ARBEITSGEMEINSCHAFT ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (G-L) WINTERSEMESTER 2011/12 PROF. DR. SUSANNE LEPSIUS. Lösung Fall 4

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1 ARBEITSGEMEINSCHAFT ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (G-L) WINTERSEMESTER 2011/12 PROF. DR. SUSANNE LEPSIUS (Fall nach Purnhagen/Keller, JA 2006, 844) Lösung Fall 4 A. ANSPRUCH AUS 985 BGB V könnte gegen M einen Anspruch auf Herausgabe des Besitzes am Fernseher aus 985, 986 BGB haben. I. Besitz der M Dafür müsste M zunächst Besitzerin sein. Gem. 854 I BGB wird der Besitz über eine Sache durch die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft erworben. Bei dem Fernseher handelt es sich um eine Sache gem. 90 BGB. V hat der M den Fernseher übergeben und ihr damit die Sachherrschaft verschafft. Somit ist M Besitzerin. II. Eigentum des V V müsste Eigentümer sein. Hinweis: Die Eigentumsverhältnisse werden nach überwiegender Ansicht anhand der hier angewandten historischen Methode geprüft. 1. Ursprünglich Ursprünglich war V Eigentümer des Fernsehers. 2. Verlust durch Verfügung an M gem. 929 S. 1 BGB Er könnte das Eigentum jedoch durch Verfügung gem. 929 S. 1 BGB an M verloren haben. a) Übergabe Dafür müsste V der M den Fernseher zunächst übergeben haben. Wie bereits unter A. I. ausgeführt wurde, ist dies der Fall. b) Einigung Ferner müssten sich V und M wirksam über den Eigentumsübergang geeinigt haben. Die Einigung im Rahmen des 929 S. 1 BGB ist ein dinglicher Vertrag. Ein Vertrag kommt durch die Annahme eines Antrags zustande. Antrag und Annahme sind zwei aufeinander bezogene Willenserklärungen, wobei unter einer Willenserklärung jede private Äußerung eines Willens, die auf eine Rechtsfolge gerichtet ist, verstanden wird. aa) Willenserklärung des V. Demnach könnte V einen Antrag, eine empfangsbedürftige Willenserklärung, abgegeben haben.

2 LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 2 VON 7 (1) Ausdrücklich hat V keine Willenserklärung abgegeben. (2) Er könnte jedoch in dem Hingeben des Fernsehers konkludent einen Antrag abgegeben haben. Ob dies der Fall ist, ist unter Anwendung der Auslegungsgrundsätze für Willenserklärungen gem. 133, 157 BGB zu ermitteln. Hiernach ist zu fragen, ob ein verständiger Empfänger dieses Verhalten als Willenserklärung auffassen würde. Ein objektiver Empfänger würde in einem solchen Verhalten den Willen zur Übertragung von Eigentum erblicken. Somit hat V konkludent einen Antrag zur Übertragung von Eigentum an dem Fernseher abgegeben. (3) Als empfangsbedürftige Willenserklärung bedarf der Antrag zu seiner Wirksamkeit des Zugangs gegenüber dem Erklärungsempfänger. (a) Grundsätzlich ist eine Willenserklärung gegenüber einem Minderjährigen gem. 131 I, II 1 BGB aber erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht. Gesetzliche Vertreter des Kindes sind gem I, 1629 I 1 BGB die Eltern. Hier ist den E die Willenserklärung des V jedoch nicht zugegangen. Somit könnte sie nach 131 I, II 1 BGB unwirksam sein. (b) Dies gilt gem. 131 II BGB jedoch nicht, wenn die Willenserklärung gegenüber einem beschränkt Geschäftsfähigen abzugeben ist und die Willenserklärung diesem einen lediglich rechtlichen Vorteil bringt. (aa) Hierfür müsste M beschränkt geschäftsfähig sein. Gem. 2, 106 BGB (+) (bb) Lediglich rechtlich vorteilhaft sind alle Willenserklärungen, die keinen rechtlichen Nachteil für den Minderjährigen bedeuten. Durch das Angebot zur Übereignung des Fernsehers von V entstehen keinerlei Rechtspflichten für M. Vielmehr werden ihre rechtlichen Handlungsmöglichkeiten erweitert. Damit liegt kein rechtlicher Nachteil vor. (4) Somit ist die Willenserklärung des V wirksam zugegangen. bb) Willenserklärung der M. Die M müsste das Angebot aber auch wirksam angenommen haben. (1) Ausdrücklich hat M keine Willenserklärung abgegeben. (2) Sie könnte jedoch durch die Entgegennahme des Fernsehers konkludent eine Annahmeerklärung abgegeben haben. Unter der Anwendung der Auslegungsgrundsätze für Willenserklärungen gem. 133, 157 BGB würde ein verständiger Empfänger in einem solchen Verhalten den Willen zur Übertragung von Eigentum erblicken. Somit hat M konkludent das Angebot zur Übertragung von Eigentum an dem Fernseher angenommen. (3) Fraglich ist jedoch, ob die Willenserklärung wirksam ist. Der Wirksamkeit könnte entgegenstehen, dass M beschränkt geschäftsfähig war und die Willenserklärung daher gem. 106 ff. BGB unwirksam sein könnte.

