Vorlesung Baurecht. 5 Rechtsschutz
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- Jan Gerstle
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1 5 Rechtsschutz A. Baurecht als Instrument des Interessensausgleichs I. Zielsetzung des Baurechts: Lösung von Nutzungskonflikten; z.b. Trennung unvereinbarer Nutzungen, Sicherheitsanforderungen an Lage und Bauausführung (z.b. Brandwände, Abstandsflächen) etc. Verwirklichung durch Planungrecht ( 1 VII BauGB) und Ordnungsrecht (BayBO). Gebot der Rücksichtnahme : Auslegungsmaxime für Baurechtsnormen II. Regelungsgehalt von Baurechtsnormen typischerweise auf das Verhältnis Bauherr Behörde bezogen tatsächliche Auswirkungen betreffen aber auch Dritte Rechtsschutzsystem auf Schutz subjektiver Rechte fokussiert (z.b. 42 II VwGO) Durchsetzung des materiellen Baurechts durch Dritte nur, soweit Baurecht drittschützend ist. B. Das subjektiv öffentliche Recht Die Ableitung subjektiver Rechte aus objektiven Normen kein spezifisch baurechtliches Problem, besondere Bedeutung, weil Nutzungskonflikte im Baurecht typisch und unvermeidlich Unvermehrbarkeit von Grund und Boden, Unveränderlichkeit der Lage im Raum etc. 1
2 I. Die Schutznormtheorie als theoretischer Ausgangspunkt Eine öffentlich rechtliche Norm gewährt subjektives öffentliches Recht, wenn sie jedenfalls auch dem Schutz der Interessen des Einzelnen zu dienen bestimmt ist und ihm die Rechtsmacht einräumt, diese Schutzwirkung durchzusetzen. II. Der Gedanke des normativen Interessenausgleichs Funktion von Normen, eine wechselseitige Ausgleichsordnung zu errichten, die nicht einseitig zu Gunsten eines Eigentümers aufhebbar ist. Lässt sich diese Funktion nachweisen, gewährt die Norm ein subjektivöffentliches Recht (vgl. BVerwGE 101, 364 ff.) III. Das Gebot der Rücksichtnahme Argumentationsfigur und Auslegungsmaxime Kein selbständiges Gebot und auch nicht generell drittschützend objektiv-rechtlicher Bestandteil einzelner Baurechtsvorschriften, unter bestimmten Bedingungen auch subjektiv-rechtlichen Charakter besitzt (partiell drittschützende Norm). Voraussetzung: es muss in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen sein Ein wesentlicher Unterschied zu generell drittschützenden Normen: Gebot der Rücksichtnahme ist verletzt, wenn Dritter in besonderer Weise (unzumutbar) belastet ist. Nicht nur Verletzung einer Norm, sondern tatsächlich belastende Auswirkungen eines Vorhabens 2
3 C. Nachbarschützende Normen I. Der Begriff des Nachbarn Nachbarbegriff ist aus Schutzbereich der Norm abzuleiten Abhängig von den Auswirkungen der Anlage bzw. ihrer Nutzung Nachbar ist Eigentümer oder dinglich Berechtigter Mieter/Pächter nur, wenn Schutznorm personenbezogen ist, z.b. dem Schutz von Leben und Gesundheit dient II. Nachbarschutz im Bauplanungsrecht (Grundzüge) 1. Nachbarschutz im Planbereich a) Drittschützende Festsetzungen Festsetzungen über Art der baulichen Nutzung generell drittschützend (insbes. 