LINEARE ALGEBRA UND ANALYTISCHE GEOMETRIE I (WS 12/13)

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Transkript:

LINEARE ALGEBRA UND ANALYTISCHE GEOMETRIE I (WS 12/13) BERNHARD HANKE 161012 Die Vorlesung Lineare Algebra erstreckt sich über zwei Semester und befasst sich mit folgenden Themen: Lösung linearer Gleichungssysteme Dies ist oft durch konkrete Fragestellungen motiviert und hat Anwendungen in allen Wissenschaften, in denen es um die exakte Berechnung von Größen geht Entwicklung der Theorie der Vektorräume Hier erarbeiten wir eine algebraische Theorie, die eng mit der Lösungstheorie linearer Gleichungssysteme verbunden ist Wir werden viele mathematische Sätze beweisen, die für alle Vektorräume gelten und daher in ganz verschiedenen Situationen Anwendung finden Theorie der linearen Abbildungen Hier geht es um strukturerhaltende Abbildungen zwischen Vektorräumen Diese sind wichtig, um verschiedene Vektorräume in vernünftiger Weise in Beziehung zu setzen Matrixrechnung Lineare Abbildungen können vollständig durch sogenannte Matrizen beschrieben werden In dieser Vorlesung wird der Matrixkalkül einen breiten Raum einnehmen Analytische Geometrie Aus mathematischer Sicht ist dies einer der attraktivsten und wichtigsten Aspekte der Vorlesung Untersucht wird die Geometrie von Punkten, Geraden, Ebenen und ihrer höherdimensionalen Verallgemeinerungen Diese Objekte können als Lösungsmengen von linearen Gleichungssystemen aufgefasst werden Die geometrische Vorstellung der Lagebeziehungen dieser Objekte im dreidimensionalen Raum wird dabei auf beliebige Dimensionen verallgemeinert Die Beschreibung von geometrischen Operationen wir Spiegelungen und Drehungen mittels Matrizen spielt hier eine wichtige Rolle 1 Lineare Gleichungssysteme, der Gauß sche Algorithmus Auf einer Augsburger Semesteranfangsparty soll das Getränk Goaß n Mass gemixt werden Die Zutaten sind Weißbier (5%), Kirschlikör (30%), Cola mit Rum (10%) Wir stellen uns folgende Fragen: Welche Menge von jeder Zutat wird benötigt, um ein ein Liter Getränk mit einem Alkoholgehalt von 20% zu erhalten? Gibt es mehrere Lösungen dieses Problemes oder nur eine? Wie kann die Gesamtheit der Lösungen beschrieben werden? 1

Wir bezeichnen die Menge von Weißbier (in Litern) mit w, von Kirschlikör mit k und von Cola mit c und erhalten folgendes Gleichungssystem: (I) w + k + c = 1 (II) 5w + 30k + 10c = 20 Für obigen Problem müssen wir außerdem w, k, c 0 voraussetzen Subtraktion des Fünffachen der ersten Gleichung von der zweiten und Division durch 5 führt auf 5k + c = 3 und ein Tripel (w, k, c) R 3 liegt genau in der Lösungsmenge des Gleichungssystems, falls (w, k, c) {(4t 2, t, 3 5t) t R} Hier haben wir k = t R als freien Parameter gewählt und daraus die Werte für c und w aus den vorhergehenden Gleichungen berechnet Diese Lösungsmenge beschreibt eine Gerade im Raum Die zusätzliche Bedingung w, k, c 0 führt auf t [ 1, 3 ] Zwei mögliche Rezepte sehen 2 5 also wie folgt aus: Man nehme oder 1/2 Liter Kirschlikör, 1/2 Liter Cola mit Rum, 0 Liter Weißbier 3/5 Liter Kirschlikör, 0 Liter Cola mit Rum, 2/5 Liter Bier Es gibt natürlich noch viele andere Lösungen (eine für jedes t [1/2, 3/5]) Wir konzentrieren uns im folgenden nur auf das durch (I) und (II) gegebene lineare Gleichungssystem ohne die zusätzliche Bedingung w, k, c 0 Es ist interessant, die Lösungen der einzelnen Gleichungen (I) und (II) in einem räumlichen Koordinatensystem mit Koordinaten w, k, c zu veranschaulichen Jede der Gleichungen beschreibt eine Ebene in diesem Koordinatensystem Die Lösungsmenge beider Gleichungen entsteht durch den Schnitt dieser beiden Ebenen und dieser definiert eine Gerade Wir erhalten auf diese Weise eine geometrische Veranschaulichung der Lösungstheorie linearer Gleichungssysteme Diese Betrachtung führt auf den Begriff der Dimension Die Lösungsmenge jeder einzelnen der Gleichungen (I) und (II) ist eine Ebene und somit zweidimensional, denn wir können jeweils zwei Parameter frei wählen (und der dritte ist dann eindeutig bestimmt) Der Schnitt der beiden Ebenen, also die Lösungsmenge des gesamten Gleichungssystems, ist eindimensional Der Dimensionsbegriff spielt in unserer Vorlesung eine wichtige Rolle Es ist klar, dass es bei obigem Gleichungssystem nicht auf die Namen der Variablen w, k, c ankommt Es genügt also, nur die auftretenden Koeffizienten in der sogenannten erweiterten Koeffizientenmatrix ( ) 1 1 1 1 5 30 10 20 zusammenzufassen Jede Zeile dieser Matrix steht dabei für eine Gleichung 2

Wir untersuchen also Gleichungssysteme der Form a 11 x 1 + + a 1n x n = b 1 a 21 x 1 + + a 2n x n = b 2 a m1 x 1 + + a mn x n = b m Dies sind m lineare Gleichungen in n Unbekannten x j R mit Koeffizienten a ij R, b i R, wobei 1 i m, 1 j n Wir sprechen auch von einem linearen Gleichungssystem über R Dieses Gleichungssystem heißt homogen, falls b 1 = b 2 = = b m = 0 Folgende Fragen liegen nahe: Unter welchen Voraussetzungen sind derartige Gleichungssysteme lösbar? Falls Lösungen existieren, welche Struktur hat die Lösungsmenge L R n? Wie kann man L effektiv berechnen? Die lineare Algebra gibt auf diese und viele weitere Fragen sehr befriedigende Antworten Im Allgemeinen ist es hilfreich, den geometrischen Gehalt obiger Gleichungen zu beleuchten Als Illustration betrachten wir die Gleichung 2x 1 + x 2 = 1 über R Diese Gleichung beschreibt eine Gerade durch die Punkte ( 1 2, 0) und (0, 1) im R2 Die Lösungsmenge der Gleichung 0x 1 + 0x 2 = 0 ist der ganze R 2 und die Lösungsmenge der Gleichung 0x 1 + 0x 2 = 1 ist leer Im Allgemeinen ist die Lösungsmenge einer Gleichung a 1 x 1 + + a n x n = b eine Hyperebene im R n, falls mindestens ein a j 0, j = 1,, n Diese Hyperebenen sind gewisse (n 1)-dimensionale Teilräume im R n (d h Geraden, falls n = 2, Ebenen, falls n = 3 etc) Die Lösungsmenge des gesamten Gleichungssystems ist der Schnitt solcher Hyperebenen (eine für jede Gleichung) Im Allgemeines sollte die Lösungsmenge eines linearen Gleichungssystems aus m Gleichungen in n Unbestimmten die Dimension n m haben Was dies genau bedeutet, werden wir später in der Vorlesung sehen 171012 Wir beschreiben den folgenden Algorithmus zur Lösung linearer Gleichungssysteme, das sogenannte Gaußsche Eliminationsverfahren Der Übersichtlichkeit halber fassen wir wieder die Koeffizienten a ij R des obigen Systems zur Koeffizientenmatrix A := (a ij ) 1 i m, 1 j n := a 11 a 12 a 1n a 21 a 22 a 2n a m1 a m2 a mn mit m Zeilen und n Spalten zusammen Wir sprechen auch von einer (m n)-matrix Wir betrachten daneben auch die erweiterte Koeffizientenmatrix a 11 a 12 a 1n b 1 a (A b) := 21 a 22 a 2n b 2, a m1 a m2 a mn b m 3

