Fall 11: Urheberrechtliche Schranken
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- Matilde Armbruster
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1 Fall 11: Urheberrechtliche Schranken Folgender Sachverhalt hat sich vor einiger Zeit zugetragen: A ist Komponist, dessen künstlerisches Schaffen sich vorrangig auf den Bereich der sakralen Musik konzentriert. Seine Werke werden aufgrund der gelungenen Verbindung von Althergebrachtem und Modernem bei Gottesdiensten gerne wiedergegeben. Obwohl nach 15 UrhG grundsätzlich nur dem Urheber die Verwertung (z.b. Vervielfältigung, Aufführung, Darbieten, öffentlichen Zugänglichmachen) seiner Werke zusteht, erfolgt die Aufführung der Werke ohne Einwilligung des A, der für die Nutzung auch kein Entgelt erhält. Diese Praxis wurde gestützt auf 52 Abs. 2 UrhG (Stand 2010): Zulässig ist die öffentliche Wiedergabe eines erschienenen Werkes auch bei einem Gottesdienst oder einer kirchlichen Feier der Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Eine angemessene Vergütung ist nicht zu zahlen, es sei denn, mit der Veranstaltung wird ein Erwerbszweck verfolgt. A fühlte sich durch diese Beschränkung des alleinigen Verwertungsrechts des Urhebers in seinem Grundrecht der Eigentumsfreiheit verletzt. Er selbst wollte darüber entscheiden, wer seine Werke wiedergeben darf. Und erst recht wollte er eine Gegenleistung. Nach Lektüre des UrhG ist dem juristisch interessierten A aufgefallen, dass das UrhG keine Bestimmung enthält welche die einschränkbaren Grundrechte nennt. Die Verfassungswidrigkeit des 52 Abs. 2 UrhG müsse sich daher schon aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG ergeben. Frage 1: War A durch die Regelung des 52 Abs. 2 UrhG in seinem Grundrecht aus Art. 14 GG verletzt? Frage 2: 52 Abs. 2 UrhG gilt seit Kann A trotzdem eine verfassungsgerichtliche Überprüfung herbeiführen 1
2 Lösungsvorschlag zu Frage 1 A. Verletzung des Art. 14 GG A könnte in dem Grundrecht der Eigentumsfreiheit verletzt sein. I. Schutzbereich 1. Persönlicher Schutzbereich Art. 14 GG enthält keine Beschränkung hinsichtlich des geschützten Personenkreises, es handelt sich daher um ein Jedermann- oder Menschengrundrecht; A als natürliche Person deutscher Staatsangehörigkeit ist Träger des Grundrechts der Eigentumsfreiheit 2. Sachlicher Schutzbereich Art. 14 GG gewährleistet die Eigentumsfreiheit Die Eigentumsfreiheit wäre sachlich nur einschlägig, wenn die musikalischen Werke des A Eigentum im Sinne des Art. 14 GG sind o Eigentum im Sinne des Art. 14 GG ist jedes konkrete vermögenswerte Recht. Der verfassungsrechtliche Begriff des Eigentums wird durch das Grundgesetz nicht vollständig determiniert. Ausweislich des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ist es Aufgabe des Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Damit ist nicht gemeint, dass der Gesetzgeber definiert, was Eigentum als Rechtsbegriff wäre! Der Gesetzgeber legt durch die einfach-gesetzliche Ausgestaltung die Gegenstände fest, die Eigentum sind. Die Definitionshoheit des Gesetzgebers ist lediglich durch die Institutsgarantie und das Gebot angemessener Ausgestaltung beschränkt. o An den geistigen Schöpfungen, in denen sich die Individualität des Schöpfers spiegelt (vgl. 2 Abs. 2 UrhG), lässt die Rechtsordnung das sog. Urheberrecht entstehen (vgl. 1 UrhG). Das Urheberrecht ist ein konkretes vermögenswertes Recht, wie sich insbesondere aus dessen Kommerzialisierbarkeit (vgl. 31 ff. UrhG) ergibt. o Dass die musikalischen Werke des A urheberrechtlichen Schutz begründen, kann unterstellt werden, sodass die Urheberrechte an diesen Werken als Eigentum im Sinne des Art. 14 GG zu qualifizieren sind. Die Eigentumsfreiheit schütz den selbstbestimmten Umgang mit den eigenen Eigentumsobjekten. Der Grundrechtsberechtigte darf sie haben, verwenden, veräußern, kommerzialisieren und Dritte ausschließen. II. Eingriff Ein Eingriff liegt vor, wenn ein grundrechtlich geschütztes Verhalten verkürzt oder erschwert wird 2
