Deutscher Bundestag Drucksache 17/123 17. Wahlperiode 02. 12. 2009 Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Brigitte Pothmer, Memet Kilic, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Brain Waste stoppen Anerkennung ausländischer akademischer und beruflicher Qualifikationen umfassend optimieren Der Bundestag wolle beschließen: I.DerDeutscheBundestagstelltfest: InDeutschlandlebenvielegutqualifizierteZuwanderinnenundZuwanderer. LautMikrozensus2007habenetwa2,8MillionenMigrantinnenundMigranten,dienachDeutschlandzugewandertsind,inihrenHerkunftsländerneinen akademischenoderanderenberuflichenabschlusserworben.hierzuzählen ca.800000akademischeundrund1,8millionenanderequalifizierendeabschlüsse.dochdiegroßenchancen,diesichausderqualifiziertenzuwanderungfürwissensgesellschaft,arbeitsmarktundauchintegrationspolitischergeben,werdenbishernuräußerstunzureichendgenutzt.trotzihresguten QualifikationsniveausmüssenhierzulandeüberdurchschnittlichvieleMigrantinnenundMigrantendeutlichunterhalbihrerimAuslanderworbenenQualifikationenarbeiten,weilihreAbschlüssenichtanerkanntwerdenoderzuviele BarrierenaufdemWegzurAnerkennungbestehen.DenndiebestehendeAnerkennungspraxiszeichnetsichdurchIntransparenz,Undurchlässigkeitundungleiche Zugangschancen aus. DieseallgemeineVerschwendungvonPotenzialundBildungsressourcenist nichtnurintegrationspolitischundausgründenderteilhabegerechtigkeitvölliginakzeptabel,sieistaucheinenormerverlustfürdiemehrheitsgesellschaft. AuchauswirtschaftlichenundwettbewerblichenErwägungenherausbesteht hiereklatanterhandlungsbedarfundhandlungsdruck.schlechtearbeitsmarktintegrationwirktsichnegativaufdiepersönlicheentwicklungderbetroffenen undaufsteuereinnahmenausundbelastetdiesozialsysteme.nichtzuletztvor demhintergrundvonfachkräftemangel,demografischemwandelundwissensgesellschaftsindwirdringenddaraufangewiesen,andiemitgebrachten Bildungs-undAusbildungskapazitätenvonZuwanderinnenundZuwanderern anzuknüpfen und sie zu nutzen. DefizitebeiderAnerkennungbestehenvoralleminrechtlicher,verfahrenstechnischerundfinanziellerHinsicht,aberauchmitBlickaufdasquantitativeAngebotvonBeratungsmöglichkeiten,Zertifizierungsstellen,Brückenmaßnahmen undanpassungsqualifizierungen.wirbrauchendahereineoffensivebeider AnerkennungausländischerAbschlüsse:eineumfassendeStrategiezurErschließungderQualifikationsreservenvonMigrantinnenundMigranten,die auchrechtliche,verfahrenstechnischeundarbeitsmarktlicheverbesserungen bewirkenkann.grundlagedafür,dasssichallebeteiligtenstellendesdrängen-
Drucksache 17/123 2 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode denproblemsnichtnurbewusstwerden,sondernauchannehmen,istein RechtsanspruchfürMigrantinnenundMigrantenaufeinleichtzugängliches, transparentesundschnellesverfahrenzurbewertungundanerkennungvon AbschlüssenundQualifikationen,diesiemitbringen.DieerfolgtenBewertungenundAnerkennungenmüssenverbindlichseinunddieAnforderungendes DeutschenQualifikationsrahmens (DQR)erfüllen.DazubedarfeseinesumfassendenAnerkennungsgesetzesaufBundesebene.HierdurchwürdeauchdieunterschiedlicheBehandlungvonEU-Bürgern,SpätaussiedlernundDrittstaatsangehörigen beendet und Chancengleichheit gewährleistet. DasPrüfverfahrenimRahmendesRechtsanspruchsmussausländischeQualifikationenbewerten,unterklarenBedingungenformalanerkennenbzw.teilanerkennenundbeiTeilanerkennungenverbindlicheAussagenübereventuellerforderlicheAnpassungsqualifizierungenundmöglicheAngeboteindiesem Bereichgeben.DasVerfahrensollteinnerhalbeinerFristvonsechsMonaten nachgültigerantragstellungabgeschlossensein.wichtigist,dassdasergebnis