Syndrome. Zentrale Lähmung. Merkmale. Zerebrale Läsion. aus: Rohkamm, Taschenatlas Neurologie (ISBN ) 2009 Georg Thieme Verlag KG

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Transkript:

Zentrale Lähmung 126 Merkmale Störung der Feinmotorik. Da die Antagonisten paretischer Muskelgruppen einen vermehrten Tonus aufweisen, sind rasch alternierende Bewegungen verlangsamt. Dies erklärt die größere Anstrengung und Ermüdbarkeit paretischer Extremitäten bei Willkürbewegungen. Synkinesien (unwillkürliche Mitbewegungen paretischer Muskelgruppen, z. B. beim Gähnen) kommen ebenso vor wie undifferenzierte Begleitbewegungen (Massenbewegungen) oder spinale Automatismen (durch sensible Reize auslösbare unwillkürliche Bewegungen). Lähmung. Sie betrifft nicht einzelne Muskeln, sondern Muskelgruppen, jedoch nicht alle Muskelgruppen einer Körperseite. Bilateral innervierte, rumpfnahe Bewegungen (z. B. von Augen, Kiefer, Pharynx, Nacken; S. 74) sind wenig bis gar nicht betroffen. Initiale komplette Lähmungen bessern sich in der Regel mit der Zeit. Im Verlauf können weitere motorische Störungen (wie Tremor, Hemiataxie, Hemichorea, Hemiballismus) hinzutreten. Die Feinmotorik ist meist deutlich stärker beeinträchtigt als die Kraft. Eine neurogene Muskelatrophie fehlt. Spastik. Charakteristikum ist die geschwindigkeitsabhängige Tonussteigerung eines Muskels oder einer Muskelgruppe bei passiver Dehnung. Spastik ist nicht notwendigerweise mit einer Tonuserhöhung der Muskulatur verbunden. Das Taschenmesserphänomen (plötzliches Nachlassen des Muskeltonus bei raschen passiven Streckbewegungen) ist selten feststellbar. Vor allem sind Muskelgruppen betroffen, die der Schwerkraft entgegenwirken (Arme: Flexoren, Beine: Extensoren). Reflexstörungen. Die Muskeleigenreflexe sind gesteigert (vergrößerte Reflexzone, Klonus). Fremdreflexe sind abgeschwächt oder aufgehoben. Pathologische Reflexe wie Babinski treten hinzu. Zerebrale Läsion Monoparese. Eine kortikale schlaffe Monoparese kann je nach Lokalisation der Läsion in Area 4 kontralateral die Muskulatur von Gesicht, Hand oder Bein betreffen. Im Einzelfall kann die Abgrenzung gegenüber einer peripheren Lähmung (S. 130) Schwierigkeiten bereiten. Spastik und Sensibilitätsstörungen treten auf, wenn zusätzlich prä- und postzentrale oder subkortikale Regionen mit einbezogen werden. Hilfreich können Mitbewegungen von Antagonisten bei einer zentralen Lähmung sein, die bei einer peripheren Parese fehlen. Kontralaterale Hemiparese. Liegt die Läsion in Höhe der Capsula interna, stellt sich eine spastische Hemiparese ein. Zusätzliche Einbeziehung kortikonukleärer Verbindungen resultiert in einer (zentralen) Fazialisparese und möglicherweise Sprech- wie Schluckstörungen. Sensible Ausfälle sind meist begleitend vorhanden. Die einseitige Schädigung im oberen Hirnstamm verursacht neben der kontralateralen spastischen Hemiparese auch eine ipsilaterale nukleäre Okulomotoriusparese (gekreuzte Lähmung). Weitere einer Hirnstammläsion s. S. 168 f. Selten findet sich eine isolierte Läsion der Pyramidenregion (S. 38) mit der Folge einer kontralateralen schlaffen Hemiplegie unter Aussparung des Gesichts. Auch eine kontralaterale Arm- und ipsilaterale Beinparese kann bei dieser Lokalisation eintreten. Ipsilaterale Parese. Herde unterhalb der Pyramidenbahnkreuzung in der Basis der Medulla oblongata (S. 168) und im Pyramidenseitenstrang (S. 36 f) bewirken ipsilaterale Lähmungen mit Spastik. Tetraparese. Ausgedehnte bilaterale Marklageroder dienzephale Schädigungen führen zu einem Dekortikationssyndrom (S. 98, 188, 440). Kommt es zu einer Mittelhirnläsion, stellt sich ein Dezerebrationssyndrom ein. Eine Einbeziehung weiterer Hirnstammregionen verursacht anfangs eine Tetraplegie, im Verlauf können Schmerzreize spinale Automatismen auslösen. Paraparese. Bilaterale paramediane präzentrale kortikale Läsionen (Mantelkantensyndrom) sind selten. Neben einer zentralen Lähmung beider Beine bestehen Blasenfunktionsstörungen. Epileptische fokale Anfälle können hinzutreten.

