Einführung in die Physikalische Chemie Teil 1: Mikrostruktur der Materie
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- Erwin Richter
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1 Einführung in die Physikalische Chemie: Übersicht Einführung in die Physikalische Chemie Teil 1: Mikrostruktur der Materie Kapitel 1: Quantenmechanik Kapitel 2: Atome Kapitel 3: Moleküle Kapitel 4: Molekülspektroskopie Kapitel 5: Zwischenmolekulare Kräfte Kapitel 6: Struktur der Materie Mathematische Grundlagen Schrödingergleichung Einfache Beispiele H-Atom Spin Mehrelektronen-Atome und Spektroskopie Molekülorbitaltheorie Born-Oppenheimer-Potential Bewegungsformen eines Moleküls: Rotationen,Schwingungen, elektron. Bewegung Mikrowellen-, Infrarot- und optische Spektroskopie Elektrostatische Eigenschaften von Molekülen Zwischenmolekulare Wechselwirkungen Struktur von Biomolekülen Reale Gase Kondensierte Phasen Moleküldynamik Mikrokosmos Makrokosmos
2 Kapitel 6: Struktur der Materie Kapitel 6: Struktur der Materie Übersicht: 6.1 Einführung 6.2 Reale Gase 6.3 Flüssigkeiten 6.4 Feststoffe und Kristalle 6.5 Struktur kondensierter Phasen 6.6 Moleküldynamik (MD) - Simulationen Literatur: Atkins, de Paula, Physikalische Chemie (4. Aufl.), Teile von Kapitel 1,18,19,20 Atkins, de Paula, Kurzlehrbuch Physikalische Chemie (4. Aufl.), Teile von Kapitel 1,17,18
3 6.1 Einführung 6.1 Einführung Fragestellung: Wie bestimmen die Wechselwirkungen zwischen Molekülen die Struktur und den (Aggregat-) Zustand makroskopischer Stoffe? Aggregatzustände: fest, flüssig, gasförmig Prinzip der Paaradditivität: die gesamte potentielle Energie Vtot kann als Summe von Wechselwirkungen zwischen Paaren von Teilchen Vij formuliert werden: V tot = X V ij (6.1.1) alle Paare ij Vij ist dabei die totale Wechselwirkungsenergie zwischen zwei Molekülen, also die Summe aller in Kap. 5 diskutierten relevanten Wechselwirkungspotentialen. i i j Das Paaradditivitäts-Prinzip gilt auch für zwischenmolekulare Kräfte Fij, da die Kraft definiert ist als F ij = dv ij /dr (6.1.2) intermolekularer Abstand Mehrteilchen-Wechselwirkungen betragen in vielen Fällen nur wenige Prozent der totalen Wechselwirkungsenergie (Bsp. einer Ausnahme: Wasser H2O. Warum?). j
4 6.2 Reale Gase 6.2 Reale Gase Ideales Gas: Gasmoleküle werden als nicht-wechselwirkende Teilchen ohne eigenes Volumen betrachtet Zustandsgleichung für das ideale Gas: mit dem Molvolumen Vm=V/n Probleme: pv m = RT (6.2.1) Vm 0 wenn T 0 oder p : unphysikalisch, da alle Moleküle ein Eigenvolumen besitzen die Wechselwirkungen zwischen den Molekülen werden vernachlässigt keine Kondensation/Phasenübergänge Die Van-der-Waals-Gleichung Die van-der-waals-gleichung ist eine (approximative) Zustandsgleichung für reale Gase, die diese beiden Defizite korrigiert:
5 6.2 Reale Gase Das Molvolumen Vm wird um einen Faktor b korrigiert, der dem Eigenvolumen der Gasteilchen entspricht. Der Druck wird durch die WW zwischen den Teilchen verringert. Dies wird durch einen Term -a/vm 2 modelliert. p = V m RT b a V 2 m, p + a V 2 m V m b)=rt (6.2.2) Tabelle 6.2.1: Van-der-Waals-Koeffizienten für verschiedene Gase (aus Atkins, 4. Aufl.)
