über Arbeitsunfall vom Samstag, 10. November 2007 in Gwatt

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1 Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe UUS Service d enquête sur les accidents des transports publics SEA Servizio d inchiesta sugli infortuni dei trasporti pubblici SII Investigation bureau for railway-, funicular and boat accidents Joseph Zeder Reg. Nr.: Schlussbericht der Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe über Arbeitsunfall vom Samstag, 10. November 2007 in Gwatt Joseph Zeder Monbijoustr. 51 A 3003 Bern Tel , Fax , mobile joseph.zeder@uus.admin.ch

2 Dieser Bericht wurde ausschliesslich zum Zweck der Verhütung von Unfällen beim Betrieb von Eisenbahnen, Seilbahnen und Schiffen erstellt. Die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Unfällen ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gemäss Art. 25 der Verordnung über die Meldung und Untersuchung von Unfällen und schweren Vorfällen beim Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel (VUU, SR ). 0 ALLGEMEINES 0.1 Kurzdarstellung In der Nacht Freitag/Samstag, 9./10. November 2007 waren Bauarbeiter daran, auf der Strecke Einigen Gwatt Elemente von Lärmschutzwänden abzuladen. Bei der Rückfahrt um ca Uhr in den Bahnhof Gwatt als Rangierfahrt wurde bei einer Schnellbremsung ein Mitarbeiter einer Baufirma auf einem Bauwagen von einem nicht gesicherten Bauelemente-Schlitten erdrückt und tödlich verletzt. 0.2 Untersuchung Die Unfalluntersuchungsstelle UUS wurde um 05:03 Uhr durch die Meldestelle REGA über das Ereignis informiert. Die Rückfrage bei der Infrastrukturbetreiberin BLS ergab die Notwendigkeit eines Untersuchs. Der dienstleistende Pikettdienst bot in der Folge den näher zum Unfallort wohnende Berichterstatter auf. Der Untersuchungsbericht der UUS fasst die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen zusammen (Art. 25 VUU). Thun Bahnhof Gwatt Situationsplan Unfallort Einigen-Spiez Twix Route 2/11

3 1 FESTGESTELLTE TATSACHEN 1.1 Vorgeschichte Eine private Baufirma hatte den Auftrag an der Strecke Einigen Gwatt Lärmschutzwände aufzustellen. Zu diesem Zweck und zum Transport der Bauelemente wurden ehemalige SBB-Wagen in einen Kranwagen und in zwei mit Spezialaufbauten versehene Transportwagen umgebaut. Diese drei Wagen waren beim Bundesamt für Verkehr (BAV) angemeldet, jedoch von diesem noch nicht genehmigt. Sie wurden in dieser Nacht zum ersten Mal in dieser Bestimmung eingesetzt. Der für die Bedienung des Krans und der Transportwagen verantwortliche Mitarbeiter wurde, gemäss Aussagen der betreffenden Firma, am Vortag während einer Stunde über die Funktionsweise der Fahrzeuge instruiert. Da die Wagen noch nicht abgenommen worden waren, war das Benützerhandbuch auch erst im Entwurf vorhanden. Der Einsatz dieser Wagen in dieser Nacht erfolgte instruktionshalber. Kranwagen und Transportwagen Fotos: UUS; zej 1.2 Verlauf der Fahrt Nach erfolgtem Ablad der Lärmschutzelemente fuhr der Bauzug in Rangierfahrt mit einem Traktor (Tm), dem Kranwagen sowie einem Transportwagen zurück zum Bahnhof Gwatt. Auf dem Bauzug befanden sich zwei Mitarbeiter der BLS (Lokführer und Begleiter) sowie zwei Mitarbeiter der Baufirma (der Bediener des Krans sowie ein Mitarbeiter in Instruktion). Unterwegs mussten sie an drei Stellen Erdungsstangen entfernen. Kurz vor der dritten kam der Bauzug plötzlich durch eine nicht beabsichtigte Schnellbremsung zum Stehen. Dadurch geriet der auf dem zweiten Wagen (Transportwagen) montierte Schlitten in Bewegung und erdrückte einen sich auf diesem Wagen befindenden Mitarbeiter der Baufirma. Er erlitt dabei tödliche Verletzungen. Kopfteil Schlitten Antriebsmotoren für Schlitten Foto: UUS, zej 3/11

