2 Zug- und Druckbeanspruchung
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- Heinz Kneller
- vor 7 Jahren
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1 2 Zug- und Druckbeanspruchung 2.1 Zug- und Druckspannungen Zur Berechnung der Spannungen in einem prismatischen Zugstab wenden wir die Schnittmethode (s. Abschn. 1.3) an. Da die äußeren Kräfte F in Richtung der Stabachse zeigen, ist ein Schnitt senkrecht zur Stabachse als geeignet anzusehen. In dieser Querschnittsfläche können nur Normalspannungen auftreten (Bild 2.1), weil Schubspannungen äußere Kräfte senkrecht zur Stabachse erfordern. Die Gleichgewichtsbedingung der Kräfte in Stablängsrichtung ergibt mit lim n A 0 n i=1 σ i A i = σ da σ da F = 0. (2.1) Geht man von der Annahme aus, dass die Spannungen gleichmäßig über die Querschnittsfläche verteilt sind, dann ist σ = const und aus Gl. (2.1) folgt σ da = σa = F. Damit lautet die Gleichung für die Zugspannung (2.2) σ = F A. (2.3) Die Annahme gleichmäßiger Spannungsverteilung ist zutreffend, wenn sich die Querschnittsflächen entlang der Stabachse nicht oder nur wenig ändern und wenn man den Bereich in der Nähe der Krafteinleitung außer Acht lässt (Prinzip von DE ST. VENANT). Bei plötzlichem Querschnittssprung ist die Spannungsverteilung ungleichmäßig (s. Abschnitt 3.2.2). Druckbeanspruchung erhält man durch Richtungsumkehr der äußeren Last F. Aus Gl. (2.3) folgt somit die Gleichung für die Druckspannung in einem Druckstab F F PSfrag replacements F A σ A i σ i Bild 2.1: Geschnittener Zugstab mit Normalspannungen σ in der Schnittfläche A
2 10 2 Zug- und Druckbeanspruchung σ = F A. (2.4) Die Spannungen in Zug- und Druckstäben müssen zulässig sein. Als Festigkeitsbedingung mit der zulässigen Spannung σ zul (s. Abschn. 3) erhält man σ = F A σ zul. (2.5) Aus Gl. (2.5) folgt für die Tragfähigkeit F zul Aσ zul (2.6) und für die Dimensionierung A zul F σ zul. (2.7) Die Gln. (2.5) bis (2.7) gelten auch für Druckstäbe, sofern diese gedrungen sind und die zulässigen Spannungen für Zug und Druck gleich sind. Andernfalls ist eine Berechnung auf Knicken erforderlich (s. Abschn. 10). Die Vorzeichen + oder werden im allgemeinen nicht angegeben, wenn eindeutig zu erkennen ist, ob es sich um Zug- oder Druckstäbe handelt. Die Berechnung der zulässigen Spannung σ zul bei Zug- und Druckbeanspruchung wird im Abschn. 3 behandelt. Beispiel 2.1: Eine Stahlstange, Durchmesser d = 50 mm, wird mit F = 300 kn auf Zug beansprucht. Man berechne die Zugspannung σ. Lösung 2.1: Für d = 50 mm ist A = (π/4)d 2 = mm 2. Gleichung (2.3) ergibt dann die Zugspannung σ = F A = N mm 2 = 152,8 N = 152,8 MPa. mm2 Beispiel 2.2: Wie groß ist die Tragfähigkeit eines Zugstabes aus St 37, σ zul = 140 N/mm 2? Für den Stab ist warmgewalzter gleichschenkliger rundkantiger Winkelstahl 60 6 nach DIN vorgesehen. Lösung 2.2: Einer Profiltabelle in [16] entnimmt man A = 6,91 cm 2. Die Tragfähigkeit wird nun aus Gl. (2.6) berechnet F zul = Aσ zul = 691 mm N mm 2 = 96,7 103 N. Die Zugkraft in dem Winkelstahl darf somit rund 97 kn nicht überschreiten.
