Inhaltsverzeichnis Differentialgeometrie 2 Kurventheorie Jürgen Roth Differentialgeometrie 2.1
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1 Differentialgeometrie 2.1 Inhaltsverzeichnis Differentialgeometrie 1 Euklidische Geometrie 2 Kurventheorie 3 Klassische Flächentheorie 4 Innere Geometrie von Flächen 5 Geometrie und Topologie
2 Differentialgeometrie 2.2 Differentialgeometrie Kapitel 2: Kurventheorie Lehre Differentialgeometrie
3 Differentialgeometrie 2.3 Inhaltsverzeichnis Kapitel 2: Kurventheorie 2.1 Kurven im R n Kurve?! Parametertransformation Bogenlänge Geschlossene Kurven 2.2 Ebene Kurven (Kurven im R 2 ) Krümmung Umlaufzahl Konvexe Kurven Vierscheitelsatz 2.3 Raumkurven (Kurven im R 3 ) Krümmung und Torsion Geschlossene Polygone
4 Differentialgeometrie 2.4 Kapitel 2: Kurventheorie 2.1 Kurven im R n
5 Differentialgeometrie Kurven im R n Kurve?!
6 Was versteht man unter einer Kurve? Differentialgeometrie 2.6 Bemerkung Anschaulich kann man sich unter einer Kurve ein, in der Regel verbogenes, im Raum platziertes Geradenstück vorstellen. Beispiele x + y = 1 x 2 y = 0 x 2 + y 2 = 1
7 Differentialgeometrie 2.7 Kurven Bemerkung Alle Kurven in den Beispielen werden jeweils durch ihre kartesische Gleichung f x, y = c beschrieben. Dabei ist c eine Konstante und f eine Funktion von x und y. So gesehen ist eine Kurve im R 2 eine Punktmenge C. C = x, y R 2 f x, y = c Kurven im R 3 können im Allgemeinen durch zwei Gleichungen f 1 x, y, z = c 1 und f 2 x, y, z = c 2 charakterisiert werden. Die x-achse im R 3 ist z. B. die Gerade, die durch y = 0 und z = 0 festgelegt wird. C = x, y, z R 3 y = 0 z = 0 = x, y, z R 3 y = 0 x, y, z R 3 z = 0
8 Differentialgeometrie 2.8 Viviani-Kurve Beispiel 2.1.4: Viviani-Kurve Vincenzo Viviani (* , in Florenz), italienischer Mathematiker und Physiker Die Viviani-Kurve ist gegeben durch folgende beiden kartesischen Gleichungen (r = konst.): x 2 + y 2 + z 2 = r 2 und x r y 2 = r 2 2 (bzw. x 2 + y 2 = rx) Welche Bedeutung haben diese beiden Gleichungen? Welche Konsequenzen ergeben sich für die Viviani-Kurve?
9 Differentialgeometrie 2.9 Parametrisierte Kurve Bemerkung In vielen Situationen ist eine andere Vorstellung von Kurven hilfreicher: Eine Kurve ist die Spur eines sich bewegenden Punkts. Wenn γ(t) die Lage des Punkts zum Zeitpunkt t ist, dann wird die Kurve durch eine Funktion γ mit skalarem Parameter t und vektoriellen Werten aus R 2 für ebene Kurven bzw. aus R 3 für räumliche Kurven dargestellt. Diese Idee wird für folgende Definition für Kurven im R n benutzt: Definition Sei I R ein Intervall. Eine parametrisierte Kurve ist eine Abbildung γ I R n, t γ(t).
10 Differentialgeometrie 2.10 Parametrisierung Bezeichnung Eine parametrisierte Kurve γ, deren Bild in der Punktmenge C enthalten ist, heißt Parametrisierung (eines Teils) von C. Bemerkung Folgende Beispiele zeigen, wie man in der Praxis zu einer Parametrisierung einer durch eine kartesische Gleichung (kart. Gl.) gegebenen Kurve kommt, bzw. umgekehrt zu einer Parametrisierung einer Kurve die zugehörige kart. Gl. findet. Beispiel Gegeben: Kart. Gl. y = x 2 Gesucht: Parametrisierung γ t = γ 1 t, γ 2 t T Die Komponenten γ 1 und γ 2 von γ müssen die Gleichung γ 2 t = γ 1 t 2 für alle Wert t aus dem Intervall I erfüllen, auf dem γ definiert ist. Dies gilt insbesondere für γ t = t, t 2. Da die x-werte der Normalparabel alle reellen Zahlen durchlaufen, muss gelten: t R. Gibt es weitere Parametrisierungen? Ja, z. B.: t 2, t 4, 2t, 4t 2, Parametrisierungen sind nicht eindeutig!
11 Parametrisierungen Jürgen Roth Beispiel Geg.: Ges.: kartesische Gleichung x 2 + y 2 = 1 Parametrisierung γ t = γ 1 t, γ 2 t T Die Versuchung ist groß, auch hier wieder x = t zu wählen. Damit würde gelten y = 1 t 2 (oder y = 1 t 2 ). Dies führt zur Parametrisierung γ t = t, 1 t 2 T (bzw. γ t = t, 1 t 2 T ), die nur die ober Hälfte (die untere Hälfte) des Kreises abdeckt. Um den ganzen Kreis zu parametrisieren, werden Funktionen γ 1 (t) und γ 2 (t) benötigt, für die gilt, dass γ 1 t 2 + γ 2 t 2 = 1 und zu jedem Punkt p des Kreises ein t I existiert, mit p = γ 1 t, γ 2 (t) T. Da sin t 2 + cos t 2 = 1 ist, kann der Kreis mit γ t = (sin(t), cos (t)) T und t R parametrisiert werden. Damit wird der Kreis allerdings unendlich oft durchlaufen. Als Definitionsbereich für t reicht jedes Teilintervall von R der Länge 2π, also z. B.,0,2π). Differentialgeometrie 2.11
12 Differentialgeometrie 2.12 Glatte Funktionen Beispiel Geg.: Parametrisierte Kurve γ : R R 2, t (cos t 3, sin t 3 ) T Gesucht: kart. Gleichung Da gilt t R cos t 2 + sin t 2 = 1, erfüllen die Koordinaten x = cos t 3 und y = sin t 3 des Punktes γ(t) die kartesische (algebraische) Gleichung x y 2 3 = 1. Die gesuchte Kurve ist also gegeben durch: C = x, y R 2 x y 2 3 = 1 Bemerkung Eine auf dem Intervall I definierte Funktion f: I R heißt glatt, wenn die Ableitungen dn y dtn für alle n 1 und alle t I existiert. Sind f(t) und g(t) glatte Funktionen, dann sind auch ihre Summe f t ihr Produkt f t + g(t), g(t), ihr Quotient f(t) g(t) und ihre Verkettung f t glatte Funktionen. g(t)
13 Differentialgeometrie 2.13 Glatte Kurven Bemerkung Vektorwertige Funktionen γ t = γ 1 t, γ 1 t,, γ m t T werden komponentenweise abgeleitet. Damit ergibt sich: γ t γ t Definition dγ = dγ 1, dγ 2,, dγ m dt dt dt dt d2 γ = d2 γ 1, d2 γ 2,, d2 γ m dt 2 dt 2 dt 2 dt 2 d n γ = dn γ 1, dn γ 2,, dn γ m dt n dt n dt n dt n T T Eine auf dem Intervall I R definierte parametrisierte Kurve γ I R n, t γ t heißt glatt, wenn die Ableitungen dn γ dtn für alle n 1 und alle t I existieren. T Beispiel cos t γ t = sin t γ t γ t dγ dt = d2 γ dt 2 = sin (t) cos (t) cos (t) sin t
14 Reguläre parametrisierte Kurve Definition Jürgen Roth Die erste Ableitung γ (t) einer parametrisierten Kurve γ an der Stelle t heißt Geschwindigkeitsvektor an der Stelle t. Eine parametrisierte Kurve γ heißt regulär, falls ihr Geschwindigkeitsvektor nirgends verschwindet, wenn also gilt: t I γ t dγ dt (t) 0 Bemerkungen Bei allen folgenden parametrisierten Kurven wird vorausgesetzt, dass sie glatt, also unendlich oft differenzierbar und regulär sind. Die Bedingung γ t 0 stellt sicher, dass sich der Kurvenpunkt beim Durchlauf von t durch das Intervall I auch wirklich bewegt. Insbesondere wird durch diese Bedingung die konstante Abbildung γ t = c 0 ausgeschlossen. Das Bild dieser Abbildung ist ein Punkt, der nicht dem entspricht, was man sich unter einer Kurve vorstellt. Differentialgeometrie 2.14
15 Beispiele im R 2 Jürgen Roth Beispiel Eine Gerade lässt sich als reguläre parametrisierte Kurve γ: R R n, t γ t = c 0 + t v mit c 0 R n und v R n \*0+ schreiben. Die Bedingung γ t = v 0 ist hier offensichtlich erfüllt. Beispiel Eine Kreislinie in der Ebene um den Mittelpunkt (0, 0) mit dem Radius r > 0 kann man wie folgt als reguläre parametrisierte Kurve schreiben: γ: R R 2, t γ t = r cos(t) r sin(t) Differentialgeometrie 2.15
16 Differentialgeometrie 2.16 Bemerkung Beispiele im R 2 Kurvenpunkt γ(t) Das Beispiel zeigt, dass eine reguläre parametrisierte Kurve nicht notwendigerweise injektiv ist. Im Beispiel wird wegen der Periodizität k Z γ t + k 2π = γ(t) der Sinusund der Kosinusfunktion jeder Punkt des Kreises unendlich oft durchlaufen. Ein Kurvenpunkt γ(t) ist also kein geometrischer Ort, sondern ein Funktionswert γ(t) an der Stelle t. Beispiel : Pascalsche Schnecke (Limaçon) Allgemein: γ: R R 2, t γ t = Mit a = 2 und b = 1 ergibt sich: γ: R R 2, t γ t = γ 2 3 π = 0 0 = γ 4 3 π (2 cos t +1) cos(t) (2 cos t +1) sin(t) (a cos t +b) cos(t) (a cos t +b) sin(t) γ t = 2 sin t cos t (2 cos t +1) sin(t) 2 sin 2 t +(2 cos t +1) cos(t) = 2 sin 2t sin (t) 2 cos 2t +cos (t) γ 2 π = = = = γ 4 π 3
17 Differentialgeometrie 2.17 Beispiel im R 3 Beispiel : Schraubenlinie γ: 0; 8 2π R 3, r cos(t) t γ t = r sin(t) t Welche Werte haben die Parameter r und, die zur Schraubenlinie in der Abbildung führen?
