Kapitel 5: Entscheidung unter Unsicherheit
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- Erwin Kalb
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1 Kapitel 5: Entscheidung unter Unsicherheit Hauptidee: Die Konsequenzen einer Entscheidung sind oft unsicher. Wenn jeder möglichen Konsequenz eine Wahrscheinlichkeit zugeordnet wird, dann kann eine rationale Entscheidung getroffen werden.
2 5.1 Motivation Entscheidungen haben oft unsichere Konsequenzen: Gebrauchtwagenkauf: welche Reparaturen werden nötig? Geldanlage: welche Rendite wird erzielt? Wohnung wählen: wie sind die Nachbarn, Wohngegend, Vermieter? Studienplatz wählen: wie sind die Kommilitonen, die Stadt, mein Interesse fürs Studienfach? Verschiedenste Unternehmensentscheidungen 2
3 Wahrscheinlichkeitseinschätzungen Annahme 1: Der Entscheider ordnet jeder möglichen Konsequenz jeder Alternative eine Wahrscheinlichkeit zu Ohne diese Annahme wäre es schwierig für einen Entscheider, vollständige Präferenzen zu haben Reale Entscheider denken meist nicht bewusst in Wahrscheinlichkeiten, sondern in relativen Häufigkeiten, was aber auf das gleiche herauskommt 3
4 Konsequenzen Annahme 2: Der Entscheider ordnet jeder möglichen Konsequenz jeder Alternative eine Zahl zu Interpretation: Die Zahl ist eine 1 dimensionale Bewertung, die die Konsequenzen nach ihrer Wünschbarkeit sortiert Die Zahl kann (muss aber nicht) Geld sein 4
5 Zufallsvariable Eine Zufallsvariable ist eine Größe, deren Wert vom Zufall abhängig ist Beispiel: Zufallsvariable = Anzahl der Punkte bei dem Wurf eines Würfels Aus Annahme 1 und Annahme 2 folgt, dass jede Alternative als Zufallsvariable modelliert werden kann Die Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen ist also eine Wahl zwischen Zufallsvariablen 5
6 Erwartungswert Der Erwartungswert einer Zufallsvariablen beschreibt die Zahl, die die Zufallsvariable im Mittel annimmt Der Erwartungswert ist also der mit den Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichtete Durchschnitt aller möglichen Ergebniswerte Bei einer diskreten Zufallsvariable ist der Erwartungswert Beispiel: Die erwartete Anzahl der Punkte bei dem Wurf eines Würfels ist + + 3,5 6
7 Beispiel: Wahl zwischen zwei Zufallsvariablen Wählen Sie zwischen folgenden Zufallsvariablen: Alternative/Zufallsvariable A: Sie bekommen sicher Alternative/Zufallsvariable B: Mit Wahrscheinlichkeit erhalten Sie, mit Wahrscheinlichkeit Beide Zufallsvariablen haben den gleichen Erwartungswert Viele Menschen bevorzugen aber die Alternative/Zufallsvariable A Anmerkung: Zufallsvariable A ist degeneriert ( nicht wirklich zufällig ), B ist hingegen nichtdegeneriert ( wirklich zufällig ) 7
8 Beispiel: St. Petersburg Paradox Eine faire Münze wird solange geworfen, bis zum ersten Mal Zahl erscheint Falls Zahl zum ersten Mal beim n ten Münzwurf auftritt, wird ein Betrag von ausgezahlt Beispiele: kommt es nur zu einem Wurf bekommen Sie 2, kommt es zu zwei Würfen 4, bei drei Würfen 8... Wie viel würden Sie bezahlen, um an diesem Spiel teilzunehmen? Genauso viel wie die erwartete Auszahlung? 8
9 Eher nicht! Denn diese ist 9
10 Implikation Die Ergebnisse der beiden Beispiele deuten darauf hin, dass man bei der Nutzenbewertung einer Alternative/ Zufallsvariablen nicht nur dessen Erwartungswert, sondern auch das damit verbundene Risiko berücksichtigen muss! 10
11 5.2 Erwartungsnutzentheorie Macht man einige zusätzliche Annahmen an die Präferenzen (diese werden wir nicht behandeln), dann lassen sich die Präferenzen durch eine Nutzenfunktion repräsentieren, welche die Erwartungsnutzenform hat Formal: Jeder möglichen Konsequenz wird ein Bernoulli Nutzen u zugeordnet, wobei strikt wachsend ist Der Nutzen einer beliebigen Alternative/ Zufallsvariablen ist dann D.h. der Nutzen einer Zufallsvariablen gleicht dem Erwartungswert der Nutzen der einzelnen Konsequenzen 11
