Deutscher Bundestag Drucksache 17/8964 17. Wahlperiode 09. 03. 2012 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Drucksache 17/8713 Rechte und Hilfe für transsexuelle, transgender und intersexuelle minderjährige Menschen Vorbemerkung der Fragesteller Bereits1982setztedasBundesverfassungsgericht (1BvR938/81)diebisdahingeltendeAltersbeschränkungimTranssexuellengesetz (TSG)außerKraft, dieeinenantragaufänderungdesvornamensundpersonenstandeserstab dem25.lebensjahrermöglichte.mitdemwegfallderaltersbeschränkung wurdeesauchminderjährigenbetroffenenermöglicht,einenantragaufänderungdespersonenstandsbzw.desvornamensunterzustimmungdererziehungsberechtigtenzustellen.auchdieeinleitungeinerhormontherapieist beizweizustimmendenpsychologischengutachtensowiederzustimmung dererziehungsberechtigtenmöglich.diesbetrifftetwa100fälleprojahr (www.spiegel.de/schulspiegel/leben/0,1518,807219,00.html).inberlinwurde kürzlicheinfallbekannt,woein11-jährigesmädchendenwunschäußerte ihrgeschlechtzuändern.dieerziehungsberechtigtenwarensichuneinig,das JugendamtintervenierteundsetzteaufWunschdesVatersvordemBerliner KammergerichteineEinweisungindiePsychiatriedurch (http://taz.de/transsexualitaet-im-kindesalter/!87055/).daszuständigejugendamtgerietindie Kritik,weildasZielderpsychiatrischenBehandlungeineUnterbindungdes WunscheseinerGeschlechtsangleichungzurgefühltenGeschlechtsidentität deskindesseinkönnte (http://taz.de/transsexualitaet-im-kindesalter/!87055/). Vorbemerkung der Bundesregierung DieKleineAnfragebeziehtsichsowohlauftranssexuellealsauchaufintersexuelleMenschen.AlsTranssexuellewerdenMenschenbezeichnet,diezwar inderregelsämtlichebiologischemerkmaledeseinengeschlechtsbesitzen, sichaberdemjeweilsanderengeschlechtzugehörigfühlen.imgegensatzdazu wirdderbegriff Intersexualität füreinevielzahlanausprägungenanatomischzwischengeschlechtlicherbefundeverwandt.insoweithandeltessich umzweiverschiedenephänomene.nacherkenntnissenderbundesregierung wollensichinsbesondereintersexuellepersonenhäufigvontranssexuellenpersonen deutlich abgegrenzt sehen. DieAntwortwurdenamensderBundesregierungmitSchreibendesBundesministeriumsdesInnernvom7.März2012übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich in kleinerer Schrifttype den Fragetext.
Drucksache 17/8964 2 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode DerebenfallsinderFragestellungenthalteneBegriff Transgender wirddagegenüberwiegendalspolitischerundsoziologischeroberbegrifffürpersonen verwendet,diesichmitdergeschlechterrolle,dieihnenüblicherweisebeider Geburt,inderRegelanhandderäußerenGeschlechtsmerkmale,zugewiesen wird,nichtidentifizieren.derbegriffwirdsomitnebentranssexuellenund IntersexuellenfüreineVielzahlweitererPersonengruppen (z.b.transvestiten, Crossdresser u.a) verwendet. 1.WelcheBeratungs-undHilfsangebotehabentranssexuelle,transgender und intersexuelle minderjährigen Menschen in Deutschland? 2.WelcheBeratungs-undHilfeangebotehabendieElternvontranssexuellen, transgender und intersexuellen minderjährigen Menschen in Deutschland? 3.InwiefernundinwelcherHöheunterstütztdieBundesregierungdiese Hilfs- und Beratungsangebote? 4.WiebeurteiltdieBundesregierungdieSituationunddasBeratungs-und Hilfsangebotfürintersexuelle,transgenderundtranssexuelleminderjährige Menschen und deren Eltern in Deutschland? InDeutschlandstehen1487Beratungsstellen,dieSexualberatunganbieten, sowie1495erziehungsberatungsstellenfüreltern,kinderundjugendliche zu derauchsexualberatunggehört zurverfügung.dieförderungdieserberatungsstellenvorortobliegtdenländernbzw.kommunalengebietskörperschaften. BetroffeneundandereInteressiertekönnenAuskunftzuSelbsthilfegruppen undberatungsstrukturenbeiderdeutschengesellschaftfürtransidentitätund Intersexualität e. V. (www.dgti.info) erhalten. ImFallevonDiskriminierungenkönnensichtranssexuelleundintersexuelle minderjährigemenschenbzw.derenelternandieantidiskriminierungsstelle