3 2.2 Zugversuch 11 Beispiel 2.3: Eine Stahlschraube mit metrischem ISO-Gewinde nach DIN 13 wird mit einer Zugkraft F = 125 kn beansprucht. Welche Schraubengröße ist zu wählen, wenn die zulässige Spannung σ zul = 120 N/mm 2 ist? Lösung 2.3: Für die Berechnung denkt man sich die Schraube durch einen zylindrischen Stab mit dem Durchmesser des Gewindekernquerschnitts ersetzt. Aus Gl. (2.7) erhält man A F = 1, N σ zul 120 N/mm 2 = mm2. Einer Gewindetabelle [16] entnimmt man das Gewinde M42 mit Kernquerschnitt A 3 = 10,45 cm 2. Der Spannungsnachweis erfolgt mit Gl. (2.3) σ = F A 3 = 1, N mm 2 = 120 N mm 2. Mit dem Spannungsquerschnitt A S = 11,21 cm 2 [16] ergibt sich die Spannung zu 111,5 N/mm Zugversuch Spannungs-Dehnungs-Diagramm - HOOKEsches Gesetz Das Verhalten von Werkstoffproben bei Zugbeanspruchung prüft man im Zugversuch entsprechend DIN EN Ein genormter Zugstab, z.b. aus Stahl (DIN ) mit zylindrischem Prüfquerschnitt (Durchmesser d 0 ) (Bild 2.2), wird in einer Prüfmaschine bis zum Zerreißen belastet. Dabei wird die Kraftzunahme verfolgt. An einer vorbereiteten Anfangsmesslänge L 0 misst d0 d0 d/2 PSfrag replacements L 0 PSfrag replacements L 0 L Bild 2.2: Genormter Proportionalstab für Zugversuche Bild 2.3: Elastische Verformung der zylindrischen Messstrecke eines Zugstabes man die mit der Kraft F zunehmende Verlängerung L. Der Durchmesser nimmt um d ab (Bild 2.3). Um von den absoluten Maßen des Zugstabs unabhängige Größen zu erhalten, bezieht man die Längenänderung L auf die Anfangsmesslänge L 0 sowie die Durchmesseränderung d auf den Durchmesser d 0 und definiert als 1 Die nach DIN EN ermittelten Kennwerte mit der Dimension Spannung werden mit dem Buchstaben R statt σ, die mit der Dimension Dehnung mit dem Buchstaben A statt ε bezeichnet. Dem wird auch hier Rechnung getragen.
4 12 2 Zug- und Druckbeanspruchung a) PSfrag replacements σ = F A 0 A g A e b) B Z P E Rm c) σe σp Re σz 0 A (A 5 oder A 10 ) ε = L L 0 Bild 2.4: Verhalten einer Probe bei Zugbeanspruchung. a) Spannungs-Dehnungs-Diagramm eines Baustahls, b) gleichmäßige Verjüngung der Messstrecke bis zum Erreichen der Höchstlast, c) Einschnürung nach Überschreitung der Höchstlast (Erklärung der Symbole in Abschn ) Dehnung Querkontraktion ε = L L 0, ε q = d d 0. Unabhängig von der Verjüngung des Stabes ist die Zugspannung im Zugversuch als das Verhältnis der Zugkraft F zum Ausgangsquerschnitt A 0 definiert σ = F A 0. Ein anschauliches Bild über das Verhalten einer Probe bei der Zugbeanspruchung erhält man, wenn man die Spannung σ über die Dehnung ε aufträgt. Man gelangt so zum Spannungs-Dehnungs-Diagramm. Bild 2.4 zeigt ein für zähen Baustahl typisches Diagramm. Man erkennt daraus, dass bei kleiner Dehnung zunächst bis zum Punkt P die Dehnung proportional zur Spannung zunimmt. Bei Entlastung geht die Dehnung ebenfalls proportional zurück. In Abschn. 1.4 wurde dieses Verhalten als elastisch bezeichnet, es wurde erstmalig von R. HOOKE (1678) untersucht. Der
