über den Personenunfall von Samstag, 12. April 2008 in Emmenbrücke - Gersag

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1 Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe UUS Service d enquête sur les accidents des transports publics SEA Servizio d inchiesta sugli infortuni dei trasporti pubblici SII Ulrich Baumann, 6. November 2008 Reg. Nr.: Schlussbericht der Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe über den Personenunfall von Samstag, 12. April 2008 in Emmenbrücke - Gersag Ulrich Baumann Birchdörfli Zürich Tel Fax ulrich.baumann@uus.admin.ch

2 Dieser Bericht wurde ausschliesslich zum Zweck der Verhütung von Unfällen beim Betrieb von Eisenbahnen, Seilbahnen und Schiffen erstellt. Die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Unfällen ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gemäss Art. 25 der Verordnung über die Meldung und Untersuchung von Unfällen und schweren Vorfällen beim Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel (VUU, SR ). 0 ALLGEMEINES 0.1 Kurzdarstellung Am Samstag, 12. April 2008 wollten zwei Frauen bei der Haltestelle Emmenbrücke Gersag den Zug mit planmässiger Abfahrt um Uhr Richtung Luzern erreichen. Die beiden ortsunkundigen Frauen betraten die Haltestelle auf Seite Gleis 1, der Zug nach Luzern fuhr aber ab Gleis 2. Daher mussten sie auf die gegenüberliegende Seite wechseln. Da die Frauen weder eine Unter- noch eine Überführung sahen, entschlossen sie, sich über die Gleise zu gehen. In diesem Augenblick näherte sich der planmässig durchfahrende Zug 3593 der Haltestelle. Der Lokführer bemerkte die Personen im Gleisbereich, gab zweimal kurz hintereinander Warnsignale ab und leitete gleichzeitig die Schnellbremsung ein. Eine Frau konnte den Perron auf Gleis 2 nicht mehr rechtzeitig erreichen, wurde vom Zug erfasst und so schwer verletzt, dass sie noch auf der Unfallstelle verstarb. 0.2 Untersuchung Die Untersuchungsstelle UUS wurde gleichentags um 23:12 Uhr durch die Meldestelle REGA über das Ereignis informiert. Der nebenamtliche Untersuchungsleiter Ulrich Baumann nahm unverzüglich mit den Untersuchungsbehörden und Mitarbeitern der SBB die sich bereits am Unfallort befanden, Kontakt auf. Da der Unfallhergang klar war und die Polizei auf die Mithilfe der UUS verzichtete, rückte der Untersuchungsleiter nicht sofort aus. Die erste Besichtigung der Unfallstelle und der Umgebung erfolgte am 18. April Der Untersuchungsbericht der UUS fasst die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen zusammen. 1. FESTGESTELLTE TATSACHEN 1.1 Vorgeschichte Zwei Frauen aus Stans besuchten am Samstag, 12. April 2008 einen Heimatabend in der Gersaghalle in Emmenbrücke. Die Gersaghalle liegt nur wenige Gehminuten von der SBB-Haltestelle Gersag entfernt. Nach den Vorführungen gingen die beiden Frauen zur Haltestelle, betraten diese a- ber auf der Seite von Gleis 1. Die Züge nach Luzern verkehren jedoch ab Gleis 2. Offensichtlich haben die Frauen auf den Perrons weder eine Unter- noch eine Überführung gesehen und entschlossen sich deshalb, den Weg über die Gleise zu nehmen. Seite 2 von 9

3 1.2 Verlauf der Fahrt Um ca. 22:45 Uhr überquerten zwei Frauen die Gleise der Haltestelle Gersag von Gleis 1 Richtung Gleis 2. Gleichzeitig näherte sich der aus Richtung Olten kommende Zug 3593 der Haltestelle. Der Lokführer erkannte die Gefahr, gab ein Warnsignal und leitete unverzüglich die Schnellbremsung ein. Eine Frau konnte den ca. 50 cm (ab Schotterbett gemessen) hohen Perron nicht mehr rechtzeitig erreichen. Sie wurde vom Zug erfasst und dabei so schwer verletzt, dass sie noch auf der Unfallstelle verstarb. 1.3 Personenschäden Bahnpersonal Reisende Drittpersonen Tödlich verletzt: 1 Seite 3 von 9

