* = reduzierte Entfaltung intellektuell-kognitiver und sozial-adaptiver Fähigkeiten und Fertigkeiten
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- Christin Meinhardt
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1 INTELLEKTUELLE BEHINDERUNG * = reduzierte Entfaltung intellektuell-kognitiver und sozial-adaptiver Fähigkeiten und Fertigkeiten * Abweichungen müssen bis zum späten Jugendalter festgestellt worden sein * Hauptmerkmale: -> verzögerte Orientierungsreaktion (ab dem frühen Kindesalter beobachtbar) -> verzögerte Habituierung (ab dem frühen Kindesalter beobachtbar) -> Beeinträchtigungen des Informationsflusses -> des Aufmerksamkeitsprozesses -> der Gedächtnisspanne -> der Aneignung und Umsetzung von Problemlösestrategien -> deutlicher Rückstand im Erwerb höherer kognitiver Fertigkeiten (z.b. sprachliche Kompetenz) -> oft Entwicklungsverzögerung der Motorik -> Antrieb auffällig (entweder Trägheit oder Hyperaktivität) -> mit zunehmendem Alter auffällig wegen stark verlangsamter Lernprozesse -> eingeschränkte Generalisierungsfähigkeit 1) Definition der intellektuellen Behinderung: * von Land zu Land unterschiedlich, innerhalb eines Landes je nach Anwendungszweck unterschiedlich * in den letzten Jahren Paradigmenwechsel: -> anstatt vornehmlich die begrenzten kognitiven Fähigkeiten zu beachten -> eher bedürfnisorientierte Erfassung und Einteilung -> Wende durch Definitions- und Klassifikationssystem der AAMR (= American Association on Mental Retardation) * intellektuelle Behinderung: -> = Einschränkung des gegenwärtigen Handlungsvermögens -> vor dem 18. Lebensjahr beobachtbar -> signifikant niedrige Intelligenz (2 Standardabweichungen unter dem Mittelwert) UND deutliche Mängel in der sozial-adaptiven Kompetenz > zur Messung der Intelligenz: altersgemäßer, individuell vorgegebener, standardisierter Intelligenztest oder aktueller Entwicklungstest > zur Messung der sozial-adaptiven Kompetenz: Adaptive Verhaltensskalen (= Adaptive Behavioral Scales) -> biologischer Hintergrund der Behinderung wird mitberücksichtigt
2 118 * Feststellung der Behinderung: -> diagnostische Abklärung der intellektuellen Behinderung -> Analyse der Umweltressourcen -> Analyse der affektiven Charakteristika -> Analyse der Stärken und Schwächen des Betroffenen => Ziel = bedürfnisorientierte Unterstützung * Obwohl Unterteilung der intellektuellen Behinderung nach Intelligenzgraden für Praxis wenig brauchbar -> diese Unterteilung im Interesse der Forschung beibehalten: -> IQ muß mindestens 2 Standardabweichungen unter dem Mittelwert liegen -> IQ darf nicht höher als sein (je nach Standardabweichung des verwendeten Tests) -> außerdem Berücksichtigung der sozial-adaptiven Kompetenz, dafür spezielle Ratingskalen -> IQ-Tests und Skalen zum sozial-integrativen Verhalten korrelieren hoch miteinander (daher: für Gruppen sind diese beiden Maße relativ redundant; für Einzelpersonen aber wichtige Info für Erstellung individueller Förderpläne) 2) Epidemiologie, Verbreitung, Altersrelevanz: * wird nur der IQ verwendet -> Prävalenz = ca. 2,3% für mäßig Behinderte = ca. 0,04 für stärker Behinderte (IQ unter 50) [lt. ICD-10] * wird auch Kriterium gestörte Anpassungsfähigkeit berücksichtigt: -> Prävalenz = ca. 1-1,5% * 85% leicht Behinderte 10% mittel Behinderte 5% schwer Behinderte * 2/3 Männer und 1/3 Frauen * psychische Störungen und Verhaltensprobleme bei Behinderten viel häufiger als bei Nicht-Behinderten (Prävalenz = 30-40%); am höchsten bei Kindern und Jugendlichen mit schwerer und schwerster geistiger Behinderung in Heimen -> psychotische Störungen häufiger als in Normalbevölkerung -> affektive und Persönlichkeitsstörungen seltener als in Normalbevölkerung => bei schwerer und schwerster geistiger Behinderung ist eine psychopathologische Abklärung wegen der Einschränkung von Sprache und Sprachverständnis nur begrenzt möglich.