2 ff. BauNVO) Gedanke des normativen Interessensausgleichs besonders zum Tragen (Anspruch auf Wahrung des Gebietscharakters) Andere Festsetzungen (insbes. Maß der baulichen Nutzung, Bauweise) können im Einzelfall drittschützend sein b) Ausnahmen und Befreiungen Nachbarschutz immer dann, wenn von drittschützenden Festsetzungen des B-Plans abgewichen wird c) 15 BauNVO als Ausprägung des Rücksichtnahmegebots 15 I 1: Vorbehalt der Gebietsverträglichkeit subjektives Abwehrrecht, wenn Nutzung unzumutbar ist 15 I 2, 1. Fall: Unzumutbarkeit für Baugebiet/Umgebung 15 I 2, 2. Fall: Unzumutbarkeit für Vorhaben Drittschutz, wenn emittierender Betrieb gravierenden Ordnungsmaßnahmen ausgesetzt sein wird Fälle latenter Gefahr ; auch i.r.d. 35 BauGB relevant 3
4 d) Analoge Anwendung des 15 BauNVO Bei Verstoß gegen nicht nachbarschützende Festsetzungen, wenn Nachbar unzumutbar beeinträchtigt Erst-recht-Schluss: wenn schon subjektiv-rechtliches Gebot der Rücksichtnahme bei plankonformen Vorhaben, dann erst recht bei Widerspruch zu B-Plan 2. Nachbarschutz im Innenbereich a) 34 I BauGB als partiell drittschützende Norm Begriff: Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung als Ausdruck des Rücksichtnahmegebots, das bei qualifizierten Verstößen, die zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führen, Drittschutz gewährt b) 34 II BauGB i.v.m. BauNVO generell drittschützend (oben 1a) 3. Nachbarschutz im Außenbereich kein Gebietsgewährleistungsanspruch wie bei Baugebieten nach BauNVO Gebot der Rücksichtnahme als öffentlicher Belang i.s.d. 35 III BauGB: partiell drittschützende Norm 4. Nachbarschutz aus Art. 14 GG? Ältere Rspr.: Abwehrrecht, wenn Vorhaben vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändert und den Nachbarn schwer und unerträglich trifft neuere Rspr.: kein Rückgriff auf Art. 14 GG, weil Inhalt des Eigentums und Abwehrrechte des Nachbarn vom Gesetzgeber zu bestimmen sind III. Nachbarschutz im Bauordnungsrecht Insbesondere: Abstandsflächenrecht, Art. 6 BayBO 4
5 A. Zulässigkeit des Antrags Lösungsskizze zu Fall 25 I. Verwaltungsrechtsweg, 40 I 1 VwGO II. Statthaftigkeit Abgrenzung: 123 I / 80 f. VwGO nach 123 V VwGO Hauptsacheklage: Verpflichtungsklage, 42 I, 2. Alt. VwGO, deshalb Antrag nach 123 I VwGO Regelungsanordnung III. Antragsgegner, 78 I Nr. 1 VwGO analog Träger der zuständigen Behörde = Bauaufsichtsbehörde Art. 53 I 1, 3 BayBO: untere Bauaufsichtsbehörde = KVB für Gebiet der Großen Kreisstadt: Art. 9 II 1 i.v.m. 1 Nr. 1 GrKrV Antragsgegner ist Gemeinde G IV. Antragsbefugnis, 42 II VwGO analog 1. Anordnungsanspruch aus Art. 75 I BayBO wenn Verletzung nachbarschützender Vorschriften möglich insbes. 15 BauNVO kein Verzicht durch Zustimmung, Art. 58 III 2, 66 I BayBO 2. Anordnungsgrund V. Rechtsschutzbedürfnis insbesondere vorheriger Antrag bei Behörde (+) VI. ZwErg.: Antrag zulässig 5
