Deutscher Bundestag Drucksache 16/6779 16. Wahlperiode 24. 10. 2007 Antrag der Abgeordneten Gitta Connemann, Dr. Hans Georg Faust, Annette Widmann- Mauz, Dr. Wolf Bauer, Maria Eichhorn, Hubert Hüppe, Dr. Rolf Koschorrek, Hartmut Koschyk, Maria Michalk, Michaela Noll, Dr. Norbert Röttgen, Hermann-Josef Scharf, Jens Spahn, Max Straubinger, Willi Zylajew, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Mechthild Rawert, Dr. Carola Reimann, Peter Friedrich, Eike Hovermann, Christian Kleiminger, Dr. Karl Lauterbach, Hilde Mattheis, Olaf Scholz, Dr. Margrit Spielmann, Jella Teuchner, Dr. Marlies Volkmer, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD Missbräuche im Bereich der Schönheitsoperationen gezielt verhindern Verbraucher umfassend schützen Der Bundestag wolle beschließen: I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: 1.DieBegriffeSchönheitsoperation,Schönheitschirurgie,kosmetischeChirurgieoderästhetischeChirurgiesindinDeutschlandnichteindeutigdefiniert. IndenfolgendenAusführungenwirdderBegriffSchönheitschirurgieverwandt.DemliegtdieAnnahmezugrunde,dasssichdieSchönheitschirurgie mitderverbesserungoderveränderungvonkörperformendurchoperative EingriffeohnemedizinischeNotwendigkeitbefasst.InderRegelhandeltes sichummaßnahmen,dieaufwunschdespatientennacheinerverbesserung seinesäußerenerscheinungsbildsberuhen,ohnedasserlitteneverletzungen oder angeborene Fehlbildungen im medizinischen Sinne vorliegen. DerWunschnachmaßgeschneiderterSchönheitwächst.Dafürtragendie MedienmaßgeblichVerantwortung.SchätzungsweisezehnMillionenkosmetisch-operativeEingriffewerdenweltweitjährlichdurchgeführt.ImZeitaltervonWellnessundAntiagingnimmtdieZahlstetigundrapidezu auch indeutschland.mangelsbundesweiterstatistikenfehlenallerdingsvalide Daten.Erhebungenwerdeninsoweitnurvondenplastisch-chirurgischen Fachgesellschaftendurchgeführt.SohabendieMitgliederderVereinigung DeutscherPlastischerChirurgenimJahr2005etwa700000Eingriffedurchgeführt,davonetwa175000reinästhetischeEingriffe.DieMitgliederder GesellschaftfürÄsthetischeChirurgieDeutschlandhabenimJahr2004rund 186000Schönheitsoperationenundrund68000Faltenbehandlungendurchgeführt.EsgibtjedocheinehoheDunkelziffer,denndieEingriffevon Ärzten,diekeineFacharztausbildungzumplastischenChirurgenabsolviert haben,werdengenausowenigerfasstwiedievonheilpraktikernundkosmetikern.auchdieanzahlderindeutschlandlebendenverbraucherinnenund Verbraucher,diesichimRahmeneinesOP-TourismusimAuslandeiner schönheitschirurgischenbehandlungunterziehen,istnichtbekannt.laut
Drucksache 16/6779 2 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode SchätzungensollenimJahr2001ca.400000MenscheninDeutschlandeine Schönheitsoperationansichhabendurchführenlassen,2002mehrals 800000.Seit2003wirddieZahlaufübereineMilliongeschätzt.DasAltersspektrumderPatientinnenundPatientensollvon12bis84Jahrenreichen. NachInformationenderVereinigungDeutscherPlastischerChirurgenwerden10ProzentallerschönheitschirurgischerEingriffeanunter20-Jährigen durchgeführt.schonunter9-bis14-jährigenwünschtsichjedesfünftekind lauteinerumfragedeskinderbarometersderlbs-initiative JungeFamilien eineschönheitsoperativebehandlung.derwunschnacheinemneuen Busen zum Abitur ist keine Ausnahme mehr. AngesichtsderhohenundstetigsteigendenZahlanschönheitschirurgischen Eingriffenisteszunehmendproblematisch,dassdieSchönheitschirurgie z.t.ohneentsprechendeweiterbildungbetriebenwird,obwohlumfängliche fachärztlicheweiterbildungenindiesembereichexistieren.dazugehören unteranderemdieweiterbildungen