desbundeswendenundderenberatungsangebotwahrnehmen.dasselbegilt für minderjährige Transgender und deren Eltern. DasbundesweitagierendeJugendnetzwerkLambdae.V.vertrittdieInteressen jungerlesben,schwuler,bisexuellerundtransgenderinderöffentlichkeit undwirdseit1990regelmäßigausmittelndeskinder-undjugendplansgefördert.lambdae.v.bietetfürjugendlichediein&out-jugendberatungan,inder diejugendlichenineinerpeer-to-peer-beratungunterstützungbeithemenwie Coming-Out, Partnerschaft und Diskriminierung erhalten. Lambdae.V.erhieltindenJahren2007bis2011folgendeFörderungenaus dem Kinder- und Jugendplan: 2007109000 Euro 2008109000 Euro 2009109000 Euro 2010109000 Euro 2011117000 Euro. InnerhalbdergesetzlichenKrankenversicherung (GKV)habendieobenaufgeführtenPersonengruppenumfassendenAnspruchaufnotwendigemedizinische LeistungenentsprechenddenRegelungendesFünftenBuchesSozialgesetzbuch (SGBV).Hierzuzählenunteranderemärztlicheundpsychotherapeutische LeistungenimambulantenundstationärenBereich.SokannzumBeispielauch TranssexualitätaufgrunddesgebrochenengeschlechtsspezifischenIdentitäts-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 3 Drucksache 17/8964 bewusstseinseinzustandsein,dernachderrechtsprechungdesbundessozialgerichtsimeinzelfalleinebehandlungsbedürftigekrankheitimsinnedergkv darstellenkann.dieberatungderelternvonbetroffenenminderjährigenist Bestandteil dieses Leistungsangebots. DarüberhinausförderndiegesetzlichenKrankenkassenundihreVerbände nach 20cSGBVSelbsthilfegruppenund-organisationen,diesichdiegesundheitlichePräventionoderdieRehabilitationvonVersichertennacheinem festgelegtenverzeichnisvonkrankheitsbildernzumzielgesetzthaben,sowie Selbsthilfekontaktstellen.DaherkönnennachdieserRegelungauchGruppen oderorganisationenfürdiebelangeintersexueller,transgenderundtranssexueller minderjähriger Menschen unterstützt werden. 5.InwiefernsindJugendämterundSchulverwaltungüberdieProblematik informiert,undwelchehilfestellungkönnensiebetroffenenundeltern geben? DazuliegenderBundesregierungkeineErkenntnissevor.DieAusführungder AufgabenderKinder-undJugendhilfeobliegtdenLändern.Diekommunalen GebietskörperschaftennehmendieseAufgabenimRahmenderkommunalen Selbstverwaltung wahr. 6.WelcheWeiterbildungsangebotezumUmgangmittranssexuellen,transgenderundintersexuellenminderjährigenMenschenwerdenMitarbeiterinnenundMitarbeiternvonJugendämternundSchulverwaltungsowie Lehrkräften an Schulen angeboten? DazuliegenderBundesregierungkeineErkenntnissevor.DieFortbildungvon MitarbeiterninderKinder-undJugendhilfeobliegtdemüberörtlichenTräger derkinder-undjugendhilfe inderregeldenlandesjugendämtern ( 85 Absatz1 Nummer8 SGBVIII). 7.AbwelchemZeitpunktundunterwelchenBedingungensiehtesdieBundesregierungfürgebotenan,dassMinderjährigeneineHormontherapie zur Geschlechtsangleichung ermöglicht wird? EsgehörtgrundsätzlichnichtzudenAufgabenderBundesregierung,medizinischeVerfahrenoderBehandlungskonzeptezubewerten.DieAnerkennung undanwendungmedizinischerverfahrenundmethodenbemisstsichinder RegelanderbreitenAkzeptanzindermedizinisch-wissenschaftlichenFachwelt.DieaufdiesemKonsensfußendenmedizinischenIndikationenfürdie HormontherapiebeiIntersexualität/StörungderGeschlechtsentwicklungsind inderleitliniedergesellschaftfürkinderheilkundeundjugendmedizinzu StörungenderGeschlechtsentwicklung 027/022vom12.Mai2011aufgeführt. Esistbekannt,dassdieErscheinungsformenderIntersexualitätundgegebenenfallsdamitassoziierteSymptomesehrheterogensind.InsofernistdieFrage nachzeitpunktundbedingungeneinerhormontherapiebeiminderjährigenauf denindividuellenfallzubeziehen.voraussetzungfüreinepartizipativeentscheidungsfindungistdieumfassendeaufklärungderelternund soweit möglich derbetroffenenminderjährigendurchdenbehandelndenarztbeziehungsweisediebehandelndeärztinübertherapeutischeindikationen,möglichkeitenundalternativen.dasgeltenderecht (u.a.zuumfangundgrenzendes Selbstbestimmungsrechtes des Kindes) ist dabei zu beachten.
