Verwaltungsrecht I. 6. Vorlesung. Handlungsformen der Verwaltung II Der Verwaltungsakt Verfahren und Verfahrensfehler. Wintersemester 2015/16
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1 Verwaltungsrecht I Wintersemester 2015/16 6. Vorlesung Handlungsformen der Verwaltung II Der Verwaltungsakt Verfahren und Verfahrensfehler Priv.-Doz. Dr. Ulrich Jan Schröder
2 Handlungsformen der Verwaltung II Programm für heute 1. Verfahren des Erlasses eines Verwaltungsaktes 2. Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verfahrensrecht 2
3 Handlungsformen der Verwaltung II 35 VwVfG Begriff des Verwaltungsaktes. Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. zur Regelung hoheitlich Einzelfallregelung Behörde auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet 3
4 Handlungsformen der Verwaltung II 1. Das Verfahren des Erlasses eines Verwaltungsaktes (VA) Vorüberlegungen Fehlerunabhängige Wirksamkeit + Konkretisierung des Gesetzes: à der Gesetzgeber muss Vorkehrungen treffen, dass Fehler (Rechtsverstöße) möglichst gar nicht erst unterlaufen Beteiligung Betroffener (Anhörungspflicht, 28 VwVfG) Amtsaufklärung ( 24 VwVfG) ggf. Ausübung von Ermessen (vgl. 40 VwVfG) etc. 4
5 Handlungsformen der Verwaltung II 1. Das Verfahren des Erlasses eines Verwaltungsaktes (VA) Vorüberlegungen Fehlerunabhängige Wirksamkeit + Konkretisierung des Gesetzes: à der Gesetzgeber muss für die Akzeptanz der getroffenen Entscheidung sorgen durch Verfahrensregeln zur Fehlervermeidung (s.o.) durch Transparenz Informationsansprüche ( 29 VwVfG) Bekanntgabe des VA ( 41 VwVfG) durch Begründung von VAen ( 39 VwVfG) 5
6 Handlungsformen der Verwaltung II 1. Das Verfahren des Erlasses eines Verwaltungsaktes (VA) Vorüberlegungen à es muss nach Erlass des VA eine Möglichkeit der Fehlerkontrolle (und ggf. der Aufhebung des VA) geben durch Überprüfung seitens der Verwaltung Gegenvorstellung Dienstaufsichtsbeschwerde Widerspruchsverfahren (vgl. 68 VwGO) durch gerichtliche Überprüfung Anfechtungsklage ( 42 I, 113 I 1 VwGO) vorläufiger Rechtsschutz ( 80, 80 a VwGO) 6
7 Handlungsformen der Verwaltung II 1. Das Verfahren des Erlasses eines Verwaltungsaktes (VA) 9 VwVfG Begriff des Verwaltungsverfahrens Das Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes ist die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und auf den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages ein. 7
8 Handlungsformen der Verwaltung II 1. Das Verfahren des Erlasses eines Verwaltungsaktes (VA) Einordnung in das Schema der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines VA I. Ermächtigungsgrundlage II. Formelle Rechtmäßigkeit 1. Zuständigkeit 2. Verfahren 3. Form III. Materielle Rechtmäßigkeit 1. Liegt der Tatbestand der EGL vor? 2. Wird eine richtige Rechtsfolge gewählt? 8
9 1. Das Verfahren des Erlasses eines Verwaltungsaktes (VA) Verschiedene Verfahrensarten mit verschiedenen Verfahrensvorschriften a) Allgemeines bzw. nichtförmliches Verfahren (vgl. 10 VwVfG) b) Förmliches Verfahren gem. 63 ff. VwVfG (sehr selten) c) Planfeststellungsverfahren (für raumbezogene Vorhaben) gem. 72 ff. VwVfG nach Spezialgesetzen (zb 17 BFStrG, das zt wieder auf die 72 ff VwVfG verweist) d) Verfahren über eine einheitliche Stelle ( 71 a-e VwVfG) e) Rechtsbehelfsverfahren ( 79 VwVfG) f) für Massenverfahren gibt es Sondervorschriften zb öffentliche Bekanntmachung (vgl. 41 III, IV VwVfG) 9
10 Handlungsformen der Verwaltung II 1. Das Verfahren des Erlasses eines Verwaltungsaktes (VA) im allgemeinen bzw. nichtförmlichen Verfahren a) ggf. Antragstellung des Privaten (z.b. auf Erlass einer Baugenehmigung); bei Eingriffshandeln Tätigwerden der Behörde auf Antrag/Anregung Dritter oder von Amts wegen (vgl. auch 22 VwVfG) b) Untersuchung des Sachverhalts von Amts wegen ( 24 I 1 VwVfG) à das betrifft Umstände des Tatbestands ebenso wie Umstände mit Relevanz für die Rechtsfolgenseite (ermessensrelevante Umstände) c) Einbeziehung der Beteiligten 10