18 Differentialgeometrie Kurven im R n Parametertransformation
19 Differentialgeometrie 2.19 Parametertransformation Bemerkung Eine parametrisierte Kurve ist mehr als nur die Menge der Kurvenpunkte im R n, also mehr als das Bild γ I von γ. Die Parametrisierung gibt auch an, wie dieses Bild durchlaufen wird. Häufig möchte man die Parametrisierung ändern ohne die Bildkurve zu modifizieren. Dies kann durch eine Parametertransformation erreicht werden. Definition γ I R n ist eine parametrisierte Kurve. Eine Parametertransformation von γ ist eine bijektive Abbildung φ: J I von einem Intervall J R auf das Intervall I R, die genau wie ihre Umkehrabbildung φ 1 : I J unendlich oft differenzierbar ist. Die parametrisierte Kurve γ = γ φ: J R n heißt Umparametrisierung von γ.
20 Eigenschaften der Umparametrisierung Bemerkungen Satz γ lässt sich aus γ zurückgewinnen, denn es gilt: γ = γ φ 1 Die Ableitung einer Parametertransformation ist nirgends gleich Null. Beweis φ 1 φ t = t φ 1 φ t = 1 (*) φ 1 φ t = φ 1 (φ t ) φ (t) (**) γ φ γ J I Aus (*) und (**) folgt: φ t 0 # Satz Jürgen Roth Jede Umparametrisierung einer regulären parametrisierten Kurve ist wieder regulär. Beweis: γ t = (γ φ t ) = γ (φ t ) φ (t) Differentialgeometrie 2.20 #
21 Differentialgeometrie 2.21 Orientierung Bemerkung Eine Parametertransformation kann die Richtung, in der die Bildkurve durchlaufen wird, entweder umkehren, oder erhalten. Beispiele Die (triviale) Parametertransformation φ t erhält den Durchlaufsinn. Die Parametertransformation ψ t kehrt den Durchlaufsinn um. = t = t Definition Eine Parametertransformation φ: J I heißt orientierungserhaltend, wenn gilt: t J φ t > 0 orientierungsumkehrend, wenn gilt: t J φ t < 0
22 Orientierung Äquivalenz param. Kurven Differentialgeometrie 2.22 Satz Jede Parametertransformation ist entweder orientierungserhaltend oder orientierungsumkehrend. Beweis Annahme: t1 J φ t 1 < 0 t2 J φ t 2 > 0 Nach dem Zwischenwertsatz existiert dann zwischen t 1 und t 2 ein t 3 mit φ t 3 = 0. Letzteres ist aber nach Satz nicht möglich t J φ (t) 0. Also ist die Annahme falsch und ihr Gegenteil richtig. # Definition Zwei parametrisierte Kurven heißen äquivalent, wenn sie Umparametrisierungen voneinander sind. Eine Kurve ist eine Äquivalenzklasse von regulären parametrisierten Kurven.
23 Differentialgeometrie 2.23 Spur einer Kurve Bemerkung Die regulären parametrisierten Kurven in den Beispielen , und liefern verschiedene Kurven. Sie haben unterschiedliche Bilder (*) und können folglich nicht durch Parametertransformationen auseinander hervorgehen. Die regulären parametrisierten Kurven γ 1 : R R 2, t und γ 2 : (0, ) R 2, t ln (t) ln (t) repräsentieren dieselbe Kurve. sind dagegen äquivalent und Begründung: Mit Hilfe der Parametertransformation φ: R 0,, t φ t = e t lässt sich γ 1 als Umparametrisierung von γ 2 darstellen: γ 1 = γ 2 φ Bezeichnung Wenn eine Kurve durch eine reguläre parametrisierte Kurve γ: I R n repräsentiert wird, dann nennt man das Bild γ I auch die Spur der Kurve. (*) Gerade, Kreis, Pascal sche Schnecke t t
24 Differentialgeometrie 2.24 Orientierte Kurve Bemerkung Kurven besitzen keinen ausgezeichneten Durchlaufsinn, weil dieser durch Parametertransformation umgekehrt werden kann. Definition Eine orientierte Kurve ist eine Äquivalenzklasse von parametrisierten Kurven, die durch orientierungserhaltende Parametertransformationen auseinander hervorgehen. Bemerkung Jede orientierte Kurve bestimmt genau eine Kurve. Jede Kurve besitzt genau zwei Orientierungen, d. h. es gibt genau zwei orientierte Kurven, die die gegebene Kurve bestimmen.
25 Differentialgeometrie Kurven im R n Bogenlänge
26 Nach Bogenlänge parametrisierte Kurve Differentialgeometrie 2.26 Definition Eine reguläre parametrisierte Kurve γ I R n heißt nach Bogenlänge parametrisiert, wenn gilt: t I γ (t) = 1. proportional zur Bogenlänge parametrisiert, wenn gilt: t I γ (t) = const. Bemerkung Nach Bogenlänge parametrisierte Kurven durchlaufen ihr Bild mit der konstanten Geschwindigkeit 1. Proportional zur Bogenlänge parametrisierte Kurven durchlaufen ihr Bild mit einer konstanten Geschwindigkeit, die nicht unbedingt 1 sein muss.
27 Parametrisierung nach Bogenlänge Satz : Existenz einer Parametrisierung nach Bogenlänge Jürgen Roth Zu jeder regulären parametrisierten Kurve γ gibt es eine orientierungserhaltende Parametertransformation φ, so dass die Umparametrisierung γ φ nach Bogenlänge parametrisiert ist. Beweis γ I R n sei eine reguläre parametrisierte Kurve. Es wird t 0 I gewählt und festgelegt: ψ s γ (t) Wegen ψ s = γ (s) > 0 ist ψ streng monoton wachsend und damit injektiv. Folglich ist ψ: I J ψ(i) eine orientierungserhaltende Parametertransformation und genau wie ihre Umkehrabbildung φ ψ 1 : J I unendlich oft differenzierbar. Es gilt: t = ψ φ t = ψ(φ t ) 1 = ψ φ t φ t = Differentialgeometrie s t 0 ψ φ t dt = ψ φ t φ t = 1 γ (φ t )
28 Parametrisierung nach Bogenlänge Differentialgeometrie 2.28 Beweis zu Satz (Fortsetzung) Aus φ t = 1 ψ φ t = 1 γ (φ t ) ergibt sich mit der Kettenregel: γ φ (t) = γ φ t φ t = γ φ t γ (φ t ) = γ (φ t ) γ (φ t ) = 1 Also ist γ φ nach Bogenlänge parametrisiert. # Satz : Zusammenhang von Parametrisierungen nach Bogenlänge Sind γ 1 : I 1 R n und γ 2 : I 2 R n Parametrisierungen nach der Bogenlänge derselben Kurve, dann ist die zugehörige Parametertransformation φ: I 1 I 2 mit γ 1 = γ 2 φ und für ein t 0 R von der Form φ t = t + t 0, wenn γ 1 und γ 2 gleichorientiert sind, φ t = t + t 0, wenn γ 1 und γ 2 entgegengesetzt orientiert sind.