Drucksache 17/8964 4 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 8.WiebeurteiltdieBundesregierungTherapienanMinderjährigen,diegeschlechtsatypischeVerhaltensweisenunterbinden,umdenWunschdas Geschlecht zu ändern, zu verhindern? DieBundesregierungbeurteiltnichteinzelneTherapien,gehtaberdavonaus, dasstherapienmitderzielsetzung,denwunscheinesmenschennachgeschlechtsänderungdurchunterbindunggeschlechtsatypischerverhaltensweisenzuverhindern,nichtdemstanddermedizinischenwissenschaftundforschungentsprechen;esistbekannt,dassderartigetherapienauchinderfachwelt mehrheitlich abgelehnt werden. 9.WievieleAnträgeaufÄnderungdesVornamensunddesPersonenstands wurdenindeutschlandindenvergangenenzehnjahrenvonminderjährigenbzw.ihrenerziehungsberechtigtengestellt (bittenachbundesland und Jahrgang auflisten)? VerfahrennachdemTranssexuellengesetzwerdenbeidenAngelegenheitender freiwilligengerichtsbarkeit Standesamtssachen statistischerfasstundinder vombundesamtfürjustiziminternetveröffentlichtenjährlichenzusammenfassungdergeschäftsübersichtenderamtsgerichteaufgegliedertnachden Ländernaufgeführt (GÜ2-Nummer110110).EineUnterscheidungnachInhalt desantragsodernachmerkmalendesantragstellers/derantragstellerinerfolgtdabeinicht.angabenzuranzahlderanträgevonminderjährigenaufänderungdesvornamensoderdespersonenstandeskönnendahernichtgemacht werden. 10.InwievielenFällenhabenMinderjährigeeineHormonbehandlungvor EintrittindiePubertätbegonnen,umihrGeschlechtihrerGeschlechtsidentität anzugleichen? DieBundesregierungführtkeineStatistik,ausdersichdieseZahlenablesen lassen. 11.WelchenationalenundinternationalenStudienzurAnpassungdesGeschlechtsandieGeschlechtsidentitätvonMinderjährigensindderBundesregierung bekannt? 12. Wie beurteilt die Bundesregierung diese Studien? DasBundesministeriumfürBildungundForschunghatvon2003bis2010ein NationalesNetzwerkzumThema StörungendersomatosexuellenDifferenzierungundIntersexualität mit3,4mio.eurogefördert.durchgrundlagenorientierteforschungimnetzwerksolltenaufschlussüberdieursachenvon IntersexualitätgewonnenunddurcheineklinischeEvaluationsstudietypische BehandlungsverläufeundErgebnissedargestelltwerden.Füreineausführliche DarstellungderProjektedesNetzwerkswirdaufdieBundestagsdrucksache 16/4786 verwiesen. AußerdemhattedieBundesregierungimDezember2010demDeutschenEthikratdenAuftragerteilt,denDialogmitdenvonIntersexualitätbetroffenen MenschenundihrenSelbsthilfeorganisationenfortzuführensowieihreSituation unddiedamitverbundenenherausforderungenumfassendunduntereinbeziehungderärztlichen,therapeutischen,sozialwissenschaftlichenundjuristischen SichtweisenaufzuarbeitenunddabeiklarvonFragenderTranssexualitätabzugrenzen.DerDeutscheEthikrathatam23.Februar2012dieimAuftragder BundesregierungerarbeiteteStellungnahmezurSituationintersexuellerMen-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 5 Drucksache 17/8964 schenvorgestellt.diestellungnahmestütztsichvorallemaufinformationen dervomethikratbefragtenexpertenundexpertinnenunterschiedlichsterfachrichtungen,aussagenausdervomethikratveranstaltetenonlinebefragungund einemonlinediskurs,auferfahrungsberichtevonbetroffenenundelternsowie auf verschiedene wissenschaftliche Studien. DieBundesregierungwirddieStellungnahmedesDeutschenEthikrateszur IntersexualitätunddiedarinenthaltenenEmpfehlungensorgfältigprüfenund die notwendigen Konsequenzen ziehen. 