4 1.3 Personenschäden Bahnpersonal Reisende Drittpersonen Leicht Verletzte Schwer Verletzte Tödlich Verletzte Sachschäden am Rollmaterial und an der Infrastruktur des Bahnunternehmens Am Rollmaterial der BLS AG entstanden keine Schäden 1.5 Sachschäden Dritter Am Rollmaterial der Baufirma entstanden nur kleine Schäden (z.b.: Endschalter). 1.6 Beteiligte Personen Lokführer Lokführer C-100, BLS Begleiter Gleismonteur BLS Dritte Mitarbeiter der Baufirma tödlich verletzter Kranführer Baufirma 3600 Thun 1.7 Schienenfahrzeuge Eigentümer: Schienentraktor: BLS AG, Genfergasse 11, 3011 Bern Zugskomposition: Tm + 1 Kranwagen + 1 Transportwagen Triebfahrzeug: Tm Zugsgewicht: 52 t Ausgeschaltete Bremsapparate: keine 4/11

5 1.8 Strassenfahrzeuge Es waren keine Strassenfahrzeuge mitbeteiligt. 1.9 Wetter, Schienenzustand Nacht, kalt; Schienen trocken Bahnsicherungssysteme Die Strecke Spiez Gwatt Thun wird über die Leittechnik "ILTIS" vom Fernsteuerzentrum Spiez aus ferngesteuert. Der Schienentraktor ist mit dem mechanischen Sicherheitsapparat MFO (Totmannpedal) und mit der automatischen Zugsicherung (Signum Typ WAA 2/11 36 VDC) mit Magnetfeldsonde ausgerüstet. Die Bahnsicherungssysteme haben normal funktioniert und waren nicht unfallrelevant Zug- und Rangierfunk Die Funkgespräche wurden aufgezeichnet und sichergestellt. Sie sind für den Unfallablauf nicht relevant Bahnanlagen Die Bahnanlage (Strecke Einigen Gwatt) ist in sehr gutem Zustand. Die Bauarbeiten, die ausgeführt wurden, waren zum Zweck des Abladens von Elementen für das Erstellen einer Lärmschutzwand. Um mit dem Dieseltraktor ohne weiteres bei den eingesetzten Erdungsstangen passieren zu können, wurden spezielle, profilfreie Stangen eingesetzt. Profilfrei einsetzbare Erdungsstange Foto: UUS; zej 5/11

6 1.13 Fahrdatenschreiber Die Schienentraktor Tm 235 Nr ist mit einem Geschwindigkeitsmesser Hasler Modell R 9 mit Registrier-Farbscheibe und RT9 mit Registrierstreifen ausgerüstet. Die Auswertung der Fahrdaten ergibt, dass der Lokführer mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h gefahren ist und sich somit an die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 40 km/h für diesen Streckenabschnitt gehalten hat. (siehe dazu Anlagen 1 und 2) 1.14 Befunde an den Fahrzeugen Tm Die Schnellbremsung ist unkontrolliert ausgelöst worden und war nicht beabsichtigt. Eine Kontrolle der Störungen an diesem Traktor ergibt, dass am , am sowie am ebenfalls unkontrollierte Schnellbremsungen ausgelöst worden waren. Jedes Mal hatte man den Eindruck, den Fehler gefunden zu haben und hat dementsprechend gezielt Teile (z.b.: Ep-Ventil E243) ersetzt. Bei kontrollierten Testfahrten durch die UUS konnte der Fehler nicht wiederholt werden. Auch konnte jeweils, wenn die Störung auftrat, die Luftbehälter normal gefüllt und eine problemlose Bremsprobe durchgeführt werden. Wagen und Die Wagen verfügten noch nicht über eine Betriebsbewilligung des Bundesamtes für Verkehr. Die Wagennummern waren deshalb durchgestrichen Medizinische Feststellungen In Bezug auf medizinische Beschwerden der am Unfall beteiligten Personen ist nichts bekannt. Die Beteiligten fühlten sich bei Dienstantritt fit. Durch die Polizei wurde beim Lokführer, dem BLS-Begleiter sowie beim Mitarbeiter der Baufirma ein Atemlufttest durchgeführt. Der Befund war negativ (0,0 ) Feuer Es trat kein Feuer auf Ueberlebensmöglichkeiten Der Verunfallte hätte eine Überlebenschance gehabt, wenn der Schlitten auf dem Transportwagen mit den entsprechenden Vorrichtungen gesichert gewesen wären Besondere Untersuchungen Zwei Punkte standen bei dieser Untersuchung im Vordergrund: Warum konnte der Schlitten auf dem Transportwagen bei der Schnellbremsung nach vorne schnellen? Der Untersuch des Wagens durch den Unfalldienst der Kantonspolizei Bern sowie der UUS ergab, dass der Schlitten nicht gesichert war. Das heisst, durch die starke Verzögerung bei der Schnellbremsung konnten die beiden Antriebsmotoren dieses Schlittens ein Verschieben nicht mehr verhindern. Wäre der Schlitten, wie vorgesehen, mit Sicherungsarm und Bolzen in der Mitte 6/11

