Dr. Martina Scheinecker, Mag. Franz Biehal MA 10 Schritte zur Fachkarriere Der aktuell schon spürbare und auch zukünftig zu erwartende Fachkräftemangel ist eines der wesentlichen Zukunftsthemen, mit denen sich HR auseinandersetzen muss: Unternehmen sind zunehmend mehr auf hochqualifizierte MitarbeiterInnen angewiesen, wenn sie ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten wollen. Trends am Arbeitsmarkt lassen erwarten, dass diese nur dann zur Verfügung sein werden, wenn Unternehmen aktiv Maßnahmen zur Entwicklung ihrer Fachkräfte ergreifen: Das Deutsche Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnet bis 2025 mit einem Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland um 6,5 Millionen, davon 5,4 Millionen Fachkräfte. Auch in Österreich weisen die Prognosen bezüglich der erwerbsfähigen Bevölkerung in die gleiche Richtung. Die Etablierung von Fachkarrieren in Unternehmen ist eine wirksame Strategie, um exzellente Fachkräfte heranzubilden, ihnen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung zu bieten, ihre Motivation zu fördern und zu unterstützen, dass diese wertvollen MitarbeiterInnen dem Unternehmen erhalten bleiben. Wir konnten in den letzten Jahren viele Unternehmen bei der Entwicklung einer Fachkarriere begleiten. Das nachfolgend beschriebene Vorgehen in 10 Schritten hat sich dabei als praktikable Orientierung erwiesen, um Systeme der Fachkarriere zu entwickeln. 1. Definition der Ziele Im Allgemeinen werden mit der Entwicklung von Fachkarrieren mehrere Ziele verfolgt, beispielsweise Innovationsfähigkeit des Unternehmens steigern Attraktivität des Unternehmens am Arbeitsmarkt erhöhen Entwicklung und Nutzung des Expertenwissens verbessern Bindung der MA ans Unternehmen stärken durch Vermehrung der Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen Flexibilität des Personaleinsatzes erhöhen durch Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Karrierewegen (Fach-, Projektleiter- und Führungskarriere) Es ist wesentlich, dass jedes Unternehmen für sich definiert, welche Ziele es mit der Fachkarriere erreichen will und auf welche Ziele es den Schwerpunkt legen will, weil dies für die Gestaltung des Systems in weiterer Folge bedeutsam ist. 10 Schritte zur Fachkarriere 1/5
2. Beschreibung der Job-Families und Funktionen, für die es die Möglichkeit einer Fachkarriere geben soll Eine zentrale Frage bei der Entwicklung eines Systems der Fachkarriere ist: In welchen Job- Families benötigen wir Top-ExpertInnen, um zukünftig wettbewerbsfähig zu sein? Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich aus den jeweiligen Kernkompetenzen und den Markt- Bedingungen des Unternehmens. Grundsätzlich kann es für alle qualifizierten Funktionen sinnvoll sein, die besonderen Entwicklungsmöglichkeiten einer Fachkarriere zu eröffnen. Die meisten Unternehmen, die eine Fachkarriere etabliert haben, konzentrieren sich dabei auf jene Berufsbilder, die unmittelbar im Kernprozess des Unternehmens tätig sind. 3. Prozess zur Planung des quantitativen Bedarfes an Expertenfunktionen Im Rahmen eines modernen Talent Managements wird im Zuge des jährlichen Talent Review Prozesses systematisch untersucht, welche MitarbeiterInnen Potenzial für höherwertige Funktionen haben. In Verbindung mit einer vorausschauenden Nachfolgeplanung wird damit auch sichergestellt, dass Schlüsselfunktionen bei Bedarf rasch nachbesetzt werden können. Viele Unternehmen erfassen bei diesen Prozessen jedoch nur die Führungsfunktionen. Wenn ein Unternehmen eine Fachkarriere einführt, geht damit auch einher, dass das Verständnis erweitert wird, welche Funktionen Schlüsselfunktionen des Unternehmens sind. D.h. es wird definiert, welche hochqualifizierten Fach-Funktionen dazu gehören und wie viele das Unternehmen benötigt. Sie werden dann auch in die Nachfolgeplanung einbezogen. Aus diesem jährlichen Planungsprozess ergeben sich die Zielgrößen für das Fachkarriere- System. Dies schützt auch davor, zu viele Experten zu ernennen was deren Status entwerten würde. Sobald die Schlüsselfunktionen definiert sind bzw. Klarheit besteht, für welche Job-Families es eine Fachkarriere geben soll, kann man mit der Gestaltung des Herz-Stückes der Fachkarriere beginnen, der 4. Entwicklung eines Stufenmodelles Dabei geht es um die Fragen: Wie viele Karrierestufen soll es geben? Welche Wertigkeiten haben die Karrierestufen der Fachkarriere im Vergleich zur Führungskarriere? Basis eines guten Stufenmodelles ist klares Set von Kriterien, anhand dessen die Stufen klar differenziert werden können. Als Bezugsrahmen eignet sich z.b. die Beschreibung der strategischen, organisatorischen, fachlichen und ergebnisrelevanten Bedeutung der Funktionen auf jeder Stufe. Jeder Stufe müssen typische Verantwortungen, Aufgaben und Anforderungskriterien zugeordnet werden. Durch die Beschreibung der Verantwortung der ExpertInnen auf den einzelnen Karrierestufen wird deren Bedeutung für das Unternehmen transparent. Je mehr Stufen es gibt, desto mehr Karriere-Schritte kann das Unternehmen anbieten aber desto schwieriger wird es in der Praxis auch, wirklich trennscharf zwischen den einzelnen Stufen zu unterscheiden. Eine häufige Praxis ist die Eröffnung von 3 Karrierestufen und ihre Bezeichnung z.b. als Professional, Expert und Senior Expert. 10 Schritte zur Fachkarriere 2/5
5. Zuordnung der Karrierestufen zu Stufen bzw. Bandbreiten des Gehaltssystems, Festlegung eines Anreizsystems Die Attraktivität einer Fachkarriere ist in hohem Maß davon abhängig, wie sehr das Anreizund Entgeltsystem an das der Führungskarriere angepasst wurde. Es muss damit auch Transparenz hergestellt werden, welche Karrierestufe der Führungskarriere welcher Stufe der Fach- oder Projektleiterkarriere entspricht. Nicht unüblich ist, dass beispielsweise mit der höchsten ExpertInnen-Stufe die gleichen Gehaltsstufe wie ein/e AbteilungsleiterIn erreichbar ist. Die Spitzenfunktionen im Unternehmen (Geschäftsführung, Ergebnisverantwortung für Geschäftsbereiche) werden aber immer Führungsfunktionen sein. Daraus folgt auch, dass die Fachkarriere und die Führungskarriere in monetärer Hinsicht insgesamt niemals völlig gleichwertig sein werden. 6. Festlegung der Statussymbole, Angleichung an Stufen der Führungskarriere Von großer Bedeutung für die Akzeptanz eines Fachkarriere-Systems ist die gleichwertige Behandlung der ExpertInnen in Bezug auf alle Fragen, die den Status, das Ansehen, die Wertigkeit und die Wertschätzung betreffen. Eine besondere Rolle kommt dabei der Einbindung in den Informationsfluss zu sowie der Einladung zu Events, Meetings, die vormals nur Führungskräften vorbehalten waren. Dadurch lässt sich eine win-win-situation herstellen: Die Integration der Fach-Experten fördert deren Wertschätzung, gleichzeitig können diese dadurch ihre Expertise besser einbringen und für das Unternehmen nutzbar machen. 7. Potenzialerkennung, Aufstieg und Karrierewege: Potenzialerkennung ist grundsätzlich ein Führungsaufgabe, daher liegt die Hauptverantwortung für die Identifikation von möglichen KandidatInnen für eine Fachkarriere beim/bei der direkten Vorgesetzten. Die regulären Instrumente der Beurteilung und Förderung, insbesondere das Mitarbeitergespräch, sind dazu geeignet. Einige Voraussetzungen und flankierende Maßnahmen sind jedoch seitens HR zu schaffen, damit Führungskräfte ihre Entscheidungen gut treffen können: ein klares Bild über Möglichkeiten und prototypische Verläufe einer Fachkarriere, um möglichen KandidatInnen eine klare Perspektive geben zu können unterstützende Instrumente für die Selbsteinschätzung interessierter KandidatInnen, z.b. ein Self Assessment, Tests, strukturiertes Feedback, Coaching oder ein 360 -Feedback Instrumente zur Objektivierung der Entscheidung durch neutrale Dritte, insbesondere Förder-Assessment Center oder Hearing Foren und Gremien, in denen gemeinsam mit anderen Führungskräften die Vorschläge für KandidatInnen gesichtet und besprochen werden können 10 Schritte zur Fachkarriere 3/5
8. Entwicklungsmaßnahmen, Weiterbildung auf den einzelnen Karrierestufen Wertschätzung für ExpertInnen wird auch über das Angebot spezifischer Aus- und Weiterbildung ausgedrückt. Weiterbildung für persönliche und soziale Kompetenz kann gemeinsam mit Führungskräften erfolgen dies fördert gleichermaßen Wertschätzung, Begegnung und Informationsfluss zwischen Fach- und Führungskräften. Insbesondere im Rahmen der fachlichen Weiterbildung sollte das Prinzip der Selbstverantwortung handlungsleitend sein: Da es ja Aufgabe der Fach-ExpertInnen ist, das Unternehmen fachlich voranzutreiben, müssen sie auch selbst die Inhalte und Formen ihrer eigenen fachlichen Weiterbildung bestimmen können! Einige Unternehmen stellen ihnen deshalb Weiterbildungsbudgets zur Verfügung, über die sie selbst entscheiden können. 9. Klärung des Zusammenspieles der Rollen von Fach- und Führungskräften Damit das Zusammenspiel von Fach-ExpertInnen und Führungskräften optimal funktioniert, braucht es Rollenklarheit und gute Führungskompetenz: Die Verantwortungen und Befugnisse der Fach-ExpertInnen müssen klar formuliert sein, damit diese optimal wirksam werden können. Von Führungskräften ist eine hohe persönliche Autorität und Reife, aber auch Konfliktfähigkeit gefordert: Es geht darum, MitarbeiterInnen zu führen, die ihnen in fachlicher Hinsicht überlegen sind und auch von externen Stellen als ExpertInnen wahrgenommen werden. Sie müssen es schaffen, diese MitarbeiterInnen zu fördern, ohne sich dadurch in ihrer Führungsrolle bedroht zu fühlen. Sie müssen aber auch in der Lage sein, MitarbeiterInnen, die für eine Fachkarriere (noch) nicht in Frage kommen, das mit guten Argumenten zu erklären. Wenn das gelingt, erleben die Führungskräfte ein System der Fachkarriere als Unterstützung für ihre eigene Zielerreichung und stellen damit auch sicher, dass das Unternehmen die Ziele erreicht, die es mit der Einführung der Fachkarriere verfolgt. 10. Projektmanagement, Implementierung und Evaluierung Wenn ein Unternehmen eine Fachkarriere entwickelt, geschieht dies am besten im Rahmen eines Projektes. Führungskräfte des/der jeweiligen Fachbereiche/s, die eine Fachkarriere entwickeln wollen und VertreterInnen von HR gestalten gemeinsam das System, in manchen Fällen unterstützt durch externe Beratung. Alle Instrumente und Prozesse, die für das Funktionieren der Fachkarriere wesentlich sind, sind aufs engste verknüpft mit allen anderen HR- Prozessen und Instrumenten, sei dies ein Kompetenzmodell, ein Talent Re-view Prozess, das Gehaltssystem etc. Der wesentliche Nutzen einer externen Beratung liegt darin, good practice Erfahrungen für das eigene Unternehmen zu nutzen. Dies hilft, Fehler zu vermeiden, erleichtert und beschleunigt den Entwicklungsprozess. 10 Schritte zur Fachkarriere 4/5
Je mehr die Energie und der Wille, ein System der Fachkarriere zu gestalten, von den verantwortlichen Führungskräften des Fachbereiches selbst kommt, desto leichter funktioniert in der Regel die Umsetzung. Sehr zu empfehlen ist, kontinuierlich zu beobachten und zu evaluieren, wie gut die mit der Fachkarriere angestrebten Ziele tatsächlich erreicht werden. Dies durch qualitative Einschätzungen und mittels Kennzahlen. Je höher in der Hierarchie die Verantwortung dafür verankert ist, desto besser. Fazit: Unternehmen, deren Wettbewerbsfähigkeit vom Knowhow und der Innovationskraft ihrer Fachexperten abhängt, müssen Wege finden, um diesen besondere Wertschätzung entgegenzubringen. Unsere Erfahrung aus der Beratung vieler Unternehmen zeigt uns, dass die Implementierung von Fachkarrieren ein guter Weg ist. Die Gestaltung von Fachkarrieren ist auch ein Schwerpunktthema im Modul 3 des Trigon HR-Forums 2013, das am 27. 02. 2013 beginnt zum Folder Literatur Biehal, F./ Scheinecker, M. (2006) Fachkarriere, in: Handbuch Personalentwicklung, Hrsg.: Geißler/Laske/Orthey, Deutscher Wirtschaftsdienst. IAB, Institut für Arbeits- und Berufsforschung, H. Brücker (2011). Zuwanderungsbedarf und politische Optionen für die Reform des Zuwanderungsrechts. (3.11.2012) Zum Artikel Statistik Austria: Bevölkerungsprognose Österreich (2012). (8.11.2012) Zur Seite 10 Schritte zur Fachkarriere 5/5