Besprechung der Abschlussklausur
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- Mathias Wetzel
- vor 6 Jahren
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1 Besprechung der Abschlussklausur Grundlehren des Bürgerlichen Rechts II Sommersemester 2017 Prof. Dr. Jacob Joussen
2 SACHVERHALT (1) Teil 1: A ist eine große Bewunderin von Fitness-Youtuber U. Dieser betreibt auch einen Versandhandel für Nahrungsergänzungsmittel. A bestellt mittels einer Bestellkarte, die einer Postwurfsendung des U beilag, eine Packung des von diesem vertriebenen Nahrungsergänzungsmittels N-BCAA zum Marktpreis von 30,-. Als die Bestellung U am folgenden Tag erreicht, beschließt er spontan, die Ware nicht wie üblich über einen Paketdienst zu verschicken, sondern seinen Mitarbeiter M liefern zu lassen und diesen ein Internetvideo seines Überraschungsbesuchs bei A aufnehmen zu lassen. Er nimmt eine Packung N-BCAA aus dem Regal im Lager und übergibt sie M. Auf dem Weg zu A verursacht M einen Autounfall, bei dem auch die für A bestimmte Packung N-BCAA zerstört wird. A möchte, dass U eine neue Packung N-BCAA an sie leistet, U beruft sich darauf, dass aus seiner Sicht nicht einmal ein Kaufvertrag zwischen ihm und A zustande gekommen sei, er habe der A gegenüber nie eine Annahme der Bestellung erklärt. Außerdem sei er ohnehin nur zur Übergabe an eine Transportperson verpflichtet gewesen, was danach geschehe, sei nicht sein Problem. A meint, die Bestellung via Bestellschein sei so üblich, irgendwie müsse da doch ein Vertrag zustande kommen. Wenn U zudem seine eigenen Mitarbeiter für den Transport nutze, sei es eben doch sein Problem, wenn die Ware beim Transport beschädigt werde. Frage: Hat A gegen U einen Anspruch auf Lieferung einer weiteren Packung N-BCAA aus 433 I BGB? 2
3 TEIL 1 LÖSUNG (1) A. Anspruch der A gegen U aus 433 I BGB A könnte gegen U gemäß 433 I BGB einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung einer Packung N-BCAA haben. I. Kaufvertrag 1. Postwurfsendung als Angebot Die Postwurfsendung des U stellt mangels Rechtsbindungswillens kein Angebot, sondern lediglich eine invitatio ad offerendum dar. 2. Ausgefüllte Bestellkarte als Angebot Die ausgefüllte Bestellkarte stellt aber ein Angebot der A an U dar. Dieses ist dem U auch zugegangen und damit wirksam geworden ( 130 I 1 BGB). 3
4 TEIL 1 LÖSUNG (2) 3. Annahme des U konkludente Annahme: Aussondern und der Transport der Ware Zugang der Annahmeerklärung bei A (-) & damit grds. nicht wirksam geworden ( 130 I 1 BGB) Im Versandhandel ist es jedoch üblich, dass auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet wird ( 151 S. 1 BGB) Die Versendung einer Annahmeerklärung mit erst anschließender verzögerter Warensendung wäre unpraktikabel (konkludente) Annahmeerklärung hier auch ohne Zugang wirksam ( 151 S. 1 BGB) Kaufvertrag (+) II. Untergang des Anspruchs durch Erfüllung, 362 BGB Der Anspruch aus 433 I BGB ist nicht durch Erfüllung untergegangen. 4
5 TEIL 1 LÖSUNG (3) III. Untergang der Leistungspflicht nach 275 BGB 275 I BGB objektive Unmöglichkeit Die von U transportierte Packung N-BCAA wurde zerstört, kann somit dauerhaft von niemandem geleistet werden. Ob dies zum Untergang der Leistungspflicht nach 275 BGB führt, ist davon abhängig, ob sich die Schuld des U auf diese Packung N-BCAA beschränkte (Stückschuld) oder er (weiterhin) zur Leistung aus der Gattung verpflichtet ist (Gattungsschuld). 1. Ursprünglich vereinbart: Gattungsschuld Ursprünglich bestellte A bei U über einen Bestellschein eine Packung N-BCAA. Die Leistung war demnach nur ihrer Gattung nach bestimmt, U war verpflichtet, eine Sache von mittlerer Art und Güte zu leisten ( 243 I BGB). Ursprünglich lag eine Gattungsschuld vor. 5