29 Differentialgeometrie 2.29 Länge einer Kurve Beweis zu Satz = γ 1(t) = γ 2 (φ(t) = γ 2(φ(t) φ (t) = γ 2(φ(t) φ (t) = φ (t) =1 φ t = ±1 φ t = φ t dt = ±1 dt = ±t + t 0 # Definition Wenn γ: a, b R n eine parametrisierte Kurve ist, dann heißt L γ Länge von γ. a b γ (t) dt
30 Invarianz der Länge bei Parametertransformationen Differentialgeometrie 2.30 Satz : Invarianz der Länge bei Parametertransformationen Bei Parametertransformationen ändern sich die Länge einer parametrisierten Kurve nicht. Beweis γ = γ φ sei eine Umparametrisierung von γ mit φ: a, b a, b. b b b L γ = γ (t) dt = γ φ (t) dt = γ φ t φ (t) dt a a a b φ(b ) = γ φ t φ (t) dt = γ s ds a φ(a ) Substitutionsregel! b = γ s ds a = L γ #
31 Differentialgeometrie 2.31 Länge einer Kurve Bemerkung Da die Länge nach Satz nicht von der Parametrisierung abhängt, kann man auch von der Länge einer Kurve sprechen. Dies entspricht der Alltagserfahrung, dass die Länge einer Straße nicht von der Geschwindigkeit des Autos abhängt. Wenn γ: a, b R n nach der Bogenlänge parametrisiert ist, dann gilt für jedes s,a, b-: s L γ a,s = 1dt = s a a Eine nach Bogenlänge parametrisierte Kurve ist genau so lang, wie das Parameterintervall. Definition Ein Polygon im R n ist ein Tupel P = (a 0,, a k ) von Vektoren a i R n, so dass k 1 i=0 a i+1 a i.
32 Alternative Definition der Länge einer Kurve Differentialgeometrie 2.32 Bemerkung Da Polygone P = a 0, a 1,, a k Ecken besitzen, sind sie keine (regulären parametrisierten) Kurven. Ihre Länge lässt sich allerdings recht intuitiv als Summe der Längen der Einzelstrecken bestimmen: L P k 1 a i+1 a i i=0 Zur Definition der Länge einer parametrisierten Kurve könnte man die Kurve auch durch Polygone annähern und die Länge der Kurve durch den Grenzwert der Polygonlängen erklären, wenn dieser existiert. Der folgende Satz sagt aus, dass die so festgelegte Länge der Kurvenlänge aus Definition entspricht.
33 Längenapproximation durch Polygone Differentialgeometrie 2.33 Satz : Längenapproximation durch Polygone Zu einer parametrisierten Kurve γ: a, b R n gibt es für jedes beliebig kleine ε > 0 ein δ > 0, so dass für jede Unterteilung a = t 0 < t 1 < < t k = b des Definitionsintervalls mit Feinheit kleiner als δ (d. h. k 1 i=0 t i+1 t i < δ) gilt L γ L P < ε Beweis mit P = γ t 0, γ t 1,, γ t k. Vgl. Bär (2010, S. 35ff) γ(t 1 ) γ a = γ(t 0 ) γ t k γ(t 2 ) = γ(b)
34 Differentialgeometrie Kurven im R n Geschlossene Kurven
35 Periodische Parametrisierungen und geschlossene Kurven Definition Eine parametrisierte Kurve γ: R R n heißt periodisch mit Periode L, wenn gilt: t R γ t + L = γ t mit L > 0 und 0<L <L t R γ t + L = γ t Eine Kurve heißt geschlossen, wenn sie eine periodische reguläre Parametrisierung besitzt. Jürgen Roth Bemerkung Die Kreislinie aus Beispiel ist eine periodische parametrisierte Kurve mit Periode L = 2π. Die dadurch repräsentierte Kurve ist also geschlossen. Nicht jede Parametrisierung einer geschlossenen Kurve ist periodisch. Man kann eine periodisch parametrisierte Kurve z. B. so umparametrisieren, dass sie bei jedem Umlauf langsamer wird. Dies hat zur Folge, dass L nicht fest ist, sondern bei jedem Umlauf größer wird. Differentialgeometrie 2.35
36 Einfach geschlossene Kurven Bemerkung Wenn γ: R R n eine Parametrisierung nach der Bogenlänge einer geschlossenen Kurve ist, dann ist γ periodisch. Beweis: Übungsaufgabe Definition Eine geschlossene Kurve heißt einfach geschlossen, wenn sie eine periodische reguläre Parametrisierung γ mit der Periode L hat, so dass γ,0,l) injektiv ist. einfach geschlossen geschlossen, aber nicht einfach geschlossen Jürgen Roth Bemerkung : Eine geschlossene Kurve ist also einfach geschlossen, wenn sie außer der Tatsache, dass sie sich schließt, keine Selbstschnitte besitzt. Wegen der Bijektivität von Parametertransformationen, gilt die Injektivitätsbedingung aus der Definition schon dann für alle periodischen Parametrisierungen einer Kurve, wenn sie für eine solche Parametrisierung gilt. Differentialgeometrie 2.36
37 Differentialgeometrie 2.37 Zykloide Beispiel : Zykloide In der x-y-ebene rollt eine Kreisscheibe mit Radius 1 auf der x-achse ab. Eine zweite Kreisscheibe mit Radius r > 0 hat den selben Mittelpunkt und ist fest mit dem ersten Kreis verbunden. Parametrisierung der Kurve: Mittelpunkt: m = t 1 Kreis mit Radius 1 um Mittel- punkt m 0 = 0 0 und Start- punkt s = 0 1 : t sin (t) cos (t) Parametrisierung: t t 1 + r sin t cos t = t r sin (t) 1 r cos (t)
38 Differentialgeometrie 2.38 Zykloide r = 1 r < 1
39 Differentialgeometrie 2.39 Zykloide r > 1 Wann ist die Zykloide γ: R R 2, t γ t = 1 r cos (t) r sin (t) t r sin (t) 1 r cos (t) regulär? γ t = 0 0 sin t = 0 1 r cos t = 0 t k π k Z r cos t = 1 Damit ist die Zykloide für alle r 1 regulär. t 2k π k Z r = 1
40 Zykloide Jürgen Roth Länge der Kurve γ r t = t r sin (t) 1 r cos (t) für einen Umlauf der Kreisscheibe und r = 1: 2π L γ 1 0,2π = γ 1(t) dt = 0 2π 0 1 cos (t) sin (t) 2π = 2 2 cos t 0 Die Substitution t = 2u liefert mit (*): π L γ 1 0,2π = 2 1 cos 2u 0 (**) π 2π dt = 1 2 cos t + cos 2 t + sin 2 t 0 2π dt = 2 1 cos t dt 0 2du Substitutionsregel (*) Wenn g ist diff bar auf,a, b- und f stetig auf g(,a, b-) ist, dann gilt: a b f g x g x dx g(b) = f z dz g(a) cos 2x = cos 2 x sin 2 (x) (**) = cos 2 u + sin 2 (u) du = sin 2 (u) du 0 = 4 sin (u) 0 π du = 4 π = cos 2u π sin (u) du 0 0 Differentialgeometrie π du = 4 cos u 0 π = 8 dt
41 Differentialgeometrie 2.41 Kurve und Spur der Kurve Bemerkung Wir haben bereits gesehen, dass Kurven im Allgemeinen nicht durch ihre Spur bestimmt sind. Besitzt eine Kurve jedoch keine Selbstschnitte, dann ist sie bereits durch ihre Spur bestimmt. Genauer gilt: Wenn zwei reguläre parametrisierte Kurven γ 1 und γ 2 jeweils auf einem kompakten Intervall I 1 bzw. I 2 definiert und injektiv sind sowie dieselbe Spur besitzen γ 1 I 1 = γ 2 (I 2 ), dann sind γ 1 und γ 2 äquivalent. Vgl. zu diesem Phänomen auch die Aufgaben 2.7 und 2.8 in Bär (2010, S. 39f).