12 Beispiel Wir betrachten wieder das St. Petersburg Spiel und nehmen an, dass u ) ist Dann ist Dies kann man umformen zu Da ist (siehe Formelsammlung) erhalten wir 12
13 Anmerkung Transformation Eine Transformation einer Bernoulli Nutzenfunktion,, verändert die Präferenzen über die Zufallsvariablen es sei denn, die Transformation ist positiv und affin:,mitzahlen und 13
14 5.3 Einstellung gegenüber Risiko Ein Entscheider wird risikoavers genannt, wenn für alle nichtdegenerierten Zufallsvariablen gilt D.h. der Entscheider findet jede Zufallsvariable selbst schlechter als den Erwartungswert der Zufallsvariablen Der Entscheider würde das Risiko also gerne ausschalten 14
15 Risikoaversion und Konkavität Wir zeigen nun, dass Risikoaversion genau dann erfüllt ist wenn strikt konkav ist Wir betrachten eine Zufallsvariable, die mit gleicher Wahrscheinlichkeit oder ist (Beispiel: wir werfen eine Münze, die Auszahlung bei Kopf ist, bei Zahl ) Da wir positiv affine Transformationen durchführen können, ist es ohne Einschränkung der Allgemeinheit, dass und ist 15
16 Der erwartete Nutzen ist Der Erwartungswert ist Im folgenden Diagramm sehen wir, dass bei einer strikt konkaven Nutzenfunktion der Nutzen des Erwartungswertes den Erwartungsnutzen übersteigt 16
17 ,
18 Allgemeiner Beweis Die Jensensche Ungleichung besagt, dass für jede schwach konkave Funktion in einer Variablen, und jede Zufallsvariable, gilt Betrachte eine Zufallsvariable, welche die Werte annehmen kann Für ist und damit ist erfüllt Fall erfolgt der Beweis durch Induktion: Wir wollen zeigen, dass für erfüllt ist wenn auch für erfüllt ist 18
19 Wir schreiben um und spalten auf: Wir multiplizieren den letzten Term mit : Da für erfüllt ist gilt: 19
20 Per Definition der schwachen Konkavität (Funktion heißt schwach konkav falls 1 1 für alle,, 0,1) gilt daher: Wir können umschreiben zu: 20
21 Anmerkung: falls strikt konkav ist (Funktion heißt strikt konkav falls 1 1 für alle,, 0,1) und die Zufallsvariable nicht degeneriert ist, dann gilt sogar Grund: Das letzte Zeichen kann dann durch ein Zeichen ersetzt werden 21
22 Risikoneutralität Ein Entscheider wird risikoneutral genannt, wenn für alle Zufallsvariablen gilt D.h. der Entscheider findet jede Zufallsvariable selbst exakt genauso gut wie den Erwartungswert der Zufallsvariablen 22
23 Risikoneutralität ist genau dann erfüllt, wenn eine lineare Funktion mit positiver Steigung ist ,
24 Risikofreude Ein Entscheider wird risikofreudig genannt, wenn für alle nichtdegenerierten Zufallsvariablen gilt D.h. der Entscheider findet jede Zufallsvariable selbst besser als den Erwartungswert der Zufallsvariablen 24
25 Risikofreude ist genau dann erfüllt, wenn strikt konvex ist ,
26 Grenznutzen Der Grenznutzen des Geldes ist der Nutzenzuwachs den der Besitz einer zusätzlichen Einheit Geld verursacht Formal: Grenznutzen des Geldes an der Stelle ist 26
27 Bei einer strikt konkaven Nutzenfunktion (Person risikoavers) ist d.h. der Grenznutzen ist fallend Dies ist häufig sehr plausibel Beispiel: Nutzenzuwachs durch die 1. Million vs. Nutzenzuwachs durch die Million Bei einer linearen Nutzenfunktion (Person risikoneutral) ist d.h. der Grenznutzen ist konstant Bei einer strikt konvexen Nutzenfunktion (Person risikofreudig) ist d.h. der Grenznutzen ist steigend 27
28 Risikoprämie Die Zahlungsbereitschaft eines Entscheiders für die Vermeidung von Unsicherheit heißt Risikoprämie Formal: Die Risikoprämie für die Zufallsvariable ist der Betrag, so dass 28
29 Risikoprämie und Risikoeinstellung Wir konzentrieren uns auf den relevanten Fall, bei welchem die Zufallsvariable nichtdegeneriert ist (bei einer degenerierten Zufallsvariable ist die Risikoprämie stets Null) Es gilt, dass die Risikoprämie bei einem... risikoaversen Entscheider positiv ist... risikoneutralen Entscheider Null ist... risikofreudigen Entscheider negativ ist 29