5 2.2 Zugversuch 13 Tabelle 2.1: Elastizitätsmodul (in N/mm 2 ), Querkontraktionszahl und Wärmeausdehnungskoeffizient (in 10 6 K 1 ) für ausgewählte Werkstoffe Werkstoff Elastizitätsmodul Querkontraktionszahl Wärmeausdehnungskoeffizient Stahl 1,9... 2, , , Eisen, rein 2, ,27 12 Grauguss 0, , ,25 9 Aluminium 0, , , , Blei 0, , , ,3 Kupfer 1, ,33 16 Wolfram 3, ,35 4,5 Glas 0,4... 0, ,2... 0,29 2, Polystyren ,32 30 Epoxidharz 3, , Anstieg der so genannten HOOKEschen Geraden 0P ist für jeden Werkstoff eine konstante Größe. Die Proportionalität zwischen Spannung und Dehnung lässt sich durch die Gleichung σ = Eε. (2.8) ausdrücken. Der Proportionalitätsfaktor E wird Elastizitätsmodul genannt und ist das Maß für den Anstieg der Geraden 0P. Gleichung (2.8) wird als HOOKEsches Gesetz bezeichnet. Sie dient als Grundlage zur Ermittlung der Spannungen in Bauteilen bei elastischen Formänderungen. Zahlenwerte für E-Moduln können z.b. [6, 16] entnommen werden, für ausgewählte Werkstoffe sind diese in Tabelle 2.1 angegeben. Durch Versuche hat man auch festgestellt, dass im Bereich der HOOKEschen Geraden das Verhältnis der Dehnung ε zur Querkontraktion ε q konstant ist (POISSONsches Gesetz) ε = m. ε q Die POISSONsche Konstante m ist ebenfalls eine werkstoffabhängige Zahl und liegt für Metalle im allgemeinen zwischen 3 und 4. Häufiger wird jedoch das Verhältnis von Querkontraktion zu Längsdehnung angegeben ε q = ν. ε Dabei wird der Reziprokwert von m, die POISSONzahl oder die Querkontraktionszahl ν = 1/m, verwendet. Sie beträgt im Durchschnitt für Metalle im geschmiedeten oder gewalzten Zustand 0, ,35. Weitere Beispiele können Tabelle 2.1 entnommen werden. Bei weiterer Steigerung der Kraft über P hinaus (Bild 2.4) weicht die Spannungs-Dehnungs- Kurve von der Geraden ab. Die Dehnungen nehmen bei gleicher Kraftsteigerung stärker zu als im elastischen Bereich. Nach Überschreiten eines Höchstwertes F B = F m der Kraft reißt der Stab bei (2.9)
6 14 2 Zug- und Druckbeanspruchung F Z auseinander (s. Abschn ). Weitere Ausführungen zum Spannungs-Dehnungs-Diagramm des Zugversuches kann man z.b. [6, 16] entnehmen Elastisches Verhalten - Formänderungsarbeit Das elastische Verhalten eines Werkstoffs ist von so grundlegender Bedeutung für die Festigkeitslehre, dass wir uns damit näher befassen müssen. Aus dem HOOKEschen Gesetz können eine Reihe von Folgerungen gezogen werden. Die Gl. (2.8) sagt z.b. aus, dass in einem Bauteil unter Zugbelastung bei bekanntem E-Modul aus einer unter Kraft F gemessenen Dehnung ε die Spannung σ berechnet werden kann. Ist F nicht bekannt, was häufig vorkommt, kann die Kraft bestimmt werden F = σa = EεA. Löst man Gl. (2.8) nach E auf, dann folgt E = σ ε. (2.10) Mit Hilfe dieser Gleichung kann an einem Probestab aus der Kraft F und der gemessenen Dehnung ε der E-Modul eines Werkstoffs ermittelt werden. Löst man schließlich Gl. (2.8) nach ε auf, dann ist ε = σ E. (2.11) Hieraus kann man die Dehnung in einem Zugstab bei gegebener Kraft F und bekanntem Elastizitätsmodul vorausberechnen. Für eine bestimmte Länge l des Stabes folgt aus Gl. (2.11) mit ε = l/l und σ = F/A die Verlängerung l = Fl EA. (2.12) Mit dieser Gleichung kann man die zu erwartende Verlängerung eines Zugstabes von gegebener Länge ermitteln. Beispiel 2.4: Eine Stange (d = 10 mm, l = 1000 mm) soll mit der Spannung σ = 105 N/mm 2 beansprucht werden. Wie groß sind Zugkraft F und die Verlängerung l, wenn die Stange aus Stahl bzw. aus der Legierung AlMgSi nach DIN gefertigt ist? Lösung 2.4: Gleichung (2.3) ergibt F = σa = 105 N mm 2 78,5 mm2 = N = 8,25 kn.
