-Lösungshinweise zu Fall 8- Gesetzgebungskompetenz
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- Leon Rosenberg
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1 Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht I (Staatsorganisationsrecht) -Lösungshinweise zu Fall 8- Gesetzgebungskompetenz Stand: WS 2010/2011
2 Die Gruppe der MdB könnte zur Überprüfung des Gesetzes das BVerfG anrufen. Mögliches Verfahren ist die abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 I Nr. 2 GG, 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG. Der Antrag hätte Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit Vss. Sachurteilsvoraussetzungen nach Art. 93 I Nr. 2 GG, 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG
3 I. Zuständigkeit Zuständigkeit BVerfG nach Art. 93 I Nr. 2 GG II. Antragsberechtigung Antragsberechtigt: Bundesregierung, eine Landesregierung oder eine Viertel der MdB 245 MdB III. Antragsgegenstand Um was geht es? Ist zu überprüfende Norm tauglicher Antragsgegenstand
4 bestimmt sich nach Art. 93 I Nr. 2 GG, 76 I BVerfGG Danach tauglicher Antragsgegenstand Bundes- oder Landesrecht Hier: Nichtraucherschutzgesetz ist als Bundesrechts tauglicher Antragsgegenstand IV. Antragsgrund Warum möchte der Antragsteller / Kläger das Gesetz überprüft haben? Richtet sich ebenfalls nach Art. 93 I Nr. 2 GG, 76 I Nr. 1 BVerfGG Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel
5 SV: Abgeordnete nur Zweifel an Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Somit liegt gem. Art. 93 I Nr. 2 GG Antragsgrund vor. 76 I Nr. 1 BVerfGG legt strengeren Maßstab an ( für nichtig ) Problem: Nach Art. 93 I Nr. 2 GG liegt Antragsgrund vor aber nicht nach 76 I Nr. 1 BVerfGG Lösung: Bei str. Geltungsvorrang (Normhierarchie) Antragsgrund gem. Art. 93 I Nr. 2 GG gegeben V. Form / Frist Antrag gem. 23 I BVerfGG in schriftlicher Form. Keine Frist
6 VI. Zwischenergebnis Der Antrag der 245 MdB auf abstrakte Normenkontrolle ist zulässig. B. Begründetheit Hier materielle Prüfung d.h. hat Antragsteller in der Sache recht Damit Antrag insgesamt erfolgreich ist, müsste dieser auch begründet sein. Er ist begründet, wenn das NichtraucherschutzG formell und/oder materiell mit dem GG unvereinbar ist (Art. 93 I Nr. 2 GG, 76 I BVerfGG). I. Prüfungsmaßstab Nichtraucherschutz als Bundesgesetz Gesamtes GG in förmlicher/sachlicher Hinsicht
7 II. Formelle Verfassungsmäßigkeit Zuständigkeit, Verfahren, Form 1. Zuständigkeit (Gesetzgebungskompetenz) Bund müsste für den Erlass des NichtraucherschutzG zuständig sein. Gds. Gesetzgebungshoheit bei Ländern (Art. 30, 70 I GG), sofern sich aus dem GG nichts anderes ergibt (siehe Art. 7O II i.v.m Art. 71 ff GG) Mehrer Kompetenztitel denkbar
8 A) Aus Art.74 GG (konkurrierende Gesetzgebung) (1) Öffentliche Fürsorge, Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG Öffentliche Fürsorge heißt öffentliche Hilfeleistung in wirtschaftlicher Notlage. Nicht erfasst sind aber Regelungen, die vordergründig dem Gesundheitswesen dienen. Der Bund hat im Gesundheitswesen nur eine eingeschränkte Regelungskompetenz (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19, 19a GG). Diese Entscheidung des GG darf nicht durch extensive Auslegung des Fürsorgebegriffs unterlaufen werden
9 (2) Recht der Gaststätten, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG Vom generellen Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden vor allem Gaststätten betroffen. Das Recht der Gaststätten ist aber nach der Regelung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ausdrücklich den Ländern zugewiesen. Wortlautes vertretbar, dass das Recht der Gaststätten auch die Belange des Nichtraucherschutzes erfasst Systematik der Nr.11 spricht für Rauchverbot unter dem Recht der Gaststätten Damit scheidet Kompetenz aus Art. 74 Nr. 11 GG aus (a.a. gut vertretbar)
