Zwischenprüfungshausarbeit im Strafrecht
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- Linus Bayer
- vor 6 Jahren
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1 UNIVERSITÄT ZU KÖLN Rechtswissenschaftliche Fakultät Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht Lehrstuhl für deutsches Strafrecht, europäisches Strafrecht, Völkerstrafrecht sowie für Friedenssicherungs- und Konfliktsvölkerrecht Prof. Dr. Claus Kreß LL.M. (Cambridge) Albertus-Magnus-Platz D Köln Tel.: +49 (0) Fax: +49 (0) Zwischenprüfungshausarbeit im Strafrecht T will sich an O rächen und lockt ihn mit einer Schrotflinte bewaffnet in ein entlegenes Waldstück. Dort will er den O zunächst mit einem überraschenden Fausthieb niederstrecken und dann mit einem Schuss ins Bein treffen und dauerhaft schädigen. O kann den Fausthieb jedoch abwehren und streckt T seinerseits mit einem wuchtigen Schlag gegen den Kopf zu Boden. Nun greift O zu einem von ihm mitgeführten Totschläger und holt mit den Worten Du Schwein ich bring dich um! zum Schlag gegen T aus. Da zieht der T in Todesangst seine Schrotflinte und schießt aus einer Entfernung von 30 cm auf den über ihn gebeugten O. O stirbt; Zeit zum Zielen bleibt dem T nicht. Bei seinem Schuss zieht der T die Möglichkeit, den O durch den Schuss zu töten, ernsthaft in Betracht, sieht jedoch keine andere Möglichkeit, das eigene Leben zu retten. Bitte prüfen Sie die Strafbarkeit des T ausschließlich nach dem sechzehnten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB ( Straftaten gegen das Leben ). Der Umfang der Bearbeitung darf 10 Seiten nicht überschreiten. Diese sind einseitig in der Schriftart Times New Roman bei Schriftgröße 12 und einem Zeilenabstand von 1,5 zu beschriften. Bitte lassen Sie links jeweils ⅓ Korrekturrand frei. Die Aufgabenstellung ist auf eine Bearbeitungszeit von 10 Tagen angelegt. Die Arbeit ist spätestens am Montag, den 30. März 2009 bis 17 Uhr im Eingangsbereich des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht abzugeben. Alternativ besteht die Möglichkeit einer Einreichung auf dem Postweg mit Poststempel vom 30. März Viel Erfolg bei der Bearbeitung! Internet: claus.kress@uni-koeln.de
2 - 2 - Lösungshinweise Der Sachverhalt ist eine vereinfachte Abwandlung eines Falles, der dem Bundesgerichtshof im Jahre 2000 zur Entscheidung vorlag (BGH NJW 2001, 1075 ff. = JZ 2001, 664 ff. mit Anm. Roxin = JR 2001, 510 ff. mit Anm. Jäger; zu dieser Entscheidung siehe auch Eisele, NStZ 2001, 416 ff.; Mitsch, JuS 2001, 751 ff.; Hruschka, ZStW 113 (2001), 870 ff.; Engländer, Jura 2001, 534 ff.). Bei der Bearbeitung sollte in formeller Hinsicht auf die Einhaltung des Gutachtenstils (ganz unproblematische Punkte dürfen allerdings im Urteilsstil abgehandelt werden), eine korrekte Zitierweise sowie eine saubere Gliederung geachtet werden. Insbesondere bei der schulmäßigen Prüfung der Notwehr gemäß 32 StGB können die Bearbeiter ihre Beherrschung der Gutachtenform unter Beweis stellen. Inhaltlich liegen die Schwerpunkte bei der Problematik der (unvorsätzlichen) Notwehrprovokation sowie der hiermit zusammenhängenden Frage einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gemäß 222 StGB wegen eines provozierenden Vorverhaltens trotz rechtmäßig herbeigeführten Todeserfolgs. Dabei sollten sich die Bearbeiter kritisch mit dem einschlägigen Urteil des Bundesgerichtshofs auseinandersetzen. I. Strafbarkeit des T wegen Totschlags gemäß 212 Abs.1 StGB durch die Abgabe des Schusses auf den O Hinweis: Eine Prüfung des Mordtatbestandes gemäß 211 StGB bzw. einzelner Mordmerkmale ist nicht erforderlich, wenn man die Tat des T zutreffend wegen einer Notwehrbefugnis gemäß 32 StGB rechtfertigt. Der objektive Tatbestand der Norm ist unter Verweis auf die Verkürzung der Lebenszeit des O durch die Abgabe des Schusses durch T zu bejahen. Längere Ausführungen zu den Prüfungspunkten Kausalität und objektive Zurechnung sind nicht veranlasst. Auch der subjektive Tatbestand kann kurz abgehandelt werden. Sorgfältige Bearbeiter werden darauf hinweisen, dass der Vorsatz sowohl nach der herrschenden Ernstnahmetheorie als auch nach deren Hauptkonkurrentin, der Lehre von der Vorsatzgefahr, zu bejahen ist.