Zentrale Lähmung 127

Zentrale Lähmung 128 Spinale Läsion Durch die klinische Untersuchung kann am Ausfall spinaler Bahnen und Wurzeln (S. 36, 44, 48, 52) sowohl Umfang (Querschnittssyndrom) als auch Lage (Höhenlokalisation) der Rückenmarkschäden beurteilt werden. Der Schweregrad neurologischer Symptome wird von deren zeitlicher (akut subakut chronisch) Entwicklung und der Ausdehnung der zugrundeliegenden Läsion (inkomplett komplett) mitbestimmt. Lähmung. Die spinale Läsionshöhe korreliert mit der obersten Ebene der Lähmungen, so z. B. Plegie ab Armbeuger bei Läsionshöhe C5/6, und den Reflexänderungen, z. B. Bizeps-brachii-Reflex. Kombinationen mit peripheren Lähmungen oder bei zentromedullären Herden mit dissoziierten Empfindungsstörungen (S. 146) sind möglich. Hinterstrangsymptome. Ab Läsionsort im Hinterstrang kommt es zum Ausfall der Hinterstrangsensibilität (S. 43). Bei Nackenbeugung können elektrisierende Missempfindungen ausgelöst werden (Lhermitte-Zeichen). Überempfindlichkeit für Schmerz und Berührung ab oder innerhalb der Läsionsregion ist nicht ungewöhnlich. Radikuläre Symptome. Periphere Lähmungen und/oder Parästhesien bzw. Schmerzen im spinalen Läsionsbereich provoziert durch Husten, Bewegungen sowie Erschütterungen (Laufen, lokaler Klopfschmerz). Vegetative Symptome. Oberhalb des 3. Halswirbelkörpers (C4) kommt es zur Atemlähmung. Im Stadium des spinalen Schocks sind alle Steuerungsmechanismen (Blase, Potenz, Darm, Gefäße, Schwitzen) ausgefallen. Bei langsam progredienten spinalen n fallen dem Patienten vor allem Blasen- und/oder Potenzstörungen auf. Komplettes Querschnittssyndrom. Akut kommt es zu einer schlaffen Tetra- oder Paraplegie mit Ausfall aller Muskeleigenreflexe, Babinski-Reflex, Sensibilitätsverlust und Einbuße vegetativer Funktionen (spinaler Schock). Eine Rückbildung einzelner Funktionen kann nach 1 6 Wochen einsetzen. Es zeigt sich dann das Bild einer chronischen Myelopathie. Tetra- oder Paraspastik, vegetative Funktionsstörungen und Störungen der Sensibilität sind führende klinische Symptome. Inkomplettes Querschnittssyndrom. Die Symptomatik erklärt sich aus der Lokalisation der Läsion im Rückenmarkquerschnitt (S. 43 f). Beispiele für klassische sind das Brown-Séquard-Syndrom mit Ausfall einer Querschnittshälfte (ipsilateral: Parese, Spastik, Verlust Lagesinn/Pallästhesie/taktile Sensibilität/ Schwitzen, Vasoparalyse; kontralateral: dissoziierte Sensibilitätsstörung mit Ausfall des Schmerz- und Temperaturempfindens), Hinterstrangsyndrom, Vorder- (S. 130, 354) bzw. Hinterhornsyndrom (S. 147), zentromedulläres Syndrom (S. 147) und Spinalis-anterior-Syndrom (S. 348). Halsmarkläsion. Eine hohe Halsmarkläsion auf der Ebene des Foramen magnum (S. 172) bedingt Nackenschmerzen mit Ausstrahlung in Schultern wie Arme, einseitig beginnende Schulter- und Armmuskelschwäche mit einer Progression über eine Beinparese zur Gegenseite, Handmuskelatrophien, Lhermitte-Zeichen, Hirnnervenausfälle (X, XI, XII), Nystagmus, Sensibilitätsstörungen im Gesicht und ein Horner-Syndrom. Atemstörungen treten bei progredienter Markkompression hinzu. Hirnnervensymptome fehlen bei Läsionen in Höhe C1 4. Untere Halsmarkläsionen (C5 8) zeigen analog dieser Höhe Symptome eines inkompletten oder kompletten Querschnittsyndroms mit entsprechenden segmentalen sensiblen und motorischen Ausfällen. Ein Horner-Syndrom kommt je nach Ausdehnung der Myelopathie hinzu. Brustmarkläsion. Ein Horner-Syndrom mit Handmuskelatrophien ist bei Querschnittsyndromen in Th1 zu finden. Ab Th2 sind die Arme nicht mehr in das Beschwerdebild einbezogen. Von dorsal ein- oder beidseitig gürtelförmig ausstrahlende Schmerzen werden durch Wurzelläsionen verursacht. Atemstörungen sind bei oberen Brustmarkläsionen (Th1 5) vorhanden. Lumbal-/Sakralmarkläsion. Schädigungen in L1 3 bewirken eine schlaffe Paraplegie mit Blasenfunktionsstörungen (automatische Blase, S. 116, 416). Abhängig vom Erhalt der Kraft im M. iliopsoas (L1 3) ist die Fähigkeit zu sitzen mehr oder weniger verloren. Läsionen in Höhe L4 S2 (Epikonus) führen zu unterschiedlich ausgeprägten Lähmungen der Hüftstreckung und -beugung, Kniebeugung, Fuß- und Zehenbewegungen. Läsionen ab S3 verursachen ein Konussyndrom (atonische Blasen-Mastdarm-Lähmung, Reithosenanästhesie perianal und Oberschenkelinnenseiten). Kaudasyndrom s. S. 213, 347.