6 TEIL 1 LÖSUNG (4) 2. Konkretisierung nach 243 II BGB? Die ursprünglich vereinbarte Gattungsschuld könnte sich nach 243 II BGB zur Stückschuld konkretisiert haben. Voraussetzung dafür ist, dass U das seinerseits Erforderliche getan hat. Das seinerseits Erforderliche ist abhängig davon, welche Art von Schuld die Parteien vereinbart haben. Holschuld Bringschuld Schickschuld Leistungs- (= Erfüllungs-) und Erfolgsort (Ort, an dem der Leistungserfolg eintritt) liegen beim Wohnsitz des Schuldners Genau umgekehrte Situation zur Holschuld Leistungs- und Erfolgsort am Wohnsitz des Gläubigers Leistungsort ist der Ort, an dem die Ware an Transportperson übergeben wird. Erfüllungsort ist dagegen der Wohnsitz des Käufers. Bereitstellung zur Abholung Benachrichtigung des Gläubigers Schuldner muss die Sache dem Gläubiger bringen Aussondern der Ware Übergabe an eine Transportperson 6
7 TEIL 1 LÖSUNG (5) Im Zweifel: Leistungsort beim Schuldner ( 269 I BGB) Ohne besondere Anhaltspunkte für eine weitergehende Verpflichtung des Verkäufers soll auch im Versandhandel der Leistungsort weiterhin beim Schuldner liegen. U hätte die Packung N-BCAA also an dem Ort seiner Geschäftstätigkeit an eine vertrauensvolle Transportperson übergeben müssen. U hat die Ware aber nicht an eine Transportperson, sondern an seinen Mitarbeiter M zum Transport übergeben. (P) Tritt Konkretisierung bei jeder Übergabe der geschuldeten Ware an jede Transportperson ein oder muss es sich um einen selbständigen Transporteur handeln? 7
8 TEIL 1 LÖSUNG (6) Übergabe an irgendeine Transportperson (also auch Personen aus dem Lager des Schuldners) Übergabe an selbständigen Transporteur Eigentlicher Transport gehört nicht mehr zum vom Warenschuldner geschuldeten Leistungsinhalt, selbst wenn dieser die Transportkosten übernimmt ( 269 III BGB). Das seinerseits Erforderliche (isv 243 I BGB) wurde mit Übergabe an jedwede Transportperson getan. Für das Freiwerden kommt es auf die Tatsache an, dass die Ware aus der eigenen Risikosphäre des Schuldners heraus kommt. Mit der Übergabe an eine Person aus dem eigenen Lager wird die Ware nicht aus der Risikosphäre entfernt = das seinerseits Erforderliche (isv 243 I BGB) wurde noch nicht getan. Nach dieser Ansicht kann bei einer Schickschuld nur die Warenübergabe an eine unabhängige Transportperson die Leistungsgefahr verlagern. 8
9 TEIL 1 LÖSUNG (7) 3. Zwischenergebnis Entweder: Wenn Konkretisierung trotz des Selbsttransports angenommen wurde = Konkretisierung (+) Unmöglichkeit (+) Untergang (+) Oder: Wenn Konkretisierung wegen des Selbsttransports abgelehnt wurde = Konkretisierung (-) Unmöglichkeit (-) Untergang (-) IV. Ergebnis Entweder: Wenn die Unmöglichkeit angenommen wurde, hat A gegen U keinen Anspruch auf Leistung einer Packung N-BCAA aus 433 I BGB. oder: Wenn die Unmöglichkeit abgelehnt wurde, hat A gegen U weiterhin einen Anspruch auf Leistung einer Packung N-BCAA aus 433 I BGB. 9