3 52 Abs. 2 UrhG gestattet Dritten, das Werk zu nutzen, ohne dass die Zustimmung des Urhebers notwendig wäre. Die gesetzliche Regelung erschwert daher ein Verhalten, dass in den Schutzbereich des Art. 14 GG fällt, nämlich die freie Entscheidung darüber, wer das Werk nutzen darf. Darüber hinaus stellt die Anordnung der entgeltfreien Nutzung einen Eingriff dar, da die wirtschaftliche Verwertung erschwert wird. Der Maßstab für die Rechtfertigung ist abhängig von der Art des Eingriffs. Zu unterscheiden sind einerseits die Inhalts- und Schrankenbestimmung und andererseits die Enteignung. Soweit es sich um eine Enteignung handelt, sind die Kriterien des Art. 14 Abs. 3 GG zu beachten. Sofern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) vorliegt, muss ein angemessener Ausgleich zwischen der aus der Institutsgarantie fließenden Privatnützigkeit und der Gemeinwohlbindung (Art. 14 Abs. 2 GG) erfolgen Abgrenzungslehren: o Nach (aufgegebener) Ansicht des BGH lag eine Enteignung vor, wenn dem Einzelnen durch einen eigentumsbezogenen Eingriff im Vergleich zur Allgemeinheit ein Sonderopfer abverlangt wird (sog. Sonderopfertheorie). o Nach (aufgegebener) Ansicht des BVerwG lag eine Enteignung vor, wenn der staatliche Eingriff durch besondere Schwere oder Tragweite gekennzeichnet ist (sog. Schweretheorie). o Sonderopfertheorie und Schweretheorie sind nur noch von rechtshistorischem Interesse, da weder der BGH noch das BVerwG ihre Ansicht vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Judikatur aufrechterhalten haben. o Seit der Naßauskiesungsentscheidung grenzt das BVerfG beide Formen kategorial ab. Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung ist danach gekennzeichnet durch die generelle und abstrakte Festlegung der Rechte und Pflichten durch den Gesetzgeber. Eine Enteignung ist die vollständige oder teilweise Entziehung einer konkreten Rechtsposition im Sinne des Art. 14 GG. Die Regelung zur erlaubnis- und entgeltfreien Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für kirchlichen Gebrauch regelt in abstrakt-genereller Weise den Inhalt des Urheberrechts. Für alle Urheber und alle urheberrechtlich geschützten Werke gilt diese Regelung. Es liegt daher eine Inhalts- und Schrankenbestimmung vor. o Das BVerfG hat eine Enteignung abgelehnt. o Entzug des Ausschließlichkeitsrechts: 15 Abs. 2 UrhG räumt dem Urheber das ausschließliche Verwertungsrecht ein, d.h. nur er entscheidet (grds.), wer das Werk in körperlicher oder unkörperlicher Form genießen darf. Dieses wird dem Urheber durch die streitgegenständliche Regelung genommen: Er kann nicht mehr darüber bestimmen, wer sein Werk verwerten darf. Das BVerfG 3
4 hat zutreffend festgestellt, dass das Recht aus 15 UrhG von vornherein unter den Schranken der 44 ff. UrhG steht. Es wird somit nichts weggenommen; die Verwertungsrechte bestehen nur innerhalb der Schranken! III. Rechtfertigung 1. Formelle Verfassungsmäßigkeit Die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG. 2. Materielle Verfassungsmäßigkeit a. Verhältnismäßigkeit Der Gesetzgeber ist zur Ausgestaltung des Eigentums berufen (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG). Hierbei hat er der Institutsgarantie des Eigentums, die die grundsätzliche Privatnützigkeit verlangt, und die gem. Art. 14 Abs. 2 GG bestehende Sozialbindung in einen sachgerechten Ausgleich zu bringen. Insoweit ist die Prüfung der Verhältnismäßigkeit angezeigt. Zu beachten ist, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. aa. bb. cc. dd. Legitimes Ziel: o Förderung der