also eine (m (n + 1))-Matrix Wir werden später Matrizen im Zusammenhang mit linearen Abbildungen noch genauer untersuchen Hier dienen sie nur der bequemen Notation Es ist klar, dass jede (m (n + 1))-Matrix die erweiterte Koeffizientenmatrix genau eines lineares Gleichungssystems mit m Gleichungen und n Unbekannten ist Wir betrachten nun die folgenden Operationen, genannt elementare Zeilenumformungen, auf der erweiterten Koeffizientenmatrix: Vertauschung zweier Zeilen Addition des λ-fachen der i 1 -ten Zeile zur i 2 -ten Zeile, wobei λ R und 1 i 1, i 2 m, i 1 i 2 Diese ändern die Lösungsmenge des zugrunde liegenden Gleichungssystems nicht: Proposition 11 Angenommen, die erweiterten Koeffizientenmatrizen (A b) und (A b ) gehen durch elementare Zeilenumformungen auseinander hervor Dann stimmen die Lösungsmengen der entsprechenden linearen Gleichungssysteme überein Beweis Dies ist offensichtlich bei der Vertauschung zweier Zeilen, denn dann werden einfach zwei Gleichungen vertauscht Angenommen (x 1,, x n ) löst das System (A b), und (A b ) gehe aus (A b) durch Addition des λ-fachen der i 1 -ten zur i 2 -ten Zeile hervor Dann lautet die neue i 2 -te Gleichung: (λa i1 1 + a i2 1)x 1 + + (λa i1 n + a i2 n)x n = λb i1 + b i2 Da (x 1,, x n ) die i 1 -te und die i 2 -te Gleichung löst, ist aber (x 1,, x n ) auch eine Lösung dieser neuen Gleichung Damit ist die Lösungsmenge des Gleichungssystems zu (A b) in dem zu (A b ) enthalten Die andere Inklusion zeigt man analog, denn (A b) entsteht durch Addition des ( λ)-fachen der i 1 -ten Zeile zur i 2 -ten Zeile aus (A b ) Die elementaren Zeilenumformungen sind deshalb nützlich, weil man mit ihrer Hilfe jedes lineare Gleichungssystem in Zeilenstufenform bringen kann Definition Ein lineares Gleichungssystem ist in Zeilenstufenform, falls die (nicht erweiterte) Koeffizientenmatrix A in Zeilenstufenform vorliegt: Entweder hat diese Matrix nur 0 als Einträge oder es gibt ein 1 r m und eine Folge 1 j 1 < j 2 < < j r n mit den folgenden Eigenschaften: Für alle 1 i r gilt a ij = 0, falls j < j i Für alle 1 i r gilt a iji 0 Es gilt a ij = 0, falls i > r Insbesondere sind alle Zeilen unterhalb der r-ten Zeile gleich 0 Die von Null verschiedenen Elemente a iji, i = 1,, r heißen Pivotelemente des Gleichungssystems, bzw der Koeffizientenmatrix Proposition 12 Jedes lineare Gleichungssystem lässt sich durch elementare Zeilenumformungen auf Zeilenstufenform bringen Beweis Falls die Koeffizientenmatrix A nur 0 als Einträge hat, sind wir schon fertig Andernfalls wählen wir einen minimalen Spaltenindex j 1, 1 j 1 n, mit der Eigenschaft, dass es einen Zeilenindex i 1 {1,, m} gibt mit a i1 j 1 0 Wir vertauschen nun in (A b) die erste mit der i 1 -ten Zeile Dann ist der j 1 -te Eintrag der ersten Zeile ungleich 0 und alle Einträge in der Matrix A links von der j 1 -ten Spalte sind gleich 0 Indem wir in (A b) geeignete Vielfache 4

der ersten zur zweiten bis m-ten Zeile addieren, machen wir alle a ij1 zu Null, falls i > 1 Dieses Verfahren wiederholen wir für die Teilmatrix von (A b) bestehend aus der zweiten bis zur m-ten Zeile Ist ein lineares Gleichungssystem in Zeilenstufenform gegeben, so lässt sich dieses sehr einfach lösen Angenommen es existiert ein b i 0 mit i > r Dann ist die Lösungsmenge leer Andernfalls bestimmen wir die Lösungsmenge wie folgt: Für jede beliebige Wahl der n r Zahlen x j R für 1 j n, j j 1, j 2,, j r ( freie Parameter ) existiert genau eine Wahl der verbleibenden Komponenten x j1,, x jr, so dass (x 1,, x n ) das Gleichungssystem löst Denn durch die r-te Gleichung ist wegen a rjr 0 und a rj = 0 für j < j r die Komponente x jr eindeutig durch die Zahlen x jr+1,, x n, b r festgelegt: x jr = 1 a rjr (b r a r jr+1x jr+1 a rn x n ) Danach legt die (r 1)-te Gleichung die Komponente x jr 1 der Lösung eindeutig fest und so weiter Umgekehrt sind natürlich durch jede Lösung (x 1,, x n ) des Gleichungssystems die Komponenten x j, j j 1,, j r eindeutig bestimmt Damit gilt: Satz 13 Es sei wie oben ein lineares Gleichungssystem über R in Zeilenstufenform gegeben Es sei L R n die Lösungsmenge Dann existiert eine eineindeutige Beziehung zwischen Elementen von R n r und von L: Zu jedem (n r)-tupel (λ 1,, λ n r ) R n r können wir die eindeutig bestimmte Lösung (x 1,, x n ) des Gleichungssystems berechnen, bei der die freien Parameter x j, j j 1,, j r gleich λ 1,, λ n r gesetzt wurden Umgekehrt bestimmt jedes n-tupel (x 1,, x n ) L eindeutig die Komponenten x j, j j 1,, j r, und damit die freien Parameter λ 1,, λ n r Dieses Theorem erlaubt es, die Lösungsmenge des Gleichungssystems in der sogenannten Parameterform anzugeben, bei der die Lösungen in Abhängigkeit von den freien Parametern λ 1,, λ n r aufgeschreiben werden Da wir jedes lineare Gleichungssystem auf Zeilenstufenform bringen können ohne die Lösungsmenge zu ändern, haben wir somit eine effiziente Methode gefunden, beliebige lineare Gleichungssystem zu lösen Als Beispiel betrachten wir das lineare Gleichungssystem 3x 6 + x 7 = 2 2x 2 + 4x 4 + 6x 5 + 5x 7 = 3 2x 2 + x 3 + 7x 4 + 8x 5 + x 6 + 5x 7 = 4 2x 2 + 4x 4 + 6x 5 + 3x 6 + 6x 7 = 5 über R Dieses hat die erweiterte Koeffizientenmatrix (A b) := 0 0 0 0 0 3 1 2 0 2 0 4 6 0 5 3 0 2 1 7 8 1 5 4 0 2 0 4 6 3 6 5 5

