der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle SUST
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- Wilhelm Weiss
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1 Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle SUST Service d enquête suisse sur les accidents SESA Servizio d inchiesta svizzero sugli infortuni SISI Swiss Accident Investigation Board SAIB Bereich Bahnen und Schiffe Schlussbericht der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle SUST über Personenunfall vom in 11. September 2011 Maienfeld GR Reg.-Nr.: Monbijoustrasse 51A, 3003 Bern Tel , Fax info@sust.admin.ch
2 Allgemeine Hinweise zu diesem Bericht Dieser Bericht wurde ausschliesslich zum Zweck der Verhütung von Unfällen beim Betrieb von Eisenbahnen, Seilbahnen und Schiffen erstellt. Die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Unfällen ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gemäss Art. 25 der Verordnung über die Meldung und Untersuchung von Unfällen und schweren Vorfällen beim Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel (VUU, SR ). Es ist daher auch nicht Zweck dieses Berichts, Schuld- oder Haftungsfragen zu klären. 0 Allgemeines 0.1 Kurzdarstellung Am Sonntag, 11. September 2010 um ca. 11:20 Uhr ereignete sich bei Zug RE 3811 (St. Gallen Chur) in Maienfeld GR auf Gleis 1 ein Personenunfall mit tödlichem Ausgang. Eine ältere Person wollte aus dem bereits anfahrenden Zug aussteigen, stürzte und geriet unter den Zug. Sie wurde dabei so schwer verletzt, dass sie in der Folge im Spital verstarb. Sargans Bahnhof Maienfeld Gleis 1 Zug RE 3811 Chur Bahnhof Maienfeld google maps 0.2 Untersuchung Die Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle SUST wurde um 11:41 Uhr durch die Meldestelle REGA über das Ereignis informiert. Aufgrund dessen, dass das Unfallopfer bereits ins Spital transportiert worden war und es sich um einen vergleichbaren Fall von Sargans handelte, wurde zusammen mit den vor Ort sich befindenden Polizeiorganen beschlossen nicht auszurücken und den Untersuchungsbericht aufgrund der von der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellten Unterlagen zu erstellen. Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle SUST 2/8
3 1 FESTGESTELLTE TATSACHEN 1.1 Vorgeschichte Beim am Ereignis beteiligten Zug handelt es sich um eine Zugskomposition mit "UIC- Kabel 13-polig". Über dieses Kabel werden vor der Abfahrt des Zuges vom Zugbegleiter vom Türschliessschalter einer beliebigen Türe aus zentral alle Türen des Zuges mit einem "Vierkant-Schlüssel" geschlossen. Dieses Kabel entspricht nicht dem heutigen "UIC-Kabel 18-polig", bei dem die Türen verschlossen und verriegelt werden. Beim 13-poligen werden die Türen geschlossen und für 7 Sek. verriegelt. Nach diesem Zeitraum ist ein Öffnen der Türen wieder möglich bis der Zug eine V-max. von 5 km/h erreicht und dann die Türen automatisch verriegelt werden. 1.2 Verlauf der Fahrt Richtung Olten Aus der Sicht des Zugbegleiters: Die Zugbegleiterin sagt, dass sie, nachdem niemand mehr ein- und ausgestiegen sei, einen Achtungspfiff abgegeben und dann dem Lokführer über das ortsfeste Signal die Abfahrerlaubnis erteilt habe. Dann habe sie mit dem "Vierkant-Schlüssel" die Türen geschlossen; bei diesem Vorgang bleibt die Türe am Einstiegsort des Zugbegleiters offen. Diese muss in der Folge von ihm separat geschlossen werden. Durch die noch offene Tür, auf dem Trittbrett stehend, habe sie beobachten können, wie plötzlich die vordere Türe wieder aufgegangen sei und eine Person aus dem bereits anfahrenden Zug aussteigen wollte. Dabei sei diese gestolpert und unter den Zug gefallen. Die Zugbegleiterin ihrerseits sei sofort in den Wagen gestiegen, um die Notbremse zu betätigen. Aus der Sicht des Lokführers: Der