5 Die Ito-Formel. 5.1 Herleitung der Ito-Formel
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- Ralph Frank
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1 5 Die Ito-Formel Bei der Anwendung der gewöhnlichen Integralrechnung müssen wir nur selten auf die explizite Definition des Integrals als Limes von Riemann-Summen zurückgreifen. Rechenregeln wie der Hauptsatz der Integralrechnung oder die Substitutionsregel vereinfachen den Umgang mit gewöhnlichen Integralen entscheidend. Auch das Ito-Integral wäre für Anwendungen nur von beschränktem Interesse wenn nicht ein ähnliches Kalkül zur Verfügung stehen würde. Herzstück dieses Kalküls ist die Ito-Formel eigentlich eine Reihe von verwandten Formeln die als Entsprechung des Hauptsatzes der Integralrechnung angesehen werden kann. In ihrer einfachsten Form besagt sie folgendes: Theorem 5.1 (Ito-Formel Einfachste Form). Sei f : R R eine zweifach stetig differenzierbare Funktion. Dann gilt fast sicher. f(b t ) = f() + f (B s )db s f (B s )ds, t R, (5.1) Bei dieser Formel ist vor allem der zweite Integralterm bemerkenswert, durch das sich die Ito-Formel auch in der äußeren Form wesentlich vom Hauptsatz der gewöhnlichen Integralrechnung unterscheidet. Die Ito-Formel hat eine interessante Interpretation als Zerlegung des Prozesses f(b t ) in eine Trendkomponente und in richtungsloses Rauschen. Die erste Integralkomponente ist als Ito-Integral eines L 2 loc-integranden ein lokales Martingal, und besitzt daher (bis auf Lokalisierung) Erwartungswert Null. Die zweite Integralkomponente muss also jeglichen Trend (d.h Ansteigen oder Absteigen der Erwartung) von f(b t ) abbilden. Bei den lokalen Fluktuationen von f(b t ) verhält es sich genau umgekehrt: Der zweite Integralterm hat beschränkte Totalvariation, sodass lokale Variationen höherer Ordnung wie sie ja bei Funktionalen der Brownschen Bewegung zu erwarten sind gänzlich vom ersten Integralterm abgebildet werden müssen. Eine weitere wichtige Beobachtung ist, dass die Integrale auf der rechten Seite der Formel alleine aufgrund der Stetigkeit von f und f wohldefiniert sind; die Erweiterung des Ito-Integrals von H 2 auf L 2 loc hat also Früchte getragen. 5.1 Herleitung der Ito-Formel Wir beweisen die Ito-Formel in mehreren Schritten. Beweis. Schritt 1: Wir nehmen zunächst an, dass die Funktion f kompakten Träger 42
2 hat. Wir setzten t i = it/n und stellen f(b t ) f() als Teleskopsumme dar ( f(b t ) f() = f(bti+1) f(b ti ) ). (5.2) Nachdem f zweifach stetig differenzierbar ist, gilt die Taylorentwicklung: i= f(y) f(x) = f (x)(y x) f (x)(y x) 2 + h(x, y)(y x) 2, x, y R, (5.3) mit h gleichmässig stetig und h(x, x) = für alle x R. Wir setzen (5.3) in (5.2) ein, und erhalten eine Darstellung von f(b t ) f() als Summe dreier Terme I n, J n und K n, gegeben durch und I n = f (B ti )(B ti+1 B ti ), J n = 1 f (B ti )(B ti+1 B ti ) 2 2 i= i= K n = h(b ti, B ti+1 )(B ti+1 B ti ) 2. i= Für den ersten Term folgt aus Theorem 4.3 zur Riemann-Darstellung von stochastischen Integralen wegen der Stetigkeit von f, dass lim I n = n f (B s )db s, in Wahrscheinlichkeit. (5.4) Wir schreiben den zweiten Term J n um, indem wir die Zufallsvariablen (B ti+1 B ti ) 2 zentrieren: J n = 1 f (B ti )(t i+1 t i ) + 1 f (B ti ) { (B ti+1 B ti ) 2 (t i+1 t i ) }. (5.5) 2 2 i= i= Der erste Summand konvergiert mit Wahrscheinlichkeit 1 gegen ein gewöhnliches Integral; es gilt 1 lim f (B ti )(t i+1 t i ) = 1 f (B s )ds. n 2 2 i= Wir schreiben Ĵn für die zweite Summe in (5.5). Mit einem nun schon aus mehreren vorangehenden Beweisen bekannten Argument, beruhend auf der Orthogonalität der 43