11 c) Einbeziehung der Beteiligten 28 VwVfG Anhörung Beteiligter Abs.1: Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Definition der Beteiligten in 13 VwVfG Eingriff in Rechte: Abrissverfügung, Erlaubnisaufhebung etc Ablehnung eines Antrags auf Begünstigung? Str. Bsp.: Versagung einer beantragten Gaststättenerlaubnis (Art. 12 GG) BVerwG: bei Rechtskreiserweiterung (-) hier aber: Grundrechte, Kontrollerlaubnis (Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) 11
12 c) Einbeziehung der Beteiligten 28 VwVfG Anhörung Beteiligter Abs.2: Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist, insbesondere wenn 1. eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint; von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder in einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll; 4. die Behörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will; 5. Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen. 12
13 c) Einbeziehung der Beteiligten 28 VwVfG Anhörung Beteiligter Abs. 3: Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht. 13
14 c) Einbeziehung der Beteiligten 29 VwVfG Akteneinsicht durch Beteiligte 25 VwVfG Beratung und Auskunft von Beteiligten durch die Behörde 14
15 d) Abschluss des Verfahrens Erlass eine VA oder Abschluss eines Vertrages (vgl. 9 VwVfG) Erledigung des Begehrens des Privaten bzw. der Angelegenheit (förmliche) Einstellung des Verfahrens (formloses) Fallenlassen des Verfahrens 15
16 Erlass eine VA oder Abschluss eines Vertrages (vgl. 9 VwVfG) Bekanntgabe (grds. 41 VwVfG) einschließlich der Formvorschriften schriftlich/elektronisch/mündlich/anders ( 37 II VwVfG) hinreichend bestimmt ( 37 I VwVfG) Begründung ( 39 I VwVfG) 16
17 Erlass eine VA oder Abschluss eines Vertrages (vgl. 9 VwVfG) Bekanntgabe (grds. 41 VwVfG) Voraussetzung für die rechtliche Existenz des VA vgl. 43 I VwVfG: Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird. 17
18 Erlass eines VA oder Abschluss eines Vertrages (vgl. 9 VwVfG) Bekanntgabe (grds. 41 VwVfG) rechtliche Existenz des VA à nach außen getreten äußere Wirksamkeit à Wirksamkeit gegenüber Adressaten innere Wirksamkeit à Einsetzen des Regelungsgehalts zb: am geht dem A der Bescheid zu, dass ihm mit Wirkung zum die Gaststättenerlaubnis wieder entzogen wird 18
19 Erlass eines VA oder Abschluss eines Vertrages (vgl. 9 VwVfG) Formvorschriften für die Bekanntgabe ( 37 II IV VwVfG) falls Schriftlichkeit vorgeschrieben ist, VA aber mündlich bekannt gegeben wurde: wirksam, aber rechtswidrig falls individuelle Bekanntgabe vorgeschrieben ist, VA aber öffentlich bekannt gegeben wurde ( 41 IV VwVfG): rechtlich nicht existent (Nichtakt, nicht einmal nichtiger VA) 19
20 Besondere Form der Bekanntgabe: förmliche Zustellung 41 V VwVfG: Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung bleiben unberührt. 2 Hessisches Verwaltungszustellungsgesetz (HessVwZG): Zugestellt wird, soweit dies durch Rechtsvorschrift oder behördliche Anordnung bestimmt ist. zb aufgrund von 73 III 1 VwGO: Widerspruchsbescheide dann 1 HessVwZG: Verweis auf VwZG des Bundes - 3, 4 BVwZG: durch die Post - 5 BVwZG: durch die Behörde 20
21 Besondere Form der Bekanntgabe: förmliche Zustellung Mängel bei der Zustellung Heilung nach 8 BVwZG (ggf. ivm 1 I HessVwZG): Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist es unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, gilt es als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist, keine Heilung: grds. keine Bekanntgabe 41 V VwVfG: Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung bleiben unberührt. 21
22 Mängel bei der Zustellung Umdeutung einer (unwirksamen) Zustellung in eine einfache Individualbekanntgabe? Str. eine Ansicht: 8 VwZG meint auch Heilung fehlerhaft gewählter Bekanntgabeart aa: Bekanntgabewille muss sich auch auf Bekanntgabeart beziehen; fehlender Bekanntgabewille kann aber nicht nach 8 geheilt werden dritte Ansicht: Wille eine Frage der Abgabe der Erklärung (vgl. 130 I BGB),Form eine Frage des VA- Zugangs à Heilung nach Grundsätzen von Rechtssicherheit und Verfahrensklarheit sehr restriktiv, kaum Heilungsmöglichkeiten 22