Zentrale Lähmung 129

Periphere Lähmung 130 Merkmale Eine periphere Lähmung kann Folge einer Läsion des Vorderhorns (zweites motorisches Neuron), der Nervenwurzel, des peripheren Nervs, der Endplattenregion oder des Muskels sein. Ein Sehnenabriss, Gelenk- und Knochenschaden kann den Eindruck einer peripheren neurogenen Lähmung vermitteln. Lähmung. Je nach Anzahl und Verteilung der befallenen motorischen Nerven bzw. Art der Myopathie betrifft der Kraftverlust einzelne Muskeln oder Muskelgruppen. Bei myogenen Paresen ist die Sensibilität ungestört. Myasthene Schwäche. Störungen der neuromuskulären Übertragung äußern sich als belastungsabhängige Muskelschwäche. Bestimmte Muskelgruppen (Augen, pharyngeale oder rumpfnahe Muskulatur) sind abhängig vom Krankheitsgeschehen unterschiedlich stark befallen. Sensibilitätsstörungen fehlen. Die Reflexabschwächung wird bei der Myasthenie vom Ausmaß der Muskelschwäche bestimmt. Beim Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) und Botulismus treten vegetative Funktionsstörungen hinzu. Eine Reflexabschwächung (bei relativ gut erhaltener Muskelkraft) ist für das LEMS kennzeichnend. Reflexstörung. Die Muskeleigenreflexe sind abgeschwächt bis aufgehoben. Reflexstörungen treten bei neurogenen Lähmungen unabhängig auf, bei Myopathien in Abhängigkeit von der Muskelschwäche. Fremdreflexe fehlen nur bei Lähmung des Zielmuskels. Pathologische Reflexe sind nicht vorhanden. Der Muskeltonus ist vermindert (schlaffe Lähmung). Muskelatrophie. Das Ausmaß der Muskelatrophie kann deutlich zur geringeren Muskelschwäche kontrastieren und umgekehrt. Etwa 3 Wochen nach Lähmungsbeginn treten bei peripheren Nervenschäden zunehmende Atrophien der gelähmten Muskeln in Erscheinung. Bei Myopathien ist die Verteilung und Stärke der Muskelatrophien von der jeweiligen Erkrankung bestimmt. Muskelhypertrophie (S. 133, 373). Spontanbewegungen. Sie zeigen sich nur in den betroffenen Muskeln. Faszikulationen sind unwillkürliche arrhythmische Kontraktionen von Muskelfasergruppen im entspannten Muskel. Sie kommen physiologisch nach körperlicher Anstrengung oder pathologisch bei neurogenen Läsionen (Motoneuron, Radikulopathie, Neuropathie) bzw. Myopathien (akute Myositis) vor. Mit Myokymien werden rhythmische Muskelfaserkontraktionen bezeichnet, die bei oberflächlicher Lokalisation z. B. im Gesicht als wellenförmige Bewegungen sichtbar werden. Extremitäten. Stehen Schmerzen im Vordergrund der Beschwerden, ist eine ursächliche Beteiligung von Sehnen, Bändern, Gelenken und Knochen als Grund einer Bewegungseinschränkung gegenüber einer eigentlichen peripheren Lähmungen abzugrenzen. Muskelatrophien können sekundär durch Inaktivität auftreten. Die Sensibilität ist intakt. Erhebliche vegetative Störungen sind abhängig von der Läsionsätiologie möglich (S. 148). Neurogene periphere Lähmung Vorderhorn. Ausfälle von Motoneuronen (nukleäre Läsion) verursachen Lähmungen der entsprechenden motorischen Einheiten. Folgen sind schlaffe Muskellähmungen, die asymmetrisch einsetzen können, mit sich entwickelnden starken Muskelatrophien ohne begleitende Sensibilitätsstörungen. Zugehörige Muskeleigenreflexe fallen frühzeitig aus. Die Symptomatik kann krankheitsabhängig sowohl proximal (Zunge, Pharynx, rumpfnahe Muskelgruppen) als auch distal (Hände, peroneale Muskelgruppen) beginnen. Spinalnervenwurzel. Werden Muskeln von mehreren Nervenwurzeln versorgt, führen einzelne Wurzelläsionen nicht zu ausgeprägten Paresen. Liegt jedoch eine überwiegende monoradikuläre Innervation vor (Kennmuskeln, Tabelle 5, S. 406), stellen sich offenkundige Lähmungen und Atrophien ein. Hinzu kommen bei Beteiligung der Hinterwurzel radikuläre Schmerzen bzw. Sensibilitätsstörungen. Vegetative Ausfälle sind in der Regel nicht zu beobachten. Peripherer Nerv. Plexusbedingte Lähmungen sind hier von solchen abzugrenzen, die aus Läsionen einzelner (Mononeuropathie) oder mehrerer (Polyneuropathie) Nerven hervorgehen (S. 48ff, 210ff). Je nach beteiligten Anteilen der gemischten Nerven sind rein motorische, rein sensible oder sensomotorische zu erwarten. Mehr oder weniger ausgeprägte vegetative Störungen treten hinzu.

