Das Offenkundigkeitsprinzip
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- Lieselotte Brandt
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1 Das Offenkundigkeitsprinzip Folie 21 Die Fremdwirkung der Willenserklärung gemäß 164 BGB tritt nur ein, wenn der Vertreter in fremdem Namen handelte (Offenkundigkeitsprinzip). Dies ist erforderlich, damit zum Schutze des Dritten die Identität des Vertragspartners feststeht. Anderenfalls liegt ein unanfechtbares Eigengeschäft des Vertreters vor, auch wenn dieser nicht selbst kontrahieren wollte ( 164 Abs. 2 BGB). Zwei Fälle sind zu unterscheiden: Handeln in fremdem Namen Grundsätzlich muss der Vertreter offenkundig im Namen des Vertretenen handeln. 1. Ausdrücklich oder Erkennbarkeit des Fremdhandelns aus den Umständen, 164 Abs. 1 Satz 2 BGB 2. Trotz fehlender Offenkundigkeit tritt in zwei Ausnahmefällen dennoch Fremdwirkung ein: a) Geschäft für den, den es angeht Für den Dritten ist die Person seines Vertragspartners bedeutungslos (z. B. Bargeschäfte des täglichen Lebens), Handelnder will für einen anderen tätig werden. b) Geschäft mit dem Inhaber eines Gewerbebetriebes Bei unternehmensbezogenen Geschäften wird unabhängig von der Vorstellung der Parteien stets der tatsächliche Inhaber des Gewerbebetriebes berechtigt und verpflichtet. Bähr, S. 84 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
2 Folie 21/2 Handeln unter fremdem Namen Ein Handeln in fremdem Namen fehlt, wenn sich der Erklärende als eine andere Person ausgibt. Hinsichtlich der Anwendbarkeit der 164 ff BGB gilt: Namenstäuschung Der Name ist für den Geschäftspartner unerheblich, er will mit dem Handelnden den Vertrag schließen (z. B. Hotelbuchung unter fremdem Namen): Eigengeschäft des Handelnden. Identitätstäuschung Die Identität des Namensträgers als Vertragspartner ist für den Geschäftspartner von Bedeutung, z. B. wegen seines Rufes oder seiner Solvenz: Anwendbarkeit der 164 ff BGB, d. h.: war der Handelnde bevollmächtigt, treffen die Rechtsfolgen der Willenserklärung den Namensträger; fehlte eine Vollmacht, gelten die 177, 179 BGB. Bähr, S. 84 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
3 Die Vertretungsmacht Folie 22 Der Vertretene wird nur dann berechtigt/verpflichtet, wenn der Vertreter im Rahmen einer Vertretungsmacht handelte. Das Risiko des Fehlens der Vertretungsmacht trägt also der Dritte. Zu unterscheiden ist zwischen gesetzlicher und rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht: A. Gesetzliche Vertretungsmacht Die Vertretungsmacht ergibt sich aus einer gesetzlichen Anordnung unabhängig vom Willen des Vertretenen, insbesondere im: Gesellschaftsrecht Organe von juristischen Personen oder Personengesellschaften; Beispiele: 1. Vorstand der AG, 78 Abs. 1 AktG 2. Geschäftsführer der GmbH, 35 GmbHG 3. Persönlich haftende Gesellschafter von OHG/KG, 125, 161 Abs. 2 HGB Familienrecht 1. Eltern für minderjährige Kinder, 1629, 1643 BGB 2. Vormund, 1793, 1795, 1821 f. BGB 3. Betreuer, 1902 BGB Bähr, S. 86 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