derprüfungbundeseinheitlichverbindlichistundanerkanntwird.voraussetzungdafüristaucheinebundesweitevereinheitlichungderanerkennungsverfahrenund-kriterien.grundlagenhierfürsolltendieschonjetztbeteiligten FachleuteausKammern,Hoch-undFachschulensowiedasBundesinstitutfür BerufsbildungunddieKultusministerkonferenz (KMK)etc.entwickeln.ParallelmüssenendlichtragfähigebundeseinheitlicheRegelnfürZulassungund AbschlüsseandenHochschuleneingeführtwerden.Davonwürdennichtnur diejenigen,diesichindeutschlandberuflichqualifizierthaben,profitieren, sondernauchmenschen,diemitqualifiziertenabschlüssennachdeutschland kommen. BewertungenundTeilanerkennungenmüssendurcheineBildungsberatungergänztwerden,dieweitereQualifikationswegezeigtundöffnet.DerBundhat sichinder16.legislaturperiodedazuverpflichtet,diemaßnahmenzuranpassungs-undnachqualifizierungzugewanderterakademikerinnenundakademikerzielgruppenspezifischbedarfsgerechtweiterzuentwickeln.positivsei beispielhaftauchaufbestehendemaßnahmenhingewiesen,wieimrahmender BundesprogrammeimAuftragdesBundesministeriumsfürBildungundForschung (BMBF)unddesBundesministeriumsfürFamilie,Senioren,Frauen undjugend (BMFSFJ) (OttoBeneckeStiftung,Modellprojekt AQUA )oder auchaufesf-bamf-programme (ESF:EuropäischerSozialfonds,BAMF: BundesamtfürMigrationundFlüchtlinge).DieseAngebotereichenaberbei weitem nicht aus. DieAngebotezurfachlichenundsprachlichenAnpassungs-undNachqualifizierungmüssenquantitativausgebautundimSinnevonmodularenErgänzungsqualifizierungenausgestaltetwerden.Diesgiltsowohlfürakademische alsauchfürandereberuflichemaßnahmeninklusiveberufsspezifischer Sprachschulungen.LetzteresindvonzentralerBedeutung,umZuwanderinnen undzuwandererndenzugangbzw. (Wieder)einstiegzuBerufsfeldernzuermöglichen,indenensieaufdemdeutschenArbeitsmarktFußfassenwollen. VerbessertwerdenmüssenzudemdieFördermöglichkeitenvonAnpassungsqualifizierungen.DarüberhinausmussderDQRendlichausgestaltetundeingeführtwerden,damitnichtnurdieKompetenzenderHöchstqualifiziertenmit akademischerausbildung,sondernauchderjenigen,diemitanderenberufsabschlüsseninslandgekommensindodernochkommen,tatsächlicheingestuft werdenkönnen.wesentlichistaußerdemeineflächendeckendebildungsberatung,dieinteressentenalsanlaufstelledientundüberanerkennungsverfahren informiert und individuell begleitet. DiegroßeKoalitionderCDU/CSUundSPDistinderzurückliegendenWahlperiodedarangescheitert,einKonzeptzuerarbeitenundumzusetzen.Siehat dasthemabiszumendederlegislaturperiodeaufdielangebankgeschoben,
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 3 Drucksache 17/123 zumnachteilderbetroffenen.zumendederlegislaturperiodewurdenlediglichzweiunterschiedlicheeckpunktepapiereausverschiedenenressortsvorgelegt.dasvergeudenvonindividuellenundgesellschaftlichenressourcen duldetkeinenweiterenaufschub.dieneuebundesregierunghatsichinihrem Koalitionsvertragdaraufverständigt,fürdieimAuslanderworbenenQualifikationenderberuflichenBildungmöglichsttransparenteundeinheitlicheVerfahrenzuschaffen.FernerwerdenverbindlicheVereinbarungenmitdenLändernüberdieZulassungundAnerkennungvonakademischenAbschlüssenund Teilleistungenangestrebt.DieBundesministerinfürBildungundForschung, Dr.AnnetteSchavan,kündigteAnfangNovember2009fürdasKabinettEckpunktefürdieAnerkennungvonimAuslanderworbenenBerufsabschlüssen an.alldiesenankündigungenmüssennunwirklicheverbesserungenfolgenim SinneeinesindividuellenRechtsanspruchsaufeinumfassendeseinheitliches AnerkennungsverfahrenfüralleZuwanderungsgruppenundfürDeutsche,die einen Abschluss im Ausland erworben haben. II.DerDeutscheBundestagfordertdieBundesregierungauf, biszumsommer2010inabstimmungmitdenländernundinrücksprache