Wer bist du, der du mich so nervst? Herausforderndes Verhalten: Die Kunst des gelungenen Miteinanders
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- Erna Beutel
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1 Wer bist du, der du mich so nervst? Herausforderndes Verhalten: Die Kunst des gelungenen Miteinanders Besonderheiten bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen Johannes Kepler Universität Linz Symposium am 14.März 2014 Dipl.-Psych. Christine Nößner Sozialpädiatrisches Zentrum Johannes-Diakonie Mosbach Deeskalationstrainerin nach ProDeMa
2 Überblick über die Inhalte 1. Die Kunst des Fragenstellens als Voraussetzung, um sinnvolle Antworten zu finden 2. Wer bist du? Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen haben eine andere Wahrnehmung 3. Gefährdendes Verhalten 4. Deeskalationstraining nach ProDeMa 5. Aufbau von sozial erfreulichen Handlungsalternativen
3 1. Die Kunst des Fragenstellens Wenn du eine weise Antwort verlangst, musst du vernünftig fragen. (Johann Wolfgang von Goethe ( ), dt. Dichter ) Die Geschichte von Robert Frage Suche Verhalten Antwort
4 Fragen sind richtungsweisend (Daniel Meier, Wege zur erfolgreichen Teamentwicklung 2004) Fragen können auf Probleme focussieren oder Energien für die Exploration von Lösungen ermöglichen Problemebene Lösungsebene
5 Der Weg des sinnvollen Fragens Wer bist du, der du mich so nervst? verkürzt: du nervst mich oder du nervst Was ist gut? Was ist böse? : je nach Sichtweise, Lerngeschichte, aktueller Stimmungslage und Interpretation Was ist nervig? : Verhaltensweisen einer anderen Person, die mich stören, die ich nicht verstehe, die mir Probleme bereiten, die mich hilflos machen, die mich ängstigen. Was sind Verhaltensauffälligkeiten? : ein Verhalten, das mir auffällt und das ich als nicht passend bezeichne.oder der Ausdruck eines Bedürfnisses, dessen Mitteilung gerade nur auf diese Art und Weise möglich ist oder.
6 Bilder der gewaltfreien Kommunikation (nach Marshall B. Rosenberg 2012) Ich bin wütend, genervt, beschuldige und greife an Ich werte mich selbst ab, empfinde Scham und Schuld Es entstehen wechselseitige Rechtfertigungen/ Machtkampf Ich suche, welche Gefühle und Bedürfnisse die andere Person ausdrückt Ich horche, was ich selbst fühle und wünsche Ich trenne Auslöser und mein Gefühl: jeder handelt aus gutem Grund
7 2. Wer bist du? Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen haben eine andere Wahrnehmung Maurice, autistisches Kind, 3 Jahre alt Verhaltensschwierigkeiten: Panik bei Veränderungen wirft sich auf den Boden schreit schlägt mit dem Kopf beißt sich und andere lässt sich von seinen Eltern nicht auf den Arm nehmen und trösten
8 Was siehst du? Visuelle Einzelteile bestimmen seine Wahrheit
9 Wer bist du, was brauchst du? Drei Einzelteile geben Sicherheit: Auge, Herz, Stern
10 Was löst mein genervtes Gefühl aus? Unterschiedlichkeit der Werte Frau B., leichte geistige Behinderung, paranoide Schizophrenie, 46 Jahre Verhaltensschwierigkeiten: hält sich an keine Tagesstruktur steht morgens nicht auf vernachlässigt Körperpflege vermüllt ihr Zimmer will viel Zuwendung und Ansprache macht nur was ihr gefällt bevormundet Mitbewohner/innen redet schlecht über die Einrichtung Mutter klagt Mitarbeiterteam an, ihre Tochter erhalte zu wenig Förderung Mitarbeiterteam Haben sich gefreut, weil Frau B. mit so vielen Kompetenzen beschrieben wurde Fühlen sich hilflos bei Verweigerung Sind genervt von der Suche nach Zuwendung Tagesstruktur gerät durcheinander Empfinden Ungerechtigkeit gegenüber den anderen Bewohnern/innen, die arbeiten Frau B. wird als faul und egoistisch erlebt Fühlen sich unter Druck durch die Mutter wollen Frau B. wieder ins Arbeitsleben integrieren
11 Wer bist du? Wie berücksichtigen wir unsere Bedürfnisse? Die Kenntnis der Lebensgeschichte bringt Verständnis Lebensgeschichte: Intensive Förderung seit der Säuglingszeit (Hemiparese) Schulische Schwierigkeiten Scheidung der Eltern wegen ihr Ausbildung als Hauswirtschaftsgehilfin Leben in offener Wohngruppe Plötzliche Angstzustände, Stimmen, Verfolgungsfantasien, Depression 2-jährige stationäre Behandlung in der Psychiatrie, lag fast nur im Bett Abbruch aller früheren Kontakte, außer zur Mutter und zum Bruder Frühberentung /Heimunterbringung Lösungssichtweisen das motivationale System wird bei paranoider Schizophrenie beeinträchtigt (Serotonin-Gleichgewicht) Anpassungsverhalten misslingt Blick für soziale Verantwortung fehlt Handelt für ihr eigenes Wohlbefinden reagiert auf Geduld, Humor und positive Beziehungsangebote Team Reduzierung der Erwartungen Rentner-Dasein akzeptieren Einhaltung ihrer Tagesstruktur ohne Zwang für Frau B.