3 einzelnen Summanden, erhalten wir 2 E [Ĵ n = 1 4 i= [ E f (B ti ) 2 { (B ti+1 B ti ) 2 (t i+1 t i ) } 2 f 2 t 2 2n, wobei in der letzten Abschätzung Var((B ti+1 B ti ) 2 ) = t2 n Var(B1) 2 = 2 t2 2 n verwendet 2 wurde. Mit der Markovschen Ungleichung folgt aus dieser Abschätzung Ĵn in Wahrscheinlichkeit. Insgesamt gilt also lim n J n = 1 2 f (B s )ds, in Wahrscheinlichkeit. (5.6) Schritt 2: Im nächsten Schritt schätzen wir das Restglied K n ab. Mit der Cauchyschen Ungleichung gilt E [ K n E [ (B ti+1 B ti ) 4 ) 1/2 [ E h 2 (B ti, B ti+1 ) 1/2. i= Für den ersten Faktor erhalten wir E [ (B ti+1 B ti ) 4 ) = t2 n 2 E [ B1 4 3t 2 = n 2. Wegen der gleichmäßigen Stetigkeit von h existiert für jedes ɛ > ein δ >, sodass für alle x, y R mit x y < δ auch h(x, y) < ɛ gilt. Wir können also unter Verwendung der Markovschen Ungleichung folgendermaßen abschätzen: und insgesamt ergibt sich E [ h 2 (B ti, B ti+1 ) ɛ 2 + h 2 P [ B ti+1 B ti δ ɛ 2 + h 2 δ 2 E [ (B ti+1 B ti ) 2 ɛ 2 + h 2 t nδ 2, E [ K n n 3t 2 /n 2 ɛ 2 + h 2 t/(nδ2 ). Es folgt lim sup n E [ K n 3tɛ und wegen der beliebigen Wahl von ɛ > gilt daher lim n E [ K n. Mit der Markovschen Ungleichung folgt schließlich lim K n =, in Wahrscheinlichkeit. (5.7) n Schritt 3: Jede in Wahrscheinlichkeit konvergierende Folge von Zufallsvariablen enthält 44
4 eine fast sicher konvergierende Teilfolge. Nach der Wahl der passenden Teilfolge lassen sich die oben gezeigten Limiten (5.4), (5.6) und (5.7) als fast sichere Grenzwerte auffassen. Wir haben somit gezeigt, dass für Funktionen f mit kompaktem Träger die Ito-Formel für jedes t mit Wahrscheinlichkeit 1 gilt. Anders gesagt haben wir gezeigt, dass die linke Seite der Ito-Formel (5.1) eine Modifikation der rechten ist. Da aber sowohl auf der linken Seite als auch auf der rechte Seite ein stetiger stochastischer Prozess aufscheint, gilt mit Lemma 1.1 eine stärkere Aussage, nämlich Gleichheit bis auf Ununterscheidbarkeit. Es gilt nun nur noch, die Annahme des kompakten Trägers von f loszuwerden. Dazu verwenden wir Lokalisierung: Für jedes f C 2 (R) können wir eine Funktion f m C 2 (R) mit kompaktem Träger finden, welche für x m mit f übereinstimmt. Nach dem bisher Gezeigten gilt also f m (B t ) = f m () + f m(b s )db s f m(b s )ds, t R. Wir definieren eine lokalisierende Folge von Stoppzeiten τ m = inf {t > : B t m}. Auf der Menge {ω : t τ m (ω)} gilt f (B s ) = f m(b s ) und nach dem Theorem zum Stoppen unter dem Integralzeichen auch Genauso gilt auf {ω : t τ m (ω)} f (B s )db s = f m(b s )db s. f(b t ) = f m (B t ) und f (B s )ds = f m(b s )ds, und daher schließlich auch die Ito-Formel (5.1) für f. Wir bilden den Grenzwert m und erhalten wegen τ m fast sicher die Gültigkeit der Ito-Formel mit Wahrscheinlichkeit Erste Folgerungen und Anwendungen Eine erste Verallgemeinerung der Ito-Formel erhalten wir wenn wir Funktionen f : R R R betrachten welche von einer Zeit- und einer Ortskomponente abhängen. Theorem 5.2 (Ito-Formel mit Zeitabhängigkeit). Sei f C 1,2 (R R). Dann gilt f t f(t, B t ) = f(, ) + t (s, B f s)ds + x (s, B s)db s f 2 x 2 (s, B s)ds (5.8) fast sicher. 45
