Antrag. Deutscher Bundestag Drucksache 17/12709
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1 Deutscher Bundestag Drucksache 17/ Wahlperiode Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE. Verschleierung verhindern Berichterstattung über Armut und Reichtum auf eine unabhängige Kommission übertragen Der Bundestag wolle beschließen: I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: 1.DieDebatteumdenViertenArmuts-undReichtumsberichtzeigt:Diesoziale UngleichheitinDeutschlandhateinunerträglichesAusmaßangenommen. InAnsätzenistdiesozialeUngleichheitimerstenEntwurfdesBerichts benanntworden.diebundesregierungversuchteinenotwendigepolitische DiskussionüberdiesozialeUngleichheitzuerstickendurchStreichungungewünschterAussagenunddiepolitischeSterilisierungdesBerichts.Wieder einmalzeigtsich,dassinderverantwortungderbundesregierungkeine neutraleberichterstattungmöglichist.dersozialenspaltungangemessene politische Schlussfolgerungen fehlen vollständig. 2.DieErstellungdesArmuts-undReichtumsberichtsdurchdiepolitischverantwortlicheBundesregierunghatsichnichtbewährt.Eineunabhängigeund kritischebestandsaufnahmedersozialenrealitätindeutschlandlässtsich sonichtorganisieren.dersogenannteberaterkreiswurdelediglichüberdie KonzeptioninformiertundhattedarüberhinauskeinenEinflussaufdenBericht.StellungnahmenzudenverschiedenenEntwürfensindnichtgrundsätzlichveröffentlicht.AnsätzefüreinekritischeRealitätsbeschreibungim erstenentwurfvomseptember2012wurdeninderressortabstimmungentfernt oder zumindest geglättet: SofehltinBezugaufdieLohnentwicklungdieAussage,dassinden vergangenenzehnjahrendieuntereneinkommenpreisbereinigtmassiv gesunkensind.auchfehltdiedazugehörige zutreffende Bewertung: EinesolcheEinkommensentwicklungverletztdasGerechtigkeitsempfindenderBevölkerungundkanndengesellschaftlichenZusammenhaltgefährden. (Bundesregierung:LebenslageninDeutschland,Entwurfdes 4.Armuts-undReichtumsberichtvom17.September2012,S.XX,im Folgenden zitiert als: 4. ARB, 1. Entwurf). GestrichenwurdederangekündigtePrüfauftrag, obundwieüberdie ProgressioninderEinkommensteuerhinausprivaterReichtumfürdie nachhaltigefinanzierungöffentlicheraufgabenherangezogenwerden kann. (4.ARB, ersterentwurf, S.XLII).
2 Drucksache 17/ Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode SchließlichfindetsichauchnichtmehrderAnspruch,dassauchein GeringqualifiziertervonseinerVollzeitarbeitseinenLebensunterhaltbestreiten können soll (4. ARB, erster Entwurf, S. XIX und XXII). 3.DieBerichterstattungstelltkonzeptionelldensog.Lebensphasenansatzins ZentrumdesviertenBerichts.DieserAnsatzkannzwaranalytisch-wissenschaftlichzuneuenErkenntnissenführen,ertendiertinderkonkretenUmsetzungdurchdieBundesregierungaberzueinerVernachlässigungstruktureller FaktorendersozialenPolarisierung.DadurchwerdensozialeRisikennichtals gesellschaftlichbedingtwahrgenommen,sondernindividualisiert.diegesellschaftlichenfolgenundkostenvonarmutundsozialerungleichheitwerden ebenfallsnichtthematisiert.dieverantwortungderpolitikfürdieherstellung gerechterundegalitärergesellschaftlicherverhältnissewirdweitgehendausgeblendet. DiesozialpolitischeSchlagseitedesAnsatzesderBundesregierungwird deutlichandenvorgetragenenzweifelnanderetabliertendefinitionvon