23 Begründung des Verwaltungsaktes vgl. 39 VwVfG Formvorschrift zugleich ergibt sich aus Begründung das Material für die Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit des VA 23
24 2. Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verfahrensrecht (einschl. Zuständigkeits- und Formvorschriften) VA nicht zwingend nichtig (vgl. 44 VwVfG) Rechtswidrigkeit kann geheilt werden ( 45 VwVfG) Rechtswidrigkeit kann unbeachtlich sein ( 46 VwVfG) Umdeutung ( 47 VwVfG) 24
25 2. Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verfahrensrecht (einschl. Zuständigkeits- und Formvorschriften) ein rechtswidriger VA ist nicht zwingend nichtig: vgl. 44 I VwVfG: Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. 44 II VwVfG: bei speziellen Verstößen gegen formelles Recht à Nichtigkeit Nr. 1, 2, 3 44 III VwVfG: keine Nichtigkeit nur wegen speziellen Verstößen Nr
26 2. Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verfahrensrecht (einschl. Zuständigkeits- und Formvorschriften) der nicht nichtige, aber formell rechtswidrige Verwaltungsakt kann geheilt werden durch Nachholung der Verfahrenshandlung 45 I VwVfG: Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach 44 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn 1. der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird; 2. die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird; 3. die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird. 26
27 2. Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verfahrensrecht (einschl. Zuständigkeits- und Formvorschriften) der nicht nichtige, aber formell rechtswidrige Verwaltungsakt kann geheilt werden, 45 I VwVfG Umstritten: Anhörung durch Ausgangsbehörde unterlassen, wird durch (nicht identische) Widerspruchsbehörde nachgeholt Zweck der Nachholung: Möglichkeit der Berücksichtigung wie bei (unterbliebener) Anhörung à Bei Ermessensentscheidungen muss die Ausgangsbehörde nachholen 27
28 2. Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verfahrensrecht (einschl. Zuständigkeits- und Formvorschriften) Nachschieben von Gründen im Verwaltungsprozess Nachholen der (formell unzureichenden bzw. fehlenden) Begründung Nachholen betrifft 39 VwVfG Nachschieben betrifft materielle Rechtmäßigkeit Nachholen der Begründung ist in 45 VwVfG geregelt Nachschieben von Gründen ist in 114 S. 2 VwGO geregelt Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. 28
29 2. Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verfahrensrecht (einschl. Zuständigkeits- und Formvorschriften) Nachschieben von Gründen im Verwaltungsprozess gem. 114 S. 2 VwGO nur Ergänzungen - Ermessen muss überhaupt betätigt worden sein - in der Begründung greifbar - kein neuer Verwaltungsakt - d.h. insbes. kein Austausch der Begründung 29
30 2. Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verfahrensrecht (einschl. Zuständigkeits- und Formvorschriften) Unbeachtlichkeit 46 VwVfG: Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. à inhaltliche Richtigkeit vs. formeller Fehler à keine Kausalität des Fehlers für die Sachentscheidung à 42 SGB X (Parallelnorm) erfasst die Anhörung nicht 30
31 2. Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verfahrensrecht (einschl. Zuständigkeits- und Formvorschriften) Umdeutung 47 I VwVfG: Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. vgl. 140 BGB Umdeutung durch VA/Verwaltung oder kraft Gesetzes 47 III VwVfG: keine Umdeutung einer gebundenen in eine Ermessensentscheidung 31
32 Handlungsformen der Verwaltung II Literaturhinweise Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl., 2011, S , , Ruffert, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl., 2010,
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