FB 3.1 BONIFATIUSVEREIN - NACH RGZ 83, 223 FF.:
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1 FB 3.1 BONIFATIUSVEREIN - NACH RGZ 83, 223 FF.: Herausgabeanspruch aus 985 BGB und aus Bereicherungsrecht, Eigentumserwerb an beweglichen Sachen, Konstellation des Bonifatius-Falls Gliederung: I. Anspruch S gegen B aus 985 BGB 1. Unmittelbarer Besitz des B 2. Eigentum der S an den Wertpapieren a) Eigentum des P an den Wertpapieren zum Zeitpunkt seines Ablebens aa) Eigentumsübergang auf M bb) Eigentumsübergang auf den (1) Einigung (2) Übergabe b) Eigentumsübergang von S auf den aa) Einigung (1) Angebot (2) Annahme bb) Übergabe cc) Einigsein im Zeitpunkt der Übergabe dd) Berechtigung des P 3. Zwischenergebnis II. Anspruch der S aus 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. 1. Etwas Erlangt 2. Durch Leistung der S 3. Ohne rechtlichen Grund a) Schenkungsvertrag b) Formunwirksamkeit der Schenkung aa) Gemäß 518 BGB bb) Gemäß 2301 BGB Seite 1 von 5
2 Lösung: I. ANSPRUCH S GEGEN B AUS 985 BGB Der S könnte als Alleinerbin des P ( 1925 Abs. 1 und 3 BGB) ein Anspruch gegen den B e. V. aus 985 BGB zustehen. 1. Unmittelbarer Besitz des B Der B e. V. ist als eingetragener Verein juristische Person. Er kann selbst keinen Besitz (unmittelbare Sachherrschaft) ausüben. Sein Besitz wird durch die Organe (Vorstand, 26 BGB) bzw. durch die von ihm bestellten Vertreter wie hier F ausgeübt. Der B e. V. ist somit in Form des Organbesitzes, ausgeübt durch F, unproblematisch unmittelbarer Besitzer der Inhaberwertpapiere. 2. Eigentum der S an den Wertpapieren Dann müsste S Eigentümerin der Wertpapiere sein. Anmerkung: Zum Vergleich mit dem typischen historischen Aufbau ( ursprünglich war P Eigentümer der Inhaberwertpapiere. P könnte sein Eigentum aber an B e. V. verloren haben ) wird hier der geschachtelte Aufbau dargestellt. a) Eigentum des P an den Wertpapieren zum Zeitpunkt seines Ablebens S wäre nach 1922 BGB mit dem Tode des P Eigentümerin der Inhaberwertpapiere geworden, wenn P zu diesem Zeitpunkt noch Eigentümer der Papiere war. Anmerkung: Die Veräußerung von Inhaberwertpapieren, z.b. von Inhaberaktien, erfolgt nach den Vorschriften über die Veräußerung beweglicher Sachen. 1 aa) Eigentumsübergang auf M Dieser hat das Eigentum jedenfalls nicht an M verloren, da eine Übereignung an M niemals gewollt war. Daher liegt keine Einigung P-M gem. 929 S. 1 BGB vor. bb) Eigentumsübergang auf den P könnte sein Eigentum aber mit der Übergabe an M noch zu Lebzeiten nach 929 S. 1 BGB an den B e. V. verloren haben. (1) Einigung Dann müsste M als Vertreter des B e.v. für diesen die Einigung nach 929 S. 1 BGB erklärt haben. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass M als Vertreter des B e. V. handeln wollte. Vielmehr spricht der Sachverhalt dafür, dass M die Inhaberwertpapiere lediglich als Bote (Erklärungsbote des P) überbringen sollte. Anmerkung: Zudem war M vom B e. V. auch nicht bevollmächtigt. Doch sollte hierauf nicht abgestellt werden, weil die fehlende Bevollmächtigung durch nachträgliche Genehmigung des B e. V. rückwirkend hätte ersetzt werden können, vgl. hierzu Fall 2.1. (2) Übergabe Außerdem ist zu Lebzeiten des P keine Übergabe an den B e. V. erfolgt, weil M weder Besitzdiener nach 855 BGB war, noch dem B e. V. mittelbarer Besitz ( 868 BGB) verschafft