42 Differentialgeometrie 2.42 Kapitel 2: Kurventheorie 2.2 Ebene Kurven (Kurven im R 2 )
43 Differentialgeometrie Ebene Kurven (Kurven im R 2 ) Krümmung
44 Differentialgeometrie 2.44 Normalenfeld Definition Eine parametrisierte Kurve γ: I R 2 heißt ebene parametrisierte Kurve. Das Normalenfeld einer nach Bogenlänge parametrisierten ebenen Kurve γ: I R 2 ist definiert als: n: I R 2, s n s γ (s) Bemerkung Das Normalenfeld ist so definiert, dass γ (s), n s eine positiv orientierte Orthonormalbasis des R 2 bilden. Inhaltlich bedeutet das, dass n s das Bild von γ (s) bei Drehung um π gegen den Uhrzeigersinn ist. 2 Drehmatrix: cos π 2 sin π 2 sin π 2 cos π 2 =
45 Differentialgeometrie 2.45 Krümmung κ Bemerkung Da γ nach Bogenlänge parametrisiert ist, gilt: γ, γ 1 Differentiation liefert: Ausführlich gerechnet sieht das so aus: 0 γ, γ + γ, γ = 2 γ, γ 0 γ s, γ s = γ 1 s 2 + γ 2 s 2 = 2γ 1 (s) γ 1 (s) + 2γ 2 (s) γ 2 s Also stehen γ s und γ (s) senkrecht aufeinander. Damit ist γ (s) ein Vielfaches des Normalenvektors n(s) an der Stelle s. Definition = 2 γ 1 s γ 2 s, γ 1 s γ 2 s = 2 γ s, γ (s) Wenn γ eine nach Bogenlänge parametrisierte ebene Kurve und n ihr Normalenfeld ist, dann heißt κ: I R mit γ s = κ s n(s) Krümmung von γ.
46 Differentialgeometrie 2.46 Krümmung κ Bemerkung Die Krümmung ist ein Maß dafür, wie stark die Kurve von einer Geraden abweicht. Ist γ eine nach Bogenlänge parametrisierte Kurve, dann ist γ genau dann eine Gerade, wenn γ 0 ist, d. h. wenn κ 0 ist. Welche 0 ist jeweils gemeint? Die Krümmung ist positiv (κ > 0), wenn sich die Kurve in Richtung Ihres Normalenvektors krümmt, d. h. in Durchlaufrichtung nach links. negativ (κ < 0), wenn sie sich in Durchlaufrichtung nach rechts krümmt. Es gilt: κ(s) = γ s n(s 1 ) γ (s 1 ) γ (s 1 ) Beweis: γ s = κ s n(s) = κ(s) n s = κ(s) γ s = κ s n(s) n(s 2 ) n(s 3 ) γ (s 3 ) γ (s 2 ) γ (s 3 ) κ s 1 < 0 κ s 2 = 0 κ s 3 > 0 γ
47 Krümmung der Kreislinie Beispiel 2.2.6: Krümmung der Kreislinie Welche Krümmung κ hat die nach Bogenlänge parametrisierte Kreislinie γ mit Mittelpunkt m = x m, y T m und Radius r > 0? γ: R R n, s γ s = x m + r cos y m + r sin s r s r γ s = κ s n(s) γ s = r sin s r 1 r r cos s r 1 r Normalenfeld n s = = sin s r cos s r γ s γ (s) = sin s r = sin cos s r s r 2 + cos s r 2 = 1 = cos s r sin s r γ s = cos s r 1 r sin s r 1 r = 1 r cos s r sin s r = 1 r n s Jürgen Roth Damit gilt für die Krümmung κ der Kreislinie: κ 1 r Dies entspricht der Erfahrung, dass ein kleiner Kreis ein große Krümmung besitzt und ein großer Kreis ein kleine Krümmung. Differentialgeometrie 2.47
48 Tangentialeinheitsvektor t Jürgen Roth Bemerkung Zu einer allgemeinen (d. h. in der Regel nicht nach Bogenlänge) parametrisierten Kurve γ ist der Tangentialeinheitsvektor t definiert durch: γ (t) t t γ (t) Ist die Kurve nach der Bogenlänge parametrisiert, dann gilt wegen γ (s) = 1: t s = γ (s) Bemerkung γ sei eine ebene nach Bogenlänge parametrisierte Kurve und F A,b x = Ax + b mit A O(2) und b R 2 eine euklidische Bewegung. Wenn F A,b orientierungserhaltend ist, dann haben γ = F A,b γ und γ dieselbe Krümmung, es gilt also: κ = κ Wenn F A,b die orientierungsumkehrend ist, dann gilt für die Krümmung von γ = F A,b γ: κ = κ. Differentialgeometrie 2.48
49 Differentialgeometrie 2.49 Berechnungsformel für κ Satz 2.2.9: Berechnungsformel für die Krümmung κ Wenn γ eine reguläre ebene (nicht notwendigerweise nach Bogenlänge) parametrisierte Kurve ist, dann ist ihre Krümmung κ durch folgende Formel gegeben: det (γ t, γ t ) κ t = γ t 3 Ist γ = γ φ eine orientierungserhaltende Umparametrisierung nach der Bogenlänge mit Krümmung κ, dann gilt: Beweis: κ = κ φ Aus γ: a, b R 2, t γ t = γ 1(t) γ 2 (t) ergibt sich t γ γ = 1 γ 1 2 +γ 2 2 γ 1 γ 2
50 Differentialgeometrie 2.50 Berechnungsformel für κ Beweis zu Satz (Fortsetzung 1) Der Normalenvektor n ergibt sich durch Drehung des Tangentialeinheitsvektors t um π 2 : n t = t t = 1 γ 1 2 +γ Zu zeigen ist: κ t = γ 1 γ 2 = 1 γ1 2 + γ 2 γ2 2 γ 1 det (γ t,γ t ) γ t 3 Idee: γ = κ n Aus s L γ = dt ds = 1 γ = 1 γ 1 2 +γ 2 2 b a γ (t) dt folgt ds = γ dt und damit Daraus ergibt sich: γ = t = dt dt dt = d ds dt γ γ1 2 + γ2 2 1 γ1 2 + γ2 2 = 1 γ1 2 + γ2 2 γ γ1 2 + γ2 2 γ 2 γ 1γ 1 + γ 2γ 2 2 γ1 2 + γ2 2 γ1 2 + γ2 2
51 Berechnungsformel für κ Beweis zu Satz (Fortsetzung 2) Zu zeigen ist: κ t = det (γ t,γ t ) γ t 3 γ = 1 γ1 2 + γ2 2 γ γ1 2 + γ2 2 γ 2 γ 1γ 1 + γ 2γ 2 2 γ1 2 + γ2 2 γ1 2 + γ2 2 Idee: γ = κ n = 1 γ γ 1 γ2 2 γ1 2 + γ2 23 γ 2 γ γ 2 2 γ 1 γ 2 γ 1γ 1 + γ 2γ 2 = = Mit γ = κ n folgt durch Vergleich: Jürgen Roth 1 γ γ 1γ γ 1γ 2 2 γ 1 2 γ 1 γ 1γ 2γ 2 γ2 2 γ1 2 + γ2 23 γ 2γ1 2 + γ 2γ2 2 γ 2γ 1γ 1 γ2 2 γ 2 1 γ γ 2 γ 1γ 2 + γ 1γ 2 γ2 2 γ1 2 + γ2 23 γ 1 γ 1γ 2 + γ 1γ 2 κ = γ 1γ 2 γ 1γ 2 det γ, γ = 23 γ 3 γ1 2 + γ2 bzw. nach Bogenlänge parametrisiert: = γ 1γ 2 γ 1γ 2 1 γ1 2 + γ2 23 γ1 2 + γ 2 γ2 2 γ 1 = n κ = γ 1 γ 2 γ 1 γ 2 = det γ, γ Differentialgeometrie 2.51 #
52 Krümmung von Funktionsgraphen Differentialgeometrie 2.52 Beispiel Der Graph einer Funktion y = f x kann wie folgt parametrisiert werden: γ t = t f t Damit ergibt sich: γ 1 = 1, γ 1 = 0, γ 2 = f und γ 2 = f Daraus folgt für die Krümmung: κ = γ 1γ 2 γ 1γ 2 γ1 2 + γ2 23 = f 1 + f 2 3 Für f > 0 ist κ > 0 (Linkskurve des Graphen). Für f < 0 ist κ < 0 (Rechtskurve des Graphen).