Lokführer sagt aus, dass er nach Erhalt der Abfahrerlaubnis von der Zugbegleiterin festgestellt habe, dass die Türen geschlossen seien und er dann losgefahren sei. Dann habe er nochmals rausgeschaut und festgestellt, dass eine Frau gewunken habe, worauf er bemerkte, dass etwas nicht stimme. Gleich darauf sei eine Notbremsung ausgelöst worden. Der Zug habe sich in dieser Zeit vom Halteort bis zum erneuten Stillstand etwa um eine Wagenlänge (gem. Spurensicherung durch die Polizei ca. 45 m) bewegt. Aus der Sicht der Ehefrau: Die Ehefrau konnte aufgrund ihres Zustandes (Schock) keine detaillierten Angaben machen. Immerhin habe sie im Polizeirapport festgehalten, dass sie nach ihrem Mann habe aussteigen wollen. Aus der Sicht von Zeugen: Diese Zeugen gaben an, vorher aus demselben Zug gestiegen zu sein. Einer dieser Zeugen habe beobachtet, wie der Verunfallte aus dem fahrenden Zug gestiegen sei. 1.3 Personenschäden Die verunfallte Person wurde an den Beinen schwer verletzt. Sie wurde unverzüglich ins Spital transportiert, wo sie verstarb. Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle SUST 3/8
4 1.4 Sachschäden am Rollmaterial und an der Infrastruktur des Bahnunternehmens Am Rollmaterial sowie Infrastruktur entstanden keine Schäden. 1.5 Beteiligte Personen Lokführer Lokführer SBB-P Zugbegleiterin Zugbegleiterin SBB-P Reisender Schweizerbürger, Jahrgang 1921; tödlich verletzt. 1.6 Schienenfahrzeuge Eigentümer: SBB, Division Personenverkehr, 3003 Bern Zugskomposition: Lok + 6 Wagen (5 Bp und 1 A4) Triebfahrzeug: Re 420 (11209) 1.7 Wetter, Schienenzustand Trocken; klare Sicht. 1.8 Bahnsicherungssysteme Die Bahnsicherungssysteme haben normal funktioniert. Sie sind für den Verlauf des Ereignisses nicht relevant. 1.9 Zug- und Rangierfunk Die Funkgespräche sind für den Unfallablauf nicht relevant Bahnanlagen Der Bahnhof Maienfeld ist zweigleisig mit Aussenperrons versehen, welche durch eine Unterführung (schienenfreier Zugang) verbunden sind Fahrdatenschreiber Gem. polizeilicher Feststellung stand der Zug ca. 1 Min. im Bahnhof Maienfeld. Bei der Abfahrt erhöhte der Lokführer die Geschwindigkeit auf ca. 12 km/h. Infolge Notbremsung kam der Zug nach ca. 45 m wieder zum Stillstand. Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle SUST 4/8
5 1.12 Befunde an den Fahrzeugen Funktionsweise der Türsteuerung nach System UIC 13-polig Die Zugskomposition bestand aus einem "A4", vier "Bpm" sowie aus einem "Bp". Die Türsteuerung erfolgt dabei über die Schnittstelle "UIC 13-polig". Diese Betriebsart weist folgende Eigenschaften auf: Die Türschliessung wird durch den Zugchef mittels Vierkantschlüssel am Türschliessschalter einer beliebigen Türe ausgelöst. Es schliessen daraufhin alle Türen, mit Ausnahme derjenigen, an welcher der Schliessbefehl erteilt worden ist (diese Türe wird vom Zugbegleiter manuell geschlossen). Die Türen bleiben, sofern geschlossen, während ca. 7 Sek. durch den anstehenden Schliessbefehl verriegelt. Sobald die Geschwindigkeit des Zuges 5 km/h überschreitet, werden die Türen durch die Gleitschutzsteuerung jedes Wagens verriegelt. Erreicht der Zug die Geschwindigkeitsschwelle nicht innerhalb von 7 Sek., so werden die Türen in einer Zwischenphase freigegeben und können nochmals geöffnet werden. Es ist keine seitenselektive Türfreigabe vorhanden. Es ist keine Türrückmeldung in den Führerstand und somit auch keine automatische Fahrsperre möglich. Die ordnungsgemässe Stellung der Türen wird vom Zugchef und (sofern ersichtlich) vom Lokführer bei der Abfahrt visuell überprüft Überlebensmöglichkeiten Die Zugbegleiterin hat sofort, bei Erkennen der Gefahr, die Notbremse gezogen und die Rettungskräfte trafen sehr schnell am Unfallort ein. Trotzdem hatte der Verunfallte aufgrund der schweren Verletzungen keine Überlebenschance. 