4 B. Vollmacht Folie 22/2 Im Übrigen wird die Vertretungsmacht rechtsgeschäftlich begründet (sogenannte Vollmacht). Voraussetzungen: 1. Erteilung einer Vollmacht Einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Vertreter (Innenvollmacht) oder dem Dritten (Außenvollmacht), 167 BGB 2. Hinreichender Umfang der Vollmacht Ausreichende Vollmacht besteht nur, wenn das konkrete Geschäft von der Vollmachtserklärung gedeckt ist. a) Gesetzlich festgelegter Umfang (Ausnahme) z. B. bei der Prokura, 48 ff HGB a) Rechtsgeschäftlich bestimmter Umfang Dieser ist erforderlichenfalls durch Auslegung (Generalvollmacht, Gattungsvollmacht, Spezialvollmacht?) zu ermitteln. 3. Kein Erlöschen der Vollmacht, 168 BGB a) Beendigung des zugrundeliegenden Rechtsgeschäftes, 168 Satz 1 BGB b) Widerruf der Vollmacht, 168 Satz 2 BGB Beachte: Beim Fehlen einer dieser Voraussetzungen kommen ggf. Rechtsscheinsvollmachten in Betracht (Folie 23). Bähr, S. 86 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
5 Die Rechtscheinsvollmachten Folie BGB 54, 56 HGB Anscheins- und Duldungsvollmacht Beispiel 170 BGB: Erteilung einer Außenvollmacht Keine Kenntnis bzw. kein Kennenmüssen des Dritten von deren Erlöschen Rechtsfolge: Die Vollmacht wirkt fort. Handlungsvollmacht, 54: Bevollmächtigung im Rahmen eines Handelsgewerbes ( 1 HGB) Beschränkungen außerhalb von 54 Abs. 2 HGB Keine Kenntnis bzw. kein Kennenmüssen des Dritten von den Beschränkungen, 54 Abs. 3 HGB Rechtsfolge: Die Vollmacht erfasst ihrem Umfang nach alle Geschäfte, die ein derartiges Handelsgewerbe gewöhnlich mit sich bringt. Rechtsschein einer Bevollmächtigung Der Rechtsschein ist dem Vertretenen zurechenbar, weil er den Rechtsschein kennt und duldet (Duldungsvollmacht) oder der Rechtsschein für ihn erkennbar/vermeidbar war (Anscheinsvollmacht) Keine Kenntnis bzw. kein Kennenmüssen des Dritten vom tatsächlichen Fehlen einer Vollmacht Rechtsfolge: Die Vertretungsmacht besteht im Umfang des Rechtsscheins. Bähr, S. 91 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
6 Missbrauch der Vertretungsmacht Folie 24 Für das Außenverhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Dritten kommt es allein auf den Umfang der Vertretungsmacht an. Einschränkungen aus dem Innenverhältnis zwischen Vertretenem und dem Vertreter, die nicht zugleich die Vertretungsmacht tangieren, sind im Außenverhältnis grundsätzlich irrelevant (vgl. z.b. 37 Abs. 2 S. 1 GmbHG). Eine Ausnahme gilt beim Missbrauch einer bestehenden Vertretungsmacht. Kollusion Kollusives, d. h. vorsätzliches Zusammenwirken von Vertreter und Drittem zu Lasten des Vertretenen. Rechtsfolge Nichtigkeit des Vertrages gemäß 138 Abs. 1 BGB Sonstiger Missbrauch Objektive Überschreitung der Beschränkung aus dem Innenverhältnis durch den Vertreter Die Überschreitung muss sich dem Dritten aufgrund ersichtlich verdächtiger Umstände aufdrängen. Rechtsfolge Gemäß 242 BGB kann sich der Dritte nicht auf das Bestehen der Vertretungsmacht berufen. Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
7 Fehlerfolgen bei der Stellvertretung Folie 25 Fehlt eine der Voraussetzungen des 164 Abs. 1 BGB, wird die Willenserklärung grundsätzlich nicht dem Vertretenen zugerechnet. Die Rechtsfolgen hängen von der Art der fehlenden Voraussetzung ab. Kein Handeln in fremdem Namen Handelt der Erklärende nicht erkennbar in fremdem Namen, wird er selbst berechtigt und verpflichtet, auch wenn er nicht in eigenem Namen handeln wollte (unanfechtbares Eigengeschäft), 164 Abs. 2 BGB. Keine Vertretungsmacht Handelt der Vertreter im fremden Namen aber ohne Vertretungsmacht, so ist das Rechtsgeschäft zwischen dem Vertretenen und dem Dritten schwebend unwirksam, 177 Abs. 1 BGB. Genehmigt der Vertretene, wird er wie beim Vorliegen des 164 BGB berechtigt und verpflichtet. Genehmigt er nicht, liegt kein wirksamer Vertrag vor. Der Vertreter haftet sodann gemäß 179 BGB wahlweise auf Erfüllung oder Schadensersatz. Bähr, S. 86, 90 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