7 sowie mit Bolzen am Heck des Transportwagens gesichert gewesen, hätte sich der Schlitten trotz der Schnellbremsung nicht bewegen können. Bolzen Sicherungsarme Fahrrichtung rechts: Bolzen eingefahren Fahrrichtung links Bolzen liegt am Boden Fotos: UUS, zej Der zur Sicherung vorgesehen Sicherungsarm war in beiden Fällen nicht eingehängt. Was war der Grund der Schnellbremsung? Grundsätzlich ist zu vermerken, dass jederzeit mit einer Schnellbremsung zu rechnen ist (bewusstes Auslösen, Auslösung durch Zugsicherung, Auslösung durch technisches Problem usw.). Was in diesem Fall der Grund war, konnte nicht festgestellt werden. Nach Aussagen des Lokführers sowie des Begleiters löste die Schnellbremsung ohne irgendein Zutun des Lokführers aus; ebenso ging dieser Auslösung auch kein Warnsignal voraus. Der Tm konnte nachfolgend ohne weitere Probleme (keine Rückstellungen, keine ausserordentliche Massnahmen usw.) wieder gefüllt und normal gebremst werden Informationen über Organisation und Verfahren Der Bauzug wurde von Personal der BLS AG gefahren, in deren Besitz auch der Tm ist. Die BLS-Mitarbeiter führten den Bauzug nach den Fahrdienstvorschriften (FDV R 300); sie sind auch für die bahnfachtechnischen Sicherheitsaufgaben zuständig. Die Wagen sind im Besitz der Baufirma. Die Bedienung der Geräte (Kran; Aufbauten) auf diesen Wagen erfolgt durch das Personal der Baufirma. Die gegenseitige Kommunikation und Zusammenarbeit beschränkt sich auf die Fahrwünsche (vorziehen, fahren usw.) und Einhaltung der bahntechnischen Sicherheitsbestimmungen. Die Wagen waren in dieser Nacht erstmals eingesetzt. Ein Bedienungshandbuch (Benützerhandbuch) für die Mitarbeiter der Baufirma bestand erst im Entwurf und war nicht im Besitze dieser Mitarbeiter. Nach Aussagen der Baufirma wurde der Verunfallte am Tag zuvor während einer Stunde im Werkgelände über die Handhabung und Bedienung dieser Wagen instruiert (inkl. des Sicherns des Schlittens während einer Verschiebung). Der zweite Mitarbeiter der Baufirma war zwecks Instruktion auf dem Bauzug Verschiedenes Gemäss Angaben der Baufirma war den Mitarbeitern vorgegeben, sich während der Verschiebung auf dem Führerpodest des Kranwagens aufzuhalten. Warum sich der tödlich verunfallte Mitarbeiter auf dem Unfallwagen befand, konnte nicht geklärt werden. 7/11

