Deutscher Bundestag Drucksache 17/7654 17. Wahlperiode 09. 11. 2011 Antrag der Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Wolfgang Gunkel, Michael Hartmann (Wackernheim), Frank Hofmann (Volkach), Christel Humme, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Christine Lambrecht, Kirsten Lühmann, Thomas Oppermann, Aydan Özogŭz, Gerold Reichenbach, Dr. Dieter Wiefelspütz, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD Staatsangehörigkeitsrecht modernisieren Mehrfache bzw. doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen Der Bundestag wolle beschließen: I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Am30.Oktober2011jährtesichdieUnterzeichnungdesdeutsch-türkischen Anwerbeabkommenszum50.Mal.DasnimmtderDeutscheBundestagzum Anlass,umeinSignalandieinDeutschlandlebendenMigrantenzusenden: Mehrfachebzw.doppelteStaatsbürgerschaftsollermöglicht,Einbürgerungen sollen erleichtert werden. VielederdamalsalsArbeitskräfteangeworbenenMigrantensindinDeutschlandgeblieben.SiesindTeilderdeutschenGesellschaftgewordenundhaben derenkultur,ihrepolitikundihrenalltagmitgeprägt.undsiehabenentscheidend zum wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes beigetragen. DasgiltfürdietürkischstämmigenebensowiefürdieMigrantenausanderen Anwerbestaaten.DasAbkommenmitderTürkeiwardasvierteseinerArt, nachdemindenjahrenzuvorentsprechendeabkommenmititalien,spanien undgriechenlandgetroffenwordenwaren.weitereabkommenmitmarokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien folgten. II.DerDeutscheBundestagfordertdieBundesregierungauf,einenGesetzentwurf folgenden Inhalts vorzulegen: 1.DasOptionsmodellwirdabgeschafft.WirdeinKindausländischerElternin DeutschlandgeborenundhältsichmindestenseinElternteilmiteinemunbefristetenAufenthaltstitellangjähriglegalinDeutschlandauf,erhältdas KindnebenderStaatsbürgerschaftderElterndauerhaftauchdiedeutsche Staatsangehörigkeit.DasbislanggeltendeErfordernis,sichabVollendung des18.lebensjahrsfüreinederbeidenstaatsbürgerschaftenentscheidenzu müssen, entfällt. 2.Wersicheinbürgernlässt,mussseinealteStaatsangehörigkeitnichtlänger aufgeben.mehrfachebzw.doppeltestaatsbürgerschaftwirdauchbeider Einbürgerung ermöglicht.
Drucksache 17/7654 2 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 3.DieEinbürgerungsvoraussetzungenwerdenerleichtert.DasgiltinsbesonderefüreineAbsenkungderVoraufenthaltszeiten,fürVerbesserungenfür Personen,diebesondereIntegrationsleistungenerbrachthaben,fürLebenspartner Eingebürgerter und für die Anrechnung von Duldungszeiten. Berlin, den 9. November 2011 Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion Begründung Zu Nummer 1 1999sahdiedamaligerot-grüneBundestagsmehrheitvor,dasStaatsangehörigkeitsgesetzsozuändern,dassinDeutschlandgeboreneKinderausländischer Elternnachdemiussoli (Geburtsortsprinzip)diedeutscheStaatsangehörigkeit erwerbensollten,wenndieelternbestimmtevoraussetzungeninbezugauf VoraufenthaltundAufenthaltstitelerfüllten (vgl.bundestagsdrucksache14/533, S. 4). DerEntwurfkonntesichgegendiekonservativeMehrheitimBundesratnicht durchsetzen.deshalbkamesimvermittlungsausschusszumkompromiss,dem Optionsverfahrennach 29desStaatsangehörigkeitsgesetzes (StAG).Wirdein KindinDeutschlandgeborenundhältsicheinElternteilalsInhabereinesunbefristetenAufenthaltsrechtesseitachtJahrenrechtmäßiginDeutschlandauf,so