Facharztfürplastische/ästhetischeChirurgie und FacharztfürMund-Kiefer-Gesichtschirurgie.DieseTitelkönnenerstdurcheineentsprechendemindestenssechsjährigeAus-undWeiterbildung,denNachweisausreichenderpraktischerErfahrungundnacheiner entsprechendenprüfungbeiderärztekammererworbenwerden.zudembestehtdarüberhinausdiemöglichkeit,diezusatzweiterbildungplastische Operationenzuabsolvieren,dieinErgänzungzueinerFacharztkompetenz imbereichhals-nasen-ohrenheilkundeodermund-kiefer-gesichtschirurgiediekonstruktivenundrekonstruktivenplastischenoperativeneingriffe zurwiederherstellungundverbesserungderformundfunktionundästhetik in der Kopf-Hals-Region umfasst. ZurzeitkönnenÄrzteohneZusatzqualifikationschönheitschirurgischeEingriffevornehmen.FürdiePatientinnenundPatientenbestehtdaherdieGefahr,aneinenfürdieseEingriffenichtausreichendqualifiziertenund/oder nichterfahrenenarztzugeraten.nichtnurenttäuschteerwartungenüberdas erhoffteneueaussehen,sondernauchkomplikationenmiterheblichenmedizinischenrisikenunddauerschädenbishinzumtodderpatientinnenund PatientenkönnendieFolgesein.NachderbislanggründlichstenUntersuchungüberLiposuktionszwischenfälleindenUSA,veröffentlichtimFachblatt PlasticandReconstructiveSurgery,kommtauf5000FettabsaugungenjeweilseinTodesfallinfolgeLungenembolien,innererVerletzungen, HautnekrosenoderInfektionen.DamitkorrespondierteinejüngereStudieder Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum. DieFolgebehandlungenmissglückterEingriffeoderbeiKomplikationen stellennichtnureinegroßebelastungfürdiegeschädigtendar,sondern belastenauchdieversichertengemeinschaftmitzunehmendenkosten.deshalbgibteszukünftigeinestärkereeigenverantwortungfürdiebehandlung vonfolgeerkrankungenaufgrundnichtnotwendigermedizinischereingriffe zumbeispielbeikomplikationeninfolgevonschönheitsoperationenoder Piercing.DenneshandeltsichumfreiwilligeEingriffeohnemedizinische Indikation,mitderenFolgendieSolidargemeinschaftnichtbelastetwerden darf. WegenderstarkenZunahmebeidenSchönheitsoperationenwandtesichim Jahr2002dieEuropäischeUnion (EU)anihreMitgliedstaaten.IneinerEntschließungdesEuropäischenParlaments (EP)zuderMitteilungderKommissionüberMaßnahmenderGemeinschaftundderMitgliedstaatenimZusammenhangmitBrustimplantaten (KOM(2001)666 C5-0327/2002 2002/2171(COS))vom12.Januar2002empfiehltdasEPImplantationenbei Frauenunter18JahrennurausmedizinischenGründenzuerlauben.Als Begründungwirdangeführt,dassKindernundJugendlichendienotwendige
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 3 Drucksache 16/6779 geistigereifefehle,umdietragweitedermitdemeingriffverbundenengesundheitlichen Gefahren einzuschätzen. DieZahlderschönheitschirurgischenEingriffeanJugendlichenunter18Jahrennimmtzu.EinzigeVoraussetzungdafüristzurzeitnurdasVorliegeneiner EinwilligungserklärungdergesetzlichenVertreter.EinevorherigemedizinischeBegutachtungmussnichterfolgen.Selbstbeieinerordnungsgemäßen Aufklärungistnichtsichergestellt,dasssichderJugendlichederReichweite seinesentschlussesbewusstist.esbestehtdiegefahr,dassderjugendliche CharakterdieFolgennurschweroderüberhauptnichtverarbeitet.SomitstehenfehlendeEinsichtsfähigkeitunddiemöglichenkörperlichenFolgennicht imverhältniszumnutzen.derjugendlichebefindetsichnochimwachstum. Ebenfallsverändern sichinderreflexionsphasedasweltbildunddieeigenen WerteineinemfließendenProzess.DaseigeneAussehenkannspäternur nochnachrangigebedeutungbesitzen.vielmehristgeradedasaussehen einesmenschenseinnatürlichesgut,überdaserbeibestehendergeistiger Reifeselbstentscheidenmuss.SchönheitsoperationenanKindernund