BGH v. 19. August StR 86/92, BGHSt 38, 325 Gewässerverunreinigung
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- Helga Berger
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1 BGH v. 19. August StR 86/92, BGHSt 38, 325 Gewässerverunreinigung durch Bürgermeister Sachverhalt: Bernhard ist Bürgermeister einer Kleinstadt, in welcher seit Jahren Abwässer in verschiedene Bäche eingeleitet wurden. Um diesem Zustand entgegenzuwirken, beschloss man den Bau einer Großkläranlage. Für die Übergangszeit wurde auf Druck der vorgesetzten Behörde eine städtische Abwassersatzung erlassen, die bestimmte, dass weiterhin Abwasser in die Bäche eingeleitet werden darf, aber nur unter der Voraussetzung, dass dieses vorgereinigt werde. Dazu musste in die betroffenen Häuser jeweils eine Hauskläranlage eingebaut werden. Obwohl Bernhard bekannt war, dass in der Folgezeit nur wenige Haushalte eine solche Hauskläranlage einbauten, unternahm er nichts, bzw. traf nur unzureichende Maßnahmen. Dies führte dazu, dass über Jahre hinweg vorschriftswidrig ungeklärte Abwässer abgeleitet wurden. Anmerkungen: Jung, JuS 1993, 346; Knopp, DÖV 1994, 676; Michalke, NJW 1994, 1693; dieselbe, StraFo 1996, 109; Nestler, GA 1994, 514; Schall, JuS 1993, 719; Schwarz, NStZ 1993, 285. Thema: Umweltdelikte, Gewässerverunreinigung, 324 StGB Problemstellung: Hat der Bürgermeister einer Gemeinde eine Garantenstellung hinsichtlich der Abwendung von Gewässerverunreinigungen, welche von den Grundstückseigentümern ausgehen?
2 Lösungsübersicht: A. Strafbarkeit wegen Gewässerverunreinigung, 324 I StGB Tatbestand 1. Tauglicher Täter (+) Allgemeindelikt 2. Gewässer (+) Definition in 330 d Nr. 1 StGB, 3 I WHG 3. Tathandlung: Verunreinigen a) objektive Verunreinigung des Gewässers (+) b) Herbeiführung des Erfolges durch aktives Tun ( ) Einleitung zwar auf Stadtgebiet, teilweise durch städtische Rohre, aber Einleitung durch Hauseigentümer verursacht. B. Strafbarkeit wegen Gewässerverunreinigung durch Unterlassen, 324 I, 13 StGB I. Objektiver Tatbestand 1. Tauglicher Täter (+) Allgemeindelikt 2. Gewässer (+) Definition in 330 d Nr. 1 StGB, 3 I WHG 3. Tathandlung: Verunreinigen a) objektive Verunreinigung des Gewässers (+) b) Durch Unterlassen (+) c) Verhinderung tatsächlich möglich (+) d) Erforderlichkeit und Zumutbarkeit (+) e) Problem: Garantenpflicht BGH (+): Beschützergarant a.m. ( ): keine umfassenden Schutzpflichten g) Entsprechungsklausel (+) h) Kausalität (+) II. Subjektiver Tatbestand Vorsatz (+) Täter wusste vom rechtswidrigen Verhalten III. Rechtswidrigkeit: unbefugt Rechtfertigungsgrund: wasserrechtliche Genehmigung ( ) IV. Schuld (+) C. Strafbarkeit wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen durch Unterlassen, 326 I Nr. 4 a, 13 StGB I. Tatbestand 1. Abfälle (+) hier: gewillkürter Abfall 2. Verunreinigungsbeschaffenheit (+) 3. Außerhalb einer dafür zugelassenen Anlage abgelassen (+) 4. Unbefugt (+) 5. Voraussetzungen des 13 (+) II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) D. Konkurrenzen: BGH: 324 I, 13 StGB lex specialis
3 Lösungsvorschlag: A. Strafbarkeit des Bernhard wegen Gewässerverunreinigung, 324 I StGB Indem Bernhard nur unzureichend gegen die Ableitung ungeklärter Abwasser in die Bäche einschritt, könnte er sich wegen Gewässerverunreinigung gem. 324 I StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestandsmäßigkeit In objektiver Hinsicht setzt 324 I StGB die Verunreinigung eines Gewässers voraus. 1. Tauglicher Täter 324 I StGB ist als Allgemeindelikt ausgestaltet, so dass Bernhard als Amtsträger tauglicher Täter einer Gewässerverunreinigung sein kann. 2. Tatobjekt: Gewässer Zu den Gewässern nach 324 I StGB gehören gem. 330d Nr. 1 StGB auch oberirdische Gewässer. Diese umfassen gem. 3 I Nr. 1 Wasserhaushaltsgesetz sowohl ständig oder zeitweilig in Betten fließendes oder stehendes als auch aus Quelle wild abfließendes Wasser. Bäche wie in der betroffenen Kleinstadt des Bernhard erfüllen diese Voraussetzung. 3. Tathandlung: Verunreinigen Die Tathandlung des Verunreinigens erfasst äußerlich wahrnehmbare nachteilige Veränderungen, d. h. eine nicht völlig unbedeutende Verschlechterung der physikalischen, chemischen, biologischen oder thermischen Beschaffenheit des Wassers. Das Ableiten vorschriftswidrig ungeklärter Abwasser in Bäche führt zu einer solchen Verunreinigung. Fraglich ist allerdings, ob Bernhard den Erfolg durch aktives Tun herbeigeführt hat, oder ob der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nicht