5 Die Notation C 1,2 (R R) bezeichnet dabei Funktionen die in der ersten Variable einmal stetig differenzierbar, in der zweiten Variable zweimal stetig differenzierbar sind. Der Beweis wird wie für Theorem 5.1 geführt, nur wird die gemischte Taylorentwicklung verwendet. f(s, y) f(t, x) = (s t) f (t, x) + (y x) f (t, x)+ t x (y x)2 2 f + 2 x 2 (t, x) + (s t)(y x)2 h(s, t, x, y) Aus der Ito-Formel mit Zeitabhängigkeit ergibt sich eine interessante Folgerung. Korollar 5.3. Sei f C 1,2 (R R) eine Funktion die f t = 1 2 f 2 x 2 (5.9) erfüllt. Dann ist X t = f(t, B t ) ein lokales Martingal. Gilt weiters E [ T so ist X ein Martingal auf [, T. ( ) 2 f x (t, B t) dt <, (5.1) Dieses Resultat stellt einen Zusammenhang zwischen der partiellen Differentialgleichung (5.9) und Eigenschaften des stochastischen Prozesses X her. Diese Verbindung zwischen partiellen Differentialgleichungen (PDEs) und stochastischen Prozessen erweist sich als äußerst fruchtbar und wir werden sie in den Kapiteln 7, 1 und 11 weiter verfolgen. Beweis. Unter Voraussetzung (5.9) folgt aus der Ito-Formel mit Zeitabhängigkeit f X t = f(t, B t ) = f(, ) + x (s, B s)db s. Da Ito-Integrale lokale Martingale sind, ist auch X eines. Unter Voraussetzung (5.1) ist der Integrand sogar in H 2 [, T und es folgt die Martingaleigenschaft von X auf [, T. Als erste Anwendung von Korollar 5.3 betrachten wir den aus Abschnitt 2.4 wohlbekannten Prozess ) M t = exp (ϑb t ϑ2 2 t, θ R. 46
6 ( ) Er lässt sich mit f(t, x) = exp ϑx ϑ2 2 t als M t = f(t, B t ) schreiben. Es gilt f t = 1 2 ϑ2 f und 2 f x 2 = ϑ2 f, die Funktion f erfüllt also die PDE (5.9) und M ist ein lokales Martingal. Da auch Bedingung (5.1) erfüllt ist, haben wir erneut nachgewiesen, dass M ein Martingal ist. Als nächstes kehren wir zu dem ebenfalls in Abschnitt 2.4 behandelten Problem der Austrittszeit der Brownschen Bewegung aus einem Intervall ( b, a) zurück. Diesmal jedoch untersuchen wir die (skalierte) Brownsche Bewegung mit Drift, das heisst den Prozess X t = σb t + µt, σ >, µ R. Wie zuvor definieren wir die Stoppzeit τ := inf {t > : X t = a oder X t = b}, a, b > und sind an der Wahrscheinlichkeit interessiert dass X τ = a gilt. Die Lösung aus Abschnitt 2.4 legt es Nahe ein Martingal M der Form M t = h(x t ) zu suchen. Wenn M zudem beschränkt ist, und h die Randbedingungen h( b) = und h(a) = 1 erfüllt, so erhalten wir mit optionalem Stoppen E [M τ = E [M und somit P [X τ = a = h(). Wir müssen also überprüfen, wann M t = h(x t ) = h(σb t + µt) ein Martingal ist. M ist von der Form f(t, B t ) mit f(t, x) = h(σx + µt). Wir wenden Korollar 5.3 an, und erhalten aus der PDE-Bedingung µh (σx + µt) = σ2 2 h (σx + µt). Die partielle Differentialgleichung reduziert sich also auf eine gewöhnliche Differentialgleichung für h, für die wir auch noch die Randbedingungen h( b) = und h(a) = 1 vorgegeben haben. Nach einmaliger Integration ergibt sich eine lineare Differentialgleichung, welche sich einfach lösen lässt und wir erhalten h(x) = exp( 2µx/σ2 ) exp(2µb/σ 2 ) exp( 2µa/σ 2 ) exp(2µb/σ 2 ). (5.11) Die Wahrscheinlichkeit, dass die Brownsche Bewegung mit Drift X t = σb t + µt also a 47
