also sowohl positive als auch negative Werte für h betrachten! 248
DieGrößehwirdinderLiteraturoftals xgeschrieben.siestehtfüreine(kleine) Änderung der Argumente x. Für die zugehörige Änderung der Funktionswerte f(x+h) f(x) wird dann f geschrieben. Bemerkung: Oft werden statt der Bezeichnungen x 0 und x 0 +h für die zwei Stellen auch x 0 und x gewählt. Setzt man h := x x 0, also x = x 0 + h, so lautet dann der Differenzenquotient f(x) f(x 0 ) x x 0 und die Ableitung, falls sie existiert, ist der Grenzwert f(x) f(x 0 ) lim. x x 0 x x 0 Für kleine Werte von h (oder für x nahe bei x 0 ) ist der Differenzenquotient eine Annäherung an die Ableitung: f (x 0 ) f(x 0 +h) f(x 0 ) h 249 = f(x) f(x 0) x x 0.
Geometrisch bedeutet diese Approximation, dass die Funktion in der Nähe von x 0 durch die Tangente an der Stelle x 0 angenähert wird. Denn f(x) f(x 0 )+f (x 0 ) (x x 0 ) und der Ausdruck auf der rechten Seite ist die Gleichung der Geraden mit Steigung f (x 0 ) durch den Punkt (x 0,f(x 0 )). Beispiel 5.2 1. Lineare Funktion: EineFunktionderFormf : R R,f(x) = cx+disteinelinearefunktion. Der Funktionsgraph ist die Gerade {(x,cx+d) x R} mit Steigung c. Sei nun x 0 R, dann ist für alle h R\{0} der Differenzenquotient gegeben durch c(x 0 +h)+d (cx 0 +d) = ch h h = c. Der Differenzenquotient hängt weder von x 0 noch von h ab. Insbesondere istf (x 0 ) = cfürallex 0 R.DieFunktionhatüberalldiegleicheSteigung. Die Ableitung f : R R ist somit die konstante Funktion f (x) = c für alle x R. 250
2. f(x) = x 3 : Mithilfe des binomischen Lehrsatzes erhält man für den Differenzenquotienten an der Stelle x f(x+h) f(x) h Damit ist der Grenzwert lim h 0 Ähnlich lässt sich zeigen: = (x+h)3 x 3 h = x3 +3x 2 h+3xh 2 +h 3 x 3 h = h(3x2 +3xh+h 2 ) h = 3x 2 +3xh+h 2 f(x+h) f(x) h = 3x 2 = f (x). f(x) = x n, dann ist f (x) = nx n 1. 3. f(x) = x : Die Betragsfunktion f : R R mit f(x) = x ist an der Stelle x 0 = 0 nicht differenzierbar. 251
5 4 3 2 1 4 2 2 4 x Offensichtlich lässt sich an der Stelle x 0 = 0 keine eindeutige Tangente einzeichnen. Die Steigung springt hier abrupt von 1 auf 1. Genauer gesagt: Steigungsdreiecke, die links von x 0 = 0 liegen, liefern alle die Steigung 1, die, die rechts liegen, die Steigung 1. Daher existiert der beidseitige Grenzwert des Differenzenquotienten an der Stelle x 0 = 0 nicht und die Funktion ist dort nicht differenzierbar. Etwas genauer: 0+h 0 lim hր0 h h = lim hր0 h = lim h hր0 h = 1, weil h = h für h < 0 gilt. Entsprechend gilt 0+h 0 lim hց0 h h = lim hց0 h = lim h hց0h = 1, 252
weil h = h für h > 0 gilt. Hat eine Funktion eine Sprungstelle an der Stelle x 0, so hat sie dort sicherlich keine Tangente. Genauer: Ist die Funktion f : D R in x 0 D differenzierbar, dann ist f auch stetig im Punkt x 0. Aber nicht jede stetige Funktion ist auch differenzierbar, wie die Betragsfunktion in Beispiel 5.2.3 zeigt. Beispiel 5.3 (Ableitung einiger Grundfunktionen) Die Definitionsbereiche der unten stehenden Funktionen haben wir bereits in 253
