4.1. Vektorräume und lineare Abbildungen
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- Margarete Dressler
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1 4.1. Vektorräume und lineare Abbildungen Mengen von Abbildungen Für beliebige Mengen X und Y bezeichnet Y X die Menge aller Abbildungen von X nach Y (Reihenfolge beachten!) Die Bezeichnungsweise erklärt sich daraus, daß es für den Fall endlicher Mengen X mit n Elementen und Y mit m Elementen genau m n viele Abbildungen von X nach Y, d.h. Elemente von Y X gibt. Ist X die Menge der natürlichen Zahlen von 1 bis n, so ist Y X einfach die Menge Y n der n-tupel (d.h. der n-gliedrigen Folgen) mit Koeffizienten aus Y ; denn eine Abbildung g von {1,...,n} nach Y ist nichts anderes als ein n-tupel (g 1,..., g n ) = (g(1),...,g(n)). Beispiel 1: Es gibt 9 = 3 2 Abbildungen von {1,2} nach {1,2,3}, aber nur 8 = 2 3 Abbildungen von {1,2,3} nach {1,2}.
2 Verknüpfung von Abbildungen Die Verknüpfung oder Hinteranderschaltung f o g zweier Abbildungen f und g ist gegeben durch (f o g)(x) = f(g(x)), wobei man erst g und dann f anwendet. Sie ist im Allgemeinen nicht kommutativ, d.h. f o g = g o f gilt nur in Ausnahmefällen. Zum Beispiel ist für f(x) = x 2 und g(x) = 2 x (f o g)(x) = f(g(x)) = 4 x 2, aber (g o f)(x) = g(f(x)) = 2 x 2. Im Folgenden sei K stets R oder C, der Körper der reellen oder der komplexen Zahlen, und X eine beliebige (Index-)Menge. Addition und skalare Multiplikation sind für Elemente von K X, d.h. für Funktionen von X in K, elementweise definiert: (f + g)(x) = f(x) + g(x), (r f)(x) = r f(x) für alle f, g aus K X, alle x aus X und alle r aus K. Beispiel 2: Summe zweier Schwingungen und eines Polynoms f( x ) = sin( x ) + cos( π x ), g( x ) = x5 20 x4 10 x3 2 x2 1 Funktionenräume oder Unter(vektor)räume von K X sind nichtleere Teilmengen U von K X, die gegen Addition und skalare Multiplikation abgeschlossen sind; d.h. Summen und skalare Vielfache von Elementen aus U müssen wieder in U liegen. K X ist der größte, {0} der kleinste Unterraum von K X (wobei 0 die Nullfunktion bzw. den Nullvektor symbolisiert). Statt Funktionenraum sagen wir auch Vektorraum. Es gibt noch einen etwas allgemeineren Begriff des Vektorraums, den wir aber nicht brauchen werden, denn jeder Vektorraum ist strukturell identisch mit einem Funktionenraum. Vektoren sind ab jetzt Elemente eines beliebigen Funktionenraums. Die Notation mit Fettbuchstaben geben wir spätestens jetzt ganz auf.
3 Beispiel 3: Unterräume der Ebene und des 3-dimensionalen Raumes Die Unterräume von R 2 sind neben R 2 selbst und {0} alle Geraden durch 0. Entsprechend sind die Unterräume von R 3 neben R 3 selbst und {0} alle Geraden und alle Ebenen durch 0. Beispiel 4: Funktionenräume aus der Analysis R R ist der Raum aller reellen Funktionen C R ist der Raum der komplexwertigen Funktionen auf R (z.b. f( t ) = e ( i t ) ) R C ist der Raum der reellwertigen Funktionen auf C (z.b. g( z ) = z ) C C ist der Raum der komplexen Funktionen (z.b. k( z ) = z ). Die auf einem Intervall I stetigen, differenzierbaren oder integrierbaren Funktionen bilden je einen Unterraum des Funktionenraumes R I. Denn Summe und skalare Vielfache stetiger bzw. differenzierbarer bzw. integrierbarer Funktionen sind wieder solche. Beispiel 5: Polynomräume Die reellen Polynome auf einem Intervall I bilden einen Unterraum von R I, desgleichen die Polynome mit einem Grad, der durch eine feste Zahl (z.b. 3) beschränkt ist. Wir skizzieren je ein Polynom nullten Grades (konstant, waagerechte Gerade), ersten Grades (linear, schräge Gerade), zweiten Grades (quadratisch, Parabel) dritten Grades (kubische Parabel mit Wendepunkt).