3 119 3) Ursachen: -> gravierende Verhaltensprobleme (z.b. Aggression, Selbststimulation, Selbstverletzung) werden mit zunehmender intellektueller Behinderung häufiger -> Selbstverletzung vor allem bei schwer und schwerst behinderten Kinder und Jugendlichen (Prävalenz = 25%) * Intellektuelle Behinderung entsteht kumulativ aus biologischen und psychosozialen (einschließlich kulturellen) Faktoren * Je schwerer die Behinderung, umso bedeutender sind biologische Faktoren * psychosoziale Faktoren = va. Deprivation (= gravierende Vernachlässigung und Anregungsdefizite) * kumulativer Effekt wirkt sich vor allem dann aus, wenn biologische Gefährdung (z.b. durch Frühgeburt) auf mangelnde Förderung und soziale Benachteiligung trifft -> unspezifische Ätiologie 35% -> Störungen in der frühen embryonalen Phase 30% (z.b. chromosomale Aberrationen, Infektionen) -> psychosoziale Faktoren (MIT biologischer Gefährdung) 15% -> perinatale und Schwangerschaftskomplikationen 10% (z.b. virale Einwirkungen, Hypoxie) -> Vererbung (metabolische Störungen, z.b. Tay-Sachs-Syndrom) 5% (z.b. Deviationen einzelner Gene wie bei der tuberösen Sklerose oder chromosomale Störungen, z.b. durch Translokation bedingt) -> Traumata in der frühen Kindheit 5% (z.b. physisches Trauma, Viruserkrankung) 4) Interventionen und Begleitungen Intervention bei geistiger Behinderung läßt sich unterteilen in: a) Förderprogramme bezüglich der intellektuellen Behinderung (= Entwicklungsrehabilitation der intellektuellen Leistungsfähigkeit) b) therapeutische Maßnahmen zur Reduktion der (begleitenden) Verhaltensstörungen
4 120 ad a) Förderprogramme: * Geistige Behinderung galt lange Zeit als nicht behandelbar, ABER: das ist falsch! * verbesserbar = -> Sprache und Sprachverständnis -> Zahl- und Mengenbegriff -> Diskrimination visuell gebotener Reize -> Explorationsverhalten * Verhaltensorientierte Förderung orientiert sich nicht an der Diagnose intellektuelle Behinderung, sondern am Entwicklungsstand; geht mit zunehmendem Alter in begleitende Betreuung über * intellektuelle Förderung möglichst früh; vor und außerhalb der Schule durch Bezugspersonen unter Supervision eines professionellen Therapeuten -> kontinuierliche Förderung mit hoher Übungsintensität -> Übernahme der Förderprinzipien in den Erziehungsalltag * individuell gestaltete Förderpläne -> getrennte Pläne für weitgehend voneinander unabhängige Bereiche -> kombinierte Pläne für leicht zu verbindende Übungsfunktionen 5) Verhaltensstörungen: * Behandlung unterscheidet sich prinzipiell nicht von der der Normalbevölkerung -> Lernprozesse werden initiiert (z.b. Verstärkung, Bestrafung, Löschung, Diskrimination) -> Einsatz von Methoden wie Ausformung, Verhaltensverkettung, Hilfestellung, Reizüberblendung * Besonderheiten bei intellektuell Behinderten: a) intendierte Lernprozesse müssen auf dem kognitivem Niveau des Behinderten ansetzen -> klar strukturiertes Kontingenzmanagement (unmittelbar auf das relevante Verhalten folgende appetitive oder aversive Reize) b) manche Verhaltensstörungen sind typisch für intellektuell Behinderte -> erschweren die Integration, sind besonders zu berücksichtigen c) müssen Strafreize angewendet werden (z.b. bei schwerer Selbstverletzung) -> dürfen von Anfang an nicht zu milde sein -> dadurch wird Gewöhnung vermieden (z.b. Kind beißt sich in die Hand -> muß 30x in die Hände klatschen = Überkorrektur ))