3 - 3 - Einer genauen Auseinandersetzung bedarf es hingegen bei der anschließenden Prüfungsstufe der Rechtswidrigkeit. Hier ist eine mögliche Rechtfertigung der Tat des T durch Notwehr gemäß 32 StGB zu erörtern. Die Voraussetzungen einer Notwehrlage im Sinne des 32 Abs.2 StGB waren insofern zu bejahen. Das Ausholen des O mit dem Totschläger zu einem Schlag auf den am Boden liegenden T stellt einen unmittelbar bevorstehenden, mithin gegenwärtigen Angriff des O auf das geschützte Rechtsgut Leben des T dar. Dieser Angriff des O ist rechtswidrig und insbesondere nicht etwa seinerseits durch Notwehr gerechtfertigt. Zwar war der wuchtige Schlag des O gegen den Kopf des T aufgrund eines gegenwärtigen Angriffs des T (Fausthieb) vom Notwehrrecht des O gedeckt. Zum Zeitpunkt des Ausholens mit dem Totschläger durch O fehlte es jedoch an der Gegenwärtigkeit des Angriffs des T durch den Fausthieb. Vielmehr war dieser in jenem Moment bereits abgeschlossen. Des Weiteren ist zu erörtern, ob die Notwehrhandlung des T auch geeignet und erforderlich war, den Angriff des O abzuwehren. Kurz eingehen mag man in diesem Zusammenhang auf den Schusswaffengebrauch des T. Es kann darauf verwiesen werden, dass der Einsatz einer Schusswaffe nur als ultima ratio der Angriffsabwehr in Betracht kommt. In der Regel bedarf es zunächst einer Androhung des Schusswaffengebrauchs bzw. der Abgabe eines Warnschusses. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann jedoch darauf verwiesen werden, dass auch ein sofortiger lebensgefährlicher Einsatz einer Schusswaffe zulässig ist, wenn für den Angegriffenen (wie hier T) keine andere Verteidigungsmöglichkeit mehr besteht (BGH NJW 2001, 1075, 1076 m.w.n.). T handelte auch in Kenntnis des objektiven Erlaubnissachverhalts. Ob daneben ein spezifischer Verteidigungswille der in Notwehr handelnden Person erforderlich ist, kann hier offen bleiben, da ein solcher bei T im Zeitpunkt der Abgabe des Schusses jedenfalls vorlag. Im Rahmen der Gebotenheit der Notwehrhandlung gilt es nun, die Problematik der Notwehrprovokation als ganz überwiegend anerkannte Fallgruppe einer sozialethischen Einschränkung des Notwehrrechts zu thematisieren. Hier liegt ein erster Schwerpunkt des Falles. Besonders sorgfältige Bearbeiter mögen die Frage nach der Vereinbarkeit sozialethischer Notwehrschranken mit dem Gesetzlichkeitsprinzip aufwerfen und an dieser Stelle die Geltung dieses Prinzips bei Rechtfertigungsgründen erörtern. Die ganz überwiegende Ansicht sieht in dem Wort geboten eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Annahme von Notwehrschran-
4 - 4 - ken (statt vieler Roxin, AT I, 4. Auflage 2006, 15, Rn 56 f.; zur Gegenansicht siehe LK- Spendel, StGB, 11. Auflage 2003, 32, Rn 308; zurückhaltender in dieselbe Richtung MüKo- Erb, StGB, 2003, 32, Rn 179 f.; LK-Rönnau/Hohn, StGB, 12. Auflage 2006, 32, Rn 228). Sodann ist herauszuarbeiten, dass T die Notwehrlage nicht absichtlich provoziert hat. Deshalb kann unentschieden bleiben, ob das Notwehrrecht in einem solchen Fall ganz ausgeschlossen ist. Hier geht es um eine schlicht vorwerfbare Mitverursachung der Notwehrlage. Der Streit über die erforderliche Qualität des Vorverhaltens (ist die Rechtswidrigkeit erforderlich oder genügt eine sozialethische Unwertigkeit ; siehe hierzu etwa Roxin, AT I, 15, Rn 72 f.) kann vorliegend dahinstehen, da der Fausthieb des T (zumindest) eine strafbare versuchte Körperverletzung gemäß 223 Abs.1, 22, 23 Abs.1 StGB und folglich