8 2 BEURTEILUNG 2.1 Technisches Das Schienenfahrzeug (Tm) war bis auf die unkontrollierte Auslösung der Schnellbremsung technisch in Ordnung. Der Grund dieser Auslösung konnte nicht festgestellt werden. Die angehängten Wagen waren in einem technisch guten Zustand. Die Aufbauten waren neu (Montage kurz vor dem Unfalltag) und gaben keinen Anlass für eine Beanstandung. Ein Zusammenhang zwischen diesen Aufbauten und dem Auslösen der unkontrollierten Schnellbremsung kann ausgeschlossen werden. Die Komposition des Bauzuges umfasst jeweils einen Tm, einen Kranwagen und einen Transportwagen. 2.2 Betriebliches Nach dem Abladen der Bauelemente für die Lärmschutzwände fuhr der Bauzug als Rangierfahrt nach Gwatt. Unterwegs waren drei profilfreie Erdungsstangen zu entfernen. Zwischen den einzelnen Erdungsstangen wurde mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h gefahren. Auf dem Transportwagen werden Elemente für Lärmschutzwände transportiert. Sie werden parallel zur Fahrrichtung in fest installierten Haltern gelagert und sind knapp halb so lang wie der Transportwagen. Auf der dem Kranwagen abgewandten Seite sind nochmals so viele Elemente gelagert. Sie befinden sich jedoch auf einem in der Längsrichtung verschiebbaren, mit zwei Antriebsmotoren ausgerüsteten Schlitten. Dieser wird mittels zweier Sicherungsarme und entsprechender Bolzen in der Mitte sowie mit Bolzen am Heck des Wagens gegen unbeabsichtigtes Verschieben gesichert, was während der Unfallfahrt unterlassen wurde. Der Sinn dieser Konstruktion liegt darin, dass nach dem Ablad der Elemente mit dem Kran auf der dem Kranwagen näher liegenden Seite, diejenigen der entfernteren Seite zum Kranwagen hin gerollt werden können. Dies wiederum, weil der Kran seine maximale Kranauslegung in der Wagenmitte des Nachbarwagens erreicht. 3 SCHLUSSFOLGERUNGEN 3.1 Befunde Nach Beendigung des Ablads und während der Rangierfahrt wurde der Schlitten auf dem Transportwagen nicht gesichert. Ein Benützerhandbuch stand den Mitarbeitern nicht zur Verfügung. Der Standort der Mitarbeiter während der Verschiebung war, gem. Angaben der Baufirma, auf dem Führerpodest des Kranwagens vorgesehen. Eine kurze Instruktion über die Handhabung der neuen Wagen wurde dem Mitarbeiter der Baufirma am Vortag durch die Baufirma erteilt, nicht jedoch dem Traktorführer der BLS. Der Traktorführer ist für die fahrtechnischen Belange zuständig, trägt jedoch für den bauseitigen Teil keine Verantwortung. Wie genügend und umfänglich diese Instruktion war, konnte nicht festgestellt werden. 8/11

9 Der Grund der unbeabsichtigten Schnellbremsung konnte nicht eruiert werden. Mit einer Schnellbremsung ist bei einer Verschiebung immer zu rechnen, da solche auch aus Sicherheitsgründen erfolgen können. Die Mitarbeiter der BLS und diejenigen der Baufirma sind für ihre eignen Aufgaben zuständig. Die BLS Mitarbeiter konzentrieren sich auf die Bahnsicherheit gem. Fahrdienstvorschriften und diejenigen der Baufirma auf die Handhabung der Baudienstwagen. Die dienstliche Kommunikation beschränkt sich auf den Auftrag zu fahren oder zu halten. Eine gegenseitige Arbeitskontrolle (Sicherheitskontrolle) findet nicht statt. Die Wagen waren vom Bundesamt für Verkehr noch nicht definitiv abgenommen worden und wurde daher ohne Betriebsbewilligung eingesetzt. Der Bauzug wurde unmittelbar nach dem Unfall vom Unfallort in den Bahnhof Gwatt verschoben; dies im Hinblick auf eine bessere Versorgung des Schwerverletzten durch die Rettungsdienste, was leider dann nicht mehr nötig war. Der Entscheid war jedoch korrekt. 3.2 Ursache Nicht Sichern des tonnenschweren Schlittens während der Rangierfahrt und gleichzeitigem Aufenthalt auf dem Transportwagen. 3.3 SICHERHEITSEMPFEHLUNGEN Der Aufenthalt auf dem Transportwagen während der Fahrt ist grundsätzlich zu verbieten. Ebenso muss bei jeder Verschiebung der Schlitten mit den vorgesehenen Sicherungseinrichtungen arretiert werden. Event. kann überprüft werden, ob bei sehr niedriger Geschwindigkeit (zb: Schritttempo) und bei einer Verschiebung über sehr kurze Distanzen (zb: 1-2 Längen der Bauelemente 1 Wagenlänge) auf eine restriktive Einhaltung dieser Grundsätze verzichtet werden kann. Die Untersuchung wurde von Joseph Zeder geführt Bern, 17. April 2008 Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe Joseph Zeder nbl. Untersuchungsleiter Verteiler: gem. SR (VUU), Art /11

10 Auswertung Registrier-Farbscheibe (Tm ) Anlage m Halteort Gwatt Gleis 1 (Spitze) km Tm BLS Unfall Gwatt :10 Uhr ES D 72 Km Erdungs- Stange Km m ZS 92B Km m 10/11

11 Auswertung Registrierstreifen (Tm ) Anlage 2 Zugspitze Gwatt Gleis 1, km Erdungsstange km Unfallort ca. km Erdungsstange km Erdungsstange km /11