5 121 d) Hat Kind Angst vor seinen Autoaggression und sucht es Schutz davor -> Verhalten nicht bestrafen, sondern Desensibilisierung der Angst e) zuerst Stereotypien und Selbststimulationen bearbeiten -> sie behindern Lernfortschritte! (z.b. kann hier auch sensorische Extinktion eingesetzt werden, d.h. Kind schlägt mit Kopf auf Tisch -> wird nur mit gepolsterten Tischen konfrontiert) f) nicht nur versuchen, unerwünschtes Verhalten zu reduzieren, sondern positives (= mit dem unerwünschten Verhalten inkompatibles) Verhalten aufbauen! 6) Störungskonzepte der Verhaltensprobleme: 3 Modelle: -> lerntheoretische Modelle -> organische, biochemische Theorien -> Verhaltensstörungen als Korrelate allgemeiner psychischer Erkrankungen a) Lerntheoretische Modelle: operante Lerntheorien: Verhaltensstörungen = Varianten gelernten Verhaltens, bei denen primär auf die funktionale Verknüpfung von 3 Elementen geachtet wird: -> A - antecendents (vorhergehende Reizbedingungen) -> B - behavior (interessierendes Verhalten) -> C consequences (darauf folgende Konsequenzen) 1. positives Verstärkermodell: * Störverhalten wird als operantes Verhalten betrachtet, das durch positive Verstärkung (meist soziale Verstärkung -> im unmittelbaren Anschluß an das Störverhalten erfolgt meist soziale Zuwendung durch Eltern, Lehrer, Betreuer) aufrechterhalten wird * soziale Zuwendung kann die Häufigkeit von Störverhalten (sogar von Selbstverletzungen) erhöhen! 2. Modell der intrinsischen Verstärkung: Störverhalten * produziert Empfindungen, die unmittelbar verstärkende Wirkung haben * dient dem Ausgleich eines homöostatischen ZNS-Disequilibrium (körpereigene Opiattheorien)
6 Modell der negativen Verstärkung: Störverhalten kann wirksames Vermeidungsverhalten sein -> um unangenehmen Aufgaben oder gefürchteten Situationen zu entgehen (z.b. Selbstverletzungen, Wutanfälle, aggressive Attacken, Zerstören von Gegenständen) b) Verhaltensprobleme als Symptome allgemeiner Psychopathologie: Verhaltensstörungen treten gehäuft mit psychiatrischen Erkrankungen auf -> z.b. aggressives Verhalten bei depressiven geistig Behinderten 4x so häufig wie bei nicht geistig behinderten Depressiven. c) organische und biochemische Grundlage: * Selbstverletzungsverhalten tritt z.b. bei mindestens 3 organisch verursachten Syndromen auf: -> Lesch-Nyhan-Syndrom -> Cornelia-DeLange-Syndrom -> Smith-Margenis-Syndrom * Stereotypes Verhalten (Händeringen) tritt auf beim Rett-Syndrom 7) Zur Effektivität von psychologischen Interventionen: * verhaltenstherapeutische Intervention erzielt gute Erfolge, ABER: abhängig von individuellen Problemen des Betroffenen und von der Intensität der Betreuung * intellektuelle Förderung: -> strukturierte Lernprogramme (individuelle auf Entwicklungsstand und laufend geprüfte Fortschritte abgestimmt) ermöglichen Verbesserung einzelner Funktionen -> Lernprogramme müssen kontinuierlich über längere Zeit, in kleinen Schritten durchgeführt werden -> Einbeziehung der Bezugspersonen -> langfristige Einbindung der Lerninhalte in den Erziehungsalltag * Verhaltensstörungen: -> ähnliche Intensität wie bei den Lernprogrammen -> Übernahme der Maßnahmen in die Erziehung -> Supervision der Eltern ( Kotherapeuten ) -> Pläne müssen in operationalisierter Form als Kontingenzmanagement gestaltet werden -> für aggressives und selbstverletzendes Verhalten Erfolgsquoten von 45-75% (va. wenn Kombination von aversiven und nicht-aversiven Verfahren) -> Erfolgsquote bei der Behandlung von inadäquater Kommunikation = 35-40%
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