7 vor b erreicht ist P [X τ = a = exp( 2µb/σ 2 ) 1 exp( 2µ(a + b)/σ 2 ) 1. Beachte, dass sich dieses Ergebnis als P [X τ = a = W (b) W (a + b) schreiben lässt, mit W (x) = 1 µ (1 exp( 2µx/σ2 ). Für µ ergibt sich W (x) = 2x und somit die bekannte Lösung für den Fall ohne Drift. Die Funktion W heisst Skalenfunktion von X t = σb t + µt. Eine interessante Folgerung ergibt sich nun mit b. Im Grenzfall wird aus der Wahrscheinlichkeit a vor b zu erreichen die Wahrscheinlichkeit a überhaupt in endlicher Zeit jemals zu erreichen. Diese Wahrscheinlichkeit lässt sich mit dem Supremumsprozess von X ausdrücken und wir erhalten [ P sup X t a t Im Fall µ < folgt daraus [ P sup X t a t = 1 lim b exp( 2µb/σ 2 ) 1 exp( 2µ(a + b)/σ 2 ) 1. = 1 exp(2µa/σ 2 ), a >, µ <. Die Verteilung des ultimativen Supremums sup t X t von X ist also im Fall µ < eine Exponentialverteilung mit Mittelwert σ2 2 µ. Ein alternativer Zugang zum Austrittsproblem für Brownsche Bewegung mit Drift wird sich in einem späteren Kapitel mit dem Satz von Girsanov ergeben. 5.3 Die multivariate Ito-Formel und Anwendungen Bevor wir zur multivariaten Ito-Formel kommen, bietet es sich an die Differentialschreibweise der Ito-Formel einzuführen. Nach der Ito-Formel mit Zeitabhängigkeit können wir den Prozess X t = f(t, B t ) mit f C 1,2 (R, R) als f t X t = X + t (s, B f s)ds + x (s, B s)db s f 2 x 2 (s, B s)ds (5.12) schreiben. Diese Formel schreiben wir ab nun in Differentialschreibweise als dx t = f t (t, B t)dt + f x (t, B t)db t f 2 x 2 (t, B t)dt. (5.13) 48
8 Die Motivation diese Schreibweise einzuführen ist ähnlich wie für die Leibnizsche Notation für Differentialquotienten in der gewöhnlichen Analysis: Sie ist kurz, prägnant und erlaubt eine für die Intuition hilfreiche Interpretation von dx t als infinitesimal kleine Differenz X t+ t X t. Dennoch sollte man sich immer bewusst sein, dass die mathematisch korrekte Leseart der Gleichung eben die Integralgleichung und damit die Rückführung auf das Ito-Integral ist. Um die multivariate Ito-Formel einzuführen machen wir folgende Definition Definition. Die d-dimensionale Brownsche Bewegung ist der R d -wertige stochastische Prozess B t = ( B 1 t,..., B d t ), wobei B 1,..., B d unabhängige (eindimensionale) Brownsche Bewegungen sind. Es sollte in den meisten Fällen aus dem Zusammenhang klar sein, ob B nun eine eindimensionale oder eine d-dimensionale Brownsche Bewegung bezeichnet. Die Brownsche Standardfiltration der d-dimensionalen Brownschen Bewegung ist die Filtration die von B 1,..., B d gemeinsam mit allen P-Nullmengen erzeugt wird. Wir betrachten nun Funktionen f : R R d R; (t, x) f(t, x) mit einer Zeitund einer d-dimensionalen Ortskomponente. Es sei an die Notation für den Gradienten von f, und f = ( f,, f ) x 1 x d f = 2 f x f 1 x 2 d für den Laplace-Operator erinnert. Es gilt folgendes Resultat: Theorem 5.4 (Multivariate Ito-Formel). Sei f C 1,2 (R R d ) und B eine d- dimensionale Brownsche Bewegung. Dann gilt df(t, B t ) = f t (t, B t)dt + f(t, B t )db t f(t, B t)dt. Das Zusammentreffen zweier Vektoren in f(t, B t )db t ist als Vektorprodukt zu lesen. Der Beweis der Multivariaten Ito-Formel erfolgt analog zum Beweis der einfachen Ito-Formel; diesmal unter Verwendung der multivariaten Taylorentwicklung und der Unabhängigkeit der einzelnen Brownschen Bewegungen B 1,..., B d. Ähnlich wie im 49