wurde. Nachdem P im Zeitpunkt seines Todes noch Eigentümer der Wertpapiere war, ist das Eigentum nach 1922 BGB auf dessen Erbin S (vgl Abs. 1 und 3 BGB) übergegangen. b) Eigentumsübergang von S auf den S könnte ihr Eigentum aber nach 929 S. 1 BGB verloren haben, als M dem Bischof F die Wertpapiere für den B e. V. überbrachte. aa) Einigung Zunächst müsste gem. 929 S. 1 BGB eine dingliche Einigung vorliegen, die zwischen S und dem B e. V. Wirkung entfaltet. (1) Angebot Ein Angebot des P, gerichtet auf die dingliche Einigung i.s.d. 929 S. 1 BGB, ist darin zu sehen, dass P dem M die Wertpapiere übergibt und ihn anweist, sie dem F für den B e. V. zu überbringen. 1 Vgl. Palandt/Sprau, 74. Auflage 2015, BGB, Einf. v. 793 Rn. 3. Seite 2 von 5
3 Anmerkung: Die Anweisung des P an M stellt schuldrechtlich einen unentgeltlichen Auftrag gem. 662 BGB dar. Denn hierdurch hat P zum Ausdruck gebracht, dass er das Eigentum auf den B e. V. übertragen wollte. M ist insoweit als Erklärungsbote des P anzusehen, der diese Erklärung lediglich überbringen sollte. Im Gegensatz zu einem Vertreter hat M gegenüber F schließlich auch keine eigene Willenserklärung abgegeben. Die Erklärung zur Einigung wurde bereits abgegeben, als P dem M die Erklärung mitteilte, weil P zu diesem Zeitpunkt alles getan hatte, was zum Wirksamwerden der Erklärung erforderlich war. Er hatte die Erklärung damit aus den Händen gegeben. Dieses Angebot des P ist auch nicht unwirksam geworden, als P verstarb, vgl. 130 Abs. 2 BGB. Zwar war ein Widerruf der Willenserklärung des P durch S gem. 130 Abs. 1 S. 2 BGB bis zum Zugang beim B e. V. möglich. Ein solcher Widerruf ist aber nicht erfolgt. Die Erklärung des P ist dem F als Vertreter des B e. V. auch zugegangen. (2) Annahme Die Annahme seitens des F ist in der Entgegennahme der Wertpapiere zu sehen. Diese Annahme konnte gem. 153 BGB auch nach dem Tode des P erklärt werden. Ein Zugang der Annahmeerklärung war nach 151 S. 1 BGB nicht erforderlich, da P konkludent hierauf verzichtet hatte. Somit liegt eine dingliche Einigung zwischen P und dem B e. V. vor, die auch gegenüber S Wirkung entfaltet, vgl BGB. bb) Übergabe Des Weiteren müssten die Wertpapiere dem B e. V. i.s.d. 929 S. 1 BGB übergeben worden sein. Nachdem der B e. V. als Verein und juristische Person selbst keinen Besitz ausüben kann, wird der Besitz durch die Organe ausgeübt, so dass hinsichtlich der Übergabe allein auf die Erlangung der tatsächlichen Gewalt durch F abzustellen war. Dieser hat den Besitz für den B e. V. erlangt, als ihm die Wertpapiere von M übergeben wurden. Anmerkung: Der Besitz wird der juristischen Person als eigener, unmittelbarer Besitz zugerechnet. Das Organ ist weder Besitzmittler noch Besitzdiener, sondern übt den Besitz für die juristische Person aus (sog. Organbesitz). Diese Übergabe erfolgte auch auf Veranlassung des Veräußerers, da insoweit auf den Willen des P abzustellen war. Zwar ist S mit dem Tode des P in dessen besitzrechtliche Position nach 857 BGB hineingewachsen. Sie wurde damit mittelbare Besitzerin ( 868 BGB), da M als beauftragter Bote ihr den Besitz aufgrund des Auftragsverhältnisses ( 662 BGB), welches über den Tod des P hinaus fortbestand, vgl. 672 BGB, nach 868 i.v.m. 662 BGB vermittelte. Hinsichtlich der Veranlassung der Übergabe war aber auf den Willen des P abzustellen. Eine Übergabe i.s.d. 929 S. 1 BGB liegt demnach vor. cc) Einigsein im Zeitpunkt der Übergabe Ferner müssten sich S und F (als Vertreter des B e. V.) noch im Zeitpunkt der Übergabe über die Eigentumsübertragung einig gewesen sein. Dabei meint Einigsein i.s.d. 929 S. 1 BGB aber nicht, dass Erwerber und Veräußerer tatsächlich im Sinne eines natürlichen Willens die Übereignung noch wollen. 