10 SACHVERHALT (2) Abwandlung zu Teil 1: A wählt bei der Bestellung die Option Lieferung durch eigene Mitarbeiter bekannt aus meinen Videos. Der bisher stets zuverlässige M erreicht die Wohnung der A ohne Zwischenfall. Wie aufgetragen, nimmt M ein Video von der Übergabe in der Wohnung der hocherfreuten A auf. Dabei erblickt M die auf einer Kommode liegende Smartwatch (Wert: 449,- ) der A. M kann nicht widerstehen und steckt sich die Uhr ein. Nach dem Videodreh verlässt er die Wohnung, begibt sich zum nächsten Bahnhof und veräußert dort die Uhr. Frage: Hat A gegen U einen vertraglichen Anspruch auf Schadensersatz? 10
11 ABWANDLUNG VON TEIL 1 LÖSUNG (1) B. Anspruch der A gegen U aus 280 I 1, 241 II, 433 I BGB A könnte gegen U gemäß 280 I 1, 241 II, 433 I BGB einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 449,- haben. I. Schuldverhältnis Kaufvertrag (+) II. Pflichtverletzung Verletzung des Rücksichtnahmegebots aus 241 II BGB bezüglich des Eigentums der A an der Smartwatch durch den Diebstahl. III. Verschulden Widerlegbare Vermutung des 280 I 2 BGB 1. Eigenes Verschulden (-) 11
12 ABWANDLUNG VON TEIL 1 LÖSUNG (2) 2. Zurechnung des Verschuldens des M gem. 278 S. 1 BGB a) Schuldverhältnis A U (+) b) Erfüllungsgehilfeneigenschaft des M (+) M war Mitarbeiter des U. c) Pflichtverletzung in Erfüllung einer Verbindlichkeit Verletzung einer den U gegenüber A treffenden Pflicht (+) (P) Innerer Zusammenhang zu der dem M übertragenen Tätigkeit M entwendete die Smartwatch während er A ihre Packung N-BCAA überbrachte. Damit erfolgte die Wegnahme nicht in Erfüllung der kaufvertraglichen Pflichten des U, sondern M nutzte lediglich die Möglichkeit aus, die sich ihm Dank der Erfüllung bot. 12
13 ABWANDLUNG VON TEIL 1 LÖSUNG (3) Zurechnung (-) Zurechnung (+) Eigenverantwortliches Verhalten des Erfüllungsgehilfen Pflicht, Diebstähle zu unterlassen, bestehe allgemein für jedermann jedem anderen gegenüber Der Vertragspartner ist um nichts mehr und in keiner anderen Weise zur Unterlassung von Diebstählen verpflichtet als jedes andere Mitglied der Rechtsgemeinschaft auch. 278 BGB solle gerade nicht vor allgemeinen Lebensrisiken schützen M wurde nicht eingesetzt, um A ihr Eigentum zu entwenden, der Diebstahl wurde ihm durch die Erfüllung der Verbindlichkeit nur erheblich vereinfacht Nach dieser Ansicht bestünde kein innerer Zusammenhang innerer Zusammenhang zur Erfüllung der Verbindlichkeit bestehe auch, wenn die Pflichtverletzung dem Erfüllungsgehilfen durch die Erfüllung der Verbindlichkeit erheblich erleichtert wurde Abgrenzung danach, ob die Hilfsperson in Erfüllung oder nur bei Gelegenheit der Erfüllung der Verbindlichkeit gehandelt hat, ist äußerst unsicher 278 liegt der Gedanke der Risikoerhöhung zugrunde Neuerdings wird zunehmend darauf abgestellt, ob dem Gehilfen erst durch die übertragene Tätigkeit die Gelegenheit gegeben wurde, auf die Rechtsgüter des Gläubigers einzuwirken, sich also gerade die vom Schuldner geschaffene Risikoerhöhung verwirklicht hat M hat die Gelegenheit zur Wegnahme erst durch seinen Einsatz bei der Erfüllung erhalten Nach dieser Ansicht besteht ein innerer Zusammenhang 13
14 ABWANDLUNG VON TEIL 1 LÖSUNG (4) d) Verschulden des M (nur anzusprechen, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der Erfüllung der Verbindlichkeit und der Pflichtverletzung bejaht wurde) e) Zwischenergebnis Entweder: Wenn ein innerer Zusammenhang bejaht wurde, wird ihm das Verschulden des M zugerechnet, er kann sich dann nicht exkulpieren. oder: Wenn ein innerer Zusammenhang verneint wurde, wird ihm das Verschulden des M nicht zugerechnet, er kann sich dann exkulpieren. IV. Schaden (nur anzusprechen, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der Erfüllung der Verbindlichkeit und der Pflichtverletzung bejaht wurde) 14