9 letzten Abschnitt ergibt sich aus der multivariaten Ito-Formel eine Verbindung zu partiellen Differentialgleichungen. Korollar 5.5. Sei f : R d R eine zweifach stetig differenzierbare Funktion, welche die Laplace-Gleichung f = (5.14) erfüllt und B eine d-dimensionale Brownsche Bewegung. Dann ist X t = f(b t ) ein lokales Martingal. Funktionen die auf einem Gebiet D die Laplace-Gleichung f = erfüllen, heissen auch harmonische Funktionen. Wir wollen nun die multivariate Ito-Formel verwenden um ein Phänomen der Brownschen Bewegung zu zeigen, das der Mathematiker George Pòlya folgendermaßen beschrieben hat: Ein betrunkener Mensch findet immer nach Hause; ein betrunkener Vogel möglicherweise nie. Diese Aussage spielt auf das unterschiedliche Verhalten der Brownschen Bewegung (der Pfad des Betrunkenen) in Dimension 2 und Dimension 3 an. Das mathematische Äquivalent der Aussage ist: Die Brownsche Bewegung ist in Dimension 2 rekurrent; in Dimension 3 jedoch transient. Rekurrenz und Transienz haben folgende Bedeutung: Wir starten einen stochastischen Prozess X im Ursprung und betrachten eine offene Kugel B r von beliebigem Radius r > um den Startpunkt. Wenn der Prozess nach dem erstmaligen Verlassen von B r mit Wahrscheinlichkeit 1 in endlicher Zeit wieder nach B r zurückkehrt, so heisst er rekurrent. Wenn der Prozess nach dem erstmaligen Verlassen von B r mit strikt positiver Wahrscheinlichkeit nie mehr nach B r zurückkehrt, so heisst er transient. Wir zeigen zuerst die Rekurrenz der 2-dimensionalen Brownschen Bewegung. Betrachte die Funktion f(x) = log x = log x x2 2, definiert auf R2 \ {}. Wie sich einfach nachrechnen lässt, ist f eine harmonische Funktion. Wir wählen < r < R und betrachten den Kreisring A = { x R 2 : r < x < R }. Durch skalieren von f erhalten wir die Funktion log R log x h(x) = log R log r, 5
10 welche harmonisch auf A ist und folgende Randbedingungen erfüllt: h(x) = { 1, wenn x = r, wenn x = R. Wir wählen einen beliebigen Punkt x A und definieren τ r = inf {t > : B t + x = r}, τ R = inf {t > : B t + x = R} und τ = τ r τ R. Diese Stoppzeiten entsprechen den Austrittszeiten der in x A gestarteten Brownschen Bewegung aus dem Kreisring A am inneren, äußeren bzw. an einem beliebigen Rand. Aus der multivariaten Ito-Formel und der harmonischen Eigenschaf von h erhalten wir, dass h(b t τ + x ) ein lokales Martingal ist. Als beschränktes lokales Martingal ist es sogar ein echtes Martingal und wir erhalten mit t und dominierter Konvergenz E [h(b τ + x ) = h(x ) = log R log x log R log r. Aufgrund der Randbedingungen an h gilt aber auch E [h(b τ + x ) = P [τ r < τ R und die obige Gleichung gibt uns die Wahrscheinlichkeit an, dass die bei x A gestartete 2-dimensionale Brownsche Bewegung den inneren Rand des Kreisrings A erreicht (und somit in die offene Kugel B r eintritt!) bevor sie den äußeren Rand erreicht. Um nun die Wahrscheinlickeit zu berechnen, dass die Brownsche Bewegung überhaupt jemals die offene Kugel B r erreicht, lassen wir R gegen unendlich gehen und erhalten P [τ r < = lim P [τ log R log x r < τ R = lim = 1, R R log R log r was die Rekurrenz der 2-dimensionalen Brownschen Bewegung zeigt. Als nächstes wenden wir uns der Transienz der 3-dimensionalen Brownschen Bewegung zu. Der Allgemeinheit halber betrachten wir gleich die d-dimensionale Brownsche Bewegung mit d 3. Wir stellen fest, dass nun die Funktion f(x) = x 2 d = ( d i=1 x2 i ) (2 d)/2, definiert auf R 2 \{} eine harmonische Funktion ist. Durch skalieren erhalten wir mit h(x) = R2 d x 2 d R 2 d r 2 d, eine harmonische Funktion auf der Hohlkugel A = { x R d : r < x < R }, die eben- 51
