Beitrag: Diätpillen aus dem Internet Billig und tödlich

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Diätpillen aus dem Internet Billig und tödlich Sendung vom 24. Oktober 2017 von Martina Morawietz, Astrid Randerath und Hannah Reineke Anmoderation: Die Deutschen haben ein schwerwiegendes Problem: Knapp 60 Prozent der Männer sind übergewichtig, bei den Frauen sind es 37 Prozent. Ganz viele haben schon einmal eine Diät ausprobiert, oder sogar mehrere - und irgendwann frustriert abgebrochen. Der leidige Kampf mit den Kilos verführt dazu, auf angebliche Wundermittel hereinzufallen. Diätpillen, die im Internet als pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel angepriesen werden. Klingt harmlos, geradezu gesund, macht aber eher krank als schlank. Abnehmen mit gefährlichen Nebenwirkungen - Martina Morawietz und Astrid Randerath berichten. Text: Tanja B. hat nach der Geburt ihres Kindes ein paar Kilo zugenommen. Sie will schnell wieder ihre alte Figur bekommen und hört von einem pflanzlichen Nahrungsergänzungsmittel. O-Ton Tanja B., Online-Käuferin: Also, ich war ganz überrascht, dass das was Pflanzliches sein soll. Deswegen habe ich das auch genommen, sonst hätte ich das nicht gemacht. Online bestellt sie Lida. Mehrere Wochen lang nimmt sie die Diätpillen täglich ein. O-Ton Tanja B, Online-Käuferin: So nach zwei Monaten ungefähr, fing das dann an, mit den Herzrhythmusstörungen, dass ich halt wirklich dann auch Angst bekommen habe, ne. Also, das war schon ziemlich heftig, dass ich dann halt auch an einem Abend schon gedacht habe, ich muss jetzt den Notarzt rufen, weil ich gleich sterbe. Marco M. will nicht erkannt werden. Auch er wollte schnell abnehmen. Da erfährt er, dass es ein angeblich besonders

2 wirksames Präparat geben soll: DNP. Das erhöht die Körpertemperatur, verstärkt die Fettverbrennung. Er bestellt es im Internet. O-Ton Marco M., Online-Käufer: Ich habe nur noch geschwitzt. Hatte - ich glaube - am zweiten oder am dritten Tag schon angefangen, Pickel an den Armen zu kriegen. Nachts schlafen ging am dritten Tag gar nicht mehr. Und, ja, ab dem sechsten Tag war ich komplett fertig auf der Bereifung. Der Arzneimittel-Experte Wolfgang Becker-Brüser ist wegen des Online-Handels mit Diätpillen alarmiert. Es handele sich nicht um harmlose Tabletten aus rein pflanzlichen Stoffen, sondern die Hersteller mischten häufig verschreibungspflichtige Medikamente hinein. Niemand wisse genau, was in den Pillen steckt. O-Ton Wolfgang Becker-Brüser, Arzneimittel-Experte, arzneitelegramm: Letztlich sind die Anbieter von solchen gepanschten Nahrungsergänzungsmitteln Kriminelle, muss man sagen, denen egal ist, wie es den Menschen geht, und die es in Kauf nehmen, dass Menschen geschädigt werden, durch die gepanschten Produkte. Wir wollen herausfinden, welche gefährlichen Stoffe die Online- Händler in die Diätpillen panschen. Im Internet entdecken wir viele Anbieter, die mit pflanzlichen Schlankmachern werben. Sie versprechen keinerlei Nebenwirkungen und schnelleren Gewichtsverlust. Sechs Schlankheitsmittel bestellen wir, darunter die viel verkauften Internetprodukte Lida und Botanical slimming. Wir schicken sie zur Untersuchung an das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker. Hier werden die Diätpillen analysiert: O-Ton Prof. Mona Tawab, Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker: Das Ergebnis ist erschreckend. Wir haben in der Hälfte der Präparate nicht deklarierte, verschreibungspflichtige Wirkstoffe entdeckt. Also, wir haben in diesen Präparaten Fluoxetin gefunden. Es handelt sich hierbei um ein Antidepressivum, was vom Arzt verschrieben werden muss. Und das wird einfach so dazu gesetzt, ohne es zu deklarieren. Fluoxetin kann zu erheblichen Nebenwirkungen führen: Atemnot, Panikattacken und Suizidgedanken können auftreten. Die gefundenen Mengen des Wirkstoffs in den untersuchten Diätpillen sind immens hoch, fast so hoch wie in rezeptpflichtigen Tabletten. O-Ton Prof. Mona Tawab, Zentrallaboratorium Deutscher