mit den Sozialpartnern 1.einenindividuellenRechtsanspruchfürallePersonenmitimAuslanderworbenenAbschlüssenaufeinleichtzugängliches,transparentesundschnelles VerfahrenzurBewertungundAnerkennungvonausländischenAbschlüssen undqualifikationenzuschaffen,dersowohlfürreglementiertealsauchfür nichtreglementierteberufegilt.dasprüfverfahrenimrahmendesrechtsanspruchsmussausländischequalifikationenbewerten,unterklarenbedingungenformalanerkennenbzw.teilanerkennen.beiteilanerkennungen müssenverbindlicheaussagengemachtwerden,welcheanpassungsqualifizierungenfüreinenvollqualifizierendenabschlussnötigsind.dasgesamte AnerkennungsverfahrensollimRegelfallvonstaatlicherSeiteinnerhalbvon sechsmonatenabgeschlossensein; 2.dieKriterienzurBewertungundAnerkennungvonAbschlüssenundQualifikationenentsprechenddemEuropäischenbzw.demDeutschenQualifikationsrahmenauszugestalten; 3.AnerkennungsverfahrennachbundeseinheitlichenStandardszuentwickeln mitdemziel,dassdieergebnissekünftigeranerkennungsverfahrenbundesweitverbindlichgültigsind; 4.flächendeckendAnlaufstelleneinzurichten,diedieAntragstellerbeimAnerkennungsverfahreninformierenundindividuellbegleitenunddasAnerkennungsverfahrennachdemOne-Stop-Agency-Prinzipdurchführen; 5.dieBildungsberatungsstruktursoauszubauen,dassMigrantinnenundMigrantenpassendzurAnerkennungoderTeilanerkennungihrerQualifikationen eineberuflicheodereineweiterqualifizierendeperspektiveerhalten; 6.MaßnahmenzurAnpassungs-undNachqualifizierungbedarfsgerechtquantitativauszubauenunddabeiauchdieAngebotezuberufsbezogenerSprachförderungzuintensivieren.BerufsbezogeneSprachförderungsollteu.a.als ElementderaktivenArbeitsmarktpolitikimDrittenBuchSozialgesetzbuch (SGBIII)undinsbesondereimSGBIIalsRegelinstrument,dasvonjeder AgenturundjederGrundsicherungsstelleangebotenwird,ausgestaltetund ausgebautwerden; 7.einErwachsenenbildungsförderungsgesetzvorzulegen,dasdieFinanzierung deslebensunterhaltswährendsolcherbildungsmaßnahmenoderbildungsgängesicherstellt,dieimzusammenhangmitdemanerkennungs-undberatungsverfahrensaufgenommenwerden.diepersönlichenvoraussetzungen
Drucksache 17/123 4 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode fürdenrechtsanspruchaufdieseleistungmüssenweitgefasstwerden,es sollbeispielsweisekeinealtersgrenzenundnurminimaleanforderungenan denaufenthaltstitelgeben; 8.dieReformderberuflichenAusbildungvoranzubringen,indemu.a.eine stärkeremodularisierunginnerhalbderberufsbilderstattfindet,sodassteilqualifikationenleichteranerkanntwerdenkönnenunddienach-undweiterqualifizierungerleichtertwird; 9.jenseitsderinDeutschlanddurchgeführtenAnerkennungsverfahrensolldie BundesagenturfürArbeitbeiderAusbildungs-undArbeitsvermittlungdieim AuslanderworbenenQualifikationensoweitwiemöglichberücksichtigen. Berlin,den2.Dezember2009 RenateKünast,JürgenTrittinundFraktion Begründung DasBundesministeriumfürArbeitundSozialesgingimMai2009davonaus, dassbeispielsweisemehralsdiehälftederzugewandertenerwerbstätigenmit ausländischemakademischenabschlussunterhalbihrerqualifikationbeschäftigtsind.auchseienmenschenmitmigrationshintergrundundeinemimauslanderworbenenakademischenberufsabschlussdeutlichhäufigervonerwerbslosigkeitbetroffenalsakademikerinnenundakademiker,dieüber hiesigeabschlüssenverfügten (8,3ProzentimVergleichzu4Prozent).Diese ZahlendeutendiequantitativeDimensiondesProblemsallerdingsnuran.Das tatsächlicheausmaßdervondefizitärenanerkennungsmöglichkeitenunddarausfolgendendequalifizierungseffektenbetroffenenwirdverdeckt,dabelastbarezahlenzurakademischenundberuflichenanerkennungsproblematikim ausreichenden Umfang bislang nicht erhoben