Periphere Lähmung 131

Periphere Lähmung 132 Myogene Lähmung Muskelschwäche. Sie ist eine Folge der verminderten Muskelmasse und/oder der gestörten Muskelfunktion. Deutliche Seitenunterschiede der Schwäche sind eine Ausnahme. Eine symmetrische Muskelschwäche zeigt bei den jeweiligen Myopathien eine Betonung einzelner Muskelgruppen. So kann sie generalisiert (kongenitale Myopathien), proximal in der Schultergürtel-/Beckenregion (Duchenne-Muskeldystrophie, Polymyositis), belastungsabhängig wechselnd (Myasthenie), distal in Unterschenkel-Fuß bzw. Unterarm-Hand (myotone Dystrophie, Einschlusskörpermyositis) oder vorwiegend im Kopfbereich (Myasthenie, Mitochondrienmyopathie) am stärksten auffällig sein. Bewährt hat sich die Klassifikation der Muskelkraft nach den Empfehlungen des Medical Research Council (1976): 5 normale Kraft 4+ submaximale aktive Bewegung gegen Widerstand 4 aktive Bewegung gegen Widerstand 4 geringe aktive Bewegung gegen Widerstand 3 aktive Bewegung gegen Schwerkraft 2 aktive Bewegung unter Ausschaltung der Schwerkraft 1 Muskelzucken oder angedeutete Kontraktion ohne Bewegung 0 keine Muskelkontraktion Als Facies myopathica wird die sparsame Mimik infolge der Schwäche der Gesichtsmuskulatur bezeichnet. Hierbei ist bevorzugt eine okuläre (Ptosis, Diplopie), oropharyngeale (Dysarthrie, Dysphonie, Dysphagie), okulopharyngeale oder zervikale (Nackenmuskulatur, vordere Halsmuskulatur) Schwäche möglich. Muskelatrophie. Eine Myatrophie wird durch eine gestörte Entwicklung, Zerstörung und/oder unzureichende Regeneration von Muskelfasern hervorgerufen. Muskelatrophie und Muskelschwäche sind nicht immer gleich stark ausgeprägt. So ist z. B. bei einer deutlichen myasthenen Schwäche keine Muskelatrophie vorhanden. Tritt eine kompensatorische Vermehrung von Fett- und Bindegewebe hinzu, kann eine Myatrophie klinisch verborgen bleiben. Betonungen (proximal, distal, einseitig) von Muskelatrophien sind für bestimmte neuromuskuläre Krankheiten charakteristisch (z. B. fazio-skapulo-humerale Muskeldystrophie, Einschlusskörpermyositis, myotone Dystrophie). Muskelhypertrophie. Die Muskelzunahme durch eine Vergrößerung der Muskelzellen ( echte Hypertrophie) tritt z. B. bei der Myotonia congenita auf. Eine Muskelzunahme trotz atrophischer Muskulatur durch vermehrte Fett- und Bindegewebeeinlagerung (Pseudohypertrophie) ist bei ganz unterschiedlichen neuromuskulären Krankheiten zu finden, so bei der Muskeldystrophie Duchenne (Waden, M. deltoideus) oder neurogen bei einer chronischen lumbalen Wurzelläsion S1 (einseitige Wadenvergrößerung). Muskelschmerzen (S. 382). In Ruhe treten Myalgien bei Traumen (Muskelriss, Muskelzerrung, Muskelkater, Kompartmentsyndrom), Myositiden (Dermato-/Polymyositis, Influenza, Coxsackie B, Herpes simplex), Fibromyalgie, Polymyalgia rheumatica sowie Muskelkrämpfen/Krampi bzw. unter Muskelbelastung (metabolische Myopathien) auf. Muskelsteifigkeit. Sie ist als Symptom z. B. bei Myotonia congenita, Neuromyotonie und Paramyotonie (in Kälte) auffällig. Der Muskel relaxiert nach einer Kontraktion nicht sofort wieder. Bei wiederholter Bewegung lässt die Steifigkeit nach (warm up). Durch Beklopfen des Muskels ist eine myotone Reaktion auslösbar (z. B. klopfen mit dem Reflexhammer auf den Thenar löst Adduktions-/Oppositionsbewegung des Daumens aus). Muskelkontraktur. Ein dauernd kontrahierter Muskel entwickelt sich aus einer Proliferation des Mesenchyms bei Muskelfaseruntergang. Daher treten Kontrakturen bei degenerativen Muskelkrankheiten, aber auch bei neurogenen Muskelatrophien auf. Solche Kontrakturen führen zu sekundären Fehlstellungen der Gelenke. Elektromyographisch ist in den kontrakten Muskeln keine elektrische Aktivität nachweisbar. Muskelermüdbarkeit. Kennzeichnend ist das episodische Auftreten bzw. die episodische Zunahme der Muskelschwäche. Eine abnorme Ermüdbarkeit der Muskulatur ist für die Myasthenia gravis und das Lambert-Eaton-Syndrom kennzeichnend. Eine über Wochen anhaltende leichte Ermüdbarkeit kann nach einer Infektionskrankheit (postvirales Ermüdungssysndrom) auftreten.

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