7 2.2 Zugversuch 15 Für Stahl mit E = 2, N/mm 2 wird nach Gl. (2.12) l = Fl EA = N mm 2, (N/mm 2 = 0,5 mm. ) 78,5 mm2 Mit E = 0, N/mm 2 für AlMgSi wird die Verlängerung l = 1,5 mm, also dreimal so groß wie die der Stahlstange bei gleicher Zugkraft F. Die Eigenschaft eines Körpers, nach Entlasten seine ursprüngliche Form wieder anzunehmen, nutzt man bei Federn aus. Auch ein Zugstab kann als Feder mit sehr kleinem Federweg angesehen werden (rheologisches Analogiemodell). Das Verhältnis Federkraft F zum Federweg, hier Verlängerung l, nennt man Federkonstante c c = F l. (2.13) Aus Gl. (2.12) erhält man dann für den Zugstab c = E A l. (2.14) Die Federkonstante des Zugstabes ist also dem Elastizitätsmodul und dem Verhältnis Querschnitt zur Länge proportional. Praktische Anwendung finden Zugstabfedern z.b. als Dehnschrauben und Zuganker. Wird eine Zugfeder belastet, ist die dazu aufgewendete Arbeit der äußeren Kräfte in ihr als Formänderungsarbeit gespeichert. Nimmt die Verlängerung l proportional mit der Kraft F zu, ist die Arbeit (s. [14], Abschn. 2 - Arbeit einer Kraft) W = 1 2 F l. (2.15) Mit F = σa und l = ε l erhält man aus Gl. (2.15) W = 1 2 σ ε A l. (2.16) Ersetzt man noch die Dehnung ε aus Gl. (2.11), ergibt sich W = σ 2 2E V. (2.17) In Gl. (2.17) ist V = Al das wirksame Federvolumen. Für die Formänderungsarbeit eines elastisch verformten Körpers kann man die allgemeine Beziehung W = η F W V (2.18)
8 16 2 Zug- und Druckbeanspruchung angegeben. In dieser Gleichung bedeuten η F die Raumzahl (Ausnutzungsgrad) und W = σ 2 2E (2.19) die spezifische (auf die Volumeneinheit bezogene) Formänderungsarbeit. Die Arbeit der äußeren Kräfte ist gleich der Formänderungsarbeit; durch Vergleich der Gl. (2.17) mit Gl. (2.18) erkennt man, dass für einen Zugstab mit gleichmäßiger Spannungsverteilung η F = 1 ist, das Volumen des Zugstabes wird zu 100% ausgenutzt. In Federn mit ungleichmäßiger Spannungsverteilung ist η F < 1, das Volumen wird somit unvollständig ausgenutzt. Beispiel 2.5: Für die Zugstange mit gleichmäßiger Spannungsverteilung aus Beispiel 2.4 berechne man die spezifische und die gesamte Formänderungsarbeit sowie die Federkonstante. Lösung 2.5: Nach Gl. (2.19) ist W = σ 2 2E = (1, N/mm 2 ) 2 2 2, N/mm 2 = 0,026 Nmm mm 3. Mit V = Al = 78,5 mm mm = 7, mm 3 ergibt sich nach Gl. (2.18) die insgesamt aufgespeicherte Formänderungsarbeit W = η F WV = 1 0,026 Nmm mm 3 7, mm 3 = 2 062,5 Nmm = 2,063 Nm. Das gleiche Ergebnis erhält man auch aus Gl. (2.15) W = 1 F l = 0, N 0,5 mm = 2 062,5 Nmm = 2,06 Nm. 2 Diese Zahlenergebnisse gelten für den Stahlstab, für den Aluminiumstab sind die Beträge wegen der dreifachen Verlängerung dreimal so groß. Die Federkonstante für den Stahlstab ist nach Gl. (2.13) c = F l = N N = ,5 mm mm. Für den Aluminiumstab ergibt sich c = N/mm Werkstoffkennwerte Das Spannungs-Dehnungs-Diagramm für zähen Baustahl (Bild 2.4) weist eine Reihe von typischen Merkmalen auf. Oberhalb vom Punkt P weicht die Kurve von der HOOKEschen Geraden ab. Dies bedeutet zunehmende plastische (bleibende) Verformung, d.h., nach Entlasten auf F = 0 (σ = 0) geht die Kurve parallel zur HOOKEschen Geraden um den Betrag ε e zurück, die Messstrecke hat eine bleibende Dehnung erfahren (Bild 2.5). Dem Diagramm werden eine Reihe wichtiger Werkstoffkennwerte entnommen, die im folgenden kurz zusammengestellt und erläutert
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