Deutscher Bundestag Drucksache 17/10461 17. Wahlperiode 08. 08. 2012 Kleine Anfrage der Abgeordneten Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Dittrich, Harald Koch, Jutta Krellmann, Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Frank Tempel, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE. Verstöße gegen Richtlinien zur Organspende BereitsEndeDezember2011trenntesichdasUniversitätsklinikumGöttingen voneinemoberarzt,derdortjahrelangeinezunehmendezahlanlebertransplantationendurchführte.grundfürdiekündigungwarenverdachtsmomente, dassdieserarztmehrerendutzendpatientinnenundpatientenandenwartelistenvoneurotransplantvorbeiorganebesorgte,indemerfalschekrankheitsangabenmeldeteundsomitdiebetroffenenpatientenkränkerunddietransplantationeilbedürftigererscheinenließ.endejuli2012trenntesichdasklinikum voneinemweiterenarzt,derimverdachtsteht,beidiesermanipulationder Patientendatengeholfenzuhaben.DasKlinikumbekommtfürdieDurchführungvonLebertransplantationenhoheGeldsummen.ImGegenzugzahltees demjetztverdächtigtenundentlassenenoperateureingehalt,dasmitderzahl an durchgeführten Transplantationen kräftig anstieg. ÖffentlichbekanntwurdedieserSkandalnurhäppchenweise:ZunächstschildertenMedienberichteimJuni2012einenEinzelfall;dasweitgrößereAusmaß wurdeebenfallsdurchmedienberichteimjuli2012deröffentlichkeitbekannt gemacht.diesezeitungsmeldungenführtendazu,dassdiepolitikunddie ÖffentlichkeitderzeitzumindesteinigeInformationenüberdieVorgänge haben.untersuchungs-odervorabberichtederbeiderbundesärztekammerangesiedeltenundfürdieprüfungundüberwachungzuständigenkommissionen beziehungsweisedervomuniversitätsklinikumgöttingeneingerichtetenexternenuntersuchungskommissionwurdenauchanfangaugust2012deröffentlichkeit nicht vorgelegt. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauern an. ZwischenEnde2011,alsderSkandalinternbekanntundderOberarztentlassen wurde,undendejuni2012,alsderskandalindieöffentlichkeitgetragen wurde,wurdenimdeutschenbundestagwichtigeänderungendestransplantationsgesetzesdebattiertundbeschlossen.imrahmendiesesgesetzesverfahrenswarenjedochdiefaktenundverdachtsmomentezudemgöttingerskandalwederderöffentlichkeitnochdenabgeordnetendesdeutschenbundestagesbekannt;derpersonenkreis,dembereitsinformationenvorlagen,teilte diesedenabgeordnetendeszuständigenfachausschusseswährenddesgesetzgebungsverfahrensnichtmit.sowurdenmöglicheundjetztaktuelldiskutierte DefizitebeiderOrganisation,Durchführung,PrüfungundÜberwachungdes TransplantationsgeschehensimDunkelngehalten.DurchdasVerhinderneines frühzeitigenbekanntwerdensdesskandalsundseinerhintergründewurdeun-
Drucksache 17/10461 2 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode terbunden,dassdieabgeordnetendieseinformationenundmängelimrahmen des Gesetzgebungsverfahrens berücksichtigen konnten. AlsReaktionaufdieVorfälleinGöttingentauchenjetzt allerdingsnachabschlussdesgesetzgebungsverfahrens weitgehendeforderungeninderöffentlichen Debatte auf: DasdeutscheOrganspendesystemweisegrundsätzlicheKontrolldefiziteaufund solledahernichtdemsystemderselbstverwaltungderärzteüberlassenwerden. EssolltenvielmehrstarkestaatlicheKontrollinstanzengeschaffenunddieVerantwortungfürdieOrganentnahmeundOrganvergabeinstaatlicheHandgegebenwerden (soeugenbryschvonderpatientenschutzorganisationdeutsche Hospiz Stiftung). AuchausdemBundesministeriumfürGesundheit (BMG)wurden massive Konsequenzen gefordert,allerdingsohnediesekonkretauszuführen (siehe www.welt.de,20.juli2012).dieniedersächsischeministerinfürsoziales, Frauen,Familie,GesundheitundIntegrationAygülÖzkanmöchte,dassinden RichtlinienderBundesärztekammerfürdieWartelistenführungundfürdie OrganvermittlungintensivereKontrollmechanismeninstalliertwerden (siehe www.handelsblatt.com, 20.Juli 2012). EinVieraugenprinzipfüreinensosensiblenBereichseizudemnötig,wasjedochvonDr.TheodorWindhorst,PräsidentderÄrztekammerWestfalen-Lippe, abgelehntwird,dadies praktischnichtimmermachbar sei (www.welt.de, 21.Juli2012).ZielführenderseienharteSanktionenbishinzumEntzugderApprobation und eine nachträgliche Prüfung aller Transplantationszentren. UmstrittenistbeidenjüngstöffentlichdebattiertenForderungen,obdie lückenloseaufklärungundbestrafungdurchdieärztekammerunddiedeutschestiftungorgantransplantation (DSO)oderdurchstaatlicheOrgane (lt. demabgeordnetenjensspahn,siehewww.welt.de,30.juli2012)erfolgen solle. DarüberhinauswirdauchvonderDeutschenKrankenhausgesellschafteinVerzichtaufleistungsbezogeneVergütung,diesichanderZahlderdurchgeführten Organtransplantationenausrichtet,gefordert (sieheberlinerzeitung,31.juli 2012). Wir fragen die Bundesregierung: 1.a)SindnachMeinungderBundesregierungdieBedingungenfüreineeffizienteArbeitderfürdiePrüfungundÜberwachungdesTransplantationsgeschehenszuständigenKommissionenderBundesärztekammersowie diemöglichkeitenzurkontrolleundzurherstellungvontransparenz über deren Arbeit ausreichend? b)welcheentscheidendenverbesserungenerwartetdiebundesregierung durchdiegesetzlichneuverankertebeteiligungvonvertreternderländerhinsichtlichtransparenzundzugänglichkeitvoninformationenfür dieöffentlichkeit,wodochbereitsbislangschonzweivertreterinnen bzw.vertreterals ständigegäste andensitzungenderkommission teilnehmen konnten und somit die Länder zeitnah informiert waren? c)welcheentscheidendenverbesserungenerwartetdiebundesregierung durchdiegesetzlichneuverankerteverpflichtungderkoordinierungsstelle,dertransplantationszentrenundderentnahmekrankenhäuser,der KommissiondieerforderlichenUnterlagenzurVerfügungzustellenund dieerforderlichenauskünftezuerteilen,wodiesbereitsbislanginähnlicher Weise vertraglich festgelegt war?
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 3 Drucksache 17/10461 d)welcheauswirkungenkönnteesnachmeinungderbundesregierunghinsichtlicheinerbesserentransparenzundinformationderöffentlichkeit überdietätigkeitundinformationendernachden 11und12desTransplantationsgesetzes (TPG)zuständigenPrüfungs-undÜberwachungskommissionenhaben,wenndiesenKommissionenauchunabhängigePersonen (zumbeispieljuristinnenundjuristen,ethikerinnenundethiker sowieärztinnenundärzteohneeineverbindungzutransplantationszentren bzw. zu den TPG-Auftraggebern) angehören würden? e)könnteesdaherzielführendsein,einesolchegeändertebeteiligung zwingend vorzuschreiben? 2.a)WiebeurteiltdieBundesregierungdieTransparenzbzw.Intransparenz über die Tätigkeit der beiden Kommissionen der Bundesärztekammer? b)hältesdiebundesregierungfürausreichend,wenndenabgeordneten bzw.deröffentlichkeitlediglicheinmaljährlichkurzetätigkeitsberichte mitwenigdetailtiefebekanntgemachtwerden,diekeineeinschätzung von Auffälligkeiten erlauben? c) Wie kann die Transparenz verbessert und schneller hergestellt werden? d)wererhälteinsichtindetaillierteuntersuchungs-undprüfberichtederzuständigenprüfungs-undüberwachungskommissionenderbundesärztekammer? e)wäreesnichtzuletztauchimrahmendesgesetzgebungsverfahrensim