11 falls den Randbedingungen h(x) = { 1, wenn x = r, wenn x = R genügt. Dasselbe Martingalargument wie zuvor liefert P [τ r < τ R = E [h(b τ + x ) = h(x ) = R 2 d x 2 d R 2 d r 2 d, für x A. Mit R ergibt sich ( ) d 2 r P [τ r < = lim P [τ r < τ R = < 1 R x und die Transienz der d-dimensionalen Brownschen Bewegung für d 3 ist gezeigt. 5.4 Ito-Prozesse Bis jetzt haben wir uns bei der Ito-Formel auf Funktionen f(t, B t ) der Brownschen Bewegung beschränkt. Nun wollen wir den Fall f(t, X t ) behandeln, wobei der Prozess X selbst durch ein stochastisches Integral gegeben ist. Die resultierende Formel ist die stochastische Ensprechung der Substitutionsregel, bzw. in Differentialnotation betrachtet, der Kettenregel. Zuerst definieren wir die geeignete Klasse von Prozessen X. Definition. Ein eindimensionaler Ito-Prozess ist ein stochastischer Prozess der Gestalt X t = x + a(ω, s)ds + wobei a und b reellwertige, adaptierte stochastischer Prozesse mit b(ω, s)db s (5.15) [ [ P a(ω, s) ds < = 1 und P b(ω, s) 2 ds < = 1, t (5.16) sind. Die Bedingungen (5.16) garantieren, dass sowohl das gewöhnliche als auch das Ito- Integral in (5.15) mit Wahrscheinlichkeit 1 wohldefiniert und endlich sind. Wenn nun f(ω, t) ein weiterer adaptierter stochastischer Prozess ist, mit den Eigenschaften [ [ P a(ω, s)f(ω, s) ds < = 1 und P (b(ω, s)f(ω, s)) 2 ds < = 1, (5.17) 52
12 dann können wir ein stochastisches Integral von f(ω, t) bezüglich X folgendermaßen definieren f(s, ω)dx s := f(ω, s)a(ω, s)ds + f(ω, s)b(ω, s)db s. Diese Konvention liest sich erheblich leichter in Differentialnotation. Da besagt sie nämlich dass wir dx t = a(ω, t)dt + b(ω, t)db t unter der Integrierbarkeitsbedingung (5.17) in die Gleichung f(ω, t)dx t = f(ω, t)a(ω, t)dt + f(ω, t)b(ω, t)db t überführen dürfen. Wir können nun eine verallgemeinerte Form der Ito-Formel für Funktionen f(t, X t ) eines eindimensionalen Ito-Prozesses X angeben. Theorem 5.6 (Ito-Formel für Ito-Prozesse). Sei X ein eindimensionaler Ito-Prozess und f C 1,2 (R R). Dann ist auch f(t, X t ) ein Ito-Prozess und es gilt df(t, X t ) = f t (t, X t)dt + f x (t, X t)dx t f 2 x 2 (t, X t)b(ω, t) 2 dt. Der Beweis der Ito-Formel für Ito-Prozesse läuft nach dem selben Schema ab wie der Beweis der Ito-Formel für Brownsche Bewegung. Die entscheidende Beobachtung ist, dass wir statt der Martingaleigenschaft von B 2 t t welche im Beweis der Ito-Formel für Brownsche Bewegung benötigt wird nun verwenden können dass der Prozess ( ) 2 b(ω, s)db s b(ω, s) 2 ds ein lokales Martingal ist, was wir durch die bedingte Ito-Isometrie bereits nachgewiesen haben. Die Ito-Formel für Ito-Prozesse lässt sich in noch prägnantere Form bringen wenn wir auf den quadratischen Variationsprozess von X zurückgreifen. Definition. Sei X ein stochastischer Prozess, und P eine Partition von [, t. Die quadratische Variation von X entlang der Partition P ist gegeben durch Q P (X) t = (X ti+1 X ti ) 2. t i P 53