53 Differentialgeometrie 2.53 Frenet-Gleichungen Satz : Frenet-Gleichungen Wenn γ: I R 2 eine ebene nach Bogenlänge parametrisierte Kurve mit der Krümmung κ und dem Normalenvektor n ist, dann gilt: γ s, n (s) = γ 0 κ(s) s, n(s) κ(s) 0 Bemerkung Schreibt man die Gleichung aus Satz ausführlich, dann ergibt sich: γ 1 (s) γ 2 (s) n 1 (s) n 2 (s) = γ 1 (s) n 1 (s) γ 2 (s) n 2 (s) 0 κ(s) κ(s) 0 = κ s n 1(s) κ s γ 1 (s) κ s n 2 (s) κ s γ 2 (s) Die beiden Frenet-Gleichungen lauten also in Kurzform: γ s = κ s n(s) n s = κ s γ (s)
54 Frenet-Gleichungen Jürgen Roth Beweis von Satz (Frenet-Gleichungen) Die Gleichung γ s = κ s n(s) muss nicht bewiesen werden, da mit ihr die Krümmung κ definiert wurde. Da n normiert ist, gilt: n, n 1 Ableiten nach s ergibt: 0 n, n = n, n + n, n = 2 n, n Daraus folgt, dass n senkrecht auf n steht. Folglich ist n ein Vielfaches von γ : n s = α s γ (s) Ableiten von n, γ = 0 nach s ergibt: 0 = n, γ + n, γ = α γ, γ + n, κ n = α γ, γ + κ n, n = α 1 + κ 1 = α + κ Also gilt α = κ und damit: n = κ γ γ s n s = κ s n(s) = κ s γ (s) Idee: Beziehung zwischen α s und κ(s) suchen. Differentialgeometrie 2.54 #
55 Differentialgeometrie 2.55 Drehwinkel Satz : Drehwinkel Wenn γ:,a, b- R 2 eine ebene nach Bogenlänge parametrisierte Kurve ist, dann gibt es eine C -Funktion θ: a, b R, die Drehwinkel genannt wird, so dass gilt: cos θ s γ (s) = sin θ s Sind θ 1 und θ 2 zwei solche Funktionen, dann gilt: k Z θ 1 = θ 2 + k 2π θ b θ a ist durch γ eindeutig bestimmt. γ (s) θ(s) γ
56 Drehwinkel Jürgen Roth Bemerkung Die Zahl θ s misst den Winkel zwischen dem Geschwindigkeitsvektor γ (s) und der x-achse. Dieser Winkel ist allerdings nur bis auf ein ganzzahliges Vielfaches von 2π eindeutig. Jeder Einheitsvektor kann in der Form cos θ, sin θ T geschrieben werden. Die wesentliche Aussage des Satzes besteht darin, dass der Winkel θ als glatte Funktion von s gewählt werden kann. Man könnte den Winkel θ sogar eindeutig festlegen, indem man z. B. verlangt, dass er im Intervall,0,2π) liegt. Dann hätte die Funktion θ allerdings Sprünge an den Stellen, an denen der Geschwindigkeitsvektor eine volle Drehung durchgeführte hat und wäre nicht mehr stetig und folglich auch nicht mehr glatt. Beweis zu Satz : Vgl. Bär 2010, S. 43f γ (s) θ(s) Differentialgeometrie 2.56 γ
57 Drehwinkel und Krümmung Satz : Zusammenhang zwischen Drehwinkel und Krümmung Wenn γ eine ebene nach Bogenlänge parametrisierte Kurve, κ die Krümmung und θ ein Drehwinkel von γ ist, dann gilt: θ s = κ s Bemerkung a Die Krümmung gibt also die Winkeländerung des Geschwindigkeitsvektors bzgl. der x-achse des Koordinatensystems an. Beweis zu Satz Nach dem Satz über den Drehwinkel gilt: cos θ s sin θ s θ (s) γ (s) = γ (s) = sin θ s cos θ s θ (s) n s γ (s) = θ s =n(s) sin θ s cos θ s Jürgen Roth Mit γ s = κ s n(s) folgt durch Vergleich die Behauptung. Differentialgeometrie 2.57 #
58 Differentialgeometrie 2.58 Krümmung und Kurve Bemerkung b Durch die Krümmung κ s ist eine Kurve im wesentlichen (bis auf den Anfangspunkt und die Anfangsrichtung) festgelegt. Begründung: Aus θ (s) = κ s folgt durch Integration: θ = κ(s) ds Die auftretende Integrationskonstante legt die Anfangsrichtung fest. Wegen γ cos(θ s ) s = folgt ebenfalls durch Integration: sin(θ s ) cos(θ s ) γ s = sin(θ s ) ds Die Integrationskonstante legt den Anfangspunkt fest.
59 Differentialgeometrie Ebene Kurven (Kurven im R 2 ) Umlaufzahl
60 Differentialgeometrie 2.60 Umlaufzahl Definition Wenn γ: R R 2 eine ebene nach Bogenlänge parametrisierte periodische Kurve mit Periode L und θ: R R Drehwinkel von γ ist, dann heißt n γ 1 θ L θ(0) 2π Umlaufzahl von γ. Bemerkung Die Tatsache, dass der Drehwinkel nur bis auf einen konstanten Summanden k 2π eindeutig ist, spielt für die Definition der Umlaufzahl k eine Rolle, weil dieser Summand bei der Differenzbildung θ L θ(0) wieder wegfällt.
61 Differentialgeometrie 2.61 Umlaufzahl n γ = 2 n γ = 3 n γ = 0 n γ = 1
62 Differentialgeometrie 2.62 Umlaufzahl des Kreises Beispiel n γ 1 2π θ L θ(0) γ (s) = Der Kreis mit Mittelpunkt im Koordinatenursprung und Radius r > 0 hat die Bogenlängenparametrisierung cos θ s sin θ s γ s = r cos s r r sin s r mit der Periode L = 2πr. γ s = sin s r cos s r = cos s r + π 2 sin s r + π 2 Damit ergibt sich für den Drehwinkel: θ s = s r + π 2 Daraus lässt sich die Umlaufzahl bestimmen: n γ = 1 2π θ 2πr θ 0 = 1 2π 2π + π 2 π 2 = 1
63 Umlaufzahlen bei Umparametriserung Differentialgeometrie 2.63 Satz : Umlaufzahl bei Umparametrisierung Wenn γ 1 : R R 2 und γ 2 : R R 2 zwei ebene nach Bogenlänge parametrisierte periodische Kurven mit Periode L sind und γ 2 aus γ 1 durch eine orientierungserhaltende Parametertransfomation entsteht, dann gilt für die Umlaufzahlen: n γ1 = n γ2 orientierungsumkehrende Parametertransfomation entsteht, dann gilt für die Umlaufzahlen: n γ1 = n γ2 Bemerkung Der Beweis zu diesem Satz (vgl. Bär 2010, S. 46) beruht darauf, dass für die Parametertransformationen gilt: φ t = ±t + t 0 (vgl. Satz ) Der Satz zeigt, dass die Umlaufzahl einer orientierten geschlossenen ebenen Kurve wohldefiniert ist und die Umlaufzahl bei Orientierungsumkehr ihr Vorzeichen wechselt. Man kann zeigen, dass die Umlaufzahl immer eine ganze Zahl ist: n γ Z
64 Zusammenhang zwischen Umlaufzahl und Krümmung Jürgen Roth Bemerkung Krümmt sich eine ebene Kurve lange genug nach links κ > 0, dann muss sie der Anschauung entsprechend irgendwann einen Umlauf geschafft und einen positiven Beitrag zur Umlaufzahl geleistet haben. Umgekehrt sollte eine Krümmung nach rechts κ < 0 langfristig einen negativen Beitrag zur Umlaufzahl liefern. Tatsächlich gilt: Satz : Zusammenhang zwischen Umlaufzahl und Krümmung Wenn γ: R R 2 eine nach Bogenlänge parametrisierte periodische ebene Kurve mit Periode L und κ: R R ihre Krümmung ist, dann gilt für ihre Umlaufzahl n γ : Beweis: Mit θ s n γ = 1 2π n γ = 1 2π L κ s ds 0 = κ(s) (Satz ) folgt: HDI L 0 1 θ L θ 0 = 2π θ s ds = 1 L 0 2π κ(s)ds Differentialgeometrie 2.64 #