6 6.2 Reale Gase Eigenschaften der van-der-waals-gleichung: superkritische Phase kritischer Punkt: kein Phasenübergang mehr mit vdw-gleichung berechnete p(v)-kurven Maxwell-Konstruktion: die Position des Phasenübergangs ergibt sich durch die horizontale Linie, die die vdw-schleifen mit gleicher Fläche eingrenzt flüssig Phasenübergang gasförmig Phasenübergang van-der-waals-schleifen (unphysikalisch) Experimentell bestimmtes Druck-Volumen (p,v)- Diagramm von CO2 bei verschiedenen Temperaturen pv-diagramm von CO2 gemäss der van-der-waals- Gleichung
7 6.2 Reale Gase Erklärungen: Reale Gase durchlaufen bei einem bestimmten Druck, Volumen und Temperatur Phasenübergänge. Diese machen sich im p,v-diagramm als eine Diskontinuität (horizontale Linie) in der p(v)-kurve bemerkbar, da sich das Volumen bei einem Phasenübergang in der Regel sehr stark ändert (vgl. Flüssigkeit-Gas). Die mit der vdw-gleichung berechneten p(v)-kurven weisen im Bereich des Phasenübergangs zwei Schleifen auf, die unphysikalisch sind. Im Rahmen der vdw-gleichung wird die Position des Phasenübergangs durch eine horizontale Linie angenährt, die vdw-schleifen mit gleicher Fläche einschliesst (Maxwell-Konstruktion). Ab einer gewissen Temperatur Tkrit finden keine Phasenübergänge mehr statt. Man beobachtet eine superkritische Phase - weder flüssig noch gasförmig. Mehr über Phasenübergänge in Kapitel 14 dieser Vorlesung. Vor- und Nachteile der vdw-gleichung: + einfach und intuitiv - nur eine Näherung, die nicht systematisch verbessert werden kann
8 6.3 Flüssigkeiten 6.3 Flüssigkeiten Tabelle 6.3.1: Physikalische Eigenschaften ausgewählter Flüssigkeiten Ansteigende Lennard-Jones-Topftiefe ε
9 6.3 Flüssigkeiten Siedepunkt Um ein Teilchen durch Verdampfung aus einer Flüssigkeit zu entfernen, müssen offensichtlich die intermolekularen Anziehungskräfte überwunden werden. Für viele Flüssigkeiten gilt daher in guter Näherung, dass der Siedepunkt gleich der Lennard-Jones-Topftiefe ε (in Kelvin) ist (s.a. Tabelle 5.3.1). " V (R) =4 R 12 R 6 # 1/R 12 σ Req R -ε -1/R 6
10 6.3 Flüssigkeiten Oberflächenspannung Um die intermolekularen Anziehungskräfte zu maximieren, werden Teilchen von der Oberfläche einer Flüssigkeit in ihre Zentrum gezogen: Folglich versuchen Flüssigkeiten immer, ihre Oberfläche zu minimieren (Tröpfchenbildung). Die Energie ΔE, die benötigt wird, um die Oberfläche A der Flüssigkeit um einen Betrag ΔA zu verändern, ist gegeben durch (6.3.1) Die Proportionalitätskonstante γ wird als Oberflächenspannung bezeichnet. Einheit [γ]=[j m -2 ]=[N m -1 ]. γ steht offensichtlich in Bezug zur Stärke der intermolekularen Wechselwirkungen, die die Oberfläche zu minimieren versuchen: je grösser ε, desto grösser γ.
11 6.3 Flüssigkeiten Viskosität Die Viskosität η bezeichnet den Widerstand einer Flüssigkeit gegenüber einer Deformation ihres Volumens. Einheit: [η]=[poise]=[10-1 kg m -1 s -1 ]. Je stärker die intermolekularen WW (d.h., je grösser ε), desto grösser ist die Viskosität. Die Viskosität wird jedoch auch stark durch andere Parameter wie die Molekülgeometrie beeinflusst Verdampfungsenthalpie Der Wärmeaufwand um eine Flüssigkeit zu verdampfen (Verdampfungsenthalpie) ist offensichtlich ebenfalls proportional zur Lennard-Jones-Topftiefe ε.
12 6.4 Ionische Kristalle 6.4 Ionische Kristalle Die Gitterenergie bezeichnet die Bindungsenergie eines Kristalls, also die Energiedifferenz zwischen den freien Ionen in der Gasphase und den Ionen im Kristallgitter. Ziel: Wir wollen die Gitterenergie eines Kristall aus den intermolekularen Wechselwirkungsenergien berechnen. Modellpotential für die WW zwischen einem Anion und einem Kation in einem Kristallgitter: Ladungszahl V = C Z 2 e 2 (6.4.1) R m 4 0 R repulsiver Term (empirisch, C>0, m 9-12) attraktiver Term (Coulomb-WW) Die Topftiefe ε für dieses Modellpotential kann berechnet werden zu ( Tafel): def = V (R eq ) = Z2 e R eq 1 m (6.4.2)