10 (3) Arbeitsrecht einschließlich Arbeitsschutz, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Arbeitsrecht isd Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erfasst grds. alle privat- und öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über abhängige Arbeitsverhältnisse, nicht hingegen das Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes. Arbeitsschutz ist öffentlich-rechtliche Regelung des den Arbeitsnehmern gewährten Schutzes vor Gefahren der Arbeit Grds. auch Schutz von nicht rauchenden Arbeitnehmern vor gesundheitsschädlichem Tabakrauch am Arbeitsplatz im Innenraum erfasst
11 Allerdings dient Rauchverbot an Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr (z.b. Gaststätten) weniger dem Arbeitsschutz, als vielmehr dem Schutz des allgemeinen Publikums (4) Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG Gemeingefährliche Krankheiten i.s.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG sind solche, die zu schweren Gesundheitsschäden oder zum Tod führen können, ohne ansteckend zu sein Zusätzlich ist gewisse Verbreitung erforderlich (z.b. Krebs)
12 Krebserzeugende Wirkung des Passivrauchens ist laut SV gegeben. Fraglich ist aber, ob das Nichtraucherschutzgesetz als Maßnahme gegen diese Krankheit gelten kann? (str.) Nach einer Ansicht sind auch Akte der gesetzgeberischen Vorsorge von der Kompetenz erfasst. A.A wenden sich jedoch gegen diese weite Auslegung. Hier: Das NichtraucherschutzG wirkt nicht unmittelbar dem Ausbruch und der schädigenden Wirkung konkreter gemeingefährlicher Krankheiten entgegen (a.a. vertretbar)
13 (5) Recht der Betäubungsmittel und Gifte, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 a.e. GG Gifte sind Stoffe, die für den Menschen/Tiere schwere gesundheitliche Schäden oder den Tod herbeiführen, gleichgültig ob sie künstlich hergestellt oder Naturprodukte sind. Passivrauchen ist laut SV krebserzeugend. Jedoch wird für die Einordnung des Giftes eine unmittelbar gesundheitszerstörende Wirkung erforderlich sein, an der es vorliegend fehlt (a.a. vertretbar)
14 (6) Recht der Lebensmittel/Genussmittel, Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG Evtl. Tabak als Genussmittel Lebensmittel sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden Bei Genussmitteln drängt der Genussaspekt den Ernährungsaspekt in den Hintergrund Bei Tabakwaren fehlt der Ernährungsaspekt vollständig Nach aktuellen Fassung ist vom Recht der Genussmittel ohne Beschränkung auf den Verkehr die Rede.
15 Insoweit wäre eine Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG n.f. gut vertretbar Aber: gegen die Einordnung von Tabak als Genussmittel seine gesundheitsschädliche Wirkung. Dann scheidet dieser Kompetenztitel aus. (a.a. vertretbar) (7) Luftreinhaltung, Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG Anhaltspunkte könnte hier die Definition zu nach 3 Abs. 4 BImSchG geben Zu beachten, dass ein einfaches Gesetz niemals verbindliche Definitionen für GG geben kann.
16 Luftverunreinigungen sind nach 3 Abs. 4 BImSchG Veränderungen der natürlichen Zusammensetzungen der Luft, inbes. durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe und Geruchsstoffe Die Anordnung eines Rauchverbotes könnte insoweit also vom Wortlaut des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG erfasst sein. ABER: Anwendungsbereich des BImSchG ist nach 2 Abs. 1 BImSchG auf Anlagen, Kraftfahrzeuge und Verkehrseinrichtungen beschränkt
17 (8) Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder und Gemeinden, Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG: Bei Regelung zum Nichtraucherschutz handelt es sich nicht um Statusrechte und -pflichten der Beamten, sodass dem Bund insofern aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG keine Kompetenz zukommt B) Gesetzgebungskompetenz aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG (ausschließliche Gesetzgebung) Art. 73 Abs. 1 Nr. 8 GG erfasst gesamtes Dienstrecht des dort genannten Personenkreises, inkl. Regelungen zum Arbeitsplatz.