4 Die Polynome mit konstantem Glied 0 bilden einen weiteren Unterraum von R I, ebenso alle Funktionen f mit f(0) = 0. Beispiel 6: Ein Raum von Wellenfunktionen Ein interessanter Funktionenraum ist die Gesamtheit aller harmonischen Schwingungen mit einer festen Kreisfrequenz ω: f(t) = r cos ( ω t + φ ). Die Summe und jedes Vielfache solcher Funktionen ist nämlich wieder vom gleichen Typ (Superposition!) Linearkombinationen von Vektoren b 1,...,b k eines Vektorraumes V sind Summen der Form = j 1 k r j b j = r 1 b r k b k mit Koeffizienten r 1,..., r k aus K. Die Linearkombination heißt trivial, falls alle r 1,..., r k gleich 0 sind.
5 Lineare Abhängigkeit einer Menge B von Vektoren bedeutet, dass es eine nicht triviale Linearkombination von Vektoren aus B gibt, die den Nullvektor liefert, also eine Darstellung k j = 1 r j b j = 0 mit verschiedenen b j aus B, bei der nicht alle Koeffizienten r j gleich 0 sind. Andernfalls heißt B linear unabhängig. Im Falle B = {b 1,..., b k } sagt man auch, die Vektoren b 1,..., b k seien linear unabhängig. Konkret testet man lineare Unabhängigkeit folgendermaßen: Unabhängigkeitstest Hat bei fest vorgegebenen Vektoren b 1,..., b k das Gleichungssystem k j = 1 r j b j = 0 nur die triviale Lösung r 1 = r 2 =... = r k = 0, so sind die Vektoren b 1,..., b k linear unabhängig, andernfalls linear abhängig. In der Praxis kann und will man meist nicht einen gesamten Vektorraum explizit beschreiben, sondern eine möglichst "ökonomische" Teilmenge, mit der man alle Vektoren des Raumes erzeugen kann: Ein Erzeugensystem eines Vektorraums V ist eine Teilmenge B mit der Eigenschaft, dass jeder Vektor aus V als Linearkombination von Vektoren aus B dargestellt werden kann. Eine Basis eines Vektorraums V ist ein linear unabhängiges Erzeugendensystem. Jeder von 0 verschiedene Vektorraum besitzt unendlich viele Basen! (Die leere Menge ist allerdings die einzige Basis des Nullraumes.) Ohne Beweis zitieren wir den grundlegenden Basissatz Die folgenden Aussagen über eine Teilmenge B eines Vektorraumes V sind äquivalent: (a) Jeder Vektor aus V ist eindeutig als Linearkombination der Vektoren aus B darstellbar. (b) B ist eine Basis von V. (c) B ist ein minimales Erzeugendensystem von V (kein Vektor kann weggelassen werden). (d) B ist linear unabhängig, und jede Basis von V hat gleich viele Elemente wie B. Aufgrund von (d) haben alle Basen eines Vektorraumes V die gleiche Anzahl von Elementen; man nennt sie die Länge der Basen und die Dimension von V. Häufig betrachtet man statt den als Teilmengen definierten Basen auch geordnete Basen (b 1,..., b n ). Diese Version braucht man vor allem, wenn man mit Matrizen rechnet.