65 Differentialgeometrie 2.65 Bemerkung Anschaulich erwartet man, dass eine geschlossene ebene Kurve deren Umlaufzahl einen Betrag von mindestens 2 hat, Selbstschnitte besitzen muss. Tatsächlich lässt sich beweisen: Satz : Umlaufsatz Eine einfach geschlossene orientierte ebene Kurve γ: R R 2 hat die Umlaufzahl 1 oder 1. Definition Sei X R n und x 0 X, dann heißt X sternförmig bezüglich x 0, wenn für alle Punkte x X auch die Strecke zwischen x und x 0 ganz in X enthalten ist. x X t,0,1- tx + 1 t x 0 X sternförmig bzgl. x 0 nicht sternförmig bzgl. x 0
66 Differentialgeometrie Ebene Kurven (Kurven im R 2 ) Konvexe Kurven
67 Konvexe ebene Kurven Definition Eine ebene Kurve heißt konvex, wenn für alle ihre Punkte gilt: Die Kurve liegt ganz auf einer Seite ihrer Tangente durch diesen Punkt. nicht konvex konvex Bemerkung Ist γ: I R 2 eine nach der Bogenlänge parametrisierte ebene Kurve und n ihr Normalenfeld, dann bedeutet die Tatsache, dass γ konvex ist, für einen Punkt γ(s 0 ) der Kurve folgendes: s I γ s γ(s 0 ), n(s 0 ) 0 s I γ s γ(s 0 ), n(s 0 ) 0 Jürgen Roth n(s 0 ) γ (s 0 ) γ(s) γ(s 0 ) γ(s) γ(s 0 ) n(s γ (s 0 ) 0 ) Differentialgeometrie 2.67
68 Differentialgeometrie 2.68 Konvexe ebene Kurven Bemerkung Man könnte vermuten, dass für manche Punkte γ(s 1 ) einer konvexen Kurve die Bedingung s I γ s γ(s 1 ), n(s 1 ) 0 und für andere Punkte γ(s 2 ) derselben Kurve die Bedingung s I γ s γ(s 2 ), n(s 2 ) 0 erfüllt sein könnte. Dies ist aber nicht möglich, weil sonst aus Gründen der Stetigkeit auch ein Punkt γ(s 3 ) mit s 3 zwischen s 1 und s 2 existieren müsste mit s I γ s γ(s 3 ), n(s 3 ) = 0. Dann muss γ aber eine Gerade sein, für die beide Bedingungen erfüllt sind. Insgesamt wurde gezeigt: Satz : Konvexitätsbedingung Eine nach der Bogenlänge parametrisierte ebene Kurve γ: I R 2 mit Normalenfeld n, ist genau dann konvex, wenn gilt: s0,s I γ s γ(s 0 ), n(s 0 ) 0 s0,s I γ s γ(s 0 ), n(s 0 ) 0
69 Zusammenhang zwischen Konvexität und Krümmung Differentialgeometrie 2.69 Bemerkung Anschaulich ist klar, dass sich eine konvexe Kurve immer in dieselbe Richtung krümmt, also entweder immer nach rechts oder immer nach links. In der Tat gilt: Satz : Zusammenhang zwischen Konvexität und Krümmung Eine nach der Bogenlänge parametrisierte einfach geschlossene ebene Kurve γ: R R 2 mit der Krümmung κ: R R ist genau dann konvex, wenn gilt: Beweis s R κ(s) 0 s R κ(s) 0 Es sind zwei Richtungen zu beweisen: i. γ konvex κ ändert auf R das Vorzeichen nicht. ii. κ ändert auf R das Vorzeichen nicht. γ konvex
70 Zusammenhang zwischen Konvexität und Krümmung Differentialgeometrie 2.70 Beweis zu Satz (Fortsetzung 1) i. γ ist konvex Satz s0,s I γ s γ(s 0 ), n(s 0 ) 0 s0,s I γ s γ(s 0 ), n(s 0 ) 0 Wir betrachten nur den Fall s I γ s γ(s 0 ), n(s 0 ) 0. (Der Beweis für s0,s I γ s γ(s 0 ), n(s 0 ) 0 läuft analog und ergibt ein entgegengesetztes Vorzeichen für κ.) Die Taylorentwicklung von γ(s) mit Entwicklungsstelle s 0 liefert: γ s = γ s 0 + γ s 0 s s γ s 0 s s O s s 3 0 Wegen γ s 0, n(s 0 ) = 0 folgt: 0 γ s γ s 0, n s 0 = 1 2 γ s 0, n s 0 s s 0 2 +O s s 0 3 = 1 2 κ s 0 n s 0, n s 0 s s O s s 0 3 = 1 2 κ s 0 s s 0 2 +O s s 0 3 Dividieren durch s s 0 2 > 0 liefert: κ s 0 +O s s 0
71 Zusammenhang zwischen Konvexität und Krümmung Differentialgeometrie 2.71 Beweis zu Satz (Fortsetzung 2) Aus κ s 0 +O s s 0 ergibt sich durch den Grenzübergang s s 0 : κ s 0 Daraus folgt: κ s 0 0 ii. Sei nun κ 0. Zu zeigen ist: γ ist konvex Annahme: Die Kurve ist nicht konvex. Dann gibt es ein s 0 so dass die Funktion φ: R R, s φ s = γ s γ s 0, n s 0 sowohl negative als auch positive Werte annimmt. Wegen der Periodizität von γ nimmt φ ihr Minimum an einer Stelle s 1 sowie ihr Maximum an einer Stelle s 2 an und es gilt: φ s 1 < 0 = φ s 0 < φ(s 2 ) (*)
72 Zusammenhang zwischen Konvexität und Krümmung Differentialgeometrie 2.72 Beweis zu Satz (Fortsetzung 3) Da φ an der Stelle s 1 ihr Minimum und an der Stelle s 2 ihr Maximum annimmt, gilt: φ s 1 = 0 φ s 2 = 0 Wegen φ s = γ s γ s 0, n s 0 = γ s, n s 0 ergibt sich: γ (s 1 ) 0 = φ s 1 = γ s 1, n s 0 und 0 = φ s 2 = γ s 2, n s 0 Daraus folgt, dass die Geschwindigkeitsvektoren γ s 1, γ s 2 und γ s 0 senkrecht auf dem Normalenvektor n(s 0 ) an der Stelle s 0 stehen. Folglich gilt: γ s 1 = ±γ s 0 γ s 2 = ±γ (s 0 ) n(s 0 ) γ (s 0 ) γ (s 2 ) Von den drei Einheitsvektoren γ s 1, γ s 0 und γ s 2 müssen also mindestens zwei übereinstimmen.
73 Zusammenhang zwischen Konvexität und Krümmung Differentialgeometrie 2.73 Beweis zu Satz (Fortsetzung 4) Es werden u 1, u 2 *s 0, s 1, s 2 + mit u 1 < u 2 so gewählt, dass gilt: γ u 1 = γ (u 2 ) Wenn θ: R R eine Winkelfunktion wie in Satz ist, dann gilt einerseits θ = κ 0 und andererseits θ u 2 θ u 1 = 2πk mit k Z. Wegen θ = κ 0 ist θ monoton wachsend und es gilt: θ u 2 θ u 1 0 Also ist k N 0. Analog folgt: θ u 1 + L θ u 2 = 2πm mit m N 0 Damit ergibt sich für die Umlaufzahl: n γ = 1 2π θ(u 1 + L θ(u 1 )) = 1 = 1 2π θ(u 1 + L θ u 2 + θ u 2 θ(u 1 )) (2πm + 2πk) = m + k 2π Nach dem Umlaufsatz ist n γ = 1, also gilt: m = 0 k = 0
74 Zusammenhang zwischen Konvexität und Krümmung Differentialgeometrie 2.74 Beweis zu Satz (Fortsetzung 5) Wenn gilt k = 0, dann folgt u,u1,u 2 - κ = θ = 0. Also parametrisiert γ auf,u 1, u 2 - eine Gerade. Folglich gilt: u u1,u 2 γ u = γ u 1 + u u 1 γ (u 1 ) = γ u 1 ± u u 1 γ (s 0 ) Daraus ergibt sich für φ: u,u1,u 2 - φ u = γ u γ s 0, n(s 0 ) = γ u 1 ± u u 1 γ (s 0 ) γ s 0, n(s 0 ) = γ u 1 γ s 0, n(s 0 ) ± u u 1 γ (s 0 ), n(s 0 ) = γ u 1 γ s 0, n(s 0 ) Das heißt aber, dass φ auf dem Intervall,u 1, u 2 - konstant ist. Da mindestens zwei der drei Werte s 0, s 1 bzw. s 3 im Intervall,u 1, u 2 - liegen, ist das ein Widerspruch zu φ s 1 < φ s 0 < φ(s 2 ). Also ist γ ist konvex. #