4 vielmehr in einem Unterlassen besteht. Zwar war Bernhard Bürgermeister der Stadt und muss sich daher als vertretungsberechtigtes Organ ein Fehlverhalten der Stadt wie eigenes Verhalten zurechnen lassen. Ob ihm damit aber auch das Einleiten ungeklärten Abwassers als aktives Tun zugerechnet werden kann, ist zweifelhaft. Schließlich kann man die Stadt nur insoweit als Einleiterin der ungeklärten Abwässer ansehen, als die Verunreinigung auf dem Stadtgebiet stattfand. Aktiv eingeleitet wurde das Abwasser jedoch von den jeweiligen Hauseigentümern. Außerdem bestand für die Stadt keine rechtmäßige Verhaltensalternative: Sie hätte, da sie mangels entsprechender Einrichtungen das in ihre Kanalisation geflossene Abwasser nicht selbst vorklären konnte, die Einleitung in die Bäche überhaupt unterbinden müssen, was ihr aber ohne Verstoß gegen ihre Abwasserbeseitigungspflicht nicht möglich gewesen wäre. Der Schwerpunkt des Bernhard vorwerfbaren Verhaltens liegt deshalb nicht im Einleiten selbst, sondern im Unterlassen von Maßnahmen, die dieses ungeklärte Einleiten verhindert hätten. II. Ergebnis Mithin hat sich Bernhard nicht einer Gewässerverunreinigung durch aktives Tun gem. 324 I StGB strafbar gemacht. B. Strafbarkeit wegen Gewässerverunreinigung durch Unterlassen, 324 I, 13 StGB Bernhard könnte aber eine Gewässerverunreinigung durch Unterlassen gem. 324 I, 13 StGB vorzuwerfen sein. I. Tatbestandsmäßigkeit Zu prüfen ist zunächst die Tatbestandsmäßigkeit. 1. Objektiver Tatbestand Bernhard müsste die Bäche Gewässer im Sinne der 330d Nr. 1 StGB, 3 I Nr. 1 WHG durch Unterlassen verunreinigt haben.
5 a) Der Erfolg der Verunreinigung ist eingetreten. b) Zudem unterließ es Bernhard als Organ der Gemeinde, die Grundstückseigentümer an der Einleitung der nicht vorgeklärten Abwässer in die Teilortkanalisation zu hindern. c) Dabei lag es in seinem Zuständigkeitsbereich, die Grundstückseigentümer zu ermitteln, die keine Hauskläranlage besaßen und entsprechende Verfügungen gegen diese zu erlassen, um die städtische Satzung gegebenenfalls auch mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen, so dass Bernhard die Verhinderung des Erfolgs tatsächlich möglich war. d) Ein solches Vorgehen war erforderlich und Bernhard zumutbar. e) Fraglich bleibt, ob Bernhard strafrechtlich dafür einzustehen hat, dass die Gewässerverunreinigung unterblieb, d. h. ob ihm eine Garantenpflicht zum Handeln oblag. Dies kann man unter dem Gesichtspunkt einer Beschützergarantenstellung bejahen: Die Gemeinden haben bei der Abwasserentsorgung eine besondere Pflichtenstellung, deren Erfüllung eben dem Bürgermeister obliegt. Er musste sowohl gegen die bekannten Abwassersünder vorgehen als auch weitere Ermittlungen anstellen, um bisher unbekannte Abwassersünder aufzuspüren. Die Gegenansicht lehnt eine Garantenstellung des Bürgermeisters ab, weil sonst die strafrechtlichen Pflichten weiter gehen würden als die verwaltungsrechtlichen Pflichten. Der Bürgermeister sei schließlich nicht dem Legalitätsprinzip verpflichtet, d. h. er müsse nicht Bürger aufspüren, die sich rechtswidrig verhalten. Die Annahme einer Garantenstellung im Umweltrecht sei das Einfallstor für eine uferlose Ausdehnung der Garantenpflichten von Amtsträgern, die so zu All-Garanten würden. Dagegen wiederum spricht jedoch, dass mit dem Umweltstrafrecht die Rechtsgüter der Umwelt mittelbar administriert werden. Ist ein Amtsträger dann für die Abwasserbeseitigung zuständig, gibt es keinen Grund, ihn nicht auch als Garanten für eine ordnungsgemäße Abwasserentsorgung anzusehen. Eine Garantenstellung des Bernhard für das Unterbleiben der Gewässerverunreinigung ist demnach zu bejahen.