6 Orthogonalbasen Je drei paarweise aufeinander senkrecht stehende, von 0 verschiedene Vektoren aus K 3 bilden eine Basis des Raumes K 3, eine sogenannte Orthogonalbasis. Analog bilden je n paarweise senkrechte Vektoren b 1,..., b n 0 aus K n eine Orthogonalbasis des Raumes K n. Dabei bedeutet "Senkrechtstehen" für zwei Vektoren u = (u 1,...,u n ) und v = (v 1,...,v n ) wieder, daß ihr Skalarprodukt n u v = u j v j j = 1 verschwindet, d.h. gleich 0 ist. Wir geben einige wichtige Beispiele von Basen und Dimensionen. Beispiel 7: Die kanonischen Einheitsvektoren e 1 = [1, 0, 0, 0,..., 0] e 2 = [0, 1, 0, 0,..., 0]... e n = [0, 0, 0, 0,..., 1] bilden eine Orthogonalbasis des K n. Dieser Raum hat also, wie erwartet, die Dimension n. Beispiel 8: Basen von Geraden und Ebenen Jeder von 0 verschiedene Vektor b bildet eine Basis der Geraden K b durch diesen Vektor. Geraden haben also die Dimension 1. Entsprechend haben Ebenen die Dimension 2, da sie von zwei linear unabhängigen Vektoren erzeugt werden. Beispiel 9: Basen der Polynomräume Ein Polynom (genauer eine Polynomfunktion) vom Grad n ist eine Funktion der Form p( x ) = a 0 + a 1 x a n x n mit Koeffizienten a 0,..., a n aus K, wobei der Leitkoeffizient a n nicht 0 ist. Eine Basis des Vektorraums der Polynome vom Grad höchstens n besteht aus den
7 Monomen x 0 = 1, x, x 2..., x n, denn jedes Polynom höchstens n-ten Grades läßt sich eindeutig als Linearkombination von Monomen schreiben. Die Dimension des Raumes der Polynome vom Grad höchstens n ist also n + 1 (und nicht n). Der Raum aller Polynome ist ebenso wie der Raum der stetigen, der differenzierbaren oder der integrierbaren Funktionen unendlich-dimensional, d.h., er hat keine endliche Basis! Beispiel 10: Die natürliche Basis eines Wellenraumes Eine Basis des Raumes der harmonischen Schwingungen mit Kreisfrequenz ω wird gebildet durch die beiden Funktionen Um sin( ω t ) und cos( ω t ). r cos ( ω t + φ ) in der Form r 1 cos( ω t) + r 2 sin( ω t ) darzustellen, hat man einfach r 1 = r cos( φ ) und r 2 = r sin( φ) zu setzen (Additionstheorem!) Umgekehrt gewinnt man r und φ aus r 1 und r 2 mittels r = r 1 + r 2, d.h. r = r1 + r 2 tan( φ) = r 2, d.h. φ = r 1 arctan r 2 r 1 ( + π, falls r 1 negativ ist). sin( t ) + 3 cos( t ) = 2 cos t π 6 Lineare Abbildungen Wie im zwei- und dreidimensionalen Fall nennt man eine Abbildung f zwischen zwei Vektorräumen V und W linear, falls f (x+y) = f(x) + f(y) und f(r x) = r f(x) für alle x,y aus V und alle Zahlen r aus K gilt.
8 Nicht alle Abbildungen, von denen man es vielleicht erwarten würde, sind linear. Zum Beispiel sind Abbildungen der Form h( x ) = c + x mit einem von 0 verschiedenen konstanten Vektor c nicht linear, obwohl das Bild einer Geraden wieder eine Gerade ist! Hingegen sind beispielweise Drehungen linear, obwohl die "Spur" einer Drehung kreisförmig ist. Die wesentliche Eigenschaft linearer Abbildungen ist, daß es nicht darauf ankommt, ob man Vektoren erst addiert bzw. streckt und dann abbildet oder umgekehrt. Verknüpfung linearer Abbildungen Wie man sofort sieht, ist die Verknüpfung f o g zweier linearer Abbildungen g von U nach V und f von V nach W eine lineare Abbildung von U nach W. Wir betonen nochmals, daß es bei der Hintereinaderausführung linearer Abbildungen auf die reihenfolge ankommt. Zum Beispiel darf man Raumdrehungen um verschiedene Achsen im Allgemeinen nicht miteinander vertauschen.
9 Beispiel 11: Zwei Drehungen Bezeichnet f eine Drehung um die x 1 -Achse und g eine Drehung um die x 2 -Achse, jeweils mit Drehwinkel π/4, so bildet f den ersten Einheitsvektor e 1 = ( 1, 0, 0 ) auf sich selbst ab, während g ihn nach e 3 = ( 0, 0, 1 ) dreht und f diesen dann nach e 2 = ( 0, 1, 0 ) dreht. Daher bildet f o g den Vektor e 1 auf e 2 ab, g o f hingegen auf e 3. g o f
10 f o g In einer Ebene darf man dagegen die Reihenfolge von Drehungen vertauschen, denn eine Drehung um den Winkel α und anschließend um β ergibt das gleiche Resultat wie eine Drehung um β und dann um α, nämlich in beiden Fällen eine Drehung um α + β.
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