Kapitel 2 untersucht. f(x) c x n x α (α R) e x f (x) 0 n x n 1 α x α 1 e x f(x) a x (a > 0) ln( x ) log a ( x ) (a > 0,a 1) f (x) ln(a) a x 1 1 x xln(a) f(x) sin(x) cos(x) tan(x) cot(x) f 1 1 (x) cos(x) sin(x) cos 2 (x) sin 2 (x) Speziellistfürf(x) = 1 x = x 1 dieableitungf (x) = x 2 = 1 x 2 undallgemein f(x) = 1 x n = x n, dann f (x) = nx n 1 = n x n+1. Mit den obigen Grundfunktionen und folgenden Rechenregeln lassen sich leicht die Ableitungen vieler Funktionen berechnen. 254
Seien f, g : D R in einem Punkt x D differenzierbar. Dann sind auch die Funktionen f +g,f g : D R in x differenzierbar, und es gilt: Summenregel: (f +g) (x) = f (x)+g (x), Produktregel: (fg) (x) = f (x)g(x)+f(x)g (x) Als Spezialfall der Produktregel ergibt sich (λ f) (x) = λ f (x) für jede differenzierbare Funktion f und jede Zahl λ R. Ist zusätzlich g(x) 0 für alle x D, dann ist die Funktion f g : D R in x differenzierbar mit Quotientenregel: ( ) f (x) = f (x)g(x) f(x)g (x) g g(x) 2 255
Etwas komplizierter ist die folgende Regel: Seien f : D R und g : E R Funktionen mit f(d) E, d.h. f(x) E für allex D).Seif inx D differenzierbar,undseig inf(x) E differenzierbar. Dann ist auch g f an der Stelle x differenzierbar und es gilt Kettenregel: (g f) (x) = g (f(x)) f (x). Beispiel 5.4 1. Für f(x) = 3x 5 10x 4 +2x 3 7x 2 +2 ist 2. Sei f(x) = 3x2 2x+1. Dann ist 7x 5 f (x) = 15x 4 40x 3 +6x 2 14x. f (x) = (6x 2)(7x 5) 7(3x2 2x+1) (7x 5) 2 = 21x2 30x+3 (7x 5) 2 256
3. Für S(x) = sin 2 (x) können wir schreiben S = g f mit f(x) = sin(x) und g(x) = x 2. Daher ist S (x) = 2 sin(x) cos(x) Allgemein ist für eine Funktion f(x) = g(x) n f (x) = ng(x) n 1 g (x). 4. Für f(x) = e (ax2 +bx+c) 2 ist mit der Kettenregel f (x) = e (ax2 +bx+c) 2 2 (ax 2 +bx+c) (2ax+b) Als letzte Differenziationsregel betrachten wir Ableitung der Umkehrfunktion: Sei f : D R eine injektive stetige Abbildung, und sei f 1 : f(d) R die Umkehrfunktionvonf.Istf ineinempunktx Ddifferenzierbarmitf (x) 0, dann ist f 1 im Punkt y = f(x) differenzierbar, und es gilt (f 1 ) (y) = 1 f (f 1 (y)) = 1 f (x). 257
Beispiel 5.5 Sei f(x) = e x. Die Funktion ist injektiv. Die Umkehrfunktion ist gegebendurchg(x) = f 1 (x) = ln(x).nachbeispiel5.3istf (x) = e x unddaher f (x) 0 für alle x R. Die obige Rechenregel liefert g (y) = 1 f (g(y)) = 1 e ln(y) = 1 y, wie es auch schon in Beipiel 5.3 angegeben ist. Es gilt sogar g ( y ) = 1 y. Als neue Ableitungen erhält man die der trigonometrischen Umkehrfunktionen. Beispiel 5.6 (Ableitung der Arcusfunktionen) f sin(x) cos(x) tan(x) cot(x) D(f) [ π 2, ] π 2 [0,π] ( π 2, ) π 2 (0,π) W(f) [ 1,1] [ 1,1] R R f 1 arcsin(x) arccos(x) arctan(x) arccot(x) (f 1 ) 1 1 x 2 1 1 x 2 258 1 1 1+x 2 1+x 2