Durch elementare Zeilenumformungen wird daraus die erweiterte Koeffizientenmatrix 0 2 0 4 6 0 5 3 0 0 1 3 2 1 0 1 0 0 0 0 0 3 1 2, 0 0 0 0 0 0 0 0 deren (nicht erweiterte) Koeffizientenmatrix in Zeilenstufenform vorliegt Die Lösungsmenge L dieses Gleichungssystems ist in Parameterform gegeben durch λ 1 3 2λ 2 2 3λ 3 5λ 2 4 1 3λ 3 2 2λ 3 + 1λ 3 4 L = λ 2 λ 1, λ 2, λ 3, λ 4 R R 7, λ 3 2 1λ 3 3 4 λ 4 wobei wir die Elemente in R 7 als Spaltenvektoren schreiben 231012 Aus unseren allgemeinen Betrachtungen über das Gaußsche Eliminationsverfahren erhalten wir folgende Aussage, die wir später benötigen Korollar 14 Es sei ein homogenes lineares Gleichungssystem bestehend aus m Gleichungen mit n Unbestimmten gegeben Falls m < n, so besitzt dieses Gleichungssystem mindestens eine Lösung ungleich (0,, 0) R n Beweis Ist das Gleichungssystem auf Zeilenstufenform gebracht, so muss es wegen m < n mindestens einen freien Parameter λ j, 1 j n geben Wenn wir für diesen einen Wert ungleich 0 in R wählen, erhalten wir eine Lösung des Gleichungssystems der geforderten Art Es tauchen die folgenden theoretischen Fragen auf: Ist die Zahl n r der freien Parameter (d h die Anzahl r der Pivotelemente) durch das Gleichungssystem eindeutig festgelegt? Oder könnte es sein, dass verschiedene Verfahren, das ursprüngliche Gleichungssystem auf Zeilenstufenform zu bringen, zu unterschiedlichen Anzahlen von Pivotelementen führen? Kann man obiger Zuordnung, die ein (n r)-tupel von freien Parametern (λ 1,, λ n r ) auf die entsprechende Lösung des linearen Gleichungssystems abbildet, eine konkretere algebraische Struktur geben? Diese Fragen beantworten wir mit der Theorie der Vektorräume Innerhalb dieser Theorie können wir unter anderem die algebraische Struktur klären, die hinter linearen Gleichungssystemen und ihren Lösungen steckt 2 Wiederholung einiger Grundbegriffe: Relationen und Abbildungen Definition Es seien X und Y Mengen Eine Relation zwischen X und Y ist eine Teilmenge R X Y Ist hier X = Y, so sprechen wir auch von einer Relation auf X 6

Erfüllt ein Paar (x, y) X Y eine gegebene Relation R (d h (x, y) R), so schreibt man auch R(x, y) oder noch häufiger xry Beispiel Es sei X die Menge der Hörer Lineare Algebra I, Y die Menge der Matrikelnummern an der Universität Augsburg, Z die Menge der Tutorgruppen zur Linearen Algebra I Wir definieren Relationen R 1 := {(x, y) X Y x hat Matrikelnummer y} X Y R 2 := {(x, z) X Z x ist in Tutorgruppe z} X Z Die Relation {(x, y) N N α N mit x + α = y} N N auf N wird üblicherweise mit bezeichnet Erfüllt ein Paar (x, y) diese Relation, so schreibt man x y (Bei uns ist immer 0 N) Wir definieren nun Abbildungen als eine spezielle Art von Relationen: Definition Eine Relation R X Y zwischen X und Y heißt Abbildung oder Funktion von X nach Y, falls für jedes Element x X genau ein Element y Y existiert, so dass (x, y) R In diesem Fall heißt X Definitionsbereich (oder Quelle) und Y der Wertebereich (oder Ziel) von R Diese müssen bei einer Abbidung immer mit angegeben werden Man kann sich eine Abbildung von X nach Y anschaulich als eine Vorschrift vorstellen, die jedem Element aus X (genau) ein Element aus Y zuordnet Ist R X Y eine Abbildung, so nennt man R auch den Graph dieser Abbildung Diesen kann man übersichtlich in einem X-Y -Diagramm darstellen Abbildungen bezeichnet man in der Regel mit Kleinbuchstaben Ist die Relation f X Y eine Abbildung von X nach Y, so schreiben wir f : X Y oder auch X f Y und ist in dieser Situation (x, y) f, so schreiben wir f(x) = y, f : x y oder auch x f y Nach Definition sind zwei Abbildungen f, g : X Y genau dann gleich (d h f und g sind durch die gleiche Teilmenge von X Y gegeben), falls f(x) = g(x) für alle x X gilt Beispiel Von den Relationen {(x, y) {1} N y = 1} {1} N {(x, y) N N x = 1} N N {(x, y) N N y = 1} N N ist die erste eine Abbildung {1} N, die dritte eine Abbildung N N, aber die zweite keine Abbildung N N Die Relation definiert keine Abbildung N N Von obigen Relationen R 1 und R 2 ist die erste eine Abbildung, aber die zweite nur dann, wenn sich jeder Hörer zu einer (und nur einer) Tutorgruppe angemeldet hat 7

Relationen und Abbildungen kann man gut durch (Pfeil-)Diagramme darstellen Für jede Menge X gibt es eine besonders einfache Abbildung, die Identität auf X: id X : X X, x x Sind f : X Y und g : Y Z Abbildungen, so bezeichnen wir die Komposition oder Hintereinanderausführung von g und f mit g f : X Z x (g f)(x) := g(f(x)) Ist f : X Y eine Abbildung und A X eine Teilmenge, so bezeichnet f A : A Y, a f(a), die Einschränkung von f auf A Definition Es seien X und Y Mengen und f : X Y eine Abbildung f heißt injektiv, falls für alle x, y X mit x y immer f(x) f(y) gilt f heißt surjektiv, falls für alle y Y ein x X mit f(x) = y existiert f heißt bijektiv oder eineindeutig, falls f injektiv und surjektiv ist Beispiel Die oben definierte Abbildung R 1 : X Y ist injektiv, aber nicht surjektiv Wenn sich alle Hörer zu einer Tutorgruppe angemeldet haben, ist die Abbildung R 2 : X Z surjektiv (da alle Tutorgruppen mindestens einen Teilnehmer haben), aber nicht injektiv (da manche Tutorgruppen mehr als einen Teilnehmer haben) Es sei (A b) ein lineares reelles Gleichungssystem mit m Gleichungen und n Unbekannten in Zeilenstufenform Es sei L R n die Lösungsmenge dieses Gleichungssystems Die Matrix A habe r von 0 verschiedene Zeilen Dann ist die in Satz 13 definerte Abbildung R n r L, die jeder Wahl (λ 1,, λ n r ) von freien Parametern die entsprechende Lösung in L zuordnet, bijektiv Definition Es sei f : X Y eine Abbildung Für A X heißt f[a] := {y Y a A mit f(a) = y} Y das Bild von A unter f Falls A = X, so nennen wir f[a] einfach das Bild von f, geschrieben Bild f oder im f Für B Y heißt das Urbild von B unter f f 1 [B] := {x X f(x) B} X Eine Abbildung f : X Y ist also genau dann injektiv (surjektiv, bijektiv), falls für alle y Y die Urbildmenge f 1 [{y}] X aus höchstens (mindestens, genau) einem Element besteht Der Übergang zum Urbild ist mit Mengenoperationen verträglich, d h ist f : X Y eine Abbildung und sind A, B Y, dann gilt f 1 [A B] = f 1 [A] f 1 [B] f 1 [A B] = f 1 [A] f 1 [B] 8