2 ANALYSE 2.1 Technisches Alle technischen Einrichtungen haben korrekt funktioniert. Die Türsteuerung nach dem Prinzip "UIC 13-polig" (fehlende Türrückmeldung) führte dazu, dass ein nachträgliches Öffnen der Türe nur visuell bemerkt werden konnte. 2.2 Betriebliches Das Erteilen der Abfahrerlaubnis geschah, wie üblich, durch die Zugbegleiterin über das ortsfeste Signal an einem Tastenkasten. Danach begab sie sich zum Zug, wo sie mit dem Vierkantschlüssel den Schliessbefehl für die Tüten auslöste. Sie beobachtete auf dem Trittbrett des betreffenden Wagens stehend, ob sich die Türen des Zuges schlossen. Als sie feststellte, dass sich wieder eine Türe öffnete, rannte sie folgerichtig zur Notbremse, um sie zu bedienen. Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle SUST 5/8
6 3 SCHLUSSFOLGERUNGEN 3.1 Befunde Die Türsteuerung des Zuges RE 3811 basiert auf dem Prinzip "UIC 13-polig", welches Sicherheitslücken aufweist. Die Verriegelung der Türen wirkt nach dem Schliessbefehl ca. 7 sec. Setzt sich der Zug innerhalb dieser 7 sec. in Bewegung und erreicht er eine Geschwindigkeit von 5 km/h, bleibt die Verriegelung der Türen bestehen. Ansonsten werden die Türen wieder frei gegeben. Der Zeitpunkt des Auslösens der Türschliessung sowie derjenige des Erreichens der Geschwindigkeit von 5 km/h werden nicht aufgezeichnet. Der Zug hatte eine Aufenthaltszeit von ca. 1 Minute, was auf einem Landbahnhof einem guten Durchschnitt entspricht, und er rollte nur ca. 45 m weit, bis er wieder zum Stillstand kam. Der Lokführer und die Zugbegleiterin haben korrekt und schnell gehandelt. 3.2 Ursache Der Verunfallte wollte, trotz anfahrendem Zug, diesen während der Fahrt verlassen. Er kam dabei ins Straucheln und stürzte. Er fiel so unglücklich, dass er unter den Zug gezogen und seine Beine überrollt wurden. Beitragende Faktoren: Der Zug ist mit einer Türschliessung gem. Prinzip "UIC-13-polig" ausgerüstet. Dieses System garantiert nur eine zeitlich bedingte Verriegelung der Türen (bis zum Erreichen der V-max. 5 km/h) während dem Anfahrvorgang. 4 SICHERHEITSEMPFEHLUNGEN Bei der Türsteuerung nach dem System "UIC 13-polig" wird der Schliessbefehl (durch den Zugchef mittels Vierkantschlüssel) für ungefähr 7 Sek. wirksam und die Türen werden verriegelt. Wenn der Zug in dieser Zeit die Geschwindigkeit von 5 km/h nicht erreicht, werden die Türen nochmals freigegeben. Um diese Problematik zu entschärfen, sollte der Lokführer vor dem Beschleunigen einen zusätzlichen Schliessimpuls vom Führerstand aus geben. Die Türen blieben somit erneut für ungefähr 7 Sek. verriegelt. (Vorgehen analog dem SBB-Reglement P , Kapitel 4.2.2: Betätigung der Türschliesstaste durch den Lokführer nach einem Signalhalt an der Perronkante; siehe Anhang 1). Eine vergleichbare Sicherheitsempfehlung wurde bereits bei ähnlichen Unfällen in Lausanne, Pfäffikon SZ, Sargans und Thalwil (Reg. Nr , , und ) durch die UUS (neu: SUST) abgegeben. Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle SUST 6/8
7 Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle SUST Bereich Bahnen und Schiffe Bern, 28. August 2012 Dieser Schlussbericht wurde von der Geschäftsleitung der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle SUST genehmigt (Art. 3 Abs.4g der Verordnung über die Organisation der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle vom 23. März 2011). Bern, 28. August 2012 Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle SUST 7/8
8 Anhang 1 Auszug aus der Betriebsvorschrift Fahrdienst SBB-Verkehr P Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle SUST 8/8
der Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe über den Personenunfall bei Zug vom Dienstag, 05. Oktober 2010
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