3 LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 3 VON 7 Vorteilhaftigkeit vor der Zustimmung prüfen, da die Frage nach der Wirksamkeit der Willenserklärung bei Vorliegen einer rechtlich vorteilhaften Willenserklärung erst gar nicht aufgeworfen wird. (a) M beschränkt geschäftsfähig. Willenserklärungen, die eine beschränkt Geschäftsfähige abgegeben hat, bedürfen nach 107 BGB grundsätzlich der Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter. (b) Der Wirksamkeit des Antrags stünde die Minderjährigkeit der M jedoch nicht entgegen, wenn sie gem. 107 BGB durch die Willenserklärung lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangen würde. Hinweis: Abzustellen ist gem. 107 BGB allein auf den rechtlichen Vorteil, wirtschaftliche Überlegungen bleiben nach hm unberücksichtigt. Somit ist nur danach zu fragen, ob der Minderjährige rechtlich benachteiligt wird. Dass sein Vermögen ursprünglich durch Hingabe der 100 gemindert wurde, ist ohne Belang. Hier ist die Willenserklärung der M auf Abschluss einer dinglichen Einigung gem. 929 S. 1 BGB gerichtet. Durch die Willenserklärung verpflichtet sie sich nicht. Sie würde lediglich Eigentum erwerben. Somit ist der Antrag der M rechtlich vorteilhaft. M erlangt durch die Willenserklärung damit einen lediglich rechtlichen Vorteil i.s.d Hs. BGB. (4) Daher ist die Willenserklärung der M schon aus diesem Grunde wirksam. Eine wirksame Einigung liegt vor. M hat somit wirksam Eigentum an dem Fernseher durch Übereignung nach 929 S. 1 BGB erlangt. V ist nicht mehr Eigentümer. V hat gegen M mithin keinen Anspruch auf Herausgabe des Besitzes am Fernseher nach 985, 986 BGB. B. ANSPRUCH AUS 812 I 1 1. Alt. BGB V könnte gegen M einen Anspruch auf Herausgabe von Eigentum und Besitz an dem Fernseher aus 812 I 1 1. Alt. BGB haben. I. Etwas erlangt Dafür müsste M zunächst etwas erlangt haben. Etwas i.s.d. 812 BGB ist jeder vermögenswerte Vorteil. Als solcher sind auch Eigentum und Besitz anerkannt. Wie bereits dargestellt wurde, hat M Eigentum und Besitz an dem Fernseher erlangt. Somit hat sie etwas erlangt. II. Durch Leistung