2 Einigsein bedeutet nach h.m. lediglich, dass die dingliche Einigung bis zur Übergabe frei widerruflich ist. Doch muss ein solch entgegenstehender Wille auch dem Erwerber gegenüber erklärt werden, so dass vorliegend kein Widerruf in Betracht kommt. Anmerkung: Dieser Prüfungspunkt wurde nur deshalb angesprochen, weil das RG im Originalfall (RGZ 83, 223 ff. Bonifatiusfall) den Eigentumserwerb an diesem Punkt mit dem Argument scheitern ließ, die S, die im Zeitpunkt der Übergabe Eigentümerin war, habe den Eigentumsübergang tatsächlich nicht gewollt. Hingegen entspricht die in der Lösung dargestellte Ansicht der heute ganz h.m. 3 2 So aber noch RGZ 83, 223 (229 f.); zum heutigen Meinungsstand Martinek/Röhrborn JuS 1994, 473 (477 f.). 3 Vgl. nur Medicus / Petersen, 24. Auflage 2013, Bürgerliches Recht, Rn Seite 3 von 5
4 dd) Berechtigung des P P bzw. S als dessen Alleinerbin waren als Eigentümer der Wertpapiere auch Berechtigte i.s.d. 929 S. 1 BGB. Damit ist der B e. V. Eigentümer der Wertpapiere nach 929 S. 1 BGB geworden. 3. Zwischenergebnis Ein Anspruch der S nach 985 BGB scheidet deshalb aus. II. Anspruch der S aus 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. S könnte aber einen Anspruch aus 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gegen den B e. V. auf Herausgabe der Wertpapiere haben. 1. Etwas Erlangt Der B e. V. hat Eigentum und Besitz an den Wertpapieren erlangt, s.o. 2. Durch Leistung der S Dies geschah auch durch Leistung der S. Denn die Leistung des P wird der S über 1922 BGB zugerechnet. 3. Ohne rechtlichen Grund Ferner müsste die Leistung ohne Rechtsgrund erfolgt sein. a) Schenkungsvertrag Als Rechtsgrund kommt vorliegend ein Schenkungsvertrag gem. 516 BGB zwischen P bzw. S einerseits und dem B e. V. andererseits in Betracht. Ein Schenkungsvertrag wurde dem B e. V. von P bzw. dann von S als dessen Alleinerbin durch den Boten M angeboten und von F als Vertreter des B e. V. konkludent angenommen, vgl. 516, 130 Abs. 2, 151, 153 BGB. b) Formunwirksamkeit der Schenkung Die Schenkung könnte allerdings formunwirksam sein. aa) Gemäß 518 BGB Die Schenkung könnte nach 518 Abs. 1, 125 BGB unwirksam sein, weil das Schenkungsversprechen des P nicht notariell beurkundet wurde. Die mangelnde Form wurde vorliegend jedoch nach 518 Abs. 2 BGB dadurch geheilt, dass die versprochene Leistung bewirkt wurde. Hierfür genügt es auch, dass die Leistung nach dem Tode des Schenkers erfolgte. Anmerkung: Im Einzelnen ist str., ob die Bewirkung i.s.d. 518 Abs. 2 BGB in der Vornahme der Leistungshandlung (durch P) oder im Eintritt des Leistungserfolges (dann durch S) zu sehen ist. 4 Die Vornahme der Leistungshandlung soll aber nach h.m. ausreichen, wenn der Schenker alles für den Vollzug Nötige getan hat. bb) Gemäß 2301 BGB Der Wirksamkeit der Schenkung könnte jedoch die Vorschrift des 2301 BGB entgegenstehen. Danach wäre ebenfalls die notarielle Beurkundung