Frühjahr2012hilfreichundwünschenswertgewesen,dassdiedenKommissionenbekanntenFaktenundVerdachtsmomenteüberklärungsbedingteAuffälligkeitenimRahmendesTransplantationsgeschehenszumindestauchdemBundesministeriumfürGesundheitunddemDeutschen BundestagimDetailoffengelegtwordenwären,umdiesebeiderNeugestaltung des Transplantationsgesetzes berücksichtigen zu können? f)welcheweiterenschlüsseziehtdiebundesregierungausdenskandalösenvorgängeningöttingen,dieerstimjuni2012durcheinenzeitungsberichtderöffentlichkeitwenigstensimansatzbekanntwurden, obwohldieverdachtsmomenteinternschonende2011bekanntwaren und zur Auflösung des Arbeitsvertrags des Hauptverdächtigen führten? 3.a)Welcheberufs-,sozial-undstrafrechtlichenSanktionsmöglichkeiten (gegenwenunddurchwen)siehtdiebundesregierungderzeitbeiverstößen gegen Vorschriften im Rahmen der Organtransplantation? b)reichendiesesanktionsmöglichkeitennacheinschätzungderbundesregierung aus? c)hältdiebundesregierungdieinder (Muster-)Berufsordnungfürdiein DeutschlandtätigenArztinnenundÄrztefestgelegtenKriterienfüreinen möglichenentzugderapprobationfürausreichend,sodassdieinden MedienauchvonGesundheitspolitikernerhobeneForderungnacheinem ApprobationsentzugTransplantationsmedizinerinnenund-medizinervon Verstößen gegen Richtlinien und Gesetze abschrecken? d)wieoftistesnachdenkenntnissenderbundesregierungimzusammenhangmitunregelmäßigkeitenbeiorgantransplantationenbislangzum Entzug der Approbation gekommen? e)wieoftsindnachdenerkenntnissenderbundesregierungseitbestehen destpganderesanktionenverhängtworden (bittedifferenziertnachart der Sanktion und Jahr auflisten)?
Drucksache 17/10461 4 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 4.a)TeiltdieBundesregierungdieAuffassung,dassderGöttingerSkandal aufzeigt,dassdasprüf-undkontrollsystemdestransplantationsgeschehens nicht effektiv funktionierte? b)teiltdiebundesregierunginderöffentlichkeiterhobeneforderungen, nichtnurintensiverekontrollmechanismenindenrichtliniendurchdie Bundesärztekammervornehmenzulassen,sonderndassdiePolitikselbst handeln und starke staatliche Kontrollinstanzen schaffen müsse? c)teiltdiebundesregierungindiesemzusammenhangforderungenzum BeispielderDeutschenHospizStiftung,dieVerantwortungfürdieOrganentnahmeundOrganvergabeinstaatlicheHandzunehmenunddasSystem nicht weiter der Selbstverwaltung der Ärzte zu überlassen? 5.a)InwelchemUmfangistdieBundesregierungEndeJuni2012überden SkandalinGöttingeninformiertworden,welcheInformationenhatsiezu späteren Zeitpunkten erhalten, und von wem hat sie diese erhalten? b)mitwelchen zuständigeninstitutionen (ZitatdesSprechersdesBMG vom 20. Juli 2012) ist das BMG seitdem in ständigem Kontakt? c)wiebewertetdiebundesregierungdiearbeitdieserinstitutionenhinsichtlichderqualitätundschnelligkeitderergebnisse,undwiekönnte deren Arbeit effektiver gestaltet werden? d)welcherückschlüsseziehtdiebundesregierungdaraus,dassnahezualle SachverständigenimRahmenderimDeutschenBundestagdurchgeführtenAnhörungenzurOrganspendeeineumfassendeTransparenzalsVoraussetzungfürdasVertrauenvonOrganspendernforderten,dieArbeit derzuständigenkommissionenunddievorläufigenergebnissederermittlungenaussichtderfragestellerhingegenderbevölkerungnoch größtenteilsunbekanntsindundkeinetransparenzdarüberhergestellt wird? e)gedenktdiebundesregierung,eineeinsichtsmöglichkeitindieberichte derzuständigenprüfungs-undkontrollkommissionenfürdasbmg,für diemitgliederdeszuständigenfachausschussesdesdeutschenbundestages,fürklinikleitungenoderfürdiegesamtebevölkerungzuschaffen? f)könntennachansichtderbundesregierungeinegesetzlichfestgelegte BerichtspflichtunddieVerpflichtungzueinerzusätzlichenschnellen Vorabberichterstattunghelfen,eineinderBevölkerungVertrauenschaffende Transparenz herzustellen? 