13.WiebeurteiltdieBundesregierungdieSituationvonintersexuellenMinderjährigen,die (bzw.ihreerziehungsberechtigten)einenantragauf ÄnderungdesPersonenstandsbzw.desVornamensnurnachdemTSG stellen können, nicht aber mit Verweis auf ihre Intersexualität? Stelltsichheraus,dassdasGeschlechteinesKindesbeiderBeurkundungder Geburtfalschbeurkundetwordenist,kannaucheineBerichtigungdesGeburtseintragesnach 47ff.desPersonenstandsgesetzesinfragekommen.Obein VerfahrennachdemTranssexuellengesetz (TSG)odereineBerichtigungdes fehlerhaftenpersonenstandseintragsinfragekommt,hängtausschließlichvon denumständendeseinzelfallesabundentziehtsicheinerallgemeinenbeurteilung. 14.WiebeurteiltdieBundesregierungdieaktuelleSituationvonBetroffenen, dieihrenpersonenstandoderihrenvornamenändernwollen,wobeidie Rechtsgrundlage,dasTSG,zumTeilvomBundesverfassungsgericht außerkraftgesetztwurdeunddieangekündigteundnotwendigereform des TSG von der Bundesregierung noch immer nicht umgesetzt wurde? DasBundesverfassungsgerichthatinseinemBeschlussvom11.Januar2011 (1BvR3295/07)dieVoraussetzungenfürdierechtlicheAnerkennungvon Transsexuellennach 8Absatz1Nummer3und4TSGfürverfassungswidrig erklärt,soweiteintranssexuellerzurrechtlichenabsicherungseinergleichgeschlechtlichenpartnerschaftnurdanneineeingetragenelebenspartnerschaft begründenkann,wennersichzuvorgemäß 8Absatz1Nummer3und4TSG einemseineäußerengeschlechtsmerkmaleveränderndenoperativeneingriff unterzogenhatsowiedauerndfortpflanzungsunfähigist.dieregelungdarfbis zueinergesetzlichenneuregelungnichtmehrangewandtwerden.dievoraussetzungenfürdiepersonenstandsänderungentsprechensomitderzeitdenenfür einevornamensänderung,dabetroffenederzeitnichtverpflichtetsind,die dauerndefortpflanzungsunfähigkeitunddiedurchführungeinesoperativen EingriffszurVeränderungihreräußerenGeschlechtsmerkmalefürdieFeststellung der Geschlechtszugehörigkeit gegenüber dem Gericht nachzuweisen. 15.InwelcherFormundwanngedenktdieBundesregierung,dienotwendige Reform des TSG umzusetzen? Esistbeabsichtigt,dasTranssexuellengesetzinderlaufendenWahlperiodedes DeutschenBundestagesgemäßdenimKoalitionsvertragzwischenCDU,CSU undfdpvom26.oktober2009vereinbartengrundsätzenandieneueren medizinischenerkenntnisseundgesellschaftlichenentwicklungenanzupassen. EinentsprechenderEntwurfwirdderzeiterarbeitetundbedarfderAbstimmung innerhalb der Bundesregierung.
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83 91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbh, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333