f 1 [A \ B] = f 1 [A] \ f 1 [B] Beim Übergang zum Bild muss man aber aufpassen: Sind A, B X, so gilt zwar immer noch f[a B] = f[a] f[b], aber im allgemeinen ist f[a B] eine echte Teilmenge von f[a] f[b] und f[x \ A] eine echte Obermenge von f[x] \ f[a] Man mache sich dies an einfachen Beispielen klar! Ist f : X Y eine Abbildung, so definiert A f[a] (Übergang zum Bild) eine Abbildung P(X) P(Y ), wobei P(X) := {A A X} die Potenzmenge von X ist, also die Menge aller Teilmengen von X Analog definiert B f 1 [B] (Übergang zum Urbild) eine Abbildung P(Y ) P(X) 241012 Die Komposition von Abbildungen ist assoziativ: Sind f : X Y, g : Y Z und h : Z T Abbildungen, so gilt h (g f) = (h g) f Für den Beweis müssen wir zeigen, dass für alle x X die Gleichung (h (g f))(x) = ((h g) f)(x) gilt Aber die linke Seite ist gleich h((g f)(x)) = h(g(f(x))) und die rechte Seite gleich (h g)(f(x)) = h(g(f(x))), also sind beide Seiten gleich Proposition 21 a) Es seien f : X Y und g : Y X Abbildungen, so dass g f = id X Dann ist f injektiv und g surjektiv b) Eine Abbildung f : X Y ist genau dann bijektiv, falls es eine Abbildung g : Y X gibt, so dass g f = id X, f g = id Y Beweis Zu a): Seien x, x X mit f(x) = f(x ) Es folgt x = id(x) = g(f(x)) = g(f(x )) = id(x ) = x Damit ist f injektiv Sei nun x X Nach Annahme ist dann g(f(x)) = x und somit ist g surjektiv, denn f(x) ist ein Urbild von x unter g Zu b): Aus a) folgt, dass f bijektiv ist, falls eine Abbildung g mit den Eigenschaften f g = id Y und g f = id X existiert Es sei nun umgekehrt f bijektiv Ist y Y, so gibt es also genau ein x X mit f(x) = y Wir definieren g(y) := x Dies definiert eine Abbildung g : Y X Die Eigenschaft, dass f g(y) = y für alle y Y, folgt aus der Konstruktion von g, denn g(y) war ja gerade so gewählt, dass f(g(y)) = y Für die Gleichung g f = id X sei x X beliebig Wir betrachen y := f(x) Y und beachten, dass dann (trivialerweise) x X die Gleichung f(x) = y erfüllt Nach Konstruktion von g haben wir also g(f(x)) = g(y) = x In der Situation der letzten Proposition, Teil b), bezeichnet man die Abbildung g mit f 1 : Y X und nennt diese Abbildung die Umkehrabbildung von f Man beachte, dass dann f 1 zwei Bedeutungen hat, einmal als Umkehrabbildung wie eben, und einmal als Vorschrift, die für jede Teilmenge B Y die Urbildmenge f 1 [B] X berechnet Dies wird an der Gleichung f 1 [{y}] = {f 1 (y)} für alle y Y deutlich Sind X und Y Mengen, so bezeichnen wir mit Y X oder auch mit Abb(X, Y ) die Menge aller Abbildungen X Y Die Schreibweise Y X kommt daher, dass man das n-fache kartesische 9

Produkt X n = X X X (n Faktoren) mit der Menge aller Abbildungen {1, 2, 3,, n} X identifizieren kann, wobei (x 1,, x n ) X n der Abbildung φ : {1,, n} X mit φ(i) := x i entspricht Allgemeiner ist folgender Gesichtspunkt nützlich: Sind I und X Mengen, so können wir die Menge X I aller Abbildungen I X als die Menge der geordneten Tupel in X auffassen, die mit Hilfe der Elemente aus I indiziert sind Konkret entspricht dann eine Abbildung Φ : I X einer Familie (x i ) i I, wobei wir x i := φ(i) setzen 3 Reelle Vektorräume Definition Ein reeller Vektorraum oder auch R-Vektorraum besteht aus einer Menge V, einem Element 0 V und zwei Verknüpfungen (d h Abbildungen) + : V V V, : R V V, genannt Addition und Skalarenmultiplikation, so dass folgende Axiome erfüllt sind: Für alle u, v, w V und alle λ R gilt (u + v) + w = u + (v + w) (Assoziativität der Addition), v + w = w + v (Kommutativität der Addition), 0 + v = v (neutrales Element für die Addition), es existiert ein z V mit v + z = 0 (additive Inverse), 1 v = v (neutrales Element der Skalarenmultiplikation), (λ + µ) v = λ v + µ v (erstes Distributivgesetz), λ (v + w) = λ v + λ w (zweites Distributivgesetz), (λ µ) v = λ (µ v) (Assoziativgesetz der Skalarenmultiplikation) Die Elemente eines Vektorraumes nennt man Vektoren, die Elemente von R in diesem Kontext Skalare Ist v V, so gibt es genau ein dazu inverses Element z V Denn ist z V ebenfalls invers zu v, so rechnen wir z = 0 + z = z + 0 = z + (v + z ) = (z + v) + z = (v + z) + z = 0 + z = z Das eindeutig bestimmte additive Inverse zu v wird im Folgenden mit v bezeichnet Anstatt u + ( v) schreiben wir wie üblich u v In Vektorräumen gelten noch einige weitere Rechenregeln, die wir in den Tutorien besprechen Beispiel R ist mit den Verknüpfungen + (Addition) und (Multiplikation) selbst ein R- Vektorraum Die einelementige Menge {0} mit den Verknüpfungen 0 + 0 := 0 und λ 0 := 0 für alle λ R ein reeller Vektorraum, genannt Nullvektorraum Diesen bezeichnen wir auch mit dem Symbol 0 Die Menge R n ist mit den komponentenweisen Verknüpfungen und dem Nullelement (x 1,, x n ) + (y 1,, y n ) := (x 1 + y 1,, x n + y n ) λ (x 1,, x n ) := (λx 1,, λx n ) 0 := (0,, 0) 10

ein reeller Vektorraum Dieser Vektorraum wird uns sehr häufig begegnen Er heißt auch n-dimensionaler Koordinatenraum Oft schreiben wir die Elemente von R n auch in Spaltenform Wir definieren noch R 0 := 0 als den Nullvektorraum über R Es sei R m n die Menge der (m n)-matrizen mit reellen Einträgen Hier erhalten wir durch komponentenweise Addition und Skalarenmultiplikation ebenfalls die Struktur eines Vektorraumes Ist I eine nichtleere Menge, so ist die Menge der Abbildungen R I = {(x i ) i I x i R} mit der komponentenweisen Verknüpfung ein Vektorraum Da in einem reellen Vektorraum die Addition assoziativ ist, ist für alle v 1,, v r V und λ 1,, λ r R der Ausdruck r λ i v i = λ 1 v 1 + + λ r v r V i=1 ohne Klammersetzung eindeutig definiert (wie üblich rechnen wir Punkt vor Strich) Das Gleiche gilt für λ 1 λ r v, falls v V (wegen der Assoziativität der Skalarenmultiplikation) Definition Es sei V ein R-Vektorraum und W V eine Teilmenge Wir nennen W einen Untervektorraum von V, falls x + y W für alle x, y W, λ w W für alle λ R und w W, 0 W Man sagt auch, W ist abgeschlossen unter Addition und Skalarenmultiplikation Ein Untervektorraum von V ist also mit den Verknüpfungen von V selbst wieder ein Vektorraum Das folgende Beispiel ist fundamental Proposition 31 Es sei ein homogenes lineares Gleichungssystem mit n Unbestimmten über R gegeben Dann ist die Lösungsmenge dieses Gleichungssystems ein Untervektorraum von R n Der (einfache) Beweis erfolgt in den Übungen 301012 Definition Es sei V ein reeller Vektorraum und (v i ) i I eine Familie von Vektoren aus V (dabei ist I eine beliebige Indexmenge) Eine Linearkombination dieser Vektoren ist eine Summe der Gestalt λ i v i V i I wobei alle λ i R und nur endlich viele λ i ungleich 0 sind (Falls I endlich ist, zum Beispiel I = {1,, r}, ist diese Bedinung natürlich automatisch erfüllt) Ist V ein Vektorraum und S V eine beliebige Teilmenge, so ist in der Regel S kein Untervektorraum von V Es gibt aber einen besten Untervektorraum, den man aus S konstruieren kann Dazu setzen wir, falls S, span(s) := {v V v ist Linearkombination aus Vektoren in S} V Ist S =, so setzen wir span(s) := {0} V Entsprechend definieren wir span(v i ) i I := span{v i i I} 11

