Fall 2: Keine Glasfalschen im Kölner Karneval!
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- Reinhardt Daniel Lenz
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1 Prof. Dr. Jörg Ennuschat 232 Polizei- und Ordnungsrecht (SS 2018) Fall 2: Keine Glasfalschen im Kölner Karneval! OVG NRW, Urteil vom A 2382/10, juris (= GewArch 2012, 265 ff.); anders zuvor die Vorinstanz: VG Köln, Urteil vom K 525/10, juris. Seit Jahren gibt es im Kölner Straßenkarneval erhebliche Probleme mit Glasflaschen, die von den Jecken nach dem Austrinken achtlos abgestellt, fallen gelassen oder bewusst zerschlagen werden. So entstehen unzählige Scherben, die zu zahlreichen Schnittverletzungen gestürzter Jecken führen. Die zuständige Ordnungsbehörde hat in den letzten Sessionen jeweils eine Allgemeinverfügung erlassen, wonach während bestimmter Zeiten an bestimmten Orten das Mitführen von Glasbehältnissen untersagt wird. Außerdem bestimmt 5 der ordnungsbehördlichen Verordnung Kölner Straßenordnung (KSO) Folgendes: Verunreinigung und Verunstaltung des Straßenbildes (1) Die Verunreinigung öffentlicher Straßen ist verboten. Dies gilt insbesondere für das Wegwerfen von Abfällen (z. B. Pappteller, Kunststoffbecher, Blechdosen, Zigarettenschachteln, Zigarettenkippen, Zeitungen etc.) sowie das Spucken und Ausspucken von Kaugummis. (2) Es ist nicht gestattet, Abfälle oder Gegenstände für die Rohstoffrückgewinnung auf oder neben die zu ihrer Aufnahme bestimmten Behälter zu stellen. Allerdings ist die Normtreue einer unübersehbar großen Vielzahl von Jecken nur schwach ausgeprägt, wie das OVG NRW später feststellte (aao, Rn. 48), d.h. die Jecken führen weiterhin Glasflaschen mit sich, werfen sie weg etc. Dieses Jahr richtet die zuständige Ordnungsbehörde deshalb neben der Allgemeinverfügung und der Verordnung an Kiosk- und Ladenbesitzer, welche an den Treff- und Feierpunkten der Jecken gelegen sind, jeweils eine sofort vollziehbare und mit der Androhung eines Zwangsgeldes versehene schriftliche Ordnungsverfügung, wonach
2 Prof. Dr. Jörg Ennuschat 233 Polizei- und Ordnungsrecht (SS 2018) während eng umgrenzter Zeiten der Verkauf von Glasflaschen untersagt ist. Vor Erlass der Verfügung hat die Behörde einen runden Tisch aller Kioskbesitzer organisiert und die Teilnehmer, zu denen auch Kioskbesitzer K gehörte, über ihre Pläne informiert. Sie begründet die Verfügung u.a. damit, dass die Erfahrungen der letzten Jahre sicher erwarten lassen, dass die große Mehrheit der Käufer die Glasflaschen nicht ordnungsgemäß entsorgen oder zurückbringen, sondern achtlos im Straßenraum liegen lassen oder sogar bewusst zerschlagen. K klagt gegen die an ihn gerichtete Ordnungsverfügung und trägt vor: Das Verbot treffe ihn ganz empfindlich, weil ein erheblicher Teil des Jahresumsatzes durch den Verkauf von Kölsch- und Schnapsglasflaschen in den betroffenen Zeiten erwirtschaftet werde. Es sei unfair, das Verbot an ihn zu richten, weil er selbst keine Scherben produziere. Die Kölschflaschen seien Pfandflaschen, die er und auch andere Kioskbesitzer zurücknähmen. Erfolgsaussichten einer zulässigen Anfechtungsklage? Vermerk: Die Verordnung und die Allgemeinverfügung sind rechtmäßig. Anm.: Realistischerweise wird es sich um eine Fortsetzungsfeststellungsklage handeln (oder um einen Antrag nach 80 V VwGO)