erforderlich, vgl BGB. 5 Die Vorschrift soll sicherstellen, dass die Formvorschriften für letztwillige Verfügungen nicht durch eine rechtsgeschäftliche Gestaltung als Schenkung unter der aufschiebenden Bedingung (oder Befristung!) des eigenen Todes umgangen werden. Dann müsste überhaupt eine Schenkung von Todes wegen vorliegen. Als solche bezeichnet 2301 Abs. 1 BGB Schenkungsversprechen, die unter der Bedingung erteilt werden, dass der Beschenkte den Schenker überlebt. Diese Überlebensbedingung wurde vorliegend von P nicht ausdrücklich genannt. Zur Anwendung des 2301 BGB soll jedoch genügen, dass die Zuwendung gerade im Hinblick auf den nahen Tod erfolgen soll, der Schenker das Überleben des Beschenkten für sicher hält und die Schenkung für den Fall seines Überlebens nicht hätte erbringen wollen. Davon zu unterscheiden sind Schenkungen, die zwar in Anbetracht des nahen Todes vorgenommen werden, die aber in ihrer Wirksamkeit nicht vom tatsächlichen Eintritt des Todesfalles abhängen sollen. Vorliegend spricht einiges dafür, lediglich eine Schenkung in Anbetracht des Todes anzunehmen. Denn P konnte sich nicht sicher 4 Vgl. zum Streitstand beispielsweise MüKo/Koch, BGB, 518 Rn. 9 m.w.n. 5 Die h.m. versteht unter Vorschriften über Verfügungen Von Todes wegen i.s.d BGB eine Verweisung allein auf die Vorschriften über den Erbvertrag, weil die Schenkung ein Vertrag ist, vgl. Palandt/Weidlich BGB, 2301 Rn. 6; a.a. MüKo/Musielak, BGB, 2301 Rn. 13, wonach auch die Form des 2247 BGB ausreicht. Seite 4 von 5
5 sein, dass die Übergabe erst nach seinem Tode erfolgt. Er wollte die Wertpapiere dem B vielmehr schenken, auch wenn er noch einige Tage gelebt, oder sich sein Gesundheitszustand wider Erwarten gebessert hätte. 6 Damit ist 2301 BGB nicht anwendbar. Anmerkung: Anders dagegen die h.m.: Sie will 2301 BGB anwenden, weil sicher war, dass der B als juristische Person den P überleben werde und P mit seinem baldigen Ableben rechnete. 7 Die h.m. kommt dann zu der im Einzelnen sehr umstrittenen Frage, ob ein Vollzug nach 2301 Abs. 2 BGB erfolgt ist, der die Möglichkeit der Heilung des Formmangels über 518 Abs. 2 BGB ermöglicht. 8 Hier teilt sich die h.m.: Teils wird darauf abgestellt, dass der Eigentumsverlust nicht mehr den P, sondern die S traf ( kein Vollzug), teils darauf, dass der P alles zum Vollzug erforderliche getan hatte ( Vollzug durch P). Wer Vollzug i.s.d Abs. 2 BGB annimmt, kommt zum selben Ergebnis wie die hier vertretene Lösung, wer den Vollzug ablehnt, der kommt zum Ergebnis, dass der Rechtsgrund i.s.d. 812 Abs.1 S.1 BGB fehlt. Folglich liegt ein wirksamer Schenkungsvertrag vor, so dass ein Rechtsgrund für die Leistung gegeben ist. Ergebnis: Ein Anspruch der S gegen B aus 812 Abs.1 S. 1 Alt. 1 BGB scheidet aus. Literaturhinweise: - Medicus / Petersen, Bürgerliches Recht, 24. Aufl. 2013, Rn. 391 ff. und Rn. 760 ff. - Martinek / Röhrborn, Der legendäre Bonifatius-Fall Nachlese zu einer reichsgerichtlichen Fehlentscheidung, JuS 1994, S. 473 ff. und S. 564 ff. - Annuß / Becker, Das Recht der Wertpapiere Eine Einführung, JA 2003, S. 337 ff. 6 So auch Martinek/Röhrborn, JuS 1994, 564 (566). 7 Vgl. Martinek/Röhrborn, JuS 1994, 564 (565 f.). 8 Vgl. Martinek/Röhrborn, JuS 1994, 564 (567 ff.). Seite 5 von 5
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