Jugendlichensolltenalsodeshalbnurdannvorgenommenwerden,wennein erheblicherleidensdruckvorliegtodereinkrankheitswertderdeformierung eingeschätzt werden kann. 2.DerDeutscheBundestagbekräftigtseineAuffassung,dassdieHeilpraktikererlaubnisnichtzurVornahmechirurgischerEingriffeberechtigt.WerHeilkundeausübt,ohnealsArzt bestalltzusein,bedarfderheilpraktikererlaubnis.fürdenberufdesheilpraktikersexistiertkeinvorgeschriebenerbildungsgang.esfindetlediglicheineüberprüfungdurcheinenamtsarztstatt, diejedochalleinderfeststellungdient,obgegebenenfallseinheilpraktikeranwärtereinegefahrfürdiemenschlichegesundheitdarstellenkönnte.die ÜberprüfungbeinhaltetalsogeradekeineFachprüfung,sondernkonzentriert sichalsmaßnahmedergefahrenabwehrdarauf,obderzuprüfendekandidat umdiegrenzenderheilbefugnisseeinesheilpraktikersweiß.deshalbdürfenheilpraktikerkeineeingriffeanmenschenvornehmen,fürdiesienicht dieerforderlichenkenntnissebesitzen.hilfesuchendemenschenmüssen stetsmitdererforderlichensorgfaltbehandeltundvorschädenbewahrtwerden.diesgebietetbereitsdasallgemeinehaftungsrecht.hinzukommt,dass HeilpraktikernnachdemArzneimittelgesetzderZugriffaufverschreibungspflichtigeArzneimittel (hier:betäubungsmittel)verwehrtist,sodasssiein derregelauchkeineanästhesieeinleitenkönnen,diefürschönheitschirurgische Eingriffe erforderlich wäre. UnabhängigvondieserrechtlichenSituationmussbewusstgemachtwerden, dassschönheitsoperationenschwerwiegendekörperlicheeingriffebedeuten,dieeinerbesonderenqualifikationbedürfen.heilpraktikersindhierfür grundsätzlich nicht qualifiziert. 3.DieEingriffeunddiedamitverbundenenRisikenerforderneinehoheSachverständigkeitderausführendenÄrzte.DieZahlderFälle,indenenPatientinnenundPatientenSchmerzensgeldforderungenwegenBehandlungsfehler stellen,istindenletztenjahrenkontinuierlichgestiegen.imjahr1997wurdeninsgesamt8884anträgeandiegutachterkommissionenundschlichtungsstellenindeutschlandgestellt,imjahr2003warenesbereits11053 Anträge.JedochgehenauchtitulierteAnsprücheinsLeere,wennderArzt keinenversicherungsschutzhatundauchpersönlichnichtimausreichenden Maße solvent ist. ZwargewährteineBerufshaftpflichtversicherungdemArztVersicherungsschutzfürdenFallseinerzivilrechtlichenInanspruchnahmewegeneinesBehandlungsfehlers.AndersalszumBeispielimBereichderAnwaltschaftist derabschlusseinerentsprechendenhaftpflichtversicherungaberlediglich einestandesrechtlicheberufspflichtundnurineinigenländern (beispiels-
Drucksache 16/6779 4 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode weisenordrhein-westfalen)gesetzlichvorgeschrieben.expertenschätzen daher,dasseinbeträchtlicheranteilderimbereichderschönheitschirurgie tätigen Ärzte nicht ausreichend versichert ist. IndemBewusstseindieserProblematikundgegendenTrendzuimmermehr SchönheitsoperationenbeibeidenGeschlechternundinallenAltersgruppen ist die Bundesregierung auf verschiedenen Ebenen aktiv: Gesundheitliche Aufklärung und öffentliche Meinungsbildung DieBundeszentralefürgesundheitlicheAufklärunggreiftinverschiedenenProjektenundBroschüren ( Kinderstarkmachen, Mädchensache(n), GutDrauf )FragenderKörperwahrnehmungunddesSchönheitsideals besonders von Mädchen und jungen Frauen auf. DasBundesministeriumfürGesundheithat2005eineInformationsbroschüre Spieglein,Spieglein vorgestellt,dieu.a.anhandeinesinterviewsmiteinerbekanntenschauspielerindenkanstößefüreinenkritischen Umgang mit Schönheitsoperationen vermitteln soll. PositivhervorzuhebenistauchdievonderBundesärztekammerunter BeteiligungvonpolitischenVerantwortungsträgerninsLebengerufene KoalitiongegendenSchönheitswahn.ZieldieserKoalitionistes,die