3 Prof. Dr. Jörg Ennuschat 234 Polizei- und Ordnungsrecht (SS 2018) Lösungshinweise 1. Aufgabe: Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage 113 I 1 VwGO: Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung? Beachte: Es geht nicht um die Prüfung der Allgemeinverfügung (die auch ein VA ist, 35 S. 2 VwVfG, und ebenfalls auf 14 OBG gestützt worden ist). I. EGL für die Ordnungsverfügung In Betracht kommt 14 I OBG. Anm.: Es stellen sich noch weitere Probleme, die hier nicht erörtert werden sollen: (1) Wird 14 OBG durch Gaststättenrecht verdrängt? Nein (näher OVG NRW, aao, Rn. 31ff.). (2) Steht 1 I GewO dem Rückgriff auf 14 I OBG entgegen? Nein, 1 I GewO schützt nur das ob einer Gewerbetätigkeit. Das Glasflaschenverkaufsverbot betrifft indessen das wie. II. Formelle Remä 1. Zuständigkeit: (+) lt. SV 2. Form, 20 OBG: Schriftform, (+) lt. SV 3. Verfahren: Anhörung, 28 I VwVfG (+) runder Tisch, Begründung, 39 I VwVfG (+) lt. SV, Bekanntgabe, 41 VwVfG (+) III. Materielle Remä 1. Tatbestandsvoraussetzungen der EGL ( 14 I OBG) a) Betroffensein der öffentlichen Sicherheit (oder Ordnung subsidiär zur ös)
4 Prof. Dr. Jörg Ennuschat 235 Polizei- und Ordnungsrecht (SS 2018) Bestand des Staates und seiner Einrichtungen etc. (-) Individuelle Rechte und Rechtsgüter: Gesundheit (+) Problem: Zuständigkeit der Ordnungsbehörde für den Schutz privater Rechte? Rechtsgedanke aus 1 II PolG? Kann ggf. offen bleiben: Bestand der gesamten Rechtsordnung (sog. unselbstständige Ordnungsverfügung) Verstoß gegen die Allgemeinverfügung (Glasflaschenverbot)? Nein, die Allgemeinverfügung ist ein VA, keine RNorm und deshalb nicht Teil der Rechtsordnung i.s.d. öffentlichen Sicherheit (so VG Köln, aao, Rn. 23). Verstoß gegen Verordnung? (+), hins. 5 I und 5 II KSO, d.h. öffentliche Sicherheit betroffen.
5 Prof. Dr. Jörg Ennuschat 236 Polizei- und Ordnungsrecht (SS 2018) b) Gefahr Siehe OVG NRW, aao, Rn. 34: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn bei ungehindertem Ablauf des Geschehens in überschaubarer Zukunft mit einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann. In tatsächlicher Hinsicht bedarf es in Abgrenzung zu einem bloßen Gefahrenverdacht einer genügend abgesicherten Prognose auf den drohenden Eintritt von Schäden. Subsumtion: Angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit ist davon auszugehen, dass viele der bei K gekauften Flaschen als Abfall oder Scherben im Straßenraum landen werden. c) Verantwortlichkeit des K aa) Verhaltensstörer gem. 17 OBG? (1) Problem: K wirft keine Flaschen in den Straßenraum etc. Nach der Theorie der unmittelbaren Verursachung ist er kein Verhaltensstörer. Stellt man auf die Theorie der rechtswidrigen Verursachung ab: Er handelt gewerberechtlich völlig legal; die Abgabe von Glasflaschen ist im Regelfall sozialadäquat und üblich.