12 Ich denke was, was du nicht kennst Missverständnisse wegen unterschiedlichem Denken Kompetenzorientierung sollte keine Überschätzung bewirken: niemand kann oder versteht alles In Menschen auf einer frühen Entwicklungsstufe werden häufig komplexe, absichtsvolle Gedankengänge hineininterpretiert Der provoziert mich, der sieht mich extra an, bevor er mich ärgert Die spuckt beim Essen reichen immer nur mich an, die mag mich nicht Die visuelle Klippe : by Joseph Campos: The Visual Cliff (2010) Sicherheit entsteht durch emotionale Rückmeldung Wechselseitige Abstimmung von Rhythmus und Sprache schafft Vertrauen und Bindung Überprüfung mit dem Kipp-Bild : Ist ein eigenes Vorausdenken, welche Gefühle ich bei einer anderen Person auslösen werde, kognitiv möglich?
13 Wer bist du, wer bin ich? Jeder sucht die Erfüllung seiner Bedürfnisse Wer bist du? Wie denkst du? Wie fühlst du? Was wünschst du? Was brauchst du? Vorwurf Wunsch Wer bin ich? Wie denke ich? Wie fühle ich? Was wünsche ich? Was brauche ich? Lebensqualität als Grundlage für das Wohlbefinden der betreuten Personen Sicherheit, Angstfreiheit, Wertschätzung und Unterstützung im Mitarbeiterteam
14 3. Gefährdendes Verhalten Angriffe gegen Personen: beißen, schlagen, treten, an den Haaren ziehen, würgen, spucken Selbstverletzung Zerstörung von Gegenständen Erzeugen von schmerzenden Geräuschen oder Gerüchen Beleidigendes Beschimpfen oder Bedrängen Mitarbeiter fühlen sich hilflos, bedroht, werden verletzt Angst beeinträchtigt die Gesundheit und die Arbeitsqualität
15 4. Deeskalationstraining nach ProDeMa Ziel der Schulung: Schutz und Sicherheit am Arbeitsplatz Gefährdende Verhaltensweisen beim Bewohner/Betreuten/Mitarbeiter frühzeitig erkennen Herausforderndes Verhalten konstruktiv interpretieren Deeskalierendes Handeln ableiten und umsetzen
16 Unser Leitbild Der kranke oder behinderte Mensch hat ein Recht auf geschultes Personal, das mit seinen unvermeidbaren Anspannungszuständen und aggressiven Verhaltensweisen professionell umgehen kann Der Betreuer hat ein Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz und auf Schulung im optimalen Umgang mit Gefahrensituationen, die durch den Betreuten entstehen können Unser Ziel ist die Vermeidung von psychischen und physischen Verletzungen jeder Art sowohl des Betreuers als auch des kranken oder behinderten Menschen
17 Viele Rädchen müssen ineinandergreifen, um dieses Ziel zu erreichen Institutionelle Strukturen reflektieren Eigene Reaktionsmuster erkennen und ggfs. Verändern Beweggründe aggressiver Verhaltensweisen verstehen Dem aggressiven Menschen in seiner inneren Not helfen wollen Verbale Deeskalationstechniken eintrainieren und anwenden Sich um die eigene Sicherheit und die Sicherheit von Bewohnern/Beschäftigten und Kollegen bemühen
18 Das Stufenmodell der Deeskalation Deeskalationsstufe I Verhinderung (Verminderung) der Entstehung von Gewalt und Aggressionen: Situationsanalyse Deeskalationsstufe II Veränderung der Sichtweisen und Interpretationen aggressiver Verhaltensweisen: persönlicher Ärger
19 Das Stufenmodell der Deeskalation Deeskalationsstufe III Verständnis der Ursachen und Beweggründe aggressiver Verhaltensweisen: wer bist du? Deeskalationsstufe IV Kommunikative Deeskalationstechniken im direkten Umgang mit hochgespannten Bewohnern/Beschäftigten