4 1.4 Sachschäden am Rollmaterial und an der Infrastruktur des Bahnunternehmens Am Steuerwagen von Zug 3593 wurde ein Kabel ausgerissen. Der Zug musste durch den LRZ nach Luzern überführt werden. 1.5 Sachschäden Dritter keine 1.6 Beteiligte Personen Lokpersonal Lokführer P, Depot Olten Reisende Eine Frau wurde beim Unfall tödlich verletzt. 1.7 Schienenfahrzeuge Eigentümer: SBB P Zugskomposition: Bt B AB RBDe 560 Triebfahrzeug: RBDe Zugsgewicht: 179 t Bremsgewicht: 227 t Zugreihe / R 125 % Bremsverhältnis: Ausgeschaltete Keine Bremsapparate: 1.8 Strassenfahrzeuge Strassenfahrzeuge waren keine am Ereignis beteiligt. 1.9 Wetter, Schienenzustand Nacht, schön, Schienen trocken 1.10 Bahnsicherungssysteme Die Bahnsicherungssysteme haben normal funktioniert. Sie sind für den Verlauf des Ereignisses nicht relevant Zug- und Rangierfunk Die Funkgespräche sind für den Unfallablauf nicht relevant Bahnanlagen Der Unfall ereignete sich im Perronbereich der Haltestelle Emmenbrücke Gersag an der doppelspurigen Strecke Luzern Sursee Olten. Seite 4 von 9

5 1.13 Fahrdatenschreiber Der Triebwagen RBDe Nr ist mit einer elektronischen Weg- und Geschwindigkeitsmessanlage Teloc 2000S, der Steuerwagen Bt mit einer Anlage ohne Registriergerät Teloc 2000 ausgerüstet. Die Übertragung erfolgt elektronisch, die Aufzeichnung analog auf einem Registrierstreifen. Die Fahrdaten wurden durch die Verkehrsunternehmung ausgelesen und ausgewertet. Die Auswertung der Fahrdaten ergab, dass der Lokführer unmittelbar vor dem Ereignis mit einer Geschwindigkeit von 84 km/h gefahren ist und somit die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 90 km/h für diesen Streckenabschnitt nicht überschritten hat. Der Lokführer hat die Schnellbremsung korrekt eingeleitet. Der Anhalteweg betrug 210 m. (Anlage 1) 1.14 Befunde an den Bahnfahrzeugen Die visuelle Kontrolle der am Ereignis beteiligten Schienenfahrzeuge durch die Polizei ergab keine Beanstandungen Medizinische Feststellungen Die am Unfall beteiligten Frauen sind geistig behindert. Der Lokführer fühlte sich bei Dienstantritt fit 1.16 Feuer Beim Ereignis trat kein Feuer auf Überlebensmöglichkeiten Die schweren Verletzungen der Frau führten zum sofortigen Tod Information über Organisation und Verfahren Bei Zug 3593 handelt es sich um einen regelmässig verkehrenden, im amtlichen Kursbuch aufgeführten RegioExpress von Olten (planmässige Abfahrt um 22:06 Uhr) via Sursee nach Luzern (planmässige Ankunft um 22:52 Uhr). 2. BEURTEILUNG Die Haltestelle Gersag liegt eingeklemmt zwischen der Gersagstrasse und einem Häuserblock der Rüeggisingerstrasse. Die Perronbereiche sind ungefähr 3 m breit. Allerdings findet man auf den Perrons weder eine Unter- noch eine Überführung. Für auswärtige Fahrgäste spielt daher die Personenlenkung eine wichtige Rolle. Seite 5 von 9