8 Die Geschäftsfähigkeit Folie 26 Als Geschäftsfähigkeit wird die Fähigkeit bezeichnet, wirksam Willenserklärungen abgeben (und entgegennehmen, 131 BGB) oder Verträge schließen zu können. Die volle Geschäftsfähigkeit tritt grundsätzlich mit der Volljährigkeit (Vollendung des 18. Lebensjahres, 2 BGB) ein. Das Gesetz kennt zwei Einschränkungsgrade: Geschäftsunfähigkeit Der Erklärende ist noch nicht 7 Jahre alt, 104 Nr. 1 BGB oder geistesgestört, 104 Nr. 2 BGB. Die Willenserklärung des Geschäftsunfähigen ist nichtig, 105 Abs. 1 BGB (Ausnahme: Alltagsgeschäfte, 105 a BGB). Gleiches gilt bei vorübergehenden Bewusstseinsstörungen ( 105 Abs. 2 BGB). Beschränkte Geschäftsfähigkeit Beschränkt geschäftsfähig ist, wer das siebte, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, 106 und 2 BGB. Der Minderjährige benötigt grundsätzlich die Einwilligung (vorherige Zustimmung, 183 BGB) seines gesetzlichen Vertreters. Ausnahmen: Lediglich rechtlicher Vorteil, 107 BGB Taschengeldparagraph, 110 BGB Minderjähriger Unternehmer, 112 BGB Minderjähriger Arbeitnehmer, 113 BGB Bei Rechtsgeschäften ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters gilt: Einseitige Rechtsgeschäfte sind nichtig, 111 Satz 1 BGB. Verträge hängen von der Genehmigung (nachträgliche Zustimmung, 184 BGB) des gesetzlichen Vertreters ab (schwebende Unwirksamkeit), 108 BGB. Zur Betreuung vgl. Folie 84. Bähr, S. 147 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
9 Die Willensmängel Folie 27 Unter Willensmängeln ist das Abweichen des subjektiven Willens vom objektiv Erklärten zu verstehen. Zwei Fallgruppen sind zu unterscheiden: Bewusstes Abweichen BGB Geheimer Vorbehalt, das Erklärte nicht zu wollen, ist unerheblich, 116 Satz 1 BGB, sofern der andere Teil den Vorbehalt nicht erkennt (sonst: Nichtigkeit, 116 Satz 2 BGB) Scheingeschäfte im beiderseitigen Einvernehmen sind nichtig, 117 Abs. 1 BGB; das dadurch verdeckte Geschäft gilt, sofern dieses im Übrigen wirksam ist, 117 Abs. 2 BGB. Scherzerklärungen sind nichtig, 118 BGB; ggf. aber Vertrauensschadensersatz gemäß 122 BGB. Unbewusstes Abweichen Irrtümer, 119, 120 BGB Täuschung, 123 Abs. 1 Fall 1 BGB Drohung, 123 Abs. 1 Fall 2 BGB Es gelten die Regeln der Anfechtung (Folien 28, 29). Bähr, S. 119 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
10 Die Anfechtung von Willenserklärungen Folie 28 Voraussetzungen Rechtsfolgen 1. Anfechtungsgrund a) Irrtum, 119, 120 BGB Inhaltsirrtum, 119 Abs. 1, 1 Erklärungsirrtum, 119 Abs. 1, 2 Eigenschaftsirrtum, 119 Abs. 2 Botenirrtum, 120 b) Drohung/Täuschung, 123 BGB 2. Anfechtungserklärung, 143 BGB 3. Anfechtungsfrist, 121, 124 BGB 4. Kein Ausschluss a) durch Bestätigung, 144 BGB b) durch speziellere Vorschriften 1. Die Willenserklärung (und damit der Vertrag) ist von Anfang an nichtig, 142 Abs. 1 BGB. 2. Bei der Irrtumsanfechtung hat der Anfechtende den Vertrauensschaden zu ersetzen, 122 BGB. Bähr, S. 120 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