Wir wollen uns dies für den Tangens etwas genauer anschauen. Die Rechenregel für die Ableitung der Umkehrfunktion zeigt arctan (y) = 1 tan (x), wobei y = tan(x), also x = arctan(y). Wir erhalten mittels der Quotientenregel und tan(x) = sin(x) cos(x) tan (x) = cos2 (x)+sin 2 (x) cos 2 (x) = 1+tan 2 (x) = 1+y 2, weil x = arctan(y) und somit tan(x) = y. Das liefert arctan (y) = 1 1+y 2. Die anderen Fälle sind ähnlich. Man kann den Differenziationsprozess unter Umständen auch auf die Ableitung anwenden. 259
Ableitungen höherer Ordnung: Sei f : D R eine differenzierbare Funktion. Ist die Ableitung f : D R ihrerseits in jedem Punkt x D differenzierbar, dann heißt f (x) = (f ) (x) die zweite Ableitung von f im Punkt x und die Funktion f : D R heißt zweite Ableitung von f. Allgemein heißt eine Funktion f : D R n-mal differenzierbar, n N, wenn die (n 1)-te Ableitung differenzierbar ist. Die n-te Ableitung wird auch mit f (n) : D R bezeichnet. Insbesondere wird f (0) = f gesetzt und es ist f (1) = f und f (2) = f. Die Funktion f heißt oft differenzierbar, wenn alle Ableitungen f (n), n N, existieren. Die geometrische Bedeutung der zweiten Ableitung wird im nächsten Abschnitt erklärt. Beispiel 5.7 Mithilfe von Beispiel 5.3 und den üblichen Rechenregeln lassen sich folgende Ableitungen berechnen. 260
1. f(x) = ln(x): f (x) = 1 x, f (x) = 1 x 2, f (3) (x) = 2 x 3 = 2x 3, f (4) (x) = 6 x 4,... f (n) (x) = ( 1) n 1 (n 1)! x n 2. f(x) = x 5 2x 3 +x 2 10: 3. f(x) = 3e x : f (x) = 5x 4 6x 2 +2x, f (x) = 20x 3 12x+2, f (3) (x) = 60x 2 12, f (4) (x) = 120x, f (5) (x) = 120, f (6) (x) = 0 = f (n) (x), für n 6 f (x) = 3e x, f (x) = 3e x,..., f (n) (x) = 3e x. Polynome, rationale Funktionen, die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen sind auf ihrem Definitionsbereich unendlich oft differenzierbar. 261
Es folgt nun noch ein Nachtrag zum Thema Grenzwerte von Funktionen. Wir hatten in Abschnitt 2.6 Beispiele von Funktionen gesehen, bei denen die üblichen Grenzwertregeln nicht weiterhelfen, etwa bei Quotienten von Funktionen, wo Zähler und Nenner für x x 0 beide gegen Null (oder beide gegen unendlich) konvergieren. Mithilfe der Differentiation ist es nun möglich, weitere Grenzwertregeln aufzustellen, mit denen sich etwa bestimmen lassen. sin(x) lim x 0 x x 3 oder lim x e x 262
Regeln von de L Hospital: Seien D = (a,b)\{x 0 } mit a < x 0 < b und f, g : D R differenzierbare Funktion, sowie g (x) 0 auf D. Außerdem gelte oder Dann gilt lim f(x) = lim g(x) = 0 (5.2) x x 0 x x0 lim x x 0 f(x) = ±, lim x x0 g(x) = ±. (5.3) f (x) lim x x 0 g (x) = α R lim f(x) x x 0 g(x) = α. (5.4) f(x) Die gleichen Aussagen gelten auch für Grenzwerte der Form lim xցx0 g(x), f(x) lim xրx0 g(x) und lim x ± f(x) g(x). Man beachte, dass die Implikation (5.4) auch beinhaltet, dass im Falle der Konvergenz von lim der Grenzwert lim überhaupt existiert. f (x) f(x) x x0 g (x) x x 0 g(x) Es ist ganz wichtig, dass die Voraussetzungen(5.2) oder(5.3) erfüllt sind. Andernfalls liefert die Implikation (5.4) ein falsches Ergebnis. Das wird in Beispiel 5.8.8 illustriert. Wenn (5.2) und (5.3) beide nicht gelten, lässt sich der Grenzwert so- 263
