7. Budgetdezite und Fiskalpolitik
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- Bertold Kohl
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1 7. Budgetdezite und Fiskalpolitik Lit.: Blanchard/Illing, Kap. 26, Romer Kap. 11 Keynesianismus: Staatsdezit kann Konjunktur ankurbeln. OECD Länder: seit Beginn des 20 Jhd. deutliche Zunahme der Schuldennanzierung. Fragen: Tragbarkeit der öentlichen Schuld Wirkung von Schulden auf Zinsen, Ersparnis und Wachstum Erklärung der Entwicklung der Schulden. 1
2 Schuldenquote 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% Reihe1 20,00% 10,00% 0,00% Abbildung: Schuldenquote in D 2
3 7.1. Schuldenquote Staatsdezit in Periode t: B t B t 1 = i t B t 1 + G t T t (1) B t = (1 + i t )B t 1 + G t T t (2) B t : Schulden in t, i: Nominalzins, G: Ausgaben, T : Steuereinnahmen. Dezit = Zinszahlungen auf Staatsschulden + Primärdezit G T. In realen Gröÿen: B t P t = (1 + r t ) B t 1 P t 1 + G t T t P t (3) 3
4 Schuldenquote (Anteil am BIP): b t B t P t Y t = (1 + r t ) B t 1 P t 1 Y t + G t T t P t Y t (4) = (1 + r t ) Y t 1 Y t = 1 + r t 1 + g t b t 1 + G t T t P t Y t B t 1 P t 1 Y t 1 + G t T t P t Y t (1 + r t g t )b t 1 + G t T t P t Y t mit g: Wachstumsrate des BIP, π: Inationsrate 4
5 Daraus folgt Entwicklung der Schuldenquote b t b t 1 = (r t g t )b t 1 + G t T t P t Y t (5) D.h. Schuldenquote steigt, wenn der Anteil des Primärdezits am BIP steigt oder wenn der Realzins gröÿer als die Wachstumsrate des BIP ist. Im zweiten Fall steigen die Zinszahlungen schneller als die Schuldenquote durch BIP-Wachstum sinkt. 5
6 Implizite Schuld und Tragfähigkeitslücke Implizite Schulden ergeben sich aus Auszahlungversprechungen für die Zukunft, z.b. aus Rentenversprechen. Tragfähigkeits- oder Nachhaltigkeitslücke: Summe aller abdiskontierten Primärdezite. Positive Tragfähigkeitslücke: Steuern reichen bei Fortführung des status quo nicht aus, um Ausgaben dauerhaft zu nanzieren. Haigst et al. (2007). Implizite Staatsschuld 2005 (für r = 0, 03, g = 0, 015) beträgt 211,2% des BIP; zusammen mit expliziter Staatsschuld von 64,5% ergibt sich die Tragfähigkeitslücke von 275,7 % des BIP. 6
7 7.2. Ricardianische Äquivalenz Welche Auswirkungen hat eine Erhöhung des staatlichen Dezits? Im Keynesianischen Modell erhöht sich der Konsum und der Output. Zinsen steigen, Investitionen sinken (crowding out) und langfristig sinkt das Wachstum. Aber Argument setzt voraus, dass Konsumenten höheres Dezit als Netto-Vermögenszuwachs betrachten. Ricardianisches Äquivalenz-Theorem: Unter bestimmten Bedingungen hat Finanzierung der Staatsausgaben (Steuern versus Dezite) keinen realen Eekt. 7
8 Betrachte ein 2-Perioden Modell. Repräsentativer Konsument hat Einkommen y in Periode 1, das er konsumieren (c 1 ) oder sparen (s) kann. Nutzenfunktion U = u(c 1, c 2 ) Private Budgetrestriktion in Periode 1 bzw. 2: y T 1 = c 1 + s (6) (1 + r)s T 2 = c 2 (7) mit c 2 : Konsum in Periode 2, r: Zinssatz. T t : Pauschalsteuer in Periode t. Staatliche Budgetrestriktion: G 1 = T 1 + D (8) (1 + r)d + G 2 = T 2 (9) mit G t : Staatsausgaben in Periode t, D: Dezit. 8
9 Aus (8) und (9) folgt Aus (6) und (7) folgt G 1 + G r = T 1 + T r (10) y T 1 T r und damit unter Verwendung von (10) = c 1 + c r (11) y G 1 G r = c 1 + c r (12) 9
10 Aus (12) folgt: Bei gegebenen Staatsausgaben hat die Finanzierung der Ausgaben (Steuern oder Dezite) keinen Einuss auf die privaten Konsummöglichkeiten und damit auch nicht auf den optimalen Konsumplan. Wenn Staat in Periode 1 das Dezit um senkt und entsprechend die Steuern erhöht: Staatliche Budgetrestriktion bedeutet, dass Steuern in Periode 2 um (1 + r) steigen. Damit zahlt der Konsument heute weniger und morgen (1 + r) mehr Steuern: im Barwert ist die Nettoentlastung gleich null. 10
11 Folge: optimaler Konsumplan c 1, c 2 bleibt gleich. Aus (6) folgt, dass private Ersparnis um steigt: s = y T 1 c 1 Gesamtwirtschaftliche Ersparnis (private + staatliche Ersparnis) bleibt konstant: private Ersparnis steigt gerade um das höhere staatliche Dezit. Zinsen und Output bleiben auch konstant. 11
12 c 2 y 2 -T 2 y 2 -T 2 -(1+r)Δ y 1 -T 1 y 1 -T 1 +Δ c 1 Abbildung: Dezite und private Budgetrestriktion 12