13 6.4 Ionische Kristalle Der Gleichgewichtsabstand Req kann aus der Summe von tabellierten Ionenradien abgeschätzt werden: R eq R + + R (6.4.3) Tabelle 6.4.1: Ionenradien in Kristallen (in pm) Li+ 60 Be2+ 31 B3+ 20 H- 208 Na+ 95 Mg2+ 65 Al3+ 50 F- 136 O2-140 N3-171 K+ 133 Ca2+ 99 Sc3+ 81 Cl- 181 S2-184 P3-212 Cu+ 96 Zn2+ 74 Ga3+ 62 Rb+ 148 Sr Y3+ 93 Br- 195 Se2-198 As3-222 Ag+ 126 Cd2+ 97 In3+ 81 Cs+ 169 Ba La I- 216 Te2-221 Sb3-245 Nach Linus Pauling: The Nature of the Chemical Bond, Cornell University Press 1960, p Die molare Gitterenergie des Kristalls EG ergibt sich dann aus der Topftiefe ε zu: E G = N A M (6.4.4) Die Madelung-Konstante ist ein Proportionalitätsfaktor, der die Abweichung der totalen Gitterenergie von der Summe der Paar-WW-Energien (für ein Mol gleich NA. ε) korrigiert. Das Paaradditivitätsprinzip ist bei ionischen Kristallen nicht mehr gültig (Warum?). M hängt von der Symmetrie des Kristalls ab und ist immer grösser als 1 (M>1). Bsp.: Berechnung der Madelung-Konstante für einen 1D-Kristall Tafel
14 6.5 Struktur kondensierter Phasen Für einen 3D-Kristall ergibt sich die Madelung-Konstante aus dreifachen Summen über die x,y,z-achsen, die mathematisch oft schwierig zu berechnen sind. Madelung-Konstanten sind für die verschiedenen Kristalltypen tabelliert. Bsp.: Madelung-Konstante für einen NaCl-Kristall (kubisch dichteste Kugelpackung): M = i,j,k= 1X 1(i,j,k6=0) ( 1) i+j+k p i 2 + j 2 + k 2 =1.748 (6.4.5) Bsp.: Berechnung der Gitterenergie für NaCl Tafel 6.5 Struktur kondensierter Phasen Problemstellung: wir suchen ein mathematisches Kriterium, um die räumliche Ordnung von Molekülen in kondensierten Phasen beschreiben zu können. Die radiale Verteilungsfunktion g(r): die Funktion W (R)dR = R 2 g(r)dr (6.5.1) gibt die Wahrscheinlichkeit an, ein Molekül auf einer Kugelschale mit unendlich kleiner Dicke dr im Abstand R von einem anderen Molekül zu finden. g(r) wird als radiale Verteilungsfunktion bezeichnet. Bem.: g(r) ist etwas anders definiert als die radiale Verteilungsfunktion P(r) für das Elektron im H- Atom, s. Abschn 2.1.2
15 6.5 Struktur kondensierter Phasen g(r) für verschiedene Aggregatzustände: Gas: zufällige Bewegung der Gasteilchen keine Ordnung Flüssigkeit: Bildung von Solvatationshüllen kurzreichweitige Ordnung Kristall: Gitterstruktur mit wohldefinierter Symmetrie langreichweitige Ordnung Wie sieht g(r) für ein ideales Gas aus?
16 6.6 MD-Simulationen 6.6 Moleküldynamik (MD)-Simulationen Moleküldynamik (MD)- Simulationen sind ein Ansatz, die Bewegungen (Dynamik) einer grossen Anzahl von Molekülen oder auch von sehr grossen Molekülen theoretisch zu modellieren. Während in Molekülmechanik (MM)- Rechnungen die Potentialfläche eines Moleküls erforscht wird, löst man in MD-Simulationen die klassischen (Newtonschen) Bewegungsgleichungen für das betrachtete Ensemble von Molekülen. Gemäss dem 2. Newtonschen Gesetz kann die Kraft Fi, die auf das Teilchen i wirkt, wie folgt formuliert werden: mit Beschleunigungsvektor von Teilchen i ~r i = apple d dx i, Masse von Teilchen i d dy i, d dz i Koordinatenvektor von Teilchen i d ~F 2 ~r i (t) X i = m i ~a i = m i dt 2 = ~r i V ij (~r i,~r j ) Summe über alle Teilchen in der Simulation Wechselwirkungspotential zwischen Teilchen i und j (6.6.1)... Nabla-Operator (=Vektor der 1. Ableitungen) Das WW-Potential Vij ist dabei in der Regel eine geeignete Kombination aus intraund intermolekularen (Modell-) Potentialen, s. Abschn. 3.3 und 5.2, 5.3. i6=j
17 6.6 MD-Simulationen Die Newtonschen Bewegungsgleichungen für die einzelnen Teilchen Fi=miai sind i.a. gekoppelt (da das WW-Potential die einzelnen Teilchen koppelt, s. Gl. (6.6.1)) und werden numerisch mit dem Computer integriert. Als Ergebnis erhält man die Trajektorien (=Bewegungsbahnen=Ort als Funktion der Zeit) ri(t) jedes Teilchens i. Beispiel (Molecular and Computational Biophysics Group, University of Illinois at Urbana-Champaign): MD-Simulation des Wasserflusses durch einen Wasserkanal in einer Zellmembran (Aquaporin) Atome, einige ns Simulationsdauer (E. Tajkhorshid et al., Science 296 (2002), 525 Siehe auch Web-Tutorial Molecular Dynamics Simulation auf der Vorlesungs- Webseite (Bestimmung von radialen Verteilungsfunktionen g(r) mit MD- Simulationen) sowie PC- Vertiefungsvorlesungen.
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