erwirbtdaskindgemäß 4Absatz3StAGdiedeutscheStaatsangehörigkeit. Gemäß 29StAGmussessichjedochmitEintrittderVolljährigkeitzwischen derdeutschenundderdurchabstammungerworbenenausländischenstaatsangehörigkeitseinerelternentscheiden (optieren).hatessichbiszum23.lebensjahrnichtentschieden,sogehtdiedeutschestaatsangehörigkeitgemäß 23Absatz 3 StAG verloren. DerdargestellteKompromisswarbereitsdamalsumstrittenundwirdbisheute kritischbeurteilt.bereits2008verfolgtendieländerberlinundbremendas Anliegen,diein 29StAGgeregelteOptionspflichtzugunsteneineskonsequentenBekenntnisseszurMehrstaatigkeitaufzuheben,konntensichallerdings imbundesratnichtdurchsetzen (EntwurfeinesGesetzeszurÄnderungdes Staatsangehörigkeitsgesetzes, Bundesratsdrucksache 647/08). DasOptionsmodellistinhaltlichnichtsachgerechtundverwaltungstechnisch nichtpraktikabel.auchalsimdezember2007eineöffentlicheanhörungim DeutschenBundestagdurchgeführtwurde,bewertetedieüberwiegendeAnzahl dersachverständigendasoptionsmodellalsintegrationspolitischnichtsinnvoll (Innenausschuss, Protokoll der 54. Sitzung, Prot.-Nr. 16/54). InhaltlichnichtsachgerechtistdasOptionsmodell,weilesintegrationshemmendwirkt.ZumeinenistdieStaatsangehörigkeitvonDeutschennach 4 Absatz3StAGgegenüberderStaatsangehörigkeitandererDeutscherauflösend bedingt.diebisherigezugehörigkeitzurdeutschenbevölkerungundbisherige IntegrationsleistungenwerdendurchdiespätereAufgabederdeutschenStaatsangehörigkeit entwertet. ZumanderenfindensichvielederbetroffenenJugendlichenineinemLoyalitätskonfliktwieder.IhreHeimatundihreLebenswirklichkeitfindensiein Deutschland.Hiersindsiegeboren,hierlebensieihrLeben.Gleichwohlfühlen sichvieledenkulturellentraditionendesherkunftslandesihrerelternverpflichtet.ihrestaatsbürgerschaftaufzugeben,kannalsaktderabkehrvon
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 3 Drucksache 17/7654 eigenentraditionenmissverstandenwerdenundfälltihnendaheroftschwer. DervorliegendeAntragistdeshalbdaraufgerichtet,ihnendiemehrfachebzw. doppeltestaatsbürgerschaftzubelassen.sowirdderaufgezeigtekonfliktaufgelöst.diebetroffenenmüssensichnichtgegenihrenfamiliärenundkulturellen Hintergrundstellen,könnenabergleichzeitigDeutschebleiben.Damitwerden sieinsbesondereüberdaswahlrecht,aberauchdengleichberechtigtenzugang zumberufsbeamtentumaktivandergestaltungdergesellschaftbeteiligt.so leistet das Staatsbürgerschaftsrecht einen wichtigen Beitrag zur Integration. DesWeiterensinddievonderOptionsregelungbetroffenenPersonen,unabhängigdavon,fürwelcheStaatsbürgerschaftsieoptieren,inDeutschlandverwurzelt.Siewerdendeshalbganzüberwiegendhierbleiben.Entscheidensiesichfür diestaatsbürgerschaftihrereltern,soführtdiesdazu,dasswohnbevölkerung undwahlberechtigtebevölkerungweiterauseinanderfallen.diesetendenzist demokratietheoretischebensowieintegrationspolitischnichthinnehmbar.ihr wird mit der Änderung entgegengewirkt. ZuletztwerdenKinderzweierausländischerElternandersbehandeltalsKinder ausbinationalenehen.ersteremüssensichfüreinestaatsbürgerschaftentscheiden,letzterekönnenihredurchabstammungerworbenenbeidenstaatsbürgerschaftenbehalten.dieseunterschiedlichebehandlungistsachlichnicht gerechtfertigt. VerwaltungstechnischnichtpraktikabelistdasOptionsmodell,weileserheblichenAufwandsowieUnklarheitenfürdieVerwaltungmitsichbringt.Seit 