13 Wenn für jede Partitionsfolge (P n ) n N mit P n der Limes [X, X t := lim Q P n(x) t, in Wahrscheinlichkeit P n existiert und für alle Partitionsfolgen fast sicher den gleichen Wert annimmt, so heisst [X, X t quadratische Variation von X und t [X, X t quadratischer Variationsprozess von X. Wie wir nächsten Abschnitt zeigen werden existiert die quadratische Variation eines Ito-Prozesses und es gilt [X, X t = b(ω, s) 2 ds. Damit können wir die Ito-Formel für Ito-Prozesse folgendermaßen umschreiben: Korollar 5.7 (Ito-Formel für Ito-Prozesse alternative Form). Sei X ein Ito-Prozess und f C 1,2 (R R). Dann ist auch f(t, X t ) ein Ito-Prozess und es gilt df(t, X t ) = f t (t, X t)dt + f x (t, X t)dx t f 2 x 2 (t, X t)d[x, X t. Schließlich betrachten wir noch die multivariate Verallgemeinerung der Ito-Formel für Ito-Prozesse. Definition. Sei B eine d-dimensionale Brownsche Bewegung, und seien a(ω, t) und b(ω, t) adaptierte stochastische Prozesse, welche Werte in R k bzw. den k d-matrizen R (k d) annehmen. Weiters gelte mit ρ(ω, t) = b(ω, t)b(ω, t) [ [ P a i (ω, s) ds < = 1 und P ρ ii (ω, s)ds < = 1 (5.18) für alle i {1,..., k}. Dann heisst der R k -wertige Prozess X t = x + (multivariater) Ito-Prozess. a(ω, s)ds + b(ω, s)db s Der Leser ist an dieser Stelle aufgefordert sich zu überzeugen, dass die Dimensionen sämtlicher Vektoren und Matrizen in obiger Definition tatsächlich zusammenpassen. Die Brownsche Bewegung, und die Prozesse X und a sind dabei als Spaltenvektoren zu betrachten. Um die Ito-Formel für den multivariaten Ito-Prozess X zu formulieren benötigen wir noch die quadratische Kovariation [X i, X j seiner Komponenten (X 1,..., X k ). Diese ist analog zur quadratischen Variation über den Limes in Wahr- 54
14 scheinlichkeit der Summen C P (X i, X j ) t = (Xt i l+1 Xt i l )(X j t l+1 X j t l ) t l P definiert. Für Ito-Prozesse existiert die quadratische Kovaration, und es gilt [X i, X j t = ρ ij (s, ω)ds mit ρ(ω, s) = b(ω, s)b(ω, s). Theorem 5.8 (Ito-Formel für multivariate Ito-Prozesse). Sei X ein k-dimensionaler Ito-Prozess und f C 1,2 (R R k ). Dann ist auch f(t, X t ) ein Ito-Prozess und es gilt df(t, X t ) = f t (t, X t)dt + f(t, X t )dx t k i,j= 2 f x i x j (t, X t )d[x i, X j t. Im Spezialfall k = 2 und f(y, z) = yz ergibt sich eine Formel die als partielle Integration für das Ito-Integral gelesen werden kann. Korollar 5.9. Es sei (Y, Z) ein R 2 -wertiger Ito-Prozess. Dann gilt Y t Z t = Y Z + Y s dz s + Z s dy s + [Y, Z t. 5.5 Die quadratische Variation von Ito-Prozessen In diesem Abschnitt beweisen wir die zuvor aufgestellten Behauptungen über die quadratische Variation von Ito-Prozessen. Theorem 5.1. Sei X ein eindimensionaler Ito-Prozess mit der Darstellung X t = x + a(ω, s)ds + b(ω, s)db s. Dann existiert die quadratische Variation von X und ist gegeben durch [X, X t = b(ω, s) 2 ds. Für den Beweis verwenden wir folgendes Lemma: Lemma Sei a(ω, s) ein stochastischer Prozess mit a(ω, s) ds < fast sicher. Dann ist der quadratische Variationsprozess von A = a(ω, s)ds gleich. 55