6 Zugang zu Gleis 2 via unbenannten Weg Zugang zu Gleis 1 via Gersagstrasse Gersaghalle Vorplatz Haus Rüeggisingerstrasse 27 Überführung direkt zu Gleis 2 Für den Wechsel von Gleis 1 nach Gleis 2 muss der Fahrgast die Gersagstrasse benützen. Nur beim Ausgang von Gleis 1 auf die Strasse zeigt ein kleiner, unbeleuchteter Wegweiser die Gehrichtung an. Der Wegweiser zeigt Strasse abwärts, bei der Kurve der Gersagstrasse zur Unterführung fehlt ein Hinweis auf die Fortsetzung. Am Tag kann man etwas verwirrlich am Vorplatz von Haus Rüeggisingerstrasse 27 Richtung Gersagstrasse, also Strasse aufwärts, wieder einen unbeleuchteten Wegweiser entdecken. Bei Nacht sieht man keine Weg-Hilfe. Wegweiser nach Gleis 2 Ein- / Ausgang von Gleis 1 auf die Gersagstrasse bei Tageslicht bei Dämmerung Die verunfallte Frau kam von der Gersaghalle, wahrscheinlich die Gersagstrasse hoch. Bei guter Kennzeichnung des Wegs wäre der Weg zu Gleis 2 viel einfacher zu finden, nämlich über die Überführung der Rüeggisingerstrasse. Beim Aufgang zur Überführung sind überhaupt keine Hinweise auf die Bahn Haltestelle angebracht. Seite 6 von 9

7 Aufgang zur Überführung: Bild links: Ohne Wegweiser kaum zu sehen Bild mitte und rechts: keine Hinweise auf den Weg zur SBB Haltestelle Gersag Bei der Bahnunterführung Gersagstrasse sind Seite Rüeggisingerstrase Hinweise auf Gleis 1 (Richtung Olten / Lenzburg) und Gleis 2 (Richtung Luzern) angebracht. Auch diese Tafeln sind unbeleuchtet und zudem schlecht erkennbar, weil sie an der Stützmauer, also parallel zur Strasse, befestigt sind. Der Weg zu Gleis 2 führt über einen schmalen unbenannten Weg und ist für Fremde nicht unbedingt als Zubringer erkennbar. Der Pfeil für Gleis 2, senkrecht nach oben gerichtet, zeigt auch nicht in die einzuschlagende Richtung. Die Fotos wurden bei Dämmerlicht aufgenommen, bei vollständiger Dunkelheit sind die Tafeln beinahe nicht mehr zu erkennen. 3. Schlussfolgerungen 3.1 Befunde Die visuelle Kontrolle der am Ereignis beteiligten Schienenfahrzeuge ergab keine Beanstandungen. Die Bahnsicherungsanlagen funktionierten einwandfrei. Die Haltestelle Gersag ist ausgerüstet mit drei grossen, mehrsprachigen Hinweistafeln Überschreiten der Gleise verboten. Elektronische Abfahrtsanzeiger zeigen die abfahrenden Züge an. Kurz vor Durchfahrt eines Zuges schalten diese dann im entsprechenden Gleis um und zeigen Achtung Zugsdurchfahrt. Die Beleuchtung im Haltestellenbereich ist gut. Seite 7 von 9

8 Für ortsunkundige Personen ist es allerdings schwer, den Weg von Gleis 1 nach Gleis 2 oder umgekehrt zu finden, weil es keine direkte Personenüber- oder Unterführung gibt. Der Weg führt über öffentliche Strassen und ist schlecht markiert. Ein Orientierungsplan, z.b. neben dem Fahrplan aufgehängt, fehlt. Die wenigen Wegweiser sind klein und unbeleuchtet. 3.2 Ursache Überschreiten der Gleise an verbotener Stelle. 4. SICHERHEITSEMPFEHLUNGEN Die Personenführung von Gleis 1 nach Gleis 2 und umgekehrt ist zu verbessern, die Wegweiser zu beleuchten. Situationspläne mit eingezeichnetem Fussweg sind neben den aufgehängten Fahrplänen anzubringen. Die Untersuchungen wurden von Ulrich Baumann geführt. Zürich, 30. Oktober 2008 Untersuchungsstelle Bahnen und Schiffe U. Baumann Nebenamtlicher Untersuchungsleiter Fotos: UUS/bau Verteiler: gemäss SR (VUU), Art 25 3 Seite 8 von 9

9 Anlage 1 Fahrdatenauswertung Zug 3593 vom , Triebfahrzeug RBDe Seite 9 von 9