MedienunddieÖffentlichkeitzueinemverantwortungsbewussteren UmganginderDarstellungvonSchönheitsoperationenzuveranlassen und vor allem nicht länger Jugendliche als Zielgruppe anzusprechen. Gesetzgebung Seitdem1.April2006sindoperativeplastisch-chirurgischeEingriffe (Schönheitsoperationen)indenAnwendungsbereichdesHeilmittelwerbegesetzes (HWG)einbezogen.DamitwirddieWerbungfürSchönheitsoperationen eingeschränkt. DurchdieEinbeziehungindenAnwendungsbereichdesHWGwerden insbesonderebestimmteformendersuggestivenoderirreführendenwerbung,wiesievormalsweitverbreitetwaren,verboten.eineirreführung liegtnach 3HWGinsbesonderedannvor,wennu.a.VerfahrenoderBehandlungeneinetherapeutischeWirksamkeitbeigelegtwird,diesienicht haben,oderwennfälschlichdereindruckerwecktwird,dasseinerfolg mitsicherheiterwartetwerdenkann.verstößegegen 3stellenbeivorsätzlichemHandelneineStraftat (FreiheitsstrafebiszueinemJahroder Geldstrafe),beifahrlässigemHandelneineOrdnungswidrigkeitdar ( 15 Abs. 2 HWG mit Bußgeldandrohung). IndemGesetzzurStärkungdesWettbewerbsindergesetzlichenKrankenversicherungwurdegeregelt,dassVersicherte,diesichinderFolge einerschönheitsoperationeinekrankheitzugezogenhaben,beidendadurchentstehendenbehandlungskosteninangemessenerhöhevonder KrankenkassezubeteiligensindunddasseinKrankengeldfürdieDauer derbehandlungganzoderteilweisezuversagenoderzurückzufordernist. DamitwirddieSolidargemeinschaftvondenFolgensolcherSchönheitsoperationen ohne medizinische Indikation weitgehend entlastet. Zumanderenwirddadurchverdeutlicht,dassessichbeiSchönheitsoperationenummedizinischnichtindizierteEingriffehandelt.Diesträgtzum kritischen Umgang mit dem Thema bei. II.Der Deutsche Bundestag fordertdieärztlicheselbstverwaltungauf,überdasthemaschönheitsoperationensachgerechtaufzuklären,einenkriterienkatalogalswegweiserfür diepatientenzuerarbeiten,dernachfragervonschönheitsoperationendabei
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 5 Drucksache 16/6779 fordert die Bundesregierung auf, unterstützenkann,einequalitätsauswahlunterdenanbieternsolchergesundheitsleistungenzutreffen.einsolcherwegweiserkönntedazubeitragen, zumindestunerwünschtefolgekomplikationensolcheroperationenzuminimieren; 1.dieEntwicklungimBereichderSchönheitsoperationen,insbesonderebei Jugendlichen, kritisch zu beobachten; 2.nichtdarinnachzulassen,einenkritischenUmgangmitSchönheitsoperationenzufördern,wiebereitsimGKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzund imheilmittelwerbegesetzgeschehen,undweiterehandlungsspielräume auch im Bereich der Werbung zu prüfen; appelliert an die Länder, 1.sichdafüreinzusetzen,dassdieÜberwachungsbehördenderLänderfür dieberufsausübungverstärktbeischönheitschirurgischeneingriffendaraufachten,dassnurentsprechendqualifiziertepersonensolcheeingriffe vornehmenundheilkundenurvondazubefugtenpersonenausgeübt wird; 2.dieVerpflichtungdesNachweiseseinesumfassendenHaftpflichtversicherungsschutzes zu kodifizieren; fordertdiebundesregierungunddieländerinihremjeweiligenzuständigkeitsbereich auf, 1.berufsrechtlicheundsonstigerechtlicheRegelungenfürVerbotevonnicht medizinischindiziertenschönheitsoperationenanminderjährigenzuprüfen; 2.aufdieMedienhinzuwirken,verantwortungsbewusstmitdemThema Schönheitsoperationenumzugehen.InsbesonderesolltenzielgruppentypischeSeriensendungenfürJugendlichesichdesThemasingeeigneter und kritischer Weise annehmen. Berlin, den 24. Oktober 2007 Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion Dr. Peter Struck und Fraktion
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