15 Beweis. Wir betrachten den Stetigkeitsmodul { s } R δ (ω) := sup a(ω, u) du : r, s [, t und r s < δ. r Aufgrund der Stetigkeit von s s a(ω, u) du gilt lim δ R δ = fast sicher. Aus der Abschätzung Q P (A) t = t i P (i+1 folgt mit P die Behauptung. t i ) 2 a(ω, s)ds R P a(ω, s) ds Beweis von Theorem 5.1. Schritt 1: Wir Zerlegen den Prozess X in X t = x +A t +Z t mit A t = a(ω, s)ds und Z t = b(ω, s)db s. Zunächst nehmen wir an, dass eine Konstante C existiert, sodass Z s C und b(ω, s) 2 ds C,, s t (5.19) fast sicher gilt und zeigen die Abschätzungen und sup E [ Q 2 P(Z) t 12C 2 E [ (Z t Z ) 2 (5.2) P lim P i=1 n E [ (Z ti+1 Z ti ) 4 =. (5.21) Da das lokale Martingal Z beschränkt ist, ist es ein echtes Martingal und es gilt E [ (Z tj+1 Z tj ) 2 Fti = E [E [Z 2 tj+1 2Z tj+1 Z tj + Z 2 tj Ftj Fti = = E [Z 2 tj+1 Z 2 tj Fti für alle i j in {1,..., n}. Daraus folgt, dass E (Z tj+1 Z tj ) 2 F t i = E (Zt 2 j+1 Zt 2 j ) F t i = E [ Zt 2 Zt 2 Fti i 4C 2. j=i j=i (5.22) 56
16 Das Quadrat von Q P (Z) t lässt sich umschreiben als Q P (Z) 2 t = (Z ti+1 Z ti ) (Z ti+1 Z ti ) 2 i= i= und nach mehrfacher Anwendung von (5.22) erhalten wir E [ Q P (X) 2 t 4C 2 E [ (Z ti+1 Z ti ) 2 + 8C 2 E i= = 12C 2 E [ (Z t Z ) 2 j=i+1 [ (Z tj+1 Z tj ) 2 (Z ti+1 Z ti ) 2 = wie in (5.2) behauptet. Als nächstes betrachten wir den Stetigkeitsmodul i= R δ (ω) := sup { Z r Z s : r, s [, t und r s < δ}. Es gilt R δ 2C und aufgrund der Stetigkeit der Pfade t Z t (ω) auch lim δ R δ = fast sicher. Wir schätzen mit [ n [ E (Z ti+1 Z ti ) 4 E R P 2 E [ Q 2 P(Z) t i=1 ab. Der Term E [ [ Q 2 P (Z) t ist durch 12C 2 beschränkt; mit dominierter Konvergenz gilt lim P E R P 2 = und wir folgern (5.21). Schritt 2: Definiere P = Q P (Z) t ( i+1 ) b(ω, s)ds = (Z ti+1 Z ti ) 2 b 2 (ω, s)ds. t i i= Wir wollen zeigen dass lim P P = in Wahrscheinlichkeit gilt. Aus der Martingaleigenschaft von Zt 2 b(ω, s)ds folgern wir die Orthogonalität der Summanden und erhalten E [ [ 2 ( i+1 ) 2 P = E (Z Z ti+1 t )2 i b 2 (ω, s)ds. t i i= Mit der Ungleichung (x + y) 2 2x 2 + 2y 2 folgt E [ 2 P 2 E [ [ (Z ti+1 Z ti ) 4 (i E i= i= t i ) 2 b 2 (ω, s)ds. Wir haben bereits in Schritt 1 gezeigt, dass der erste Summand gegen konvergiert. 57
17 Für den zweiten Summanden betrachten wir den Stetigkeitsmodul { s } R δ(ω) := sup b 2 (ω, u)du : r, s [, t und r s < δ. r Wieder gilt R δ C und lim δ R δ = fast sicher. Wir folgern [ (i+1 E i= t i ) 2 [ [ [ b 2 (ω, s)ds E R P E b 2 (ω, s)ds CE R P und damit E [ 2 P. Es folgt die Konvergenz lim Q P(Z) t P b 2 (ω, s)ds, in Wahrscheinlichkeit. Schritt 3: Wir kehren nun zum Prozess X t = x + A t + Z t zurück. Für diesen können wir Q P (X) t = Q P (A) t + Q P (Z) t + C P (A, Z) t, schreiben, mit C P (A, Z) t = i= (i+1 t i ) (i+1 ) a(ω, s)ds b(ω, s)db s. t i Nach Lemma 5.11 gilt Q P (A) t ; mit der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung erhalten wir C P (A, Z) 2 t Q P (A) t Q P (Z) t und damit C P (A, Z). Insgesamt haben wir nun lim Q P(X) t = P b(ω, s) 2 ds gezeigt, unter den Beschränktheitsvoraussetzungen in (5.19). Schritt 4: Der letzte Schritt ist ein Lokalisierungsargument um die Annahmen (5.19) aufzuheben. Dieses Argument soll hier nicht näher ausgeführt werden, siehe z.b. Steele [23, Seiten 132f. 58
18 Mit einem ähnlichen Beweis lässt sich auch folgende multivariate Verallgemeinerung zeigen. Theorem Sei X ein k-dimensionaler Ito-Prozess mit der Darstellung X t = x + a(ω, s)ds + b(ω, s)db s. Dann existieren die quadratischen Kovariationen [X i, X j t und sind gegeben durch [X i, X j t = mit ρ(ω, t) = b(ω, t)b(ω, t). ρ ij (ω, s)ds, i, j {1,..., k} 59
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