4 LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 4 VON 7 M müsste das»etwas«ferner durch Leistung des V erlangt haben. Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens, wobei die Zweckrichtung in der Erfüllung einer wenn auch nur vermeintlichen Verbindlichkeit bestehen kann. V übertrug der M Eigentum und Besitz an dem Fernseher, um die vermeintlich bestehende Verbindlichkeit zur Übergabe und Übereignung aus dem zugrundeliegenden Kaufvertrag gem. 433 I 1 BGB zu erfüllen. Somit hat V Eigentum und Besitz an dem Fernseher durch Leistung erlangt. III. Ohne rechtlichen Grund V müsste Eigentum und Besitz an dem Fernseher ferner ohne rechtlichen Grund erlangt haben. Ohne rechtlichen Grund hat der Bereicherungsschuldner etwas erlangt, wenn der Anspruch, der mit der Leistung erfüllt werden sollte, nicht besteht. Dies ist der Fall, wenn ein wirksamer Kaufvertrag nicht besteht. 1. Zustandekommen eines Kaufvertrages gem. 433 I BGB Ein Kaufvertrag gem. 433 BGB kommt durch die Annahme eines Antrags zustande. Somit müsste zunächst ein Antrag vorliegen. a) Antrag des V durch Ausstellen des Fernsehers Dies würde sich aus Sicht eines objektiven Dritten in der Position des Empfängers für den Willen des Verkäufers als unbillig erweisen. Somit handelt V hier nicht mit Rechtsbindungswillen, er hat mit der Auslage nach den Grundsätzen der 133, 157, 242 BGB keine wirksame Willenserklärung abgegeben. Es handelt sich hierbei lediglich um eine so genannte»invitatio ad offerendum«(aufforderung zur Abgabe eines Angebots). b) Antrag des V durch Anbieten des Fernsehers mit konkreten Informationen zu Zahlung etc. c) Annahme der M durch Zahlung der 100 Allerdings könnte M die Annahme abgegeben haben. Diese Annahme müsste auch wirksam sein. Der Wirksamkeit könnte entgegenstehen, dass M beschränkt geschäftsfähig ist und die Willenserklärung daher gem. 106 ff. BGB unwirksam sein könnte. (1) M ist beschränkt geschäftsfähig. (2) Der Wirksamkeit des Antrags stünde die Minderjährigkeit der M jedoch nicht entgegen, wenn sie gem. 107 BGB durch die Willenserklärung lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangen würde. Rechtlich nachteilhaft sind vor allem solche Verträge, durch die der Minderjährige verpflichtet wird. Hier ist die Willenserklärung der M auf Abschluss eines Kaufvertrags gerichtet. Durch die Willenserklärung würde sie sich verpflichten, dem Kaufpreisverlangen des V aus 433 II BGB nachzukommen. Somit ist der Antrag der M rechtlich nachteilhaft. erlangt durch die Willenserklärung

5 LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 5 VON 7 damit nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil i.s.d. 107 BGB. Daher ist der Antrag der M nicht auf Grund eines lediglich rechtlichen Vorteils nach 107 BGB wirksam. (3) Somit bedurfte die Willenserklärung der M gem. 107, 108 I BGB zu ihrer Wirksamkeit der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter. Einwilligung ist nach der Legaldefinition des 183 S Hs. BGB die vorherige Zustimmung. Gesetzliche Vertreter des Kindes sind gem I, 1629 I 1 BGB die Eltern. Hier haben die E vor dem Abschluss des Kaufvertrages die M darauf hingewiesen, dass sie mit dem Erwerb eines Fernsehers durch M nicht einverstanden wären. Daher haben die E ausdrücklich keine Einwilligung erteilt. Die Willenserklärung der M ist nicht im Wege der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter nach 107 BGB wirksam. (4) Die Eltern könnten jedoch schon zuvor durch zur Verfügung stellen der 100 Taschengeld konkludent in den Kauf eingewilligt haben. ( 110 BGB) Dies wäre der Fall, wenn M den Kauf des Fernsehers mit Mitteln bewirkt hätte, die ihr zur freien Verfügung von ihren Eltern überlassen worden wären. Hinweis: Mit der Bewirkung der Leistung setzt 110 BGB die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäftes (der Leistung des Minderjährigen) voraus. Auf das Verfügungsgeschäft ist 110 BGB entgegen einer vereinzelt geblieben Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ 74, 234 (245) nicht anwendbar. Es ist allein auf die 107 ff. BGB abzustellen, wobei nach überwiegender Meinung bei Vorliegen eines Falles nach 110 BGB in der Regel die Einwilligung der Eltern zu dem Verfügungsgeschäft angenommen werden kann. Hier haben die Eltern der M monatlich 100 zur freien Verfügung gestellt. Der Wirksamkeit des Antrags könnte somit schon entgegenstehen, dass der Fernseher 200 kostet. Jedoch hat sich M bereits 300 angespart, sodass sie die Zahlung in jedem Fall mit eigenen Mitteln bewirken kann. Allerdings müsste M nach Sinn und Zweck des 110 BGB die vollständige Leistung mit eigenen Mitteln bewirkt haben. 110 BGB ist daher ein»haben«hinter dem»bewirkt«anzufügen. Hier hat M nur 100 angezahlt. Somit hat sie nicht die volle Leistung bewirkt. Daher haben die Eltern nicht konkludent gem. 110 BGB eingewilligt. (5) Die Willenserklärung der M ist somit zunächst schwebend unwirksam. (6) Der Antrag wäre allerdings endgültig unwirksam, würde die erforderliche Genehmigung der Eltern der M nicht vorliegen, 108 I BGB. Genehmigung ist nach der Legaldefinition des 184 I 1. Hs. BGB die nachträgliche Zustimmung. Ausdrücklich haben die Eltern hier nicht die Zustimmung zur Willenserklärung verweigert. Jedoch verlangen sie den Geldschein zurück, sodass in diesem Verhalten für einen objektiven Empfänger nach den Grundsätzen der 133, 157, 242 BGB eine konkludente Verweigerung der Genehmigung zu sehen ist. Der Antrag der M ist daher endgültig unwirksam. Daher liegt keine wirksame Annahme der M vor.