sogar ein rechtswidriges Vorverhalten darstellt. Es stellt sich also die Frage, wie die Konstellation der sonstig vorwerfbaren Provokation rechtlich zu behandeln ist. Eine Minderheit im strafrechtlichen Schrifttum lehnt eine Einschränkung des Notwehrrechts zu Lasten des Provokateurs ab und begründet dies mit der fehlenden Schutzwürdigkeit des Provozierten, von dem die Rechtsordnung erwarte, sich nicht provozieren zu lassen. Wer sich zu einem rechtswidrigen Angriff hinreißen lasse, handele daher auf eigene Gefahr und müsse die Folgen des dadurch begründeten Notwehrrechts tragen (Baumann/Weber/Mitsch, AT, 11. Auflage 2003, 17, Rn 38; LK-Spendel, 32, Rn 281 f.). Hiernach war die Verteidigungshandlung des T geboten und seine Tat damit insgesamt gerechtfertigt. BGH und h.l. bejahen hingegen eine Einschränkung des Notwehrrechts mit der Folge, dass der Provokateur soweit möglich ausweichen bzw. Schutzwehr üben muss (sog. Drei-Stufen-Modell ; BGHSt 24, 356, 358 f.; 26, 256, 257; 42, 97, 100; Jescheck/Weigend, AT, 5. Auflage 1996, 32, III. 3. a); Wessels/Beulke, AT, 38. Auflage 2008, Rn 348). Zur Begründung wird die Mitverantwortung des Provokateurs für das Entstehen der Notwehrlage bemüht. Dies trübe sein Bild eines Repräsentanten der Rechtsordnung (so auf der Grundlage der dualistischen Notwehrbegründung) bzw. begrenze seine Befugnis zum Einsatz aller erforderlichen Mittel zur Zurückweisung der Rechtskreisüberschreitung durch den Angreifer (so auf der Grundlage eines monistischindividuellen Notwehrverständnisses). Auch nach dieser Ansicht durfte T Trutzwehr in Gestalt seines Schusses üben. Denn ein Ausweichen oder Schutzwehr war ihm nach Lage der Dinge nicht ohne eine akute Gefährdung des eigenen Lebens möglich. Der Meinungsstreit muss folglich nicht entschieden werden.
5 - 5 - Die Notwehrhandlung des T war danach auch geboten und die Tat daher gerechtfertigt. II. Strafbarkeit des T wegen fahrlässiger Tötung gemäß 222 StGB durch den Faustschlag gegenüber O Der zweite Schwerpunkt liegt in der Frage, ob trotz gerechtfertigten Handelns des T (oben I.) eine Strafbarkeit des T wegen fahrlässiger Tötung gemäß 222 StGB seines vorwerfbaren Vorverhaltens wegen in Betracht kommt. Der BGH hat diese Frage in seinem einschlägigen Urteil bejaht: Wer durch ein rechtswidriges Vorverhalten die Gefahr einer tätlichen Auseinandersetzung mit tödlichem Ausgang herbeigeführt habe, könne auch dann wegen fahrlässiger Tötung bestraft werden, wenn er den zum Tode führenden Schuss in Notwehr abgegeben habe (BGH NJW 2001, 1075, 1076). Der Sache nach (allerdings ausdrücklich nicht dem Worte nach!) bedient sich der Bundesgerichtshof damit der Figur der actio illicita in causa. In der strafrechtlichen Literatur ist diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs größtenteils auf Ablehnung gestoßen (Hruschka, ZStW 113 (2001), 870 f., Roxin, JZ 2001, 667 f.; Jäger, JR 2001, 512, 513 f.; Engländer, Jura 2001, 534, 536 f.; Eisele, NStZ 2001, 416, 417). Im Ergebnis kann eine Strafbarkeit des T wegen fahrlässiger Tötung des O gemäß 222 StGB daher sowohl bejaht als auch abgelehnt werden. Entscheidend ist, die rechtliche Problematik zu erkennen und sie unter Auseinandersetzung mit dem BGH und den Gegenargumenten der Literatur einer begründeten Lösung zuzuführen. Im Einzelnen: Im Rahmen der Prüfung des Tatbestandes von 222 StGB ist bei der Tathandlung klarzustellen, dass an das rechtswidrige Vorverhalten des T also das Ausholen zum Faustschlag