wurden. Hierdurchgerätu.a.auchausdemBlick,dassdiemangelndenAnerkennungsmöglichkeitenschonalleinangesichtsdesfortlaufendenZuzugsvonqualifiziertenZuwanderinnenundZuwanderernzumbleibendenProblemwerden, weilsieimmermehrmenschenbetreffen,dievordemhintergrundgrenzüberschreitendermobilitätmitganzunterschiedlichenhintergründennach Deutschlandkommen.DazugehörennichtnurMigrantinnenundMigranten, dieschonlangeindeutschlandleben.genausosinddarunterz.b.menschen mitausländischemabschluss,diealsehepartnereinesodereinerdeutschen StaatsangehörigenZugangzumhiesigenArbeitsmarktsuchen.OderauchausländischeEhepaare,dienachDeutschlandziehen,weileinervonbeidenals HochqualifizierterberufsbedingtdasAngebotaufeineFührungspositionwahrnimmt.DieberuflicheZukunftdesjeweiligenPartnerskannsichdannplötzlich wegenderrestriktivenanerkennungsbestimmungenalsäußerstungewissund schwierig darstellen. UnabhängigvomkonkretenEinzelfallführendieDefizitedesdeutschenAnerkennungswesenszumselbennegativenErgebnis:GutausgebildeteZuwanderinnenundZuwandererkönnenihreindividuellenPotenzialenichtinderWeise indengesellschaftlichenarbeits-,innovations-undintegrationsprozesseinbringen,wieesmöglichundangemessenwäre.dochwersichbeiunsdarum bemüht,seinequalifikationenanerkennenzulassen,umzugangzumarbeitsmarktzuerhalten,stößtaufeinvollkommenundurchschaubaresdickichtaus zuständigenstellen,verfahrenundrechtlichenvoraussetzungen.diechancen, dasseinimauslanderworbenerberufs-oderstudienabschlussbeiunsaner-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 5 Drucksache 17/123 kanntwird,hängennichtalleinvonderartderqualifikationab,alsoz.b.von derfrage,obessichumqualifikationenimbereichreglementierterodernicht reglementierterberufeoderaberumspezielleberufsspartenhandelt.diemöglichkeitenunterscheidensichauchindeneinzelnenbundesländernundnicht zuletzt nach Herkunftsland bzw. Status der betroffenen Migrantengruppe. AktuellhabennurSpätaussiedler/SpätaussiedlerinnenundEU-Bürger/EU-BürgerinneneineprivilegiertereStellung,dieaberauchnichtausreichendausgestaltetist.MigrantinnenundMigranten,diewederausEU-Staatenkommen nochunterdasbundesvertriebenengesetzfallen,werdendemgegenüberbenachteiligt.spätaussiedler/spätaussiedlerinnenhabendurchdasbundesvertriebenengesetzdieoption,füralleberuflichenabschlüsseeinenantragaufanerkennungzustellen.fürdiesogenanntenreglementiertenberufegelten wiederumeu-richtlinien,dieeu-bürgerimvergleichzuspätaussiedlern/ SpätaussiedlerinnenundDrittstaatsangehörigenindiesemBereichbesserstellen.WiederandersverhältessichimFallvonQualifikationeninnichtreglementierten Berufsfeldern. AlsHemmnisfürdieAnerkennungausländischerAbschlüssewirktsichaußerdemdiestarkeZersplitterungderZuständigkeitenaus:Zuständigfürdie DurchführungderAnerkennungsverfahrensinddieBundesländer.DortwiederumliegtdieVerantwortungfürdieAnerkennungjenachFallbeiunterschiedlichenMinisterien,Behörden,KammernundBerufsorganisationen.Dies allesillustriertdieintransparenzunddiemangelndeoffenheit,mitdersichmigrantinnenundmigrantenauseinandersetzenmüssen.diekultusministerkonferenzhatzwarmitder ZentralstellefürausländischesBildungswesen (ZAB) eineanlaufstelleeingerichtet,derenaufgaben,ausstattungundangebotesind derzeitaberimfluss.sokündigtdiezabaufihrerhomepagevoraussichtlich abwinter2009einenkostenpflichtigenservicefürprivatpersonenan.die ZABwillZeugnisbewertungenfürPrivatpersonenerstellen.DieseBewertungensinddannallerdingskeinebindendenEntscheidungenüberÄquivalenzen, sondern könnenbehördenoderarbeitgebernimin-undauslanddieeinordnungderjeweiligenbildungsabschlüsseindaseigenebildungssystemerleichtern.
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