Armut.DiegängigeDefinitionwirdalsAusdruckungleicherEinkommensverteilungkritisiert.DieimpliziteKritikanungleichensozialenVerhältnissenwirddamitzurückgewiesen.EineähnlichepolitischeEinstellungzeigt sichbeiderdiskussiondesreichtums.umdenöffentlichennutzenprivaten Reichtumszumehren,denktdieBundesregierungnichtaneineErhöhung vonvermögensbezogenensteuern,umdieressourcenzielgerichtetfürdie Gesellschafteinzusetzen,sondernausschließlichandieFörderungprivater SpendenundStiftungen (Bundesregierung:LebenslageninDeutschland. DerVierteArmuts-undReichtumsberichtderBundesregierung,S.413ff., imfolgendenzitiertals4.arb).sozialpolitikwirdhierkonzeptionellreduziert auf die Förderung von mildtätigen Gaben. 4.UngeachtetderMängeldokumentiertauchderViertenArmuts-undReichtumsberichtdasAusmaßdersozialenPolarisierung.DerVergleichmitder wissenschaftlichenliteraturzeigtaber,dassdiesozialerealitätteilweisegeschönt wiedergegeben wird: DasVermögenistextremungleichverteilt.DieHaushalteinderunteren HälftederVerteilungverfügenlediglichüber1Prozentdesgesamten Nettovermögens,währenddievermögensstärksten10Prozentüberdie HälftedesNettovermögensverfügen.DieUngleichheitimVermögensbesitznimmtzudemimLaufederZeitimmermehrzu (4.ARB,S.344und 465).DasDeutscheInstitutfürWirtschaftsforschunge.V. (DIWBerlin) schätztdenanteildesoberstendezilsaufzweidritteldesvermögens. Alleindasoberste1ProzentverfügtnachdieserQuellebereitsüberknapp 36ProzentdesgesamtenVermögens ( aktuell/data/diw-zahlen.pdf).nureineminderheiterkenntdiesenreichtumalsergebniseigenerleistungundpersönlicherbegabungan.der individuellereichtumwirdimgegenteilv.a.mitglück,beziehungen, UnehrlichkeitundeinemungerechtenWirtschaftssysteminVerbindung gebracht wird (4. ARB, S. 406 f.). DieLohnentwicklungistvonderwirtschaftlichenEntwicklungabgekoppelt.Gegenüber2007befindetsichdasmittlereErwerbseinkommenvon Vollzeitbeschäftigten2011aufdemselbenNiveau.HinterdieserStagnationverbirgtsicheinProzessdersozialenSpaltung:Lediglichdieobersten Einkommenentwickeltensich nachberücksichtigungderpreissteigerung positiv,währendbeidergroßenmehrheitdiebruttoerwerbseinkommenrückläufigwaren (4.ARB,S.335).DamitsetztsichdieTendenz dersozialenpolarisierungauchunterschwarz-gelberregierungsverantwortungfort.dr.clausschäfervomwirtschafts-undsozialwissenschaftlicheninstitutderhans-böckler-stiftungkommtinseinemverteilungsberichtzuderschlussfolgerung,dassdielohnquoteaufhistorisch
3 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 3 Drucksache 17/12709 niedrigem Niveau liegt. Einkommenszuwächse gab es im ersten Jahrzehnt des Jahrtausendsfastnurfürdiereichsten10Prozent.Innerhalb diesergruppewarderzuwachsaufdasobersteprozent (fastplus 50Prozent)konzentriert,währenddieEinkommensentwicklung (fast) aller Anderen rückläufig ist (Dr. Claus Schäfer: Wege aus der KnechtschaftderMärkte WSI-Verteilungsbericht2012,in:WSIMitteilungen 8/2012). InderKonsequenzkannTeilhabeüberArbeitimmerwenigergesichert werden.derumfangderniedriglohnbeschäftigungstieglautviertem Armuts-undReichtumsberichtseit1995von17,7Prozentauf23Prozent imjahr2010.fast8millionenmenschenlebten2010miteinemstundenlohn von unter 9,15 Euro (4. ARB, S. 335f.). Der Anteil der Menschen, die arm sind trotz Erwerbstätigkeit, stieg von 1998 bis 2010 von 5,7 Prozent auf 8,2 Prozent der Erwerbstätigen (4. ARB, Anhang, S. 479). DieArmutsteigtinderlängerfristigenPerspektivemassivan (von1998 bis2010von10,4prozentauf13,9prozentnachdatendessozio-oekonomischenpanel SOEP).BesondersdramatischistdabeidieVerfestigung vonarmut:deranteilderdauerhaftarmenverdoppeltesichvon 4,7Prozentauf7,9ProzentindemselbenZeitraumannähernd (4.ARB, Anhang,S.462).Nichtnachvollziehbarist,warumderBerichtdenSkandalnichtoffenausspricht,dassinDeutschlandderSatzgilt:Werarmist, muss früher sterben (vgl. etwa: DIW Wochenbericht 38/2012). SchließlichgibtderBerichtimAnhangauchHinweiseaufdiezurückgehendeWirkungdesSozialstaatsinderVermeidungundBekämpfung vonarmut.deranteilderpersonen,diedurchsozialtransfers (ohne Rente)überdieArmutsrisikogrenzegehobenwerdenkonnten,sankseit 1998kontinuierlich (4.ARB,Anhang,S.484).Aussagenzumsehrhohen AusmaßanverdeckterArmutbzw.derNichtinanspruchnahmevonbedürftigkeitsgeprüftenSozialleistungenfindensichindemBerichtdagegen nicht,obwohlausdereinschlägigenforschunghierzudeutlichehinweise bekanntsind.sobelegtenrenommiertearmutsforscher/-inneneineextremhohequotedernichtinanspruchnahmebeigrundsicherungsleistungennachdemzweitenbuchsozialgesetzbuch SGBII (48Prozent), beidergrundsicherungimalternachdemsgbxii (68Prozent)sowie beimkinderzuschlag (68Prozent) (vgl.irenebecker/richardhauser: Kindergrundsicherung,KindergeldundKinderzuschlag:EinevergleichendeAnalyseaktuellerReformvorschläge.Abschlussberichtfürdie Hans-Böckler-Stiftung,Riedstadt/FrankfurtamMain2010,S.138,141; IreneBecker:FinanzielleMindestsicherungundBedürftigkeitimAlter. In: Zeitschrift für Sozialreform 2/2012). WerdendieverstreutindenBerichteingefügtenInformationenzuOstdeutschlandzusammenbetrachtet,zeigtsichnebendersozialenunverändertaucheineregionaleSpaltungDeutschlands.DieNettoeinkommen ostdeutscherhaushaltebetragendurchschnittlichgerademal75prozent deswestniveaus (4.ARB,S.324),dieLöhnesinddeutlichniedriger,die fürostdeutschlandniedrigeren (Branchen-)Mindestlöhneüberschreiten teilweisenichteinmalbeieinervollzeitbeschäftigungdashartz-iv- Niveau (4.ARB,S.222f.),dieArbeitslosenquoteliegtinOstdeutschland fastdoppeltsohochwieimwesten (4.ARB,S.355),dieArmutsrisikoquoteliegtdeutlichhöher (2010nachSOEP-Daten:20ProzentinOstdeutschlandgegenüber12,5ProzentinWestdeutschland,4.ARB,Anhang, S.462). 5.DerDeutscheBundestagbegrüßtdiealternativenArmutsberichtederNationalenArmutskonferenz (nak)unddesdeutschenparitätischenwohlfahrtsverbandes Gesamtverbande.V. (NationaleArmutskonferenz:Dieim
4 Drucksache 17/ Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode Schattensiehtmannicht Schattenbericht,strassenfeger,SonderausgabeOktober2012;DerParitätischeGesamtverband:PositiveTrendsgestoppt,negativeTrendsbeschleunigt.BerichtzurregionalenArmutsentwicklunginDeutschland2012,Berlin2012).BeideBerichtezeigeneinungeschminktesBilddersozialenWirklichkeitinDeutschlandundlieferninsoweitnotwendigeKorrekturendesregierungsoffiziellenArmuts-und Reichtumsberichts. 