30 Grafische Illustration ,
31 Beweis bei Risikoaversion Wenn der Entscheider risikoavers ist, dann gilt (per Definition) Da strikt wachsend ist kann die Gleichung nur für erfüllt sein 31
32 Beweis bei Risikofreude Wenn der Entscheider risikoavers ist, dann gilt (per Definition) Da strikt wachsend ist kann die Gleichung nur für erfüllt sein 32
33 Beweis bei Risikoneutralität Wenn der Entscheider risikoavers ist, dann gilt (per Definition) Da strikt wachsend ist kann die Gleichung nur für erfüllt sein 33
34 5.4 Risikoabbau Es gibt verschiedene Methoden mit deren Hilfe Risiken abgebaut werden können: Diversifikation (Risikoreduzierung durch Kombination nicht perfekt positiv korrelierter Risiken) Beispiel 1: Ein Anleger investiert sein Vermögen nicht nur in Aktien einer Firma, sondern in Aktien mehrerer Firmen Beispiel 2: Sie können zwei Läden eröffnen. Beide (a) in getrennten Märkten oder (b) in einem Markt. Der Gewinn eines Ladens ist 1, wenn der Markt boomt und 0 wenn nicht. Beides ist gleich wahrscheinlich und die Entwicklung beider Märkte ist unkorreliert. Daraus folgt, dass bei Läden in getrennten Märkten der Gesamtgewinn 0 ist mit Wkt. ¼, 1 ist mit Wkt. ½ und 2 ist mit Wkt. ¼. Wenn beide Läden in einem Markt sind ist der Gesamtgewinn 0 mit Wkt. ½ und 2 mit Wkt. ½. Beide Alternativen liefern den gleichen erwarteten Gesamtgewinn; (b) ist aber riskanter. Vgl. Auszahlungen Aufgabe
35 Versicherung (vgl. Aufgabe 5.3) Beschaffung weiterer Informationen Beispiel: Investition in Marktforschung, um richtige Kapazität einer Fabrik zu bestimmen 35
36 Zusammenfassung I Erwartungsnutzenmaximierung: Nutzen einer Alternative/Zufallsvariable gleicht dem Erwartungswert der Nutzen der einzelnen Konsequenzen Formal: Risikoprämie: Zahlungsbereitschaft eines Entscheiders für die Vermeidung von Unsicherheit Formal: Risikoprämie löst 36
37 Zusammenfassung II Risikoaversion: für alle nicht deg. strikt konkav Risikoneutralität: für alle nicht deg. linear Risikofreude: für alle strikt konvex 37
38 Aufgabe 5.1 (T) Wir würfeln mit einem gezinkten Würfel Die Punktzahlen bis sind gleich wahrscheinlich Die Punktezahl ist doppelt so wahrscheinlich wie die Punktzahl Bestimmen Sie die Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Punktzahlen Rechnen Sie die erwartete Anzahl der Punkte aus bei dem Wurf des Würfels aus 38
39 Aufgabe 5.2 (T) Eine Entscheiderin kann zwischen zwei Projekten wählen Projekt A erbringt eine Auszahlung von mit Wahrscheinlichkeit, mit Wkt. und mit Wkt. Projekt B erbringt eine Auszahlung von Wahrscheinlichkeit und mit Wkt. Der Bernoulli Nutzen der Entscheiderin ist mit Welches Projekt sollte die Entscheiderin wählen? 39
40 Aufgabe 5.3 (T) Lisa besitzt ein Fahrrad im Wert von Ihr Bernoulli Nutzen ist, wobei ihr sonstiges Vermögen darstellt und den Wert ihres Fahrrades Das Fahrrad wird mit einer Wahrscheinlichkeit von gestohlen Eine Versicherungspolice kostet Sollte Lisa eine Versicherung abschließen? Was sollte sie machen wenn ist? Interpretieren Sie die Ergebnisse 40
41 Aufgabe 5.4 (T) Max hat Geldeinheiten, welche er anlegen will Entweder in Festgeld (dieses bringt einen Zins von ) oder in einen Aktienfond (dieser bringt mit gleicher Wahrscheinlichkeit einen Verlust von oder einen Gewinn von ) Wieviel sollte er in welche Anlageform investieren, wenn sein Bernoulli Nutzen ist? Wie ändert sich seine Entscheidung, wenn der Aktienfond mit gleicher Wahrscheinlichkeit einen Verlust von oder einen Gewinn von erbringt? 41
42 Aufgabe 5.5 (T) Eine Entscheiderin hat einen Bernoulli Nutzen von Ihr Projekt bringt eine Auszahlung von Wahrscheinlichkeit und mit Wkt. mit Wie viel ist sie maximal bereit zu bezahlen, um statt des Projekts die erwartete Auszahlung des Projekts zu bekommen? 42
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