13 c 2 c* 2 u(c 1,c 2 )=U c* 1} s* } s**=s*+δ c 1 Abbildung: Ricardianische Äquivalenz 13
14 Abweichungen von Ricardianischer Äquivalenz 1. Überlappende Generationen: Individuen, die erwarten, dass sie nicht mehr am Leben sind, wenn Schulden zurückgezahlt werden, werden durch Dezite eektiv reicher Konsum steigt, gesamtwirtschaftliche Ersparnis sinkt, Zinsen steigen, Wachstum fällt. 2. Verzerrende Steuern. Wenn Steuern die ökonomische Aktivität verzerren, sind niedrigere Steuern heute und höhere Steuern morgen nicht mehr äquivalent. Dezite haben reale Auswirkungen. 3. Kreditbeschränkungen: Bsp.: Individuum kann sich nicht verschulden. Wegen fehlender Sicherheiten gilt c 1 y 1 T 1. 14
15 Folge: Wenn Staat sich verschuldet und Steuern um senkt, steigen Konsummöglichkeiten von kreditbeschränkten Individuen. Diese werden das zusätzliche Einkommen nicht sparen sondern (ganz oder teilweise) konsumieren. Private Ersparnis steigt um weniger als das staatliche Dezit. Gesamtwirtschaftliche Ersparnis sinkt Investitionen sinken mit negativen Folgen für Wachstum. 15
16 c 2 y 2 -T 2 y 2 -T 2 -(1+r)Δ y 1 -T 1 =c* 1 c 1 Abbildung: Kreditbeschränkung 16
17 c 2 y 2 -T 2 y 2 -T 2 -(1+r)Δ y 1 -T 1 =c* 1 y 1 -T 1 +Δ =c* 1 +Δ c 1 Abbildung: Kreditbeschränkung 17
18 7.3. Steuerglättung Barro (1979): Ricardianische Äquivalenz gilt nicht, wenn Steuern verzerrend sind. Bsp.: Einkommensteuern verzerren die Arbeitsentscheidungen. Zeitliche Änderung der Steuersätze hat reale Einüsse. Erklärung: Sei D(t) der Wohlfahrtsverlust der Einkommensteuer als Funktion des Steuersatzes. Es gilt: D > 0, D > 0 Je höher der Steuersatz desto höher die marginale Verzerrung (s. Abb.) Folge: bei gegebenen Staatsausgaben wird Verzerrung minimiert, wenn Steuern konstant sind (s. Abb.) 18
19 Wenn durch exogenen Schock Ausgaben heute steigen und morgen konstant bleiben (z.b. ein Krieg, Konjunkturkrise...) Mögliche Reaktion: 1. Erhöhe Steuersatz heute stark: t 1 = t H, t 2 = t L. 2. Erhöhe Dezit heute; Steuersatz steigt in beiden Perioden etwas: t 1 = t 2 = t M. Dezitpolitik minimiert die Steuerverzerrung (s. Abb.). 19
20 D(t) 1/2(D(t L )+D(t H )) D(t M ) t L t M t H t Abbildung: Steuerglättung 20
21 7.4. Politische Determinanten von Staatsschulden Steuerglättung ist ein Argument für Schulden, aber erklärt nicht die groÿen Unterschiede in Schulden zwischen Ländern. Politische Determinanten: 1. Strategische Dezite: Beeinussung der Politik von nachfolgenden Regierungen. 2. Fähigkeit einer Regierung, das Budgetdezit zu reduzieren: z.b. geringer in Koalition als in 1-Parteien-Regierung. 21
22 Strategische Dezite 2-Perioden-2-Parteien-Modell mit einer Partei, die in Periode 1 an der Macht ist, und mit Wahrscheinlichkeit p in Periode 2 an der Macht bleibt. Finanzierung der Ausgaben in Periode 1 durch Steuern oder Dezit. Benchmark: Wenn p = 1 ist, verhält sich Regierung nach der Schuldenglättung, wenn z.b. die optimalen Ausgaben in beiden Perioden gleich hoch sind, wird sie in Periode 1 keine Schulden aufnehmen und alle Ausgaben über Steuern nanzieren. Wenn p < 1, ändert sich Kalkül, wenn Parteien unterschiedliche Präferenzen haben. 22
23 Bsp: Linke Partei mit hohen Präferenzen für Staaatsausgaben; rechte Partei mit niedrigen Präferenzen. In Periode 2 muss Regierung (L oder R) Ausgaben für öentliche Güter decken und etwaige Schulden zurückzahlen. Steuern sind verzerrend. Betrachte R-Regierung in Periode 1: wenn sie keine Schulden macht, würde eine L-Regierung in Periode 2, sagen wir, Ausgabenniveau g L wählen. Wenn R Schulden macht, ist ein Teil der Steuereinnahmen in Periode 2 für Schuldendienst gebunden. Folge: Weil die Kosten der Besteuerung hoch sind, wird Partei L bei positiven Schulden in Periode 2 weniger als g L ausgeben. 23
24 Daher hat Partei R in Periode 1 einen Anreiz, Schulden aufzunehmen. Es wird in Periode 2 wenn L an der Macht ist weniger ausgegeben. Davon protiert Partei R, da sie eine Präferenz für niedrige Staatsausgaben hat. Evidenz? Reagan/Bush sen. in USA: Obwohl Regierung konservativ war und Staatsausgaben senken wollte, waren Dezite sehr hoch. Möglicher Grund: Beschränkung des Ausgabenspielraums für Folgeregierungen. 24
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