6 B. Begründetheit des Antrags Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und grund, 123 I, III VwGO, 920 ZPO I. Anordnungsanspruch Maßgeblich: Erfolgsaussichten in der Hauptsache Verpflichtungsklage wäre zulässig Verpflichtungsklage wäre nach 113 V VwGO begründet, wenn E Anspruch auf Einschreiten nach Art. 75 I BayBO hätte Vss.: Errichtung der Anlage im Widerspruch zu öff rechtl. Vorschriften, die auch Schutz des E bezwecken 1. Formelle Rechtmäßigkeit der Anlage a) Genehmigungspflicht, Art. 55 I BayBO? keine Ausnahme nach Art. 57, 72, 73 BayBO b) aber Genehmigungsfreistellung nach Art. 58 BayBO (1) kein Sonderbau, Art. 58 I, 2 IV BayBO (2) Vss. des Art. 58 II BayBO (+) (3) Baubeginn nach Art. 58 III 4 BayBO zulässig 2. Materielle Rechtmäßigkeit der Anlage a) Bauordnungsrecht Problem: Stellplätze nach Art. 47 I BayBO Erfüllung auf dreierlei Weise möglich mit Erfüllung bis zur Fertigstellung ist zu rechnen kein Verstoß, im übrigen kein Drittschutz aus Art. 47 BayBO b) Bauplanungsrecht bauliche Anlage i.s.d. Art. 29 I BauGB, deshalb 30 ff. BauGB abwendbar 6
7 (1) Zulässigkeit nach 30 I BauGB kein Widerspruch zu qualifiziertem B-Plan (2) Zulässigkeit nach BauNVO allgemeines Wohngebiet, 1 II Nr. 3, 4 BauNVO Wohngebäude und Anlage für kulturelle Zwecke allgemein zulässig, 4 II Nr. 1 und 3 BauNVO (3) Unzulässigkeit nach 15 BauNVO? 15 I 1 BauNVO (-) 15 I 2 BauNVO: Unzumutbarkeit von Störungen, insbes. schädliche Umwelteinwirkungen, 3 I BImschG Schutzwürdigkeit der Wohnnutzung nach SV: erhebliche Belästigungen (4) ZwErg.: Anlage materiell rechtswidrig 3. Verletzung drittschützender Normen 15 I 2 BauNVO als Ausdruck des Gebots der Rücksichtnahme; Drittschutz, wenn in qualifizierter und individualisierter Weise auf abgrenzbaren Personenkreis Rücksicht zu nehmen ist hier: Bezugnahme auf Baugebiet konkretisiert Personenkreis, zu dem auch E gehört 4. Anspruch auf Einschreiten a) Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung Art. 75 BayBO als Ermessensnorm da noch keine behördliche Entscheidung ergangen, ist Anspruch nicht durch Erfüllung erloschen u.u. Ermessensreduzierung auf Null nur wenn erheblicher Schaden für wichtige Rechtsgüter droht b) Wertungswiderspruch: Rechtsschutz gegen Baugenehmigung bei Rechtswidrigkeit und (jeder) Rechtsverletzung Aufhebung der Baugenehmigung ohne Ermessen 7
8 c) Ermessensreduzierung oder intendiertes Ermessen z.t. Kompensation der verfahrensrechtlichen Reduzierung des Rechtsschutzes durch Absenkung der Anforderungen an Ermessensreduzierung a.a.: intendiertes Ermessen: Art. 75 I BayBO dient durchsetzung des öffentlichen Baurechts, das bereits generelle Abwägung privater und öffentlicher Interessen enthält eigene Abwägung der Behörde nur im Ausnahmefall im Ergebnis nach beiden Ansichten Anspruch auf Einschreiten nach Art. 75 I BayBO zur Verhinderung unzumutbarer Belästigung durch Veranstaltungen 5. ZwErg: Klage in der Hauptsache begründet Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht II. Anordnungsgrund Vorläufige gerichtliche Regelung erforderlich? Abwarten der Hauptsacheentscheidung zumutbar? Schaffung vollendeter Tatsachen nur in Bezug auf Baukörper, nicht auf geplante Nutzung Baueinstellung würde auch unbedenkliche Wohnnutzung vorerst verhindern deshalb: kein Anordnungsgrund (a.a. gut vertretbar) III. Ergebnis Antrag auf Erlass einstweiliger Anordnung unbegründet 8
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