Proposition 32 a) Für alle S V ist span(s) V ein Untervektorraum b) Ist W V ein Untervektorraum mit S W, so gilt span(s) W Mit anderen Worten: span(s) ist der kleinste Untervektorraum von V, der die Menge S enthält Beweis Nach Konstruktion ist 0 span(s) und jede Linearkombination von Vektoren aus span(s) ist wieder in span(s) enthalten Daher ist span(s) wirklich ein Untervektorraum von V Umgekehrt muss jeder Untervektorraum W V, der die Menge S enthält, auch jede Linearkombination aus Elementen aus S enthalten Daher gilt span(s) W Wir nennen span(s) den von S erzeugten oder aufgespannten Untervektorraum von V Der Beweis der nächsten Aussagen erfolgt in den Übungen Proposition 33 Es sei V ein Vektorraum und (W i ) i I sei eine Familie von Untervektorräumen Dann ist W i V ebenfalls ein Untervektorraum Sei S V Dann gilt span(s) = i I S W,W V Untervektorraum Definition Es sei V ein Vektorraum und (v i ) i I eine Familie aus Vektoren in V Wir nennen (v i ) i I linear unabhängig, falls folgendes gilt: Ist eine Linearkombination i I λ iv i = 0, so gilt λ i = 0 für alle i I Ist (v i ) i I nicht linear unabhängig, so heißt (v i ) i I linear abhängig Wir nennen (v i ) i I ein Erzeugendensystem von V, falls span(v i ) = V In diesem Fall können wir also jeden Vektor aus V als Linearkombination in den v i, i I, schreiben Und schließlich heißt (v i ) i I eine Basis von V, falls (v i ) linear unabhängig und ein Erzeugendensystem ist W Beispiel Es sei eine Matrix A R m n in Zeilenstufenform gegeben Es sei r 0 die Anzahl der von 0 verschiedenen Zeilen Dann sind die Zeilenvektoren (a 11,, a 1n ),, (a r1,, a rn ) linear unabhängig im R n Ebenso sind die Spaltenvektoren a 1j1 a mj1,, a 1jr a mjr linear unabhängig im R m, wobei j 1,, j r die Pivotspalten sind Im R-Vektorraum V := R n setzen wir für i = 1,, n e i := (0,, 0, 1, 0,, 0) V, wobei die 1 genau an der i-ten Stelle steht Dann ist (e 1,, e n ) eine Basis von R n, die sogenannte Standardbasis 12

Die leere Familie ist linear unabhängig, denn für I = ist die Bedingung λ i = 0 für alle i I stets erfüllt Diese Familie ist genau dann eine Basis von V, falls V = {0}, d h falls V der Nullvektorraum ist Wir diskutieren im Folgenden einige wichtige Beziehungen dieser Begriffe Proposition 34 Es sei (v i ) i I eine Familie von Vektoren aus einem reellen Vektorraum V Dann gilt: a) (v i ) ist linear unabhängig jeder Vektor in V kann auf höchstens eine Weise als Linearkombination in den v i dargestellt werden b) (v i ) ist ein Erzeugendensystem von V jeder Vektor in V kann auf mindestens eine Weise als Linearkombination in den v i dargestellt werden c) (v i ) ist eine Basis von V jeder Vektor in V kann in eindeutiger Weise als Linearkombination in den v i dargestellt werden Beweis Angenommen, (v i ) ist linear abhängig Dann kann der Vektor 0 V auf mindestens zwei Arten als Linearkombination in den v i dargestellt werden: Als triviale Linearkombination (alle Koeffizienten gleich Null) und als nichttriviale Linearkombination (mindestens ein Koeffizient von Null verschieden) Es sei nun (v i ) linear unabhängig, v V und v = λ i v i = λ iv i (die Summation ist immer über i I) Subtraktion der Gleichungen führt auf (λ i λ i)v i = 0 und wegen der linearen Unabhängigkeit folgt λ i λ i = 0 für alle i I Teil a) ist damit gezeigt Teil b) folgt direkt aus der Definition von Erzeugendensystem Teil c) folgt aus a) und b) Folgendes Kriterium für lineare Unabhängigkeit ist ebenfalls nützlich Proposition 35 Eine Familie (v i ) i I aus Vektoren des Vektorraums V ist genau dann linear abhängig, falls es ein i 0 I gibt, so dass v i0 als Linearkombination in den v i mit i i 0 geschrieben werden kann, d h v i0 span(v i ) i I,i i0 Insbesondere gilt: Falls I aus nur einem Element besteht, so ist (v i ) i I = (v) genau dann linear unabhängig, falls v 0 Gibt es ein i I mit v i = 0, so ist (v i ) i I linear abhängig Gibt es i, j I mit i j und v i = v j, so ist (v i ) i I linear abhängig Ist I I eine Teilmenge und ist (v i ) i I linear abhängig, so ist auch (v i ) i I linear abhängig Beweis Existiert ein i 0, so dass v i0 = i i λ i v i (falls I \ {i 0 } =, so ist die rechte Seite gleich 0), so haben wir 1 v i0 i i 0 λ i v i = 0 und wegen 1 0 ist (v i ) somit linear abhängig Umgekehrt sei (v i ) linear abhängig, also λ i v i = 0 mit einem i 0 I mit λ i0 0 Indem wir die Gleichung λ i0 v i0 = i i 0 λ i v i durch λ i0 teilen, können wir v i0 als Linearkombination in den v i, i i 0, schreiben Wir haben noch die folgende Charakterisierung von Basen Proposition 36 Es sei (v i ) i I ein Familie von Vektoren in V Dann sind äquivalent: a) (v i ) ist eine Basis von V b) (v i ) ist ein unverkürzbares Erzeugendensystem von V, d h (v i ) ist ein Erzeugendensystem und für jede echte Teilmenge I I ist (v i ) i I kein Erzeugendensystem 13

c) (v i ) ist unverlängerbar linear unabhängig, d h (v i ) ist linear unabhängig, und ist I I eine echte Obermenge, und erweitern wir (v i ) i I zu einer Familie (v i ) i I, so ist (v i ) i I linear abhängig 311012 Beweis Es sei (v i ) eine Basis Dann ist nach Definition (v i ) ein Erzeugendensystem und linear unabhängig Angenommen, (v i ) ist ein verkürzbares Erzeugendensystem Dann existiert eine echte Teilmenge I I, so dass (v i ) i I ebenfalls ein Erzeugendensystem ist Ist i 0 I \ I, so können wir somit v i0 als Linearkombination in den (v i ) i i0 schreiben Dann ist aber (v i ) i I linear abhängig und somit keine Basis Angenommen, (v i ) ist verlängerbar linear unabhängig Dann gibt es eine echte Obermenge I I, so dass (v i ) i I ebenfalls linear unabhängig ist Es sei i 0 I \ I Dann kann v i0 keine Linearkombination in den v i, i I, sein, d h (v i ) i I ist kein Erzeugendensystem und somit keine Basis Die Implikationen a) b) und a) c) sind damit klar Es gelte nun b) Wir wollen zeigen, dass das Erzeugendensystem (v i ) auch linear unabhängig (und somit eine Basis) ist Angenommen (v i ) ist linear abhängig Dann gibt es ein i 0 I, so dass v i0 = i i 0 µ i v i Dann ist aber (v i ) i I\{i0 } ebenfalls Erzeugendensystem von V, denn wegen λ i v i = λ i v i + λ i0 µ i v i i I i i 0 i i 0 ist jede Linearkombination in den v i, i I, auch eine Linearkombination in den v i, i I \{i 0 } Also ist (v i ) i I verkürzbar, im Widerspruch zu b) Schließlich gelte c) Wir wollen zeigen, dass dann (v i ) auch ein Erzeugendensystem (und somit eine Basis) ist Angenommen, dies ist nicht so Dann gibt es ein v V, das nicht Linearkombination der v i, i I ist Wir setzen nun I := I {i 0 } und v i0 := v Wir behaupten, dass (v i ) i I immer noch linear unabhängig ist Sei i I λ i v i = 0 Falls λ i0 0, so können wir diese Gleichung nach v i0 auflösen und somit v i0 doch als Linearkombination in den v i, i I, schreiben Also ist λ i0 = 0 Dann ist aber 0 = i I λ i v i = i I λ iv i und damit auch λ i = 0 für alle i I, denn (v i ) i I ist nach Annahme linear unabhängig Insgesamt ist also (v i ) i I linear unabhängig und somit (v i ) i I doch verlängerbar, im Widerspruch zu c) Die Propositionen 34, 35 und 36 sind fundamental und werden in Zukunft ohne weitere Referenz benutzt Definition Ein Vektorraum V heißt endlichdimensional, falls er ein endliches Erzeugendensystem besitzt Ansonsten heißt er unendlichdimensional Satz 37 (Basisauswahlsatz) Es sei V ein endlichdimensionaler Vektorraum mit Erzeugendensystem (v 1,, v k ) Dann bildet eine Teilfamilie dieser Familie eine Basis von V Insbesondere hat jeder endlichdimensionale Vektorraum eine Basis Beweis Falls die gegebene Familie noch keine Basis ist, so ist sie ein verkürzbares Erzeugendensystem D h wir können ein v i, i = 1,, k, wegnehmen, so dass die verbleibende Familie (v 1,, v i 1, v i+1,, v k ) immer noch ein Erzeugendensystem ist Entweder diese reduzierte Familie ist nun linear unabhängig und somit eine Basis, oder wir wiederholen obiges Argument Nach endlich vielen Schritten erhalten wir auf diesem Weg eine linear 14

