Die einzelnen Freiheitsrechte 3. Teil: Wirtschaftsfreiheit und Eigentumsgarantie
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- Katrin Knopp
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1 Die einzelnen Freiheitsrechte 3. Teil: Wirtschaftsfreiheit und Eigentumsgarantie Vorlesungen vom 6. und 9. November 2012 Prof. Christine Kaufmann Herbstsemester 2012 Die Wirtschaft in der BV Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit Art. 94: Institutionelle Grundsätze der Wirtschaftsordnung Art. 27: Wirtschaftsfreiheit als individuelles Grundrecht Weitere Verfassungsnormen Wettbewerbspolitik (Art. 96 BV Kartellgesetz, UWG, PüG) Koalitionsfreiheit und Streikrecht (Art. 28 BV) Privatrecht und privatwirtschaftliche Erwerbstätigkeit (Art. 122, 95 Abs. 1 BV) Geld, Währung, Konjunktur (Art. 99 f. BV) Wirtschaftsaufsicht (z.b. Art. 98 BV) Strukturpolitik (z.b. Art. 103 f. BV) Binnenmarkt (Art. 95 Abs. 2 BV BGBM) Aussenwirtschaft (Art. 101 BV) Seite 2 1
2 Soziale Marktwirtschaft als Modell der BV Entscheidung für die Marktwirtschaft Art. 94 Art. 27 Korrekturen/Ergänzungen Sozialpolitische: Z.B. Art , Art. 127 Abs. 2 BV Ökologische: Z.B. Art BV Wettbewerbspolitische: Z.B. Art. 96 BV Ergebnis: Soziale Marktwirtschaft Seite 3 Art. 27 BV: Sachlicher Schutzbereich (1/2) Freier Wettbewerb im Wirtschaftsleben Jede auf Erwerb gerichtete privatwirtschaftliche Tätigkeit Erwerb setzt nach BGer wirtschaftlichen Austausch voraus Unselbstständige und selbstständige Tätigkeit Freie Gestaltung der Geschäftsbeziehungen sowie freie Werbung Für Erwerb genügt, dass Umsatz erzielt wird Gewinn Gewinnabsicht ist nicht erforderlich Freie Ausübung der privatwirtschaftlichen Tätigkeit Wahl der Tätigkeit selbst Ort und Zeit der Tätigkeit Sachliche Mittel Seite 4 2
3 Art. 27 BV: Sachlicher Schutzbereich (2/2) Anspruch auf staatliche Leistungen? Grundsatz: Art. 27 gewährt kein gerichtlich durchsetzbares Recht auf staatliche Leistungen BGer: Kein grundrechtlicher Anspruch auf höhere Ausbildung Ausnahmen Bedingter Anspruch auf Benutzung von öffentlichem Grund Weitere Leistungen, sofern zur Grundrechtsausübung erforderlich? Seite 5 Art. 27 BV: Persönlicher Schutzbereich (1/2) Natürliche Personen Schweizerinnen und Schweizer Zum Teil: Ausländerinnen und Ausländer Wenn sie eine Niederlassungsbewilligung haben Oder einen staatsvertraglichen Anspruch auf Aufenthalt in der Schweiz Seite 6 3
4 Art. 27 BV: Persönlicher Schutzbereich (2/2) Juristische Personen Juristische Personen des Privatrechts Schweizerische Ausländische, sofern ein Anspruch auf wirtschaftliche Betätigung in der Schweiz besteht: o Sektorielle Abkommen mit der EU o Weitere völkerrechtliche Abkommen, z.b. im Rahmen der WTO Nicht aber: Juristische Personen des öffentlichen Rechts Gemeinwesen und andere Träger von öffentlichen Aufgaben Frage nicht geklärt für öffentliche Unternehmen Seite 7 Gleichbehandlung der Konkurrentinnen und Konkurrenten Art. 94 Abs. 1 und 4 BV Sachlicher Schutzbereich