2008sinddieerstenderinsgesamtknapp50000Kinder,diedurchEinbürgerungnach 40bStAGindieRegelungeinbezogenwurden,volljähriggeworden.Siemüssennunmehrgemäß 29StAGoptieren,obsiediedeutsche StaatsangehörigkeitoderdieihrerElternbeibehaltenwollen.WeitereFälle werdenhinzukommen,wenndievon 4Absatz3StAGBetroffenenvolljährig werden. InalldiesenFällenmüssenoptionspflichtigeKinderunverzüglichnachEintritt dervolljährigkeitvonderbehördeangeschriebenwerden.beiortswechseln, diedenmeldebehördennichtmitgeteiltwurden,wirdeszuzustellungsproblemenkommen.danebensieht 4Absatz3StAGeinaufwändigesBeteiligungsverfahrenzwischenAusländerbehördenundStandesämternvorundistdamit fehleranfällig.außerdemwerdenzahlreichebetroffenenichtnurgegenden VerlustderStaatsangehörigkeit,sondernauchgegendieweiterenaufgeworfenenFragengerichtlichvorgehen.DaswirdnichtnurdieVerwaltungsgerichtsbarkeiterheblichinAnspruchnehmen.EswirdwährendderGerichtsverfahren auchzumehrjährigenschwebezuständenbezüglichderfrageführen,welche StaatsangehörigkeitderBetroffenehatundwelcheerkünftighabenwird.Hier istebensowiewährendderregulären,maximalfünfjahrewährendenoptionsfristdiefrageungelöst,wiefällerechtlichzulösensind,indenenderbetroffenezumbeamtengewordenistoderdiesanstrebt,indenenerineinpolitisches Amt gewählt worden ist oder Wehrdienst leistet. AuchdieseProblemewerdenmitderAufhebungdesOptionszwangsausgeräumt. Zu Nummer 2 In 10Absatz1Satz1Nummer4StAGkommtdasbishergeltendePrinzipder VermeidungvonDoppel-oderMehrstaatigkeitzumAusdruck.Bereitsheute siehtdasgesetzin 12StAGjedochzahlreicheAusnahmetatbeständevor,die esdemeinbürgerungsbewerbererlauben,diealtestaatsangehörigkeitbeizubehalten.inderpraxiswirdaufgrunddieserausnahmeregelungeninmehralsder HälfteallerEinbürgerungenMehrstaatigkeithingenommen.DieTendenzistseit Jahrensteigend:1997:21Prozent;1998:18,9Prozent;1999:13,8Prozent; 2000:44,9Prozent;2001:48,3Prozent;2002:41,5Prozent;2003:40,7Prozent;
Drucksache 17/7654 4 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 2004:43,5Prozent;2005:47,2Prozent; 2006:51Prozent; 2007:52,4Prozent; 2008:52,9Prozent (Quelle:ZusammenstellungdesBundesministeriumsdesInnernaufGrundlagederDatendesStatistischenBundesamtes,www.bmi.bund.de/ cln_156/shareddocs/standardartikel/de/themen/migrationintegration/ohne Marginalspalte/Einbuergerungsstatistik.html?nn=257720,).DieseEntwicklung zeigt,dassdergrundsatzdervermeidungvonmehrstaatigkeitinderpraxiszunehmend an Bedeutung verliert. MitdemvorliegendenAntragwirdeinkonsequenterSchrittvollzogenunddie HinnahmevonMehrstaatigkeitbeiderEinbürgerunggenerellverankert.Dafür sprechen mehrere Gründe. SchonjetztwirdmitgutenGründeneineAusweitungderAusnahmetatbestände aufweiteregruppendiskutiert.dazuzählenunteranderemmenschen,dieseit derersteneinwanderergenerationindeutschlandlebenundheutedasrentenaltererreichen.siemöchtensichoftmalsnichtvonihreraltenstaatsbürgerschafttrennen.dasmageherpsychologischedennpraktischegründehaben, hindertsiejedochdaran,diedeutschestaatsbürgerschaftzuerwerben.gleichwohllebensieseitjahrzehntenhier.hierwäreeseinentscheidenderschrittzu mehrintegration,siealsdeutschemitallenrechtenundpflichtenindiegesellschaftaufzunehmen,ohneihnendiesymbolträchtigeaufgabeihreralten