18 Davon ist auch der Nichtraucherschutz erfasst Norm ist analog zum Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (Arbeitsund Arbeitsschutzrecht für den privaten Bereich) für den öffentlichen Bereich In persönlicher Hinsicht sind nur im Dienste des Bundes stehende Personen erfasst, einschließlich Soldaten der Bundeswehr Nicht hingegen die Personen, deren Dienstherr ein Bundesland ist, sowie Bundesrichter und Abgeordnete (vgl. für diese die Kompetenz aus Art. 98 Abs. 1 GG). C) Zwischenergebnis Bund steht für ein umfassendes NichtraucherschutzG keine Kompetenz (a.a. gut vertretbar)
19 2. Gesetzgebungsverfahren und Form Das NichtraucherschutzG müsste im Rahmen des im GG vorgesehenen Verfahrens zustande gekommen Verfahren- und Formfehler? a) im Bundestag (1) Gesetzesinitiative Vgl. Art. 76 Abs. 1 Var. 2 GG; 76 GOBT Laut SV davon auszugehen. (2) Lesungen Die nach 78 ff., 54 ff. GOBT vorgeschriebenen drei Lesungen wurden durchgeführt.
20 (3) Beschlussfähigkeit des BT Ist gem. Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG eine ordnungsgemäße Beschlussfassung erfolgt? Nach Art. 77 Abs. 1 GG i.v.m. Art. 42 Abs. 2 GG ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich SV: Bei 56 Stimmen also 29 ( +) Wirksamer Beschluss des BT nur unter Vss. des 45 I GOBT Danach müssen 50% MdB anwesend sein (311 MdB). Laut SV (-)
21 Gem. 45 II GOBT muss Beschlussunf. Bezweifelt und ausdrücklich festgestellt werden Ratio des 45 II GOBT: wesentliche Arbeit an Gesetzesvorlage in Ausschüssen und zwischen den Fraktionen geringe Präsenz während Schlussabstimmung idr ein Zeichen für breiten Konsens SV: Beschlussunf. nicht ausdrücklich festgestellt und wird daher vermutet Aber: Demokratieprinzip Art. 20 II GG Beschlusunf. trotz Vermutung wenn nicht genügend MdB um Beschlussunf. überhaupt festzustellen
22 Vss: 32 MdB (622 MdBx0.05; vgl. 45 II GOBT) überhaupt anwesend, um Beschlussfähigkeit zu bezweifeln Laut SV 56 MdB d.h. Beschlussfähigkeit hätte angezweifelt werden könne ( 45 I GOBT) (4) Zwischenergebnis Beschlussfähigkeit wird vermutet. Folglich kein formeller Verfassungsfehler b) Im Bundesrat Einspruch gem. Art. 77 III GG laut SV nicht gegeben Involvierung des BR ordnungsgemäß (Art. 77 Abs. 2-4 GG)
23 c) Form Ausfertigung (Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG) und nach gegengezeichnet Verkündung gegeben (Art. 82 Abs. 1 S. 1, 58 S. 1 GG) 3. Zwischenergebnis Gesetz formell verfassungswidrig da fehlende Zuständigkeit des Bundes (a.a. vertretbar) III. Materielle Verfassungsmäßigkeit Grundrechtliche Belange laut Bearbeitervermerk nicht zu prüfen, anderweitige Bedenken bestehen nicht
24 III. Ergebnis Antrag der 245 Bundestagsmitglieder hat Aussicht auf Erfolg weil das NichtraucherschutzG formell verfassungswidrig ist.
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