15 ABWANDLUNG VON TEIL 1 LÖSUNG (5) Kausaler Schaden ihv 449,- 249 I BGB Naturalrestitution 249 II BGB ausnahmsweise: erforderlicher Geldbetrag V. Ergebnis A hat gegen U gemäß 280 I 1, 241 II, 433 I BGB einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 449,-. 15
16 SACHVERHALT (3) Teil 2: U kauft bei Autohändler H einen Gebrauchtwagen zum Preis von 500,-. Es wird vereinbart, dass das Fahrzeug von H zunächst ausgebessert und nach einer Woche schließlich an U übergeben werden soll. Tuningfreund U begibt sich noch am gleichen Tag zu einem Autozubehörhandel und kauft dort passende Felgen zum Preis von 8000,-. Wenige Tage später kommt es zu einem Brand in der Werkstatt des H, bei dem auch das Fahrzeug des U zerstört wird. U möchte von H für die erworbenen, für ihn aber nunmehr nutzlosen Felgen 8000,- ersetzt bekommen. H entgegnet, dass es ihn ruinieren würde, wenn er allen Kunden solche Beträge ersetzen müsste der Betrag stehe in keinem Verhältnis zum ursprünglich vereinbarten Kaufpreis für das Fahrzeug. Frage: Steht U der geltend gemachte Anspruch zu? Bearbeitervermerk zu allen Teilen: Bitte gehen Sie auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen ggf. auch mittels eines Hilfsgutachtens ein! 16
17 TEIL 2 LÖSUNG (1) C. Anspruch aus 280 I, III, 283, 284 BGB U könnte gegen H gemäß 280 I, III, 283, 284 BGB einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 8000,- haben. I. Schuldverhältnis Kaufvertrag II. Pflichtverletzung: nachträgliche Unmöglichkeit nach 275 I-III BGB objektive Unmöglichkeit nach 275 I BGB III. Vertretenmüssen Widerlegbare Vermutung des 280 I 2 hier keine Anhaltspunkte für Exkulpation 17
18 TEIL 2 LÖSUNG (2) IV. Rechtsfolge Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung Aufwendungen = Freiwillige Vermögensopfer (+) Im Vertrauen auf Erhalt des Fahrzeugs (+) Die er billigerweise machen durfte (P) Objektive Beschränkung der Anspruchshöhe Beschränkung (-) Beschränkung (+) Beschränkung (-) Gläubiger darf grundsätzlich von der Vertragstreue des Schuldners ausgehen gegenteilige Ansicht verstieße gegen den Grundsatz der Entscheidungsfreiheit des Gläubigers in seinen eigenen Angelegenheiten und damit gegen das Prinzip der Privatautonomie Parallele zum Auftragsrecht: Geschäftsführer ohne Auftrag nicht unbegrenzt berechtigt Aufwendungsersatz zu verlangen Beschränkung notwendig, weil der Anspruch aus 284 BGB erheblich über das positive Interesse des Gläubigers hinausgehen könne aber Obliegenheit mit hohen Aufwendungen bis zum Eintritt des Leistungserfolgs abzuwarten jedenfalls dann, wenn dies nicht wirtschaftlich nachteilhaft sei 18
19 TEIL 2 LÖSUNG (3) Aufwendungsersatz ist nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. 281 Abs. 5) nur gegen Herausgabe des durch die Aufwendungen Erlangten zu ersetzen, da der Gläubiger ansonsten durch den Ersatz der Aufwendungen überkompensiert würde. V. Ergebnis U hat gegen H gemäß 280 I, III, 283, 284 BGB einen Anspruch auf Aufwendungsersatz. Die Höhe des Anspruchs ist abhängig davon, für welche Ansicht und ggf. für welche Beschränkung sich die Bearbeiter im Rahmen des Prüfungspunktes Billigkeit der Aufwendungen entschieden haben. 19
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