Staatsbürgerschaftabzuverlangen.WeitetemandieGruppederAusnahmetatbeständeaus,sowürdediederzeitbei52,9ProzentliegendeQuotederHinnahmevonMehrstaatigkeitsogarnochweitererhöht.DamitwürdediegesetzlichvorgeseheneRegel VermeidungvonMehrstaatigkeit quantitativdauerhaftzurfaktischenausnahme.angesichtsdiesergesellschaftlichenrealitätist es ein konsequenter Schritt, eine als überholt erkannte Regel aufzugeben. HinzukommenjüngerevölkerrechtlicheEntwicklungen.ZentralesArgument gegendiehinnahmemehrfacherstaatsangehörigkeitenwartraditionellder Verweisdarauf,dasswehrpflichtigeDoppel-bzw.MehrstaaterineinenLoyalitätskonfliktgeraten,wenneszumKriegzwischendenbeidenStaaten,deren Staatsangehörigkeitsiebesitzen,kommt.AuchnachderRechtsprechungdes BundesverfassungsgerichtesausdemJahr1974 bildetgeradediewehrpflicht desstaatsangehörigendenhauptgrunddafür,mehrfachebzw.doppeltestaatsangehörigkeitzuvermeiden (BVerfG,Beschlussvom21.Mai1975,Az.1 BvL22/71,1BvL21/72,Rn.111,zitiertnachjuris;ebenfallsveröffentlichtin NJW1974,S.1609).Dieservormehrals30JahrenformulierteEinwandist heutevölkerrechtlichüberholt.loyalitätskonfliktesinddurchdaseuropäische ÜbereinkommenüberdieStaatsangehörigkeitvom6.November1997ausgeräumt.EsistvonderBundesrepublikDeutschlandratifiziertwordenundam 19.Mai2004inKraftgetreten (BGBl.2004IIS.578).Esregeltinsbesondere, dasseinmehrstaaterseinewehrpflichtnurgegenübereinemderstaatenerfüllenmuss,derenstaatsangehörigkeiterbesitzt.tuterdies,giltdiewehrpflicht auchgegenüberdemanderenstaatderstaatsangehörigkeitalserfüllt (vgl. hierzu und zu den Regelungen im Detail Artikel 21 des Übereinkommens). MiteinemklarenBekenntniszurMehrstaatigkeitstehtDeutschlandiminternationalenVergleichnichtalleinda.ImGegenteil:Eine2001veröffentlichte StudiekamzumErgebnis,dassvon25untersuchtenwestlichenIndustriestaaten nursiebenbeidereinbürgerungdieaufgabederaltenstaatsangehörigkeit fordern.18hingegenerlaubendiebeibehaltungderaltenstaatsangehörigkeit (Weil,Peter,in:Conrad,Christoph/Kocka,Jürgen (Hrsg.),Staatsbürgerschaftin Europa.HistorischeErfahrungenundaktuelleDebatten,EditionStiftungKörber, Hamburg, 2001, S. 92 bis 111, insbesondere S. 96 f.). DieintegrationspolitischenVorteilestehenimVordergrund.DieBetroffenen werdenalsdeutschemitallenrechtenundpflichteneinschließlichdeswahlrechtsindiegesellschaftaufgenommen,ohneihnendiesymbolträchtigeund psychologischbelastendeaufgabeihreraltenstaatsbürgerschaftabzuverlan-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 5 Drucksache 17/7654 gen.sokönnensiekünftigaktivfürsichunddiegesellschaftgewinnbringend amgesellschaftlichenlebenteilnehmen.dafürsindaspektewiesprachkenntnisse,bildung,beruflichestellung,gesellschaftlicheteilhabe,auchimprivaten Bereich,sowieKenntnissederRechts-undGesellschaftsordnungweitaus wichtigeralsdiefrage,obsienocheineodermehrereanderestaatsangehörigkeiten besitzen. Zu Nummer 3 DieEinbürgerungsvoraussetzungensollenerleichtertwerden.IntegrationspolitischesZielistes,dieZahlderEinbürgerungenzuerhöhen.Deshalbsollein GesetzentwurfeineAbsenkungderVoraufenthaltszeiten,Verbesserungenfür Personen,diebesondereIntegrationsleistungenerbrachthaben,fürLebenspartnerEingebürgerterundfürdieAnrechnungvonDuldungszeitenenthalten. FürdiekonkreteAusgestaltungwirdaufdenGesetzentwurfderFraktionder SPD vom 23. Februar 2010 (Bundestagsdrucksache 17/773) verwiesen.
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