Schutz vor Ungleichbehandlung durch den Staat Wettbewerbsneutralität des Staates Lex specialis zu allgemeinem Gleichheitsgebot in Art. 8 Abs. 1 BV Gerichtlich einklagbarer Individualanspruch auf Gleichbehandlung Persönlicher Schutzbereich: Konkurrenten Angehörige gleicher Branchen mit gleichem oder aus Sicht des Publikums vergleichbarem Angebot, das sich an das gleiche Publikum richtet Lehre: Substituierbarkeit der Produkte Staatsrecht I Die einzelnen Freiheitsrechte 3. Teil Prof. Christine Kaufmann, Herbstsemester 2011 Seite 8 4
5 Art. 27 BV: Einschränkungen (1/5) Übersicht: Neben Art. 36 BV, zwei zusätzliche Prüfungsschritte 1. Schritt: Grundsatzkonformität (Art. 94 Abs. 4 BV) 2. Schritt: Voraussetzungen von Art. 36 BV Abs. 1: Gesetzliche Grundlage Abs. 2: Öffentliches Interesse Abs. 3: Verhältnismässigkeit (Geeignetheit/Erforderlichkeit/Zumutbarkeit) Abs. 4: Kerngehalt 3. Schritt: Gleichbehandlung der direkten Konkurrenten (Art. 94 Abs. 1 und 4 BV) Seite 9 Art. 27 BV: Einschränkungen (2/5) 1. Prüfungsschritt: Art. 94 Abs. 4 BV Frage: Ist die Massnahme grundsatzkonform oder grundsatzwidrig? Grundsatzwidrige Massnahmen Zweck der Norm liegt in der Steuerung des Wettbewerbs Wenn ja: Einschränkung ist verfassungswidrig, ausser o Wenn in der BV vorgesehen o Oder durch kantonale Regalrechte begründet Grundsatzkonforme Massnahmen Keine Steuerung des Wettbewerbs beabsichtigt (gewisse Auswirkungen auf die Wettbewerbsverhältnisse stehen der Grundsatzkonformität nicht entgegen) Für Einschränkungen müssen Voraussetzungen von Art. 36 BV erfüllt sein. Seite 10 5
6 Art. 27 BV: Einschränkungen (3/5) 2. Prüfungsschritt: Art. 36 BV Art. 36 Abs. 1 BV: Gesetzliche Grundlage Erfordernis des Rechtssatzes o Generell-abstrakte Norm o Genügende Bestimmtheit o Zuständigkeit des erlassenden Gemeinwesens und Organs - Bundeskompetenzen (namentlich in Art. 95 BV) - Weit gehende kantonale Kompetenzen Erfordernis der Gesetzesform o Bei schweren Eingriffen formelles Gesetz o Ansonsten genügt Verordnung Ausnahme: Polizeiliche Generalklausel Seite 11 Art. 27 BV: Einschränkungen (4/5) (Fortsetzung: 2. Prüfungsschritt) Art. 36 Abs. 2 BV: Öffentliches Interesse Grundsätzlich alle öffentlichen Interessen: Z.B. polizeiliche, sozialpolitische oder ökologische Umstritten: fiskalische Interessen Art. 36 Abs. 3 BV: Verhältnismässigkeit Eignung Erforderlichkeit Zumutbarkeit Art. 36 Abs. 4 BV: Kerngehalt Seite 12 6
7 Art. 27 BV: Einschränkungen (5/5) 3. Prüfungsschritt: Gleichbehandlung Art. 94 Abs. 1 und 4 BV Liegt eine tatsächliche Ungleichbehandlung vor? Ist ein Konkurrenzverhältnis gegeben? Gleiche Branche Gleiche Angebote Gleiches Publikum Gleiches zu deckendes Bedürfnis Gleicher Markt (Substituierbarkeit der Produkte) Gibt es sachliche und vernünftige Gründe für die Ungleichbehandlung? Strengerer Massstab als bei Art. 8 Abs. 1 BV Beispiel: Begünstigung umweltfreundlicher Produkte Seite 13 Fallbe: Zürcher Taxifall Sachverhalt (Entscheid 2C_940/210, Dok. Nr. 13) Die Stadt Zürich legt die genauen Taxipreise fest Tarifliche Abweichungen nach unten und nach oben sind unzulässig Fragestellung Verstösst die Stadt Zürich dadurch gegen die Wirtschaftsfreiheit? Seite 14 7