Erbauung durch die Religionsausübung als Spezialfall der Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens Geeignetheit: o Zweckförderlichkeit muss vorliegen o Indem urheberrechtlich Werke genutzt werden können, auch ohne vorherige Zustimmung, wird der Gottesdienst gefördert, da die tradierte Gestaltung aus Predigt und Musik, gefördert wird. Erforderlichkeit o Es dürften keine milderen Mittel zur Zweckerreichung vorhanden sein o Freie Verhandlung mit dem Urheber über die Nutzung Der Urheber könnte in Ausübung seiner Privatautonomie die Aufführung beliebig verhindern o Gewaltiger Fundus an sakraler nicht (oder nicht mehr) urheberrechtlich geschützter Musik, da die Schutzdauer 70 Jahre post mortem auctoris beträgt ( 64 UrhG) Aber: die Anteilnahme an zeitgenössischer Musik wird nicht ermöglicht Angemessenheit o Mittel und Zweck müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen o Fehlen des Zustimmungsrechts macht 52 II UrhG nicht unverhältnismäßig: 4
5 Eingriffe in das Verfügungsrecht sind eher mit Gemeinwohlgründen zu rechtfertigen als eine Beschränkung des Verwertungsrechts Mit der Veröffentlichung eines Werkes wird es zu einem das kulturelle und geistige Bild der Zeit mitbestimmenden Faktor ; Topos: sozialer Bezug des geistigen Eigentums Es besteht ein legitimes Interesse der Allgemeinheit, am musikalischen Geistesschaffen der Zeit teilzuhaben o 52 II UrhG ist ohne Entgeltkompensation unangemessen: Urheber hat einen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Anspruch auf die Zuordnung des wirtschaftlichen Nutzen seiner geistigschöpferischen Tätigkeit Es besteht aber kein Anspruch auf die Zuordnung dessen noch so geringen Ergebnisses der Werknutzung, sondern nur auf Zuordnung einer angemessenen Verwertung Eingriffe in das Verwertungsrecht bedürfen aufgrund der Intensität des Eingriffs zur Rechtfertigung gesteigertes öffentliches Interesse Der soziale Bezug allein rechtfertigt nicht, dass kein Entgelt zu leisten ist. Dies wurde einseitig den Art. 14 Abs. 2 GG berücksichtigen. Für kirchliche Musik bestehe außerhalb kirchlicher Veranstaltungen kaum eine Nachfrage, so dass der Urheber bei unentgeltlicher Nutzung keinen wirtschaftlichen Vorteil aus seiner Schöpfung ziehen kann. b. Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG) das Zitiergebot hat in der Auslegung des BVerfG nur einen beschränkten Anwendungsbereich Es gilt nicht für o Vorkonstitutionelle Gesetze o Art. 2 Abs. 1 GG o Ausgestaltungsgesetze (Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 6, Art. 9, Art. 12 Abs. 1 S. 2, Art. 14 GG) o Allgemeine Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG) Da 52 Abs. 2 UrhG ein das Eigentum ausgestaltendes Gesetz ist, muss keine Zitierung des Art. 14 GG erfolgen. Das Zitiergebot ist nicht verletzt. B. Ergebnis Die Regelung des 52 Abs. 2 UrhG ist teilweise verfassungswidrig. Soweit 52 Abs. 2 UrhG die öffentliche Widergabe von der Zustimmungspflicht des Urhebers befreit, ist die Norm mit Art. 14 GG vereinbar. Soweit sie hierfür eine Kompensation in Form eines Entgelts ausschließt, verstößt sie gegen Art. 14 GG. 5
6 Lösung zu Frage 2 Eine Verfassungsbeschwerde scheidet aus, da die Jahresfrist des 93 Abs. 1 BVerfGG verstrichen ist. A könnte jedoch eine inzidente Kontrolle erreichen, indem er einen zivilrechtlichen Prozess gegen einen Nutzer seines Werkes anstrengt (Anspruchsgrundlage für Schadensersatz wäre zb 97 Abs. 1 UrhG oder 812 BGB). Der Richter könnte dann gem. Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren aussetzen und das BVerfG anrufen. Soweit keine inzidente Normenkontrolle vom Gericht verfolgt wird, bliebe dem A die Möglichkeit, gegen das letztinstanzliche Urteil Verfassungsbeschwerde zu erheben. 6
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