wieso direkt bestimmen. Beispiel 5.8 1. 0 0 Seien f(x) = sin(x), g(x) = x und x 0 = 0. Dann ist (5.2) erfüllt und wegen f (x) lim x 0 g (x) = lim cosx x 0 1 sin(x) f(x) ist mit (5.4): lim = lim x 0 x x 0 g(x) = 1. Seien f(x) = x3 und g(x) = e x. Dann ist (5.3) für x erfüllt und iterative Anwendung der Regel von de L Hospital liefert: 2. = 1 x 3 lim x e = lim f(x) x x g(x) = lim f (x) x = lim x f (x) g (x) = lim x = lim x f (3) (x) g (3) (x) = lim x 264 g (x) = lim x 6x e x 6 e x = 0. 3x 2 e x
3. Seien f(x) = ex +2 und g(x) = e 2x 2. Dann ist (5.3) für x erfüllt und daher e x +2 lim x e 2x 2 = lim e x 1 = lim x 2e2x x 2e = 0. x 4. 0 Seien f(x) = ln(x), g(x) = x und x 0 = 0. Es soll limln(x)x xց0 bestimmt werden. Dies ist zwar kein Quotient, aber durch Umformen erhält man ln(x) limln(x) x = lim xց0 xց0 1 = 5. 1 Seien f(x) = 1+ a x lim x = lim xց0 x 1 x 1 x 2 = lim xց0 ( x) = 0. und g(x) = x. Dann ist ( 1+ x) a x = lim f(x) g(x) = lim e ln(f(x)) g(x) x x = lim x e ln(1+a x ) x. 265
Nun ist der Exponent für x vom Typ 0 und daher ist wie in 3. lim (1+ ln a ) ( ) ln 1+ a x x = lim = x x x Also ist lim (1+ a ) x = e a. x x lim x a x 2 1+ a x 1 x 2 1 x = lim x 6. 0 Seien f(x) = x+1 und g(x) = 2 ln(x). Dann gilt a 1+ a x = a. lim (x+1) ln(x) 2 = lim f(x) g(x) = lim e ln(f(x)) g(x) x x x = lim x e ln(x+1) 2 ln(x). Der Exponent ist für x vom Typ. Somit ist 2ln(x+1) lim x ln(x) = lim x 2 1 x+1 1 x Also ist lim (x+1) ln(x) 2 = e 2. x = lim x 2 266 x x+1 = 2.
7. 0 0 Für f(x) = x 3 x und g(x) = 1 ln(x) gilt ( lim ) x3 x ln(x) 1 = limf(x) g(x) = lime ln(f(x)) g(x) xց0 xց0 xց0 = lime ln( x3 x 1 ) 1 2 ln(x)+xln(3) ln(x) = lime ln(x). xց0 xց0 Der Exponent ist für x ց 0 vom Typ, also lim xց0 1 2 ln(x)+xln(3) ln(x) = lim xց0 = lim xց0 1 2x +ln(3) 1 ( x 1 ) 2 +xln(3) = 1 2. ( Damit ist lim ) x3 x ln(x) 1 = e. xց0 8. Abschließend noch ein Beispiel, das die Notwendigkeit der Voraussetzung(5.2) oder (5.3) zeigt. Betrachte f(x) = e 2x 2 und g(x) = e x +2. Es soll f(x) lim x g(x) (5.5) 267
bestimmt werden. Allein die Regel (5.4) würde wegen f (x) lim x g (x) = lim 2e 2x = lim x e x x 2ex = 0 dengrenzwert0für(5.5)liefern.dasistaberfalsch,dennwegen lim 0 ist lim x g(x) = 2, folglich erhalten wir den korrekten Grenzwert f(x) = 2 und lim x lim x x ex = f(x) g(x) = 1. Offensichtlich sind weder (5.2) noch (5.3) erfüllt, deshalb darf man (5.4) nicht anwenden. 5.2 Kurvendiskussion Viele ökonomischen Zusammenhänge werden durch Funktionen beschrieben. Daher ist es wichtig, das Verhalten der Funktionen bestimmen zu können. Hierzu gehören 1. Definitionsbereich, 2. Nullstellen, 268