6 Prof. Dr. Jörg Ennuschat 237 Polizei- und Ordnungsrecht (SS 2018) (2) Evtl. Zweckveranlasser: Kann bei wertender Betrachtung dem K das spätere Verhalten der Kunden zugerechnet werden? Manche lehnen die Rechtsfigur des Zweckveranlassers ab K ist Nichtstörer (evtl. verantwortlich gem. 19 OBG; siehe unten). Obj. Theorie: enger natürlicher Handlungs- und Wirkungszusammenhang innere Einheit geradezu zwangsläufige Folge Subsumtion: Nichts spricht dafür, dass gerade die Kunden des K verantwortungsvoll mit den Glasflaschen umgehen, wenn insgesamt kaum ein Jeck verantwortungsvoll handelt (vgl. OVG NRW, aao, Rn. 48). OVG NRW, aao, Rn. 47: Bei der gebotenen wertenden Betrachtung war im Kölner Straßenkarneval 2010 der Wirkungsund Verantwortungszusammenhang zwischen dem Verkauf von Glasflaschen und der Fülle der auf den Straßen liegenden Glasabfälle so eng, dass die (Mit-)Veranlassung durch die Verkäufer und der (Gefahren-)Erfolg als Einheit angesehen werden müssen.
7 Prof. Dr. Jörg Ennuschat 238 Polizei- und Ordnungsrecht (SS 2018) Subj. Theorie: Absicht nicht nötig (so die meisten Stimmen in Lit. und Rspr.), bedingter Vorsatz oder sicheres Wissen reicht. Subsumtion: billigend in Kauf genommen OVG NRW, aao, Rn. 47: Zwar bezweckte der Kläger ebensowenig wie die übrigen Verkaufsstelleninhaber beim Verkauf von Glasflaschen das störende Verhalten Dritter. Jedoch war nach den Erfahrungen aus früheren Jahren nahezu sicher zu erwarten, dass jedenfalls eine beachtliche Menge der von ihm abgegebenen Glasflaschen in die Menschenmenge der Feiernden gelangen und dort unzulässig entsorgt oder achtlos fallen gelassen würde. Zweckveranlasser und Verhaltensstörer (+), so OVG NRW, a.a. Vorinstanz (VG Köln, aao, Rn. 32: Da es Pfandflaschen sind, sei es nicht zwangsläufig, dass bb) Falls keine Zweckveranlassung: Inanspruchnahme als Nichtstörer gem. 19 OBG? kumulative Voraussetzungen: Nr. 1 gegenwärtige erhebliche Gefahr: jdf. im Moment des Verkaufs Nr. 2 keine Maßnahme gegen die eigentlichen Störer möglich oder Erfolg versprechend? (+), zu viele betrunkene Jecken Nr. 3 nicht möglich selbst Gefahr abzuwehren: Aufsammeln der Scherben etc. durch die Straßenreinigung im Gewühle nicht möglich Nr. 4 zumutbar für K (+) 2. Rechtsfolgenseite, Ermessen ( 16 OBG) a) Entschließungsermessen ob : (+)
8 Prof. Dr. Jörg Ennuschat 239 Polizei- und Ordnungsrecht (SS 2018) b) Auswahlermessen hins. Adressaten Störerauswahl; Maßstab: Effektivitätsprinzip Die Käufer sind Verhaltensstörer, aber nicht effektiv, gegen diese vorzugehen c) Auswahlermessen hins. Mittel (Verhältnismäßigkeit, 15 OBG) legitimes Ziel: Gesundheit, Einhaltung Rechtsordnung Geeignetheit: (+), wenngleich die Jecken auch Glasflaschen von zuhause mitbringen könnten Erforderlichkeit: mildere Mittel? mehr Altglasbehälter? bessere Straßenreinigung? Appell an die Vernunft der Jecken? wohl sämtlich nicht gleichermaßen geeignet, da Massenveranstaltung Angemessenheit: (+), zwar Nachteil für K (Art. 12 I GG), aber überwiegender Vorteil für die Allgemeinheit (u.a. Art. 2 II, 20a GG). d) Verstoß gegen Grundrechte, insb. Art. 3 I GG? Nur Kiosk- und Ladenbesitzer in der Nähe der Karnevalshotspots sind Adressaten der Ordnungsverfügung, nicht weiter entfernt gelegene Läden: sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung?
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