Formen der Sprachbetrachtung 1
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- Silke Geier
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2 0 Einleitung trachtung stets berücksichtigt werden. Die Medienspezifik der Sprache und ihrer Betrachtung zieht sich schon deshalb wie ein roter Faden durch den vorliegenden Band. 20
3 Formen der Sprachbetrachtung 1
4 1 Formen der Sprachbetrachtung 1.1 Was ist Sprachbetrachtung? In der Regel verwenden wir Sprache als Instrument, um uns über Gegenstände, Sachverhalte, Handlungen etc. zu verständigen, die mit Sprache selbst nichts zu tun haben. Sprache dient uns also vor allem als Medium. Wir sind jedoch auch in der Lage, Sprache zum Gegenstand unserer Aufmerksamkeit zu machen. Das geschieht z. B. dann, wenn wir jemanden nicht verstehen und nachfragen, was er gesagt hat, oder wenn uns ein Wort, von dem wir wissen, dass wir es eigentlich kennen, nicht einfällt. Es geschieht aber auch dann, wenn wir z. B. nicht wissen, wo wir ein Komma setzen sollen, oder dann, wenn uns die Ausdrucksweise eines Gesprächspartners missfällt und wir uns darüber beklagen. In solchen Momenten wird Sprache selbst zum Gegenstand der Aufmerksamkeit. Sprachbetrachtung (einfach) Tätigkeiten, mit denen wir Sprache zum Gegenstand unserer Aufmerksamkeit machen, nennen wir Sprachbetrrachtung. Die Möglichkeit der Sprachbetrachtung unterscheidet die menschliche Sprache von allen anderen Sprachen, insbesondere von Tiersprachen. Die Bienen können zwar zu Verständigungszwecken tanzen, aber sie können weder darüber nachdenken noch darüber sprechen, dass oder wie sie das tun (sollten). Biene Mensch Abb. 1 Tiersprache menschliche Sprache 22
5 Was ist Sprachbetrachtung? 1.1 Die Sprache der Bienen ist demnach wie die von Tieren überhaupt eindimensional: Zeichenbedeutungen und Verknüpfungsregeln sind weder veränderlich noch enthalten sie das Potenzial selbstreflexiver Bezugnahme. Die menschliche Sprache ist demgegenüber zweidimensional: Zeichenbedeutungen und Verknüpfungsregeln weisen je eigene Gesetzmäßigkeiten auf, sie verändern sich im historischen Prozess (Sprachwandel); darüber hinaus enthalten sie das Potenzial zur selbstreflexiven Bezugnahme (Sprachbetrachtung). Bereits die oben angesprochenen Anlässe, die dazu führen, Sprache zum Gegenstand der Aufmerksamkeit zu machen, zeigen, dass Sprachbetrachtung auf sehr verschiedenen Ebenen ansetzen kann und ganz unterschiedliche Aspekte von Sprache betroffen sein können. Diese Vielfältigkeit von Sprachbetrachtungsmöglichkeiten hat in der wissenschaftlichen Diskussion zu sehr unterschiedlichen Auffassungen darüber geführt, wie Sprachbetrachtung nun tatsächlich zu definieren sei. Der vorliegende Band wird die wichtigsten Auffassungen vorstellen (Kap. 1), der Entstehung der Sprachbetrachtungskompetenz in der Individualentwicklung nachgehen (Kap. 2) und über wichtige Sprachbetrachtungsmodelle in und für die Schule informieren (Kap. 3). Die oben gegebene, weite Definition von Sprachbetrachtung umfasst sowohl solche Tätigkeiten, bei denen wir uns explizit über Sprachliches äußern (z. B. das ist ein Artikel, sag mir ein Wort mit M, das war spannend erzählt), als auch implizite Tätigkeiten, also die Durchführung sprachlicher Operationen (z. B. Formulierungsabwägungen beim Schreiben/Sprechen, Ausprobieren von Formulierungsalternativen, Ausprobieren von Schreibvarianten). Ein wesentliches Bestimmungsmerkmal all dieser Formen der Aufmerksamkeitsorientierung ist, dass zwischen dem Betrachter und dem betrachteten Objekt ein Abstand besteht. Wir müssen uns von den sprachlichen Erscheinungen, die wir betrachten wollen, distanzieren. Eine solche Distanznahme geschieht besonders häufig dann, wenn sprachliche Handlungsroutinen versagen. Wir achten dann auf die Tätigkeit, die wir im Normalfall ohne bewusste Aufmerksamkeitssteuerung durchführen. Genau dadurch entsteht eine Distanz zwischen Handeln und dem Instrument des Handelns, die eine notwendige Bedingung dafür ist, dass etwas betrachtet werden kann. explizite und implizite Sprachbetrachtung Distanzierung 23
6 1 Formen der Sprachbetrachtung Distanzierung Bei jeder Form der Sprachbetrachtung wird ein Abstand zwischen dem Sprachbetrachter und dem Instrument Sprache hergestellt. Deautomatisierung Dass Sprachproduktion und Sprachrezeption in der Regel ohne besondere Aufmerksamkeit ablaufen bedeutet dass wir das Sprechen automatisiert haben. Wollen wir ein sprachliches Ereignis zum Gegenstand der Aufmerksamkeit machen, müssen wir diese Automatisierung aufgeben, um andere kognitive, sprachbetrachtungsrelevante Prozesse aktivieren zu können. Dies führt zu akuten Verstehensverlusten bei der primären Sprachwahrnehmung/ Sprachproduktion, was sich jeder an einem einfachen Selbstexperiment verdeutlichen kann: Versuchen Sie einen Satz so zu lesen, dass Sie anschließend sagen können, wieviele Wörter er hat. Lesen Sie dann einen ähnlich langen Satz, ohne dass Sie sich dieses Ziel setzen. Unter der ersten Bedingung wird sowohl Ihre Lesegeschwindigkeit vermindert als auch Ihr Satzverstehen beeinträchtigt sein. Deautomatisierung Mit dem Betrachten einer sprachlichen Erscheinung wird ihre automatisierte Prozessierung aufgegeben. Dekontextualisierung Die Deautomatisierung der Handlungsroutinen ist häufig ein Grund dafür, dass viele Muttersprachler/innen grammatischen sowie insgesamt sprachbezogenen Analysen mit Widerstand begegnen. Aktivitäten, die auf Kosten des unmittelbaren Sprachverstehens gehen, sind für viele gleichbedeutend mit dem Aufgeben ihres Sprachgefühls, das sie für das eigene sprachliche Können in Anschlag bringen. Zugleich mit der Deautomatisierung werden die Phänomene, die der Betrachtung zugänglich gemacht werden, aus ihrer gewohnten Umgebung herausgelöst. Diese Herauslösung der sprachlichen Phänomene aus ihren Kontexten, die Dekontextualisierung, ist eine dritte notwendige Bedingung für die Tätigkeit der Sprachbetrachtung. So werden etwa zur Wortartenbestimmung im Grammatikunterricht die entsprechenden Wörter aus 24
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