6 LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 6 VON 7 Mithin ist kein wirksamer Kaufvertrag zwischen M und V zustande gekommen. Somit besteht die Verbindlichkeit, aufgrund derer geleistet wurde, nicht. Somit hat M ohne rechtlichen Grund geleistet. V hat gegen M daher einen Anspruch auf Herausgabe von Eigentum und Besitz an dem Fernseher aus 812 I 1 1. Fall BGB. IV. Einwendung nach den Grundsätzen der Saldotheorie Der Anspruch könnte gem. 273 BGB gehemmt sein, soweit der M ihrerseits ein Bereicherungsanspruch (hier gerichtet auf Eigentum und Besitz an den 100 ) gegen V zusteht. Grundsätzlich müssen Einreden erhoben werden. Für eine Erhebung der Einrede fehlen aber die Anhaltspunkte. 1. Saldierung nach den Grundsätzen der Saldotheorie? Allerdings könnte eine solche Einrede des Zurückbehaltungsrechts nach den Grundsätzen der Saldotheorie nicht notwendig sein. Die Anwendung der Saldotheorie führt bei Geldleistungen zu einer automatischen Verrechnung der Bereicherungsansprüche bei der Rückabwicklung gegenseitiger Verträge auf der Einwendungsebene. Hier stehen sich jedoch nicht zwei Bereicherungsansprüche gegenüber, deren Rechtsfolgen auf Einräumung von Eigentum und Besitz an Geldwertzeichen gerichtet ist. Bei solchen ungleichen Bereicherungsgegenständen hat die Anwendung der Saldotheorie zur Folge, dass das Zurückbehaltungsrecht gem. 273 BGB entgegen dem Wortlaut nicht als Einrede erhoben werden muss. Somit könnte die Einrede nach den Grundsätzen der Saldotheorie entbehrlich sein. 2. Anwendbarkeit Dafür müsste die Saldotheorie überhaupt anwendbar sein. Einer Anwendbarkeit könnte die Wertung des 107 BGB entgegenstehen. M ist minderjährig, sie ist gem. 107 BGB nicht an den Vertrag mit V gebunden. Würde man dem V nun eine Saldierung seines möglichen Anspruchs auf Herausgabe des Kaufpreises gegen die M zugestehen, wäre im wirtschaftlichen Ergebnis doch an den Vertrag mit V gefesselt. Daher ist die Saldotheorie nicht anwendbar, wenn der Minderjährige der von der Saldotheorie Benachteiligte ist. Hier beruft sich die M aber auf die Vorteile der Saldotheorie. Die Saldotheorie ist folglich anwendbar. V. Ergebnis

7 LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 7 VON 7 V hat daher gegen M einen Anspruch auf Herausgabe von Eigentum und Besitz an dem Fernseher aus 812 I 1 1. Fall BGB, der jedoch nach den Grundsätzen der Saldotheorie i.v.m. 273 BGB in der Durchsetzung gehemmt ist.