75 Zusammenhang zwischen Konvexität und Krümmung Differentialgeometrie 2.75 Bemerkung Für die Gültigkeit von Satz ist die Voraussetzung unverzichtbar, dass die Kurve einfach geschlossen ist. κ > 0, die Kurve ist aber nicht konvex! Diese Bedingung, dass die Kurve einfach geschlossen ist, wurde allerdings nur für eine Richtung des Beweises benötigt (κ 0 Kurve ist konvex). Dort wurde der Umlaufsatz und n γ = 1 benutzt. Die andere Richtung kommt ohne diese Voraussetzung aus. Es gilt also: Satz a: Zusammenhang zwischen Konvexität und Krümmung Für die Krümmung κ: R R einer nach der Bogenlänge parametrisierten konvexen (aber nicht notwendigerweise einfach geschlossenen) ebenen Kurve γ: R R 2 gilt: s R κ(s) 0 s R κ(s) 0
76 Differentialgeometrie Ebene Kurven (Kurven im R 2 ) Vierscheitelsatz
77 Scheitel einer Kurve Definition Eine nach Bogenlänge parametrisierte ebene Kurve γ: I R 2 besitzt einen Scheitel in s 0 I, wenn κ s 0 = 0 ist. Jürgen Roth Beispiel : Ellipse Eine Ellipse lässt sich parametrisieren durch γ: R R 2 a cos(t), t γ t = mit 0 < a < b. b sin(t) κ t = det (γ t, γ t ) γ t 3 = det = ab sin2 t + ab cos 2 t a sin(t) b cos(t) 3 = a sin(t) b cos(t) a sin(t) b cos(t), a cos(t) b sin(t) Differentialgeometrie ab a 2 sin 2 t + b 2 cos 2 t 3 2
78 Differentialgeometrie 2.78 Scheitel einer Kurve Beispiel : Ellipse (Fortsetzung) κ t = ab a 2 sin 2 t +b 2 cos 2 t = ab a 2 sin 2 t + b 2 cos 2 t κ t = 3ab 2 a2 sin 2 t + b 2 cos 2 t 5 2 2a 2 sin t cos t 2b 2 cos t sin (t) κ (t) ist also genau dann gleich Null, wenn gilt: a 2 sin t cos t = b 2 cos t sin (t) Da a 2 b 2 ist, gilt das genau dann, wenn sin t cos t = 0, d. h. wenn t = k π mit k Z. 2 Bei einem Durchlauf durch,0,2π) hat die Ellipse also genau vier Scheitel in t = 0, π, π und 3π. 2 2
79 Vierscheitelsatz Satz : Vierscheitelsatz Ist γ: R R 2 eine nach Bogenlänge parametrisierte konvexe ebene Kurve mit Periode L, dann hat sie mindestens vier Scheitel in,0, L). Hilfssatz : Schnittpunkte einer Geraden mit einer Kurve (1) Schneidet eine Gerade G eine einfach geschlossene konvexe ebene Kurve γ in mehr als zwei Punkten, dann enthält γ ein ganzes Segment von G und hat damit unendlich viele Schnittpunkte mit G. Jürgen Roth zwei Schnittpunkte mehr als zwei Schnittpunkte drei Schnittpunkte, aber nicht konvex Differentialgeometrie 2.79
80 Differentialgeometrie 2.80 Vierscheitelsatz Hilfssatz : Schnittpunkte einer Geraden mit einer Kurve (2) Berührt eine Gerade eine einfach geschlossene konvexe ebene Kurve γ in mehr als einem Punkt tangential, dann enthält γ ein ganzes Geradensegment. Beweisidee G G Anwendung von Hilfssatz auf G.
81 Differentialgeometrie 2.81 Vierscheitelsatz Beweis zum Vierscheitelsatz Da γ eine periodische Kurve ist, nimmt ihre Krümmung κ ihr Maximum und ihr Minimum an. Durch geeignete Umparametrisierung kann man erreichen, dass κ sein Minimum an der Stelle s = 0 und sein Maximum an der Stelle s = s 0,0, L) annimmt. Es gilt: κ 0 = 0 κ s 0 = 0 Damit besitzt die Kurve nach Definition an den Stellen s = 0 und s = s 0 jeweils einen Scheitel. (1. und 2. Scheitel) Satz : Vierscheitelsatz Ist γ: R R 2 eine nach Bogenlänge parametrisierte konvexe ebene Kurve mit Periode L, dann hat sie mindestens vier Scheitel in,0, L). Wir betrachten die Gerade G durch die γ(0) und γ(s 0 ). 1. Fall: G besitzt einen weiteren Schnittpunkt mit γ Nach Hilfssatz enthält γ dann ein ganzes Geradensegment, dort gilt überall: κ = 0 und damit κ = 0. Damit hat γ unendlich viele Scheitel.
82 Vierscheitelsatz Jürgen Roth Beweis zum Vierscheitelsatz (Fortsetzung) 2. Fall: G besitzt keinen weiteren Schnittpunkt mit γ Es wird eine euklidische Bewegung durchgeführt, so dass G die x-achse ist. Annahme: γ besitzt keinen weiteren Scheitel. Dann gilt: s (0,s0 ) κ s 0 und s (s0,l) κ s 0 Wegen L 0 κ s ds = κ L κ(0) = 0 muss κ auf einem der Intervalle (0, s 0 ) oder (s 0, L) Größer als Null und auf dem anderen Intervall kleiner als Null sein. Sei o.b.d.a. s (0,s0 ) κ s > 0 und s (s0,l) κ s < 0 Läge γ ganz auf einer Seite von G, dann würde G die Kurve γ an den Stellen s = 0 und s = s 0 berühren. Nach Hilfssatz enthält γ dann ein ganzes Geradensegment und besitzt entsprechend unendlich viele Scheitel. Es liege o.b.d.a. γ (0,s0 ) oberhalb von G und γ (s0,l) unterhalb von G. Damit gilt für die y-komponenten von γ: γ 2 s > 0 für s 0, s 0 < 0 für s (s 0, L) Differentialgeometrie 2.82
83 Vierscheitelsatz Jürgen Roth Beweis zum Vierscheitelsatz (Fortsetzung 2) γ 2 s > 0 für s 0, s 0 < 0 für s (s 0, L) Daraus ergibt sich: s 0,s0 (s 0,L) κ s γ 2 s > 0 Und damit: L κ s γ 2 s dt 0 Partielle Integration liefert: 0 L κ s γ s ds L = n s ds L 0 κ s γ 2 s ds = 0 0 Partielle Integration a b f x g x dx = f x g x b a f x g x dx > 0 = κ s γ s 0 L κ s γ s ds 0 L (*) = n L n(0) = 0 0 n s κ > 0 γ(0) γ(s 0 ) κ < 0 L = κ s γ s ds 0 Differentialgeometrie 2.83 a b = κ s γ (s) Im Widerspruch zu (*). Es muss also noch einen dritten Scheitel geben.
84 Differentialgeometrie 2.84 Vierscheitelsatz Beweis zum Vierscheitelsatz (Fortsetzung 3) Der dritte Scheitel liege o.b.d.a. an der Stelle s 1 (s 0, L). Annahme: Es gibt keinen vierten Scheitel. Die Kurve ist über den drei Intervallen (0, s 0 ), (s 0, s 1 ) und (s 1, L) in drei Bögen aufgeteilt, für die jeweils gilt κ 0. Wie oben zeigt man, dass das Vorzeichen von κ nicht auf allen Intervallen dasselbe sein kann. Die Bögen mit demselben Vorzeichen werden zusammengefasst. Nun hat man wieder zwei Bögen mit unterschiedlichen Vorzeichen von κ. Wie oben erhält man daraus einen Widerspruch zur Annahme. Also gibt es auch in diesem letzten möglichen Fall mindestens vier Scheitel und der Satz ist bewiesen. #
85 Differentialgeometrie 2.85 Isoperimetrische Ungleichung Bemerkung Als Dido, die Gründerin Karthagos, um 900 vor Christus nach Tunis kam, erwarb sie vom König so viel Land, wie sie mit einem Ochsenfell umspannen könne. Problem: In der Ebene soll eine geschlossene Linie von gegebener Länge L ein Gebiet G von möglichst großem Flächeninhalt A umgrenzen. Antwort: Satz : Isoperimetrische Ungleichung Wenn G R 2 ein beschränktes Gebiet mit Flächeninhalt A G ist, das von einer einfach geschlossenen ebenen Kurve γ berandet wird, dann gilt: 4π A G L γ 2 Gleichheit gilt genau dann, wenn γ ein Kreis ist.