3 Apotheker: Der Verbraucher wird hier ganz, ganz klar getäuscht. Es ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten, einem ahnungslosen Verbraucher, der wirklich nur ein harmloses Medikament einnehmen möchte, solche verschreibungspflichtigen Wirkstoffe unterzuschieben. Am Frankfurter Flughafen werden wöchentlich Lifestyle- Medikamente - unter anderem Diätpillen wie Botanical slimming und Lida - sichergestellt. Die Kontrolleure fangen ab, was ihnen auffällig erscheint. Regelmäßig werden die beschlagnahmten Pillen im Hauptzollamt Darmstadt gesammelt und dann in einer Müllverbrennungsanlage vernichtet. Doch diese Mengen sind lediglich ein Bruchteil des illegalen Geschäfts. O-Ton Prof. Arndt Sinn, Strafrechtler, Universität Osnabrück: Arzneimittel sind das neue Kokain. Sie können mit gefälschten Arzneimitteln mehr Profit erwirtschaften, bei niedrigerem Verfolgungsdruck und bei niedrigeren zu erwartenden Strafen als auf dem Drogenmarkt. Zollfahnderin Ruth Haliti führt uns in eine Halle, deren Standort geheim bleiben muss. Hier lagern 3,2 Millionen beschlagnahmte Tabletten. 14 Millionen Euro sind sie wert. Viele davon sind gepanschte Diätpillen. Fahndern und Staatsanwaltschaft Essen gelang damit 2015 der bislang größte Schlag gegen die organisierte Kriminalität - ein höchst lukrativer Markt. O-Ton Ruth Haliti, Zollkriminalamt Köln: Eine dieser Kapseln kostet in der Produktion wirklich im Cent-Bereich. Also, wir gehen davon aus, dass tatsächlich ein Wirkstoff drin ist. Wenn Sie dann aber in der Konzentration - wie hier vorhanden 15 Milligramm - eine 30er- Packung bestellen, dann zahlen sie im Internet zwischen 35 und 50 Euro dafür. Das heißt die Gewinnspanne ist riesig groß. Die Bande hatte ein internationales Netz aufgebaut und den globalen Handel mit gepanschten Pillen mehrere Jahre lang betrieben. Erst dann konnten die sieben Täter von den Fahndern gefasst werden. Die Drahtzieher wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt - ein seltener Ermittlungserfolg. O-Ton Wolfgang Becker-Brüser, Arzneimittel-Experte, arzneitelegramm: Die Strafverfolgung ist quasi fast unmöglich, weil diese Anbieter in allen Ländern der Welt arbeiten und von da aus verkaufen, deutschsprachige Internetseiten haben beispielsweise, und die Patienten oder die Menschen, die geschädigt worden sind, letztendlich keine Chance haben, die Anbieter zu belangen, im Fall einer Schädigung.