11 Die Anfechtungsgründe Folie 29 Irrtum 1. Inhaltsirrtum, 119 Abs. 1 Fall 1 BGB Irrtum über die Bedeutung des verwendeten Erklärungszeichens 2. Erklärungsirrtum, 119 Abs. 1 2 BGB Verwendung falscher Erklärungszeichen (Versprechen, Verschreiben) 3. Botenirrtum, 120 BGB Versehentliche Falschübermittlung durch einen Erklärungsboten Beachte: Alle Irrtümer müssen sich auf den Inhalt der Erklärung beziehen, Motivirrtümer bei der Willensbildung (z. B. interner Kalkulationsirrtum) sind unerheblich. Ausnahme: 4. Eigenschaftsirrtum, 119 Abs. 2 BGB Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften (gegenwärtige, wertbildende Faktoren, nicht der Wert selbst) Täuschung 1. Täuschung (= Irrtumserregung) Durch aktives Tun oder, sofern Aufklärungspflicht (z. B. aus 242 BGB), durch Unterlassen Durch Vertragspartner oder Verhandlungsgehilfen; bei Dritttäuschungen gilt Abs Arglist Wissen um den wahren Sachverhalt (bedingter Vorsatz reicht) 3. Kausalität der Täuschung für die WE Drohung Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels Widerrechtlich, wenn angedrohtes Übel, geforderte WE oder Verbindung beider Elemente (Zweck-Mittel-Relation) rechtswidrig ist. Bähr, S. 120, 127 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
12 Die Form des Rechtsgeschäftes Folie 30 Willenserklärung und Verträge sind grundsätzlich formlos, also auch mündlich möglich. Nur ausnahmsweise ist die Einhaltung einer Form vorgeschrieben. Gründe: Beweisfunktion (Rechtssicherheit), Warnfunktion (Schutz vor Übereilung), Beratungsfunktion (Belehrung durch Notar), Kontrollfunktion (staatliche Stellen sollen Existenz der WE kontrollieren können): 1. Schriftform, 126 BGB Eigenhändiger Namenszug unter der Erklärung Beispiele: Bürgschaft ( 766 BGB), Schuldanerkenntnis ( 780 BGB), 550 BGB 2. Elektronische Form, 126 a BGB Datenübertragung mit elektronischer Signatur ersetzt Schriftform, wenn nicht das Gesetz ein anderes bestimmt Formarten 3. Notarielle Beurkundung, 128 BGB Verlesung und Unterzeichnung der Erklärung ( 8 ff BeurkG) Beispiele: Grundstückskaufverträge ( 311 b Abs. 1 BGB), Schenkungsversprechen ( 518 BGB) 4. Öffentl. Beglaubigung, 129 BGB Amtliche Bestätigung der Authentizität der Unterschrift Beispiel: Anmeldung zum Handelsregister ( 12 HGB) Bähr, S. 135 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
13 Folie 30/2 5. Sonderformen Eigenhändigkeit (z. B. Testament, 2247 BGB); beiderseitige Anwesenheit vor zuständiger Stelle (z.b. Auflassung, 925 BGB oder Eheschließung, 1311 BGB); Kündigung mit eingeschriebenem Brief in vielen Arbeitsverträgen. Rechtsfolgen von Verstößen Gesetzliches Formerfordernis Grundsätzlich: Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes; Ausnahmen: 1. Heilung Durch Erfüllung des Rechtsgeschäftes, wenn gesetzlich vorgesehen, z. B. 311 b Abs. 1, 518 Abs. 2, 766 Satz 2 BGB BGB Berufung auf Formmangel kann als Rechtsmissbrauch unzulässig sein, z. B. bei arglistiger Verhinderung formgültiger Beurkundung Vertragliches Formerfordernis Im Zweifel (wenn nichts anderes vereinbart ist) Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes Daher Auslegung, ob konstitutive (Nichtigkeit) oder nur deklaratorische Wirkung (Gültigkeit) der Schriftformklausel gewollt war. Bähr, S. 135 Wirtschaftsprivatrecht J. Ehrig
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