8 Art. 26 BV: Eigentumsgarantie Privateigentum als Institut der Rechtsordnung Sachlicher Schutzbereich Vermögenswerte Rechte des Privatrechts Sachenrechtliches Eigentum, dingliche und obligatorische Rechte Immaterialgüterrechte Wohlerworbene Rechte des öffentlichen Rechts Umstritten: Illegal geschaffenes Eigentum, faktische Nutzungsmöglichkeiten Vermögen an sich: Nach BGer nicht geschützt. Persönlicher Schutzbereich Alle Menschen Juristische Personen des Privatrechts Gemeinwesen, sofern wie Private betroffen Seite 15 Art. 26 BV: Vermittelte Ansprüche Institutsgarantie (Art. 26 Abs. 1 i.v.m. Art. 36 Abs. 4 BV) Bestandesgarantie (Art. 26 Abs. 1 i.v.m. Art. 36 Abs. 1-3 BV) Wertgarantie (Art. 26 Abs. 2 BV) Auch Leistungspflichten? Seite 16 8
9 Art. 26 BV: Institutsgarantie Schutzbereich Privateigentum als unantastbares Institut der Rechtsordnung Schutzbereich = Kerngehalt Praxis Schwelle für Verletzung ist sehr hoch Lehrbuchbeispiel: Konfiskatorische Besteuerung Seite 17 Art. 26 BV: Bestandesgarantie Schutzbereich: Konkrete, individuelle Eigentumsrechte Voraussetzungen für Einschränkungen Nach Art. 36 Abs. 1-3 Gesetzliche Grundlage Öffentliches Interesse (z.b. Art. 75 BV) Verhältnismässigkeit Seite 18 9
10 Art. 26 BV: Wertgarantie (1/3) Schutzbereich Besonderheit: Schutz bei rechtmässigen Eigentumsbeschränkungen Ausgleich des wirtschaftlichen Nachteils, der durch eine zulässige Eigentumsbeschränkung entstanden ist Drei mögliche Konstellationen Formelle Enteignung Entzug oder Übertragung der Rechte Rechtsfolge: Entschädigungspflicht Seite 19 Art. 26 BV: Wertgarantie (2/3) (Forts.: Drei mögliche Konstellationen) Materielle Enteignung (Gegenstand der Vorlesung öffentliches Recht II) Kein Entzug oder Übertragung von Rechten Aber: Nutzungsbeschränkung hat ähnliche Auswirkungen wie ein Eigentumsentzug o Starke Einschränkung eines bisherigen oder voraussehbaren künftigen Gebrauchs, oder o Unzumutbarkeit des Opfers gegenüber der Allgemeinheit Rechtsfolge: Entschädigungspflicht Seite 20 10
11 Art. 26 BV: Wertgarantie (3/3) (Forts.: Drei mögliche Konstellationen) Entschädigungslose öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung Wenn weder eine formelle noch eine materielle Enteignung vorliegt Keine Entschädigungspflicht des Staates Nicht jede Eigentumsbeschränkung löst eine Entschädigungspflicht aus Seite 21 Art. 26 BV: Überblick Öffentlich-rechtliche Eingriffe ins Eigentum Kein formeller Entzug von Eigentumsrechten Öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung Formeller Entzug von Eigentumsrechten Formelle Enteignung Relativ milder Eingriff Entschädigungslose öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung Wirkt wie Enteignung Materielle Enteignung Seite 22 11
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