4 Tanja B. hatte noch Glück, sie setzte die gesundheitsgefährdenden Diätpillen Lida rechtzeitig ab. Heute wundert sie sich, wie einfach die Bestellung war: O-Ton Tanja B., Online-Käuferin: Meine Freundin, die hatte eine -Adresse, direkt von einem Händler aus China. Und mit dem habe ich dann Kontakt aufgenommen. Also, die Lieferung war ganz reibungslos. Ich hatte keinen Brief vom Zoll oder so bekommen, dass ich da vorbeikommen soll. Die kamen direkt zu mir nach Hause. Auch der höchst gefährliche Schlankmacher DNP ist nach wie vor im Netz erhältlich. Marco M. wäre fast gestorben, weil seine Körpertemperatur nach der Einnahme lebensbedrohlich anstieg: O-Ton Marco M., Online-Käufer: Ab 42 Grad gerinnt ja das Eiweiß und dann ist quasi Sterben angesagt. Und bei diesem Medikament schafft man das. Aber über Nebenwirkungen erzählt einem natürlich erstmal keiner was. Es geht einfach nur um Verkauf. Die wollen das Zeug loswerden, was eigentlich dafür überhaupt nicht geeignet ist. An den Nebenwirkungen von DNP starb 2015 die Britin Eloise Parry im Alter von 21 Jahren. Wie gefährlich die Pillen sind, wusste sie nicht. Auch die Studentin Sarah Houston war ahnungslos als sie DNP schluckte. Sie starb im Alter von 23 Jahren Chris Mapletoft ist das bislang jüngste Todesopfer der DNP -Pillen. Der Rugbyspieler und Student war erst 18 Jahre alt. Seine Mutter warnt vor DNP : O-Ton Lesley Mapletoft, Mutter: Wir finden es unglaublich, dass mit wenigen Klicks DNP im Internet erhältlich ist. Wie kann etwas, dass für Menschen ungeeignet ist, als Tablette verkauft werden, ohne dass das bestraft wird. Wir werden niemals die Freude haben, Chris zu einem netten jungen Mann aufwachsen zu sehen. Wir können nur an die Menschen appellieren, DNP nicht zu nehmen. Es ist tödlich. Wir wollen die Firmen, die DNP anbieten, und die Hersteller der gepanschten Pillen aus unserer Stichprobe zu den Vorwürfen befragen. Auf ihren Homepages geben sie nicht mal Postadressen an. Wir versuchen es online. Keine Antwort. Nur beim Hersteller der gepanschten Diätpillen Lida finden wir eine Anschrift. Doch unter der Berliner Adresse gibt es weder eine Firma noch einen Briefkasten mit dem Namen. Kriminelle reagieren schnell, verändern Firmennamen, Orte,

5 Webadressen. In dem wachsenden Markt stoßen Fahnder an ihre Grenzen: O-Ton Ruth Haliti, Zollkriminalamt Köln: Sie können im Rahmen der Globalisierung des World Wide Web eigentlich nicht unterbinden, dass Menschen das bestellen. Aber wir sagen halt, wir können sehr viel kontrollieren als Zoll. Aber wichtig ist, dass die Menschen erst gar nicht die Nachfrage aufkommen lassen. Das heißt, wenn nicht nachgefragt wird, wird es nicht mehr produziert. Der Zoll kontrolliert nur fünf Prozent aller Päckchen und Pakete. Damit werde die organisierte Kriminalität im Bereich Lifestyle- Produkte kaum zu stoppen sein, meint der Strafrechtler Arndt Sinn. Es brauche spezialisierte Staatsanwaltschaften und bessere Zusammenarbeit der Behörden auf nationaler wie internationaler Ebene. O-Ton Prof. Arndt Sinn, Strafrechtler, Universität Osnabrück: Mir ist völlig bewusst, dass der Zoll vielfältige Aufgaben zu erfüllen hat und mit der bisherigen Ressourcenausstattung nicht in der Lage ist, noch ein dichteres Netz zu knüpfen. Aber das ist eben dann die Frage, wie die Politik reagieren will, wenn sie Verbrauchersicherheit steigern will - also, mit Aufstockung der Ressourcen, mit klaren Zuständigkeitsregelungen und damit auch mit der Förderung der Verbrauchersicherheit. Immer wieder muss der Zoll gepanschte Pillen entsorgen, immer wieder werden millionenfach neue produziert. Ein illegaler, weltweiter Markt, der Menschenleben gefährdet und sich zunehmend jeglicher Kontrolle entzieht. Abmoderation: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Frontal 21 - beziehungsweise schauen Sie auf unsere Internetseite. Da finden Sie Rat, wie man unseriöse Versandhändler und gefährliche Produkte erkennen kann. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.