unabhängige Familie und somit eine Basis von V, denn spätestens nach k Schritten sind wir bei der leeren Familie angekommen und diese ist linear unabhängig Dieser Beweis funktioniert nicht, wenn das gegebene Erzeugendensystem von V nicht endlich ist: Wenn wir eine unendliche Menge um ein Element reduzieren, so bleibt diese Menge unendlich und der Prozess des schrittweisen Verkleinerns eines gegebenen Erzeugendensystems resultiert möglicherweise nie in einer linear unabhängigen Familie Zum Basisauswahlsatz gibt es ein Gegenstück, den Basisergänzungssatz Das nächste, wichtige Resultat bildet das Fundament dazu Proposition 38 Es sei V ein endlichdimensionaler R-Vektorraum mit einem Erzeugendensystem (v 1,, v n ) der Länge n (falls n = 0, meinen wir hier die leere Familie) Dann ist jede Familie in V der Länge größer oder gleich n + 1 linear abhängig Beweis Es genügt zu zeigen, dass jede Familie (w 1,, w n+1 ) linear abhängig ist Nach Voraussetzung an die Familie (v 1,, v n ) hat jeder der Vektoren w i, i = 1,, n + 1, eine Darstellung der Form w i = λ 1i v 1 + + λ ni v n mit λ 1i,, λ ni R Wir studieren die Gleichung µ 1 w 1 + + µ n+1 w n+1 = 0, wobei wir µ 1,, µ n+1 als Unbekannte in R betrachten Setzen wir die obigen Darstellungen der w i ein, so erhalten wir nach Umstellen die Gleichung ( µ1 λ 11 + + µ n+1 λ 1 n+1 ) v1 + + ( µ 1 λ n1 + + µ n+1 λ n n+1 ) vn = 0 Diese Gleichung ist sicher erfüllt, wenn alle Koeffizienten gleich 0 sind Wir formulieren diese Bedingung als lineares Gleichungssystem λ 11 µ 1 + + λ 1 n+1 µ n+1 = 0 λ 21 µ 1 + + λ 2 n+1 µ n+1 = 0 λ n1 µ 1 + + λ n n+1 µ n+1 = 0 mit den Koeffizienten (λ ij ) und Unbestimmten µ 1,, µ n+1 Dies ist ein homogenes Gleichungssystem aus n Gleichungen in den Unbestimmten µ 1,, µ n+1 Da es mehr Unbestimmte als Gleichungen gibt, hat dieses System eine nichttriviale Lösung (µ 1,, µ n+1 ) (0,, 0), vgl Korollar 14 Für diese Koeffizienten µ 1,, µ n+1 gilt dann nach Konstruktion µ 1 w 1 + + µ n+1 w n+1 = 0 Da die Koeffizienten nicht alle gleich 0 sind, ist also die Familie (w 1,, w n+1 ) linear abhängig Wir notieren die folgende wichtige Folgerung: Korollar 39 Es sei V ein endlichdimensionaler Vektorraum Dann sind alle Basen von V endlich und haben die gleiche Länge (d h bestehen aus der gleichen Anzahl an Vektoren) 15

Beweis Es sei (v 1,, v n ) eine Basis von V (falls n = 0, ist dies wieder die leere Familie) Dann ist (v 1,, v n ) insbesondere ein Erzeugendensystem von V Ist nun (w i ) i I ebenfalls eine Basis (also insbesondere linear unabhängig), so ist nach Proposition 38 die Menge I endlich mit I n Würde hier I < n, also I n 1 gelten, würde das gleiche Argument zeigen, dass jede andere Basis ebenfalls höchstens n 1 Elemente haben kann, im Widerspruch dazu, dass nach Annahme (v 1,, v n ) eine Basis ist Also haben alle Basen die Länge n In Buch von Gerd Fischer und vielen anderen Lehrbüchern über lineare Algebra wird dieses Resultat mit Hilfe des Austauschsatzes von Steinitz gezeigt Das obige Argument benutzt hingegen nur die elementare Lösungstheorie linearer Gleichungssysteme basierend auf dem Gaußschen Eliminationsverfahren Definition Es sei V ein R-Vektorraum Falls V endlichdimensional ist, so hat V nach dem Basisauswahlsatz eine endliche Basis (v 1,, v n ) Wir definieren dim V := n als die Dimension von V Falls V nicht endlichdimensional ist, setzen wir dim V := Da alle Basen in einem endlichdimensionalen Vektorraum die gleiche Länge haben, ist diese Definition sinnvoll (d h dim V hängt nicht von der Wahl der Basis ab) Für den Nullvektorraum haben wir dim 0 = 0, denn die leere Familie bildet eine Basis von 0 Ist V ein n-dimensionaler Vektorraum, so wählen wir als Indexfamilie I für Basen von V in der Regel die Menge {1,, n} Dies wird auch durch die (bereits oben verwendete) Tupelschreibweise (v 1,, v n ) deutlich Beispiel Als Beispiel haben wir dim R n (e 1,, e n ) des R n hat die Länge n = n für alle n N, denn die Standardbasis 61112 Satz 310 (Basisergänzungssatz) Es sei V ein endlichdimensionaler Vektorraum der Dimension n und (v 1,, v k ) eine linear unabhängige Familie Dann gilt: k n Falls k = n, so ist die gegebene Familie bereits eine Basis von V Falls k < n, so lässt sich diese Familie durch weitere Vektoren v k+1,, v n V zu einer Basis von V ergänzen Beweis Die Aussage k n haben wir bereits in Proposition 38 gezeigt Falls k = n, so ist (v 1,, v k ) nicht verlängerbar, denn je n + 1 Vektoren in V sind linear abhängig Somit ist (v 1,, v k ) eine Basis Falls k < n, so kann (v 1,, v k ) keine Basis sein, denn alle Basen haben die gleiche Länge Somit ist (v 1,, v k ) verlängerbar linear unabhängig, und wir finden einen Vektor v k+1 V, so dass (v 1,, v k, v k+1 ) linear unabgängig ist Nach genau n k solcher Verlängerungen gelangen wir auf diese Weise zu einer Basis von V Korollar 311 Es sei V ein endlichdimensionaler Vektorraum und W V ein Untervektorraum Dann ist auch W endlichdimensional und es gilt dim W dim V Falls dim W = dim V, so ist W = V 16