20 Das Stufenmodell der Deeskalation Deeskalationsstufe V Schonende Abwehr- und Fluchttechniken bei Angriffen von Betreuten Deeskalationsstufe VI Schonende Immobilisations- und Fixierungstechniken
21 Das Stufenmodell der Deeskalation Deeskalationsstufe VII Professionelle Nachbearbeitung von Vorfällen: Dokumentation, Diskussion, Suche nach Veränderungsmöglichkeiten Kollegiale Ersthilfe und Nachsorge: Unterstützung nach Verletzung und Vermeidung von posttraumatischen Belastungsstörungen
22 Deeskalationsstufe III Verständnis der systemischen Ursachen und Beweggründe herausfordernder Verhaltensweisen Herausforderndes Verhalten ist ein Mitteilungsversuch! Herausfordernde Verhaltensweisen sind der missglückte und sozial nicht erwünschte Versuch einer Kommunikation Daher sind sie unter professionellen Gesichtspunkten als Beziehungs- und Mitteilungsversuch zu verstehen
23 Deeskalationsstufe IV Kommunikative Deeskalationstechniken im direkten Umgang mit hochgespannten Personen Fluchtmöglichkeit offen halten Hilfe holen, evtl. Kollegen informieren Alle gefährlichen Utensilien entfernen Halstuch, Ohrringe, Halskette, Stifte etc. Sicherheitsaspekte Person nicht anstarren Hände beobachten (Waffe?) Hilfsmittel anvisieren Raum überblicken Hände vor den Körper Fester und richtiger Stand Kein Stuhl, Treppe, Glas im Rücken Körperabstand 2 Meter
24 Deeskalationsstufe IV Kommunikative Deeskalationstechniken im direkten Umgang mit hochgespannten Menschen 12 Grundregeln der Deeskalation Wehret den Anfängen Beruhigen Sie sich selbst An die eigene Sicherheit denken Schaulustige entfernen Lassen Sie sich nicht provozieren Der erregte Bew./Beschäft. braucht einen Ansprechpartner Vorwürfe, Ermahnungen, Belehrungen und Drohungen vermeiden Augenkontakt herstellen Achten Sie auf Ihre Körpersprache, Mimik, Gestik und Stimme Bedürfnisse und Gefühle herausarbeiten Nicht den Gegenüber beherrschen oder kontrollieren Wertschätzende, helfende Haltung
25 Deeskalationsstufe IV Kommunikative Deeskalationstechniken im direkten Umgang mit hochgespannten Betreuten Verbale Deeskalationstechniken 1. Die Kontaktaufnahme 2. Der Kontakt- bzw. Beziehungsaufbau 3. Die Konkretisierung der Ursachen und Beweggründe 4. Eingehen auf Bedürfnisse, Wünsche oder Gefühle 5. Das Zeigen eigener Gefühle und Solidarisierungen 6. Reaktionen auf negative Entwicklungen in der Deeskalation 7. Vorsicht vor zu großem Ehrgeiz
26 5. Aufbau von sozial erfreulichen Handlungsalternativen, Auflistung der Situationen, die für Betreuer/innen und Betreute angenehm empfunden wurden Aufmerksame, wertschätzende, nicht urteilende Beobachtung Wahrnehmungsperspektive einschätzen und die Absichten erkennen Analyse der tatsächlichen Kompetenzen und Wünsche des/der Betreuten Willensäußerung der betreuten Person möglichst berücksichtigen Planung des Tagesablaufs und des interaktiven Umgangs entsprechend der individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten des/der Betreuten Wechselseitige Unterstützung der pädagogischen und medizinischen Fachkräfte
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