6 f) Bernhards Unterlassen entspricht auch vom sozialen Sinngehalt der Begehung einer Gewässerverunreinigung durch aktives Tun, so dass der Entsprechensklausel des 13 Genüge getan ist. g) Schließlich liegt auch die sog. Quasi-Kausalität vor: Die Gewässerverunreinigung wäre unterblieben, wenn Bernhard seinen Handlungspflichten genügt hätte; bei pflichtgemäßem Vorgehen hätte er nämlich rechtswidrig handelnde Grundstückseigentümer ermittelt und wäre in der Lage gewesen, gegen sie im Wege des Verwaltungszwangs vorzugehen. 2. Subjektiver Tatbestand Bernhard war bekannt, dass die Grundstückseigentümer den Bächen das nicht vorgeklärte Abwasser zuführten und dadurch die Gewässer, in die es gelangt, erheblich verschmutzten. Auch kannte er seine Verpflichtung, die Verursacher zu ermitteln und gegen sie vorzugehen, um sie zum Einbau von Kleinkläranlagen zu veranlassen und damit der von ihnen ausgehenden Gewässerverunreinigung ein Ende zu setzen. Da Bernhard trotzdem nicht bzw. unzureichend einschritt, handelte er vorsätzlich. II. Rechtswidrigkeit Die Rechtswidrigkeit kann durch eine wasserrechtliche Genehmigung ausgeschlossen werden. Hier lag zwar grundsätzlich eine Genehmigung vor; diese stand aber unter dem Vorbehalt, dass nur vorgeklärtes Abwasser eingeleitet werden durfte. Da diese Voraussetzung nicht erfüllt wurde, ist Bernhards Verhalten auch als rechtswidrig anzusehen. III. Schuld Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich. IV. Ergebnis Folglich ist Bernhard wegen einer Gewässerverunreinigung durch Un-
7 terlassen gem. 324 I, 13 StGB zu bestrafen. C. Strafbarkeit wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen durch Unterlassen, 326 I Nr. 4a, 13 StGB Darüber hinaus könnte sich Bernhard wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen durch Unterlassen gem. 326 I Nr. 4a, 13 StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand a) Abfälle sind alle festen, flüssigen oder in Behältern aufbewahrten beweglichen Sachen, deren sich entweder der Besitzer entledigen will (subjektiver oder gewillkürter Abfallbegriff) oder deren er sich entledigen muss, weil eine geordnete Entsorgung zur Wahrung des Allgemeinwohls, insbesondere zum Schutz der Umwelt, geboten ist (objektiver oder Zwangsabfallbegriff). Der Begriff des Abfalls umfasst also auch Abwasser (flüssiger Abfall). Hier lag daher ein gewillkürter flüssiger Abfall vor. b) Dieser Abfall war auch nach Art, Beschaffenheit und Menge geeignet, ein Gewässer nachhaltig zu verunreinigen. c) Außerdem wurde das Abwasser außerhalb einer dafür zugelassenen Anlage abgelassen. d) Da zudem die Voraussetzungen einer Unterlassensstrafbarkeit nach 13 StGB vorliegen und auch die sog. Quasi-Kausalität wie bei der Prüfung der 324 I, 13 StGB zu bejahen ist, hat Bernhard also den objektiven Tatbestand der 326 I Nr. 4a, 13 StGB erfüllt. 2. Subjektiver Tatbestand Bernhard handelte vorsätzlich.
8 II. Rechtswidrigkeit und Schuld Gründe, die Bernhards Verhalten rechtfertigen oder entschuldigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann die wasserrechtliche Genehmigung nicht rechtfertigend wirken, weil die Auflage nicht eingehalten wurde. III. Ergebnis Bernhard hat sich folglich auch eines unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen durch Unterlassen gem. 326 I Nr. 4a, 13 StGB schuldig gemacht. Diese Strafbarkeit tritt jedoch im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter 324 I, 13 StGB zurück.
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