Beweis Es sei dim V = n Angenommen, W ist nicht endlichdimensional Dann finden wir eine linear unabhängige Familie (w 1,, w n+1 ) in W Da die Familie (w 1,, w n+1 ) auch in V linear unabhängig ist, haben wir einen Widerspruch zu Proposition 38 Somit muss W doch endlichdimensional sein Es sei (w 1,, w k ) eine Basis von W Diese Familie ist linear unabhängig in V, und somit folgen die weiteren Aussagen des Korollars aus dem Basisergänzungssatz Der letzte Teil des Korollars gilt nicht für unendlichdimensionale Vektorräume Auf dem Übungsblatt findet sich ein Beispiel dazu Korollar 312 Es sei (A 0) ein homogenes lineares Gleichungssystem mit einer Matrix A R m n und L R n die zugehörige Lösungsmenge Dann ist L ein Untervektorraum von R n der Dimension dim L n Wir wollen die Dimension von L noch genauer verstehen Dazu geben wir folgende Definition Definition Es sei A = (a ij ) 1 i m, 1 j n R m n Der Zeilenrang von A, geschrieben ZRang(A), ist definiert als die Dimension des von den Zeilenvektoren von A aufgespannten Untervektorraums des R n : wobei der i-te Zeilenvektor von A ist ZRang(A) = dim span(h 1,, h m ), h i := (a i1,, a in ) R n Proposition 313 Elementare Zeilenumformungen von A verändern den Zeilenrang ZRang(A) nicht Beweis Es seien h 1,, h m R n die Zeilenvektoren von A und W := span(h 1,, h m ) R n der von diesen Zeilenvektoren aufgespannte Untervektorraum des R n Wir zeigen, dass sich W unter elementaren Zeilenumformungen nicht ändert, also: span(h 1,, h i,, h j,, h m ) = span(h 1,, h j,, h i,, h m ) span(h 1,, h i,, h j,, h m ) = span(h 1,, h i,, h j + λh i,, h m ) falls 1 i j m und λ R Die erste Gleichung ist klar Für die zweite beachten wir die Gleichung µ i h i + µ j h j = (µ i µ j λ)h i + µ j (h j + λh i ), um eine beliebige Linearkombination der Vektoren in der linken Familie in eine Linearkombination aus Vektoren in der rechten Familie umzurechnen Dies zeigt die Inklusion Die Inklusion sieht man entsprechend Wenn wir A auf Zeilenstufenform gebracht haben und diese aus r Zeilen ungleich 0 besteht, so haben wir also r = ZRang(A) Da r genau die Anzahl der Pivotelemente ist und die rechte Seite ZRang(A) nur von A abhängt, folgt also: 17

Proposition 314 Ist ein homogenes lineares Gleichungssystem gegeben und bringen wir dieses auf Zeilenstufenform, so hängt die Anzahl der Pivotelemente (d h die Anzahl der von 0 verschiedenen Zeilen) nur vom linearen Gleichungssystem ab, aber nicht von der speziellen Zeilenstufenform Dies beantwortet eine der Fragen, die wir früher zur Struktur der Lösungsmenge linearer Gleichungssysteme gestellt haben, siehe Seite 6 Wir wollen nun verstehen, warum in obiger Situation die Lösungsmenge L R n genau die Dimension n r hat Dazu studieren wir im übernächsten Kapitel lineare Abbildungen zwischen Vektorräumen Wir bemerken zum Abschluss dieses Kapitels, wie man folgende Probleme, die wir theoretisch untersucht haben, auch explizit lösen kann: Es sei ein Erzeugendensystem (v 1,, v k ) eines Untervektorraumes V R n gegeben Gesucht ist eine Teilfamilie dieser Familie, die eine Basis von V bildet (Die Existenz einer solchen Basis ist durch den Basisauswahlsatz gesichert) Das Gaußsche Verfahren kann hierzu effizient eingesetzt werden, da mit seiner Hilfe die Lösungsmenge des Gleichungssystems λ 1 v 1 + + λ k v k = 0 (bestehend aus n Gleichungen und k Unbekannten λ 1,, λ k ) bestimmt werden kann Falls die Familie (v 1,, v k ) linear unabhängig ist, also nur die Lösung (λ 1,, λ k ) = (0,, 0) existiert, so ist die gegebene Familie bereits eine Basis von V Sonst existieren auch Lösungen, wo mindestens ein λ j 0 Der entsprechende Vektor v j kann dann als Linearkombination der verbleibenden Vektoren ausgedrückt und somit aus der gegebenen Familie gestrichen werden Es sei V R n ein Untervektorraum und (v 1,, v k ) eine linear unabhängige Familie in V Man ergänze diese Familie zu einer Basis von V Ein Lösungsverfahren für dieses Problem, basierend auf dem Steinitz schen Austauschsatz, wird in den Übungen hergeleitet 4 Ausblick: Unendlichdimensionale Vektorräume Aus dem Basisauswahlsatz folgt, dass jeder endlichdimensionale Vektorraum eine Basis besitzt Man kann erstaunlicherweise beweisen, dass jeder beliebige Vektorraum eine Basis besitzt Dies wollen wir in diesem Abschnitt kurz diskutieren Zunächst erinnern wir an einige Grundbegriffe aus der Mengenlehre, die auch in anderen Zusammenhängen auftreten Definition Es sei R X X eine Relation auf einer Menge X R heißt reflexiv, wenn für alle x X die Relation xrx erfüllt ist R heißt transitiv, wenn für alle x, y, z X die folgende Implikation gilt: xry yrz xrz R heißt antisymmetrisch, falls für alle x, y X die folgende Implikation gilt: xry yrx x = y R heißt (partielle) Ordnung, falls R reflexiv, transitiv und antisymmetrisch ist 18

Ordnungen werden oft mit dem Zeichen benannt (d h statt xry schreibt man x y) Wir nennen dann (X, ) geordnete Menge Die Antisymmetrie läuft genau auf die bekannte Implikation (x y) (y x) x = y hinaus Beispiel Ist X eine Menge, so wird durch A B : A B eine Ordnung auf der Potenzmenge P(X) definiert Definition Wir nennen eine partialle Ordnung auf X total, falls für alle x, y X entweder x y oder y x oder beides gilt Je zwei beliebige Elemente können also mit Hilfe der Ordnungsrelation verglichen werden In diesem Fall heißt (X, ) total geordnete Menge Zum Beispiel ist die gewöhnliche Ordnungsrelation auf R oder Z total Ist X eine beliebige Menge, so ist die durch die Inklusionsrelation auf P(X) gegebene Ordnung in der Regel nicht total Definition Es sei (X, ) eine geordnete Menge und C X eine (möglicherweise leere) Teilmenge Wir nennen ein Element x X eine obere Schranke von C, falls c x für alle c C Wir nennen C eine Kette, wenn die Einschränkung der Ordnung auf C total ist Ein Element m X heißt maximal in X, wenn für alle x X die folgende Implikation gilt: x m x = m Mit anderen Worten: Es existert in X kein echt größeres Element als m (Dies bedeutet nicht unbedingt, das m mit allen Elementen aus X verglichen werden kann) Proposition 41 (Zornsches Lemma) Es sei (X, ) eine partiell geordnete Menge, so dass jede Kette C X eine obere Schranke in X besitzt Dann hat X ein maximales Element Diese Aussage wirkt auf den ersten Blick unanschaulich Tatsächlich kann man zeigen, dass sie äquivalent zum Auswahlaxiom der Mengenlehre ist: Auswahlaxiom: Es sei X eine Menge und X P(X) eine Menge von nichtleeren Teilmengen von X Dann existiert eine Abbildung ( Auwahlfunktion ) φ : X X mit φ(a) A für alle A X Die Äquivalenz dieser anschaulichen Aussage mit dem Zornschen Lemma werden wir hier nicht beweisen (obwohl wir es könnten) Mit Hilfe des Zornschen Lemmas zeigen wir dafür die folgende erstaunliche, allgemeine Aussage über Vektorräume Satz 42 Jeder Vektorraum (egal ob endlich- oder unendlichdimensional) besitzt eine Basis Beweis Sei V ein Vektorraum Wir betrachten die Menge X bestehend aus allen linear unabhängigen Familien (v i ) i I in V Jede solche Familie ist also ein Element von X Für zwei Familien x = (v i ) i I und y = (w j ) j J in X setzen wir x y, falls I J und v i = w i für alle i I Anders ausgedrückt: Die Familie (w j ) j J ist eine Verlängerung der Familie (v i ) i I Es ist nicht schwer zu zeigen, dass dies in der Tat eine Ordnungsrelation auf X definiert 19