86 Differentialgeometrie 2.86 Isoperimetrische Ungleichung Hilfssatz : Berechnungsformeln für den Flächeninhalt G R 2 sei ein beschränktes Gebiet, das von einer einfach geschlossenen ebenen Kurve γ berandet wird. γ t = γ 1(t) sei eine periodische Parametrisierung von γ mit γ 2 (t) Periode L, die das Gebiet in mathematisch positiven Sinn umläuft, d. h. mit Umlaufzahl +1, dann gilt für den Flächeninhalt A G : L A G = γ 1 t γ 2 t dt 0 = 1 2 Bemerkung L L = γ 1 t γ 2 t dt γ 1 t γ 2 t γ 1 t γ 2 t Für die Beweise der Sätze und vgl. Bär (2010, S. 62ff). 0 dt
87 Differentialgeometrie 2.87 Kapitel 2: Kurventheorie 2.3 Raumkurven (Kurven im R 3 )
88 Differentialgeometrie Raumkurven (Kurven im R 3 ) Krümmung und Torsion
89 Differentialgeometrie 2.89 Parametrisierte Raumkurve Definition Eine parametrisierte Kurve γ: I R 3 heißt parametrisierte Raumkurve. Bemerkung Anders als bei ebenen Kurven, bilden die Vektoren, die senkrecht auf dem Geschwindigkeitsvektor γ (s) einer nach Bogenlänge parametrisierten Raumkurve γ: I R 3 stehen, eine Ebene, die senkrecht stehenden Einheitsvektoren einen Kreis. Welchen Normalenvektor soll man wählen? Wie soll die Krümmung definiert werden? Das Vorzeichen der Krümmung in der Ebene beschreibt, ob sich die Kurve nach links oder rechts krümmt. Was soll das bei Raumkurven bedeuten? γ γ (s)
90 Krümmung Jürgen Roth Für ebene Kurven gilt: γ s = κ s n s Damit folgt: κ(s) = γ (s) Verzichtet man auf das Vorzeichen der Krümmung, dann kann man die Krümmung ohne das Normalenfeld festlegen. Deshalb definiert man für Raumkurven: Definition Für eine nach Bogenlänge parametrisierte Raumkurve γ: I R 3 heißt die Funktion κ: I R 3, s κ s γ (s) die Krümmung von γ. Bemerkung Die Krümmung ist auch hier ein Maß dafür, wie stark die Kurve von der Geraden abweicht. Ein nach Bogenlänge parametrisierte Raumkurve γ ist genau dann eine Gerade, wenn γ 0, d. h. wenn κ 0. Für die Krümmung gilt immer κ 0. Es macht also keinen Sinn mehr davon zu sprechen dass die Kurve sich nach rechts oder links krümmt. Differentialgeometrie 2.90
91 Differentialgeometrie 2.91 Normalenvektor Bemerkung Mit Hilfe der nun definierten Krümmung einer Raumkurve kann der Normalenvektor jetzt über die Gleichung γ s = κ s n s definiert werden, wenn κ s 0. Definition Für eine nach Bogenlänge parametrisierte Raumkurve γ: I R 3, s 0 I und κ s 0 0 heißt die Funktion n s 0 γ s 0 = γ s 0 κ s 0 γ s 0 der Normalenvektor von γ in s 0. Bemerkung Wie im ebenen Fall folgt aus 0 = γ, γ = 2 γ, γ dass n s 0 wirklich senkrecht auf γ s 0 steht. Um zu einer Orthonormalbasis des R 3 zu kommen definiert man:
92 Differentialgeometrie 2.92 Binormalenvektor Definition Für eine nach Bogenlänge parametrisierte Raumkurve γ: I R 3, s 0 I und κ s 0 0 heißt b s 0 γ s 0 n(s 0 ) der Binormalenvektor von γ in s 0. Bemerkung Hier bezeichnet das Vektorprodukt im R 3. Das Vektorprodukt x y zweier Vektoren x, y R 3 hat folgende Eigenschaften: x y steht senkrecht auf x und auf y. Wenn x und y linear unabhängig sind, bilden x, y und x y eine positiv orientierte Basis des R 3. Wenn x und y orthogonal zueinander sind und jeweils die Länge 1 besitzen, dann bilden x, y und x y eine positiv orientierte Orthonormalbasis des R 3.
93 Differentialgeometrie 2.93 Begleitendes Dreibein Definition Für eine nach Bogenlänge parametrisierte Raumkurve γ: I R 3, heißt die Orthonormalbasis γ s 0, n s 0, b(s 0 ) begleitendes Dreibein von γ in s 0. b(s 0 ) γ n(s 0 ) γ (s 0 ) Bemerkung Das begleitende Dreibein ist nur für solche Parameterwerte s definiert, für die κ s 0 ist. Die Krümmung einer Kurve gibt an, wie stark sich der Geschwindigkeitsvektor in Richtung des Normalenvektors dreht. Bei Raumkurven lässt sich eine ähnliche Größe definieren, die misst, wie stark sich der Normalenvektor aus der zusammen mit dem Geschwindigkeitsvektor aufgespannten Ebene herausdreht. d. h. wie stark er sich in Richtung des Binormalnevektors bewegt.
94 Differentialgeometrie 2.94 Torsion Definition Sei γ: I R 3 eine nach Bogenlänge parametrisierte Raumkurve, s 0 I, κ s 0 0 und γ s 0, n s 0, b(s 0 ) das begleitende Dreibein von γ in s 0, dann heißt τ s 0 n s 0, b s 0 die Torsion (Windung) von γ in s 0. Satz : Frenet-Gleichungen Wenn γ: I R 3 eine nach Bogenlänge parametrisierte Raumkurve mit s I κ > 0, v(s) γ s, n s, b(s) das begleitende Dreibein und τ(s) die Torsion von γ in s ist, dann gilt: v s, n s, b (s) = v s, n s, b(s) 0 κ(s) 0 κ(s) 0 τ(s) 0 τ(s) 0
95 Frenet-Gleichungen Jürgen Roth Beweis Die erste Spalte der 3 3-Matrix ist korrekt, denn die Aussage γ s = v s = κ s n s ist die Definition des Normalenvektors n(s). Die Aussagen der zweiten Spalte lautet: n s = κ s v s + τ s b(s) Der Vektor n s lässt sich als Linearkombination der Basisvektoren der Orthonormalbasis v(s), n s, b(s) schreiben: n s v s, n s, b (s) = v s, n s, b(s) = k s v s + l s n s + m s b(s) Zu zeigen ist: k s = κ s ; l s = 0; m s = τ(s) τ s n s, b s = k s v s + l s n s + m s b(s), b s 0 κ(s) 0 κ(s) 0 τ(s) 0 τ(s) 0 = k s v s, b(s) + l s n s, b(s) + m s b s, b(s) = k s 0 + l s 0 + m s 1 = m s Differentialgeometrie 2.95
96 Frenet-Gleichungen Jürgen Roth Beweis (Fortsetzung 1) Die Aussagen der zweiten Spalte lautet: n s = κ s v s + τ s b(s) Der Vektor n s lässt sich als Linearkombination der Basisvektoren der Orthonormalbasis v(s), n s, b(s) schreiben: n s = k s v s + l s n s + m s b(s) Noch zu zeigen ist: k s = κ s ; l s = 0 Es gilt: n, v = n, v + n, v und n, v = 0 wegen n v Daraus folgt: n, v = n, v = n, γ = n, κ n = κ κ s n s, v s v s, n s, b (s) = v s, n s, b(s) = k s v s + l s n s + m s b(s), v s 0 κ(s) 0 κ(s) 0 τ(s) 0 τ(s) 0 = k s v s, v(s) + l s n s, v(s) + m s b s, v(s) = k s 1 + l s 0 + m s 0 = k s Differentialgeometrie 2.96
97 Differentialgeometrie 2.97 Frenet-Gleichungen Beweis (Fortsetzung 2) Die Aussagen der zweiten Spalte lautet: n s = κ s v s + τ s b(s) Der Vektor n s lässt sich als Linearkombination der Basisvektoren der Orthonormalbasis v(s), n s, b(s) schreiben: n s = k s v s + l s n s + m s b(s) Noch zu zeigen ist: l s = 0 Es gilt: 0 = n, n = n, n + n, n = 2 n, n Daraus folgt: 0 = n s, n s v s, n s, b (s) = v s, n s, b(s) = k s v s + l s n s + m s b(s), n s 0 κ(s) 0 κ(s) 0 τ(s) 0 τ(s) 0 = k s v s, n(s) + l s n s, n(s) + m s b s, n(s) = k s 0 + l s 1 + m s 0 = l s
98 Frenet-Gleichungen Beweis (Fortsetzung 3) Die Aussagen der dritten Spalte lautet: b s v s, n s, b (s) = v s, n s, b(s) = τ s n(s) Der Vektor b s lässt sich als Linearkombination der Basisvektoren der Orthonormalbasis v(s), n s, b(s) schreiben: b s = k s v s + l s n s + m s b(s) Zu zeigen ist: k s = 0; l s = τ s ; m s = 0 Es gilt: b, v = b, v + b, v und b, v = 0 wegen b v Daraus folgt: b, v = b, v = b, γ = b, κ n = 0 Analog oben ergibt sich: 0 = b s, v s = k(s) Es gilt: b, n = b, n + b, n und b, n = 0 wegen b n Daraus folgt: b, n = b, n b, n = 0 τ = τ Analog oben ergibt sich: τ = b s, n s = l(s) 0 κ(s) 0 κ(s) 0 τ(s) 0 τ(s) 0 Jürgen Roth Es gilt: 0 = b, b = b, b + b, b = 2 b, b Analog oben ergibt sich: 0 = b s, b s = m(s) # Differentialgeometrie 2.98
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