und nicht an die Abgabe des Schusses anzuknüpfen ist. Dies geschieht geschickterweise bereits in dem entsprechend formulierten Obersatz. Sodann ist der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges Verkürzung der natürlichen Lebensdauer des O festzustellen. Bei der Erörterung der Kausalität der Handlung des T für den eingetretenen Erfolg sollte erwähnt werden, dass der Kausalzusammenhang nach ganz h.m. nicht durch das spätere Dazwischentreten des O in Form von dessen Angriff auf den T mit dem Totschläger durchbrochen wurde. Denn entgegen der früher vertretenen Lehre vom Regressverbot wird der Ursachenzusammenhang nach der h.m. auch durch die vorsätzliche Intervention eines Dritten nicht notwendigerweise beseitigt (statt vieler Roxin, AT I, 11, Rn 28). Vielmehr war hier dahingehend zu argumentieren, dass die von
6 - 6 - T durch den Fausthieb gesetzte Ursache psychisch vermittelt bis zum späteren Erfolgseintritt fortwirkte. Folgt man dem BGH, sind auch Sorgfaltswidrigkeit und Sorgfaltswidrigkeitszusammenhang unter Verweis auf die versuchte Körperverletzung des T gemäß 223 Abs.1, 22, 23 Abs.1 StGB durch Ausholen zum Faustschlag zu bejahen. Gegen diese Sichtweise wird von der strafrechtlichen Literatur vorgebracht, dass es keine rechtlich missbilligte Risikoschaffung darstellen könne, durch ein bestimmtes Verhalten die Möglichkeit einer anschließenden gerechtfertigen Tötung zu eröffnen. Mangels Erfolgsunrechts könne im Hinblick auf den Faustschlag allenfalls von einem fahrlässigen Versuch der Tötung gesprochen werden, der im StGB nicht unter Strafe stehe (Jäger, JR 2001, 512, 514). Auch wird argumentiert, dass der Bundesgerichtshof durch seine Fahrlässigkeitskonstruktion dem Verletzungsdelikt des 222 StGB die Funktion eines im StGB eigentlich nicht vorhandenen Gefährdungstatbestandes (Gefahr der Herbeiführung einer Notwehrlage) zuweise (Hruschka, ZStW 113 (2001), 870, 876). Hält man diese Einwände für durchgreifend, so scheidet die Konstruktion einer actio illicta in causa unter allen Umständen aus. Besonders umsichtige Bearbeiter werden bemerken, dass teilweise differenzierter argumentiert wird (so neuerdings etwa Puppe, FS Küper, S. 443). Hiernach soll die actio illicita in causa nicht grundsätzlich verworfen werden; einen sinnvollen Anwendungsbereich habe sie etwa in bestimmten Dreipersonenverhältnissen (der Hintermann bewegt einen Vordermann zu einem für diesen rechtmäßigen Eingriff in das Rechtsgut eines Dritten). Im Fall der Notwehrprovokation sei der Rekurs auf den Gedanken der actio illicita in causa demgegenüber nicht sachgerecht. Denn hier lasse sie einer Person strafrechtlichen Schutz angedeihen, die sich einer Notwehrhandlung durch eigenverantwortliches Verhalten ausgesetzt hat. Auf den Fall gewendet: O hat den rechtswidrigen Angriff des T durch den wuchtigen Schlag gegen den Kopf erfolgreich abgewehrt und die eigene Notwehrlage so beendet. Mit dem anschließenden Angriff mit dem Totschläger hat O sich eigenverantwortlich der Gefahr einer tödlichen Auseinandersetzung ausgesetzt, deren Opfer er dann letztendlich geworden ist. Ihn strafrechtlich durch die Konstruktion einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des T kraft dessen Vorverhaltens zu schützen, besteht kein Anlass. Hiernach erheben sich gegen das einschlägige BGH-Urteil gewichtige Bedenken, die in einer passablen Arbeit mindestens zur Kenntnis genommen werden müssen.
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