6.DerBerichtwird,wieseineVorgänger,absehbarpolitischfolgenlosbleiben. EsfehltbeiderBundesregierungderpolitischeWillezueinersozialpolitischenKurskorrektur.BeiverschiedenenAnlässen etwabeiderneufestlegungderregelsätzeundbeiihrerabsageeinerkommissiongegenaltersarmut hatdiebundesregierungdokumentiert,dasssiekeinepolitikzurbekämpfungvonarmutundsozialerungleichheitverfolgenwill.diebundesregierungignoriertdamitdiebefundeihreseigenenberichts,wonacheine großemehrheitindeutschlandmaßnahmenderverringerungvoneinkommensunterschieden zustimmt (4. ARB, S. 327). DementsprechendfehltdemViertenArmuts-undReichtumsberichteinkorrespondierendesProgrammzumsozialenAusgleich,zurUmverteilungvon VermögenundEinkommenvonobennachunten,zurUmverteilungvon ErwerbsarbeitundderdamitverbundenenMöglichkeitenderVermeidung undbekämpfungvonarmutundsozialerausgrenzung.maßnahmenzur steuerlichenheranziehungdervermögendenundunternehmenfehlenvollständig.konkretevorschlägezurvermeidungoderbekämpfungvonarmut undsozialerungleichheit wiesieetwavondemparitätischengesamtverband,dernakoderderfraktiondielinke. (Bundestagsdrucksache17/6389) vorgelegtwurden werdennichtaufgegriffen.imgegenteilbetreibtdie schwarz-gelbebundesregierungeinesozialpolarisierendepolitikderhaushaltskonsolidierung.insbesondereleistungenfürerwerbslosesindentweder massivgekürzt (Arbeitsförderung)oderganzgestrichenworden (etwa:elterngeldoderrentenbeiträgefürsgb-ii-leistungsberechtigte).aufdiese ArtundWeisewirdArmutundsozialeAusgrenzungbefördertundnichtbekämpft. II.DerDeutscheBundestagübernimmtdieVerantwortungfürdieregelmäßige ErstellungeinesArmuts-undReichtumsberichtsfürdieBundesrepublik Deutschland von der Bundesregierung. III. Einsetzung einer unabhängigen Kommission a)derdeutschebundestagberuftzubeginnjederneuenlegislaturperiode einekommissionausunabhängigerwissenschaft,gewerkschaften,verbändensowieinteressenvertretungendervonarmutundsozialerausgrenzung betroffenenpersonenein,umeinewissenschaftlichfundierteundkritische Bestandsaufnahme der sozialen Wirklichkeit in Deutschland zu erarbeiten. b)diekommissionerhälteineigenständigesbürosowieeineigenesbudget, umgutachtenundexpertiseninauftragzugeben.alledokumentewerden zeitnah öffentlich gemacht. c)diekommissionstelltsicher,dassdiekernindikatorenzuarmutund ReichtumauchinzukünftigenBerichtenbeibehaltenundggf.ergänztwerden,umdielangfristigeEntwicklungdarzustellen.DiegängigeKonvention zurdefinitionvonarmutsrisikowirdbeibehalten.dieverteilungdesgesellschaftlichenreichtumswirdimeinklangmitdemberichtstitelstärkerin daszentrumderberichterstattunggerückt.ursachenfürdieungleicheverteilungwerdensowohlfürdieprimär-alsauchfürdiesekundärverteilung analysiert,d.h.diefunktionaleverteilungaufkapitalundarbeitdurchdie
5 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 5 Drucksache 17/12709 Tarifpolitikwirdebensountersucht,wiedieUmverteilungdesgesellschaftlichen Reichtums durch das Steuer-, Abgaben- und Sozialsystem. d)diekommissionintensiviertdieerforschungdesreichtums.analysiert werdensolleninsbesonderea)dieentstehung,b)diekonkreteverwendung undc)dieauswirkungenvonreichtumaufdiewirtschaftlichenundsozialen Macht- und Herrschaftsverhältnisse. e)diekommissionkombiniertdieanalysedersozialenungleichheitmitkonkretenvorschlägenfürmaßnahmenzurreduktiondergesellschaftlichen UngleichheitundzurVermeidungundBekämpfungvonArmutundsozialer Ausgrenzung.DieReduktionderArmutsrisikoquotewirdalsZielvorgegeben und als Indikator für sozialpolitischen Erfolg herangezogen. IV.DerDeutscheBundestagerarbeitetaufGrundlagederEmpfehlungender KommissioneinProgrammzurBekämpfungvonArmutundsozialer Ungleichheit. Berlin, den 13. März 2013 Dr. Gregor Gysi und Fraktion
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