6.a)GibteseinVerzeichnisüberVerdachtsfälleundUnregelmäßigkeitenim RahmenvonTransplantationensowieüberdieverantwortlichenAkteure, damitarbeitgeber (wieimaktuellenfalldasuniversitätsklinikum Göttingen)schonbeiderEinstellungvonTransplantationsmedizinerinnen und-medizinernerkennenkönnen,obdiesestellenbewerberinnenbzw. -bewerberbereitsindervergangenheitdurchverstößeaufgefallensind, vordemhintergrund,dassdersprecherdergöttingerklinikerklärte,dort habeniemandetwasvonirgendwelchenfrüherenunregelmäßigkeitengewusst, sonst wäre der Oberarzt nicht eingestellt worden? b)erwägtdiebundesregierung,dieeinrichtungeinessolchenregistersanzuregenbzw.diedsooderdiebundesärztekammerdazuzuverpflichten? c)wusstediebundesregierungvondenverdachtsmomentenimjahr2006 gegendengleichenarzt,undwiebewertetdiebundesregierungderen unzureichende Aufklärung (siehe www.taz.de, 31. Juli 2012)?
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 5 Drucksache 17/10461 d)welcheschlussfolgerungenziehtdiebundesregierungausmedienberichten,denenzufolgebereitsimjahr2006verdachtsmomentefürkorruptionshandlungendesjetztbeschuldigtenarztesvorlagen (siehewww.taz.de, 31. Juli 2012, Arzt offenbar Wiederholungstäter )? 7.a)TeiltdieBundesregierungdieAuffassungeinigerExpertinnenundExperten (siehedietageszeitung,taz,21.juli2012),dassdieeinführung desvieraugenprinzipseinenwesentlichenbeitragzurausschaltung solcher Vorkommnisse wie in Göttingen leisten könne? b)teiltdiebundesregierungdieauffassungzumbeispielderärztekammer Westfalen-Lippe,dasseineKontrolledurcheinenzweitenArztpraktisch nichtimmermachbarseiunddieforderungdesvieraugenprinzipsdaher abzulehnen sei? c)unterstütztdiebundesregierungforderungen,nunsämtlichetransplantationszentren nachträglich intensiv zu überprüfen? d)hältdiebundesregierungdenbeschlussdergöttingeruniversitätsklinik, keineleistungsabhängigengehaltsverträgemehrabzuschließen,um finanzielleanreizeinkopplungandiezahlderdurchgeführtentransplantationen zu verhindern, für zielführend? e)wiebeurteiltdiebundesregierungeinsolchesvorhaben,voneinerdirektenkopplungdeshonorarsandiezahldurchgeführtertransplantationen abzusehen,abereineleistungsorientierungbeidenhonorarverträgen beizubehalten,durchdiediehöhedeshonorarsandiewirtschaftliche SituationeinerAbteilungunddamitindirektwiederumauchandieZahl durchgeführter Transplantationen geknüpft wird? f)würdediebundesregierungesbegrüßen,wennflächendeckendeinverzichtaufleistungsabhängigegehaltsverträgebeiklinikärztinnenund -ärzten umgesetzt würde? g)wirdsichdiebundesregierungbeidentransplantationszentrenbzw.bei derbundesärztekammerdafüreinsetzen,dassdiegehältervonärzten, dieorgantransplantationendurchführen,generellunabhängigvonder Zahl der Transplantationen gestaltet werden? h)erwägtdiebundesregierung,mittelsgesetzlicheränderungeneinedieser Forderungen verpflichtend umzusetzen? i)welcheweiterenmaßnahmenerwägtdiebundesregierung,umverstöße gegenrichtlinienundethischegrundsätzezuvermeidenundgrößere Transparenz über festgestellte Auffälligkeiten herzustellen? Berlin, den 8. August 2012 Dr. Gregor Gysi und Fraktion
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