Es sei nun C X eine Kette Wir wollen beweisen, dass C eine obere Schranke in X besitzt Ist c C, so sei I c die Indexmenge der Familie c, also c = (v i ) i Ic Wir setzen nun K := c C I c, die Vereinigung aller Indexmengen der in C vorkommenden Familien Wir erhalten eine neue Familie (u k ) k K in V wie folgt: Es sei k K Nach Definition von K existiert ein c C mit k I c Wir betrachten nun das zugehörige Element c = (v i ) i Ic von C und setzen u k := v k Diese Definition von u k hängt nicht davon ab, welches Element c C mit k I c wir betrachten: Es sei d C mit k I d Weil C eine Kette ist, muss I c I d oder I d I c gelten In den Familien c = (v i ) i Ic und d = (w j ) j Id muss also v k = w k gelten (nach Definition der Relation auf X) Somit ist in der Tat u k unabhängig von der Auswahl von c Wir behaupten nun, dass diese neue Familie (u k ) k K linear unabhängig ist Zum Beweis sei 0 = k K λ k u k wobei λ k R für alle k K und nur endlich viele λ k 0 Da jedes k in einem I c enthalten ist und für je zwei Indexmengen I c und I d entweder I c I d oder I d I c gilt, muss ein c C existieren, so dass k I c für alle k K mit λ k 0 (es gibt ja nur endlich viele k K dieser Art) Die Familie c C ist aber nach Voraussetzung linear unabhängig, also ist λ k = 0 für alle k I c und damit für alle k K Die lineare Unabhängigkeit von (u k ) k K ist damit gezeigt, insbesondere ist (u k ) k K X Nach Konstruktion gilt (u k ) k K c für alle c C und somit ist (u k ) k K eine obere Schranke von C Wir haben jetzt gezeigt, dass jede Kette C X eine obere Schranke in X besitzt Nach dem Zornschen Lemma hat daher X ein maximales Element m Wir schreiben wieder m = (v i ) i I (mit einer neuen Indexmenge I) Diese Familie ist nach nach Definition von X linear unabhängig Wäre sie keine Basis, müsste sie nach Proposition 36 verlängerbar sein Dann wäre aber diese Familie m nicht maximal in X, Widerspruch Also ist (v i ) i I eine Basis von V Die Behauptung des Theorems ist somit gezeigt Nach diesem Resultat hat zum Beispiel der Vektorraum V = C(R) der stetigen Abbildungen R R eine Basis (f i ) i I Insbesondere kann jede stetige Funktion in eindeutiger Weise als Linearkombination in endlich vielen Funktionen f i geschrieben werden Niemand weiß, wie so eine Basis explizit aussieht In der Funktionalanalysis, wo man sehr oft mit unendlichdimensionalen Vektorräumen arbeitet, benutzt man in der Regel einen allgemeineren Begriff von Basen, bei dem auch unendliche (konvergente) Linearkombinationen zugelassen werden Dies führt zu einer sehr starken und anwendungsreichen Theorie, auf die wir aber hier nicht näher eingehen 20

71112 5 Lineare Abbildungen und Matrizen Definition Es seien V und W reelle Vektorräume Eine Abbildung f : V W heißt linear oder Vektorraumhomomorphismus, falls f(v + w) = f(v) + f(w) für alle v, w V, f(λv) = λf(v) für alle v V und λ R Ist f zusätzlich bijektiv, so nennt man f einen Vektorraumisomorphismus Lineare Abbildungen V V heißen Endomorphismen von V, bijektive Endomorphismen nennt man Automorphismen Existiert ein Isomorphismus V W, so heißen V und W isomorph und wir schreiben V = W Folgende Tatsachen sind nicht schwer zu zeigen Ist f : V W ein Vektorraumhomomorphismus, so ist f(0) = 0 Die Umkehrabbildung eines Vektorraumisomorphismus ist wieder linear und somit ebenfalls ein Vektorraumisomorphismus Ist V endlichdimensional und isomorph zu W, so ist W ebenfalls endlichdimensional und dim V = dim W Ist f : V W linear und (v i ) i I eine Familie von Vektoren in V, so gilt für Linearkombinationen in V f ( ) λ i v i = λ i f(v i ) i I Beispiel Es sei V ein beliebiger Vektorraum und 0 der Nullvektorraum Dann ist die Abbildung V 0, v 0, linear Ist λ R, so definiert die Vorschrift µ λ µ eine lineare Abbildung R R, wobei wir R wie üblich als eindimensionalen Vektorraum über R ansehen Ist allgemeiner V ein beliebiger R-Vektorraum und λ R, so ist die Abbildung V V, v λv linear Dies ist eine Streckung um den Faktor λ Noch allgemeiner gilt folgendes: Es sei A = (a ij ) 1 i m,1 j n R m n Dann ist die Abbildung f A : R n R m gegeben durch x 1 x n i I n j=1 a 1jx j n j=1 a mjx j linear Die nächsten beiden Beispiele setzen Kenntnisse in der Analysis voraus (die später im Semester vermittelt werden) Es sei C([0, 1]) der R-Vektorraum der stetigen Funktionen [0, 1] R mit der punktweisen Addition und Skalarenmultiplikation Dann ist die Abbildung linear C([0, 1]) R, f 21 1 0 f(x)dx

Es sei C (R) der Vektorraum der unendlich oft differenzierbaren Funktionen R R Dann ist die Abbildung d : dx C (R) C (R), f df, linear dx 131112 Die Matrix ( cos t sin t sin t cos t beschreibt eine lineare Abbildung R 2 R 2, die wir uns als Drehung um den Winkel t gegen den Uhrzeigersinn vorstellen können Proposition 51 Es seien f : U V und g : V W lineare Abbildungen Dann ist auch die Komposition g f : U W linear Wenn f und g Isomorphismen sind, dann ist auch g f ein Isomorphismus Die erste Aussage wird im Tutorium bewiesen, die zweite Aussage folgt direkt aus der ersten, da die Komposition von bijektiven Abbildungen wieder bijektiv ist Wir wollen nun einen Kalkül entwickeln, mit dessen Hilfe wir Vektorraumhomomorphismen übersichtlich beschreiben können Dies läuft auf die sogenannte Matrizenrechnung hinaus Proposition 52 Es sei (v i ) i I eine Basis des Vektorraumes V und W ein beliebiger Vektorraum Es sei (w i ) i I eine ebenfalls durch I parametrisierte Familie von Vektoren in W Dann existiert genau eine lineare Abbildung f : V W mit f(v i ) = w i für alle i I Mit anderen Worten: Eine lineare Abbildung kann auf einer Basis beliebig definiert werden Jede solche Definition legt die lineare Abbildung eindeutig fest Beweis Ist v V, so besitzt v eine eindeutige Darstellung als Linearkombination v = i I λ iv i Wir setzen nun f(v) := λ i w i i I Man prüft leicht nach, dass die so definierte Abbildung f : V W linear ist Andererseits muss jede lineare Abbildung f : V W mit f(v i ) = w i für alle i I die obige Gleichung erfüllen Daraus folgt die Eindeutigkeit Wir ziehen zwei Folgerungen: Es sei V ein endlichdimensionaler R-Vektorraum mit Basis B = (v 1,, v n ) Dann gibt es genau eine lineare Abbildung Φ B : R n V, die den i-ten kanonischen Basisvektor e i = (0,, 0, 1, 0,, 0) (mit 1 an der i-ten Stelle) auf v i abbildet Diese Abbildung erfüllt die Gleichung n Φ B (λ 1,, λ n ) = λ i v i Da (v 1,, v n ) eine Basis ist, ist φ B bijektiv, also ein Vektorraumisomorphismus Insbesondere ist also R n = V Wir nennen den Isomorphismus Φ B das zur Basis B gehörende Koordinatensystem, die Koeffizienten (λ 1,, λ